Am Montag ist im Reichstagsgebäude zu Berlin die Handwerker-Konferenz, zu welcher die zwanzig eingeladenen Handwerker erschienen sind, vom Unter­staatssekretär Dr. von Rottenburg eröffnet worden. Sämtliche Teilnehmer sind zum Stillschweigen über die Verhandlungen verpflichtet worden.

Der Minister des Innern Herrfurth ist vom Kaiser für seine erfolgreichen Bemühungen um das Zustandekommen der Landgemeindeordnung durch außergewöhnliche Gnadenbeweise belohnt worden. Der Kaiser hat dem Minister sein lebensgroßes Bildnis mit einer gnädigen, von dem Ausdruck höchster Anerkennung erfüllten Kabinetsordre über- reichen lassen. Der Präsident des preuißischen Abgeordnetenhauses, Herr v. Köller, hat am Diens­tag das 25jährige Abgeordnetenjubiläum gefeiert. Auch Herrn v. Köller sind bei dieser Gelegenheit hohe Gnadenbeweise zu Teil geworden.

In Elsaß-Lothringen sind die Ernteaus­sichten in diesem Jahr ziemlich befriedigend. In Lothringen sind die Aussichten für Winterfrüchte weniger befriedigend, dagegen sind für Sommerge­treide, Futter, Kartoffeln und Obst die Aussichten überall sehr gut.

Schwei).

DerN. Zür. Ztg." werden aus Basel, 15. Juni, noch folgende Einzelheiten gemeldet: Zwischen dem schauerlichen Gemengsel der Wagenteile erblickt man noch menschliche Leichen eingekeilt. Da ragen zwei Kinderfüße aus dem Wasser heraus, daneben tauchen Arme und Beine von Erwachsenen empor, während die Leiber im Wasser liegen; hier eine Hand, dort ein Arm, der noch nach Rettung greifen wollte. Daneben sieht man einen blutigen Kopf mit einer furchtbaren Schädelwunde. Der unglückliche Mann hält beide Arme ausgebreitet, der Leib ist eingequetscht im Wasser, man erkennt die Leiche als die des Direktors der Gewerbeschule, Hrn. Bub eck, der mit Kindern den Tod gefunden hat. Unter den übereinander gestülpten zerrissenen Wagen sieht man in eine Art Höhle der Trümmermasse. Dort hinten liegt eingekeilt zwischen Wagenbestandteile, Räder, Sitzpolster 2. Klasse ein ganzes Knäuel von Leichen an einem unübersehbaren Haufen. Aus der unförm­lichen Masse ragte blutüberströmt ein schwarzer mensch­licher Kopf hervor. Er scheint einem Soldaten zu gehören, denn man entdeckt in dem Leichenklumpen Uniformstücke. Die Scenen waren alle unbeschreiblich; da sah man eine Mutter mit zwei Kindern, die sich fest umklammert hatten, das eine Kind war schon tot, das andere lebte und wurde wahrscheinlich ge­rettet. Grausig war das Schreien, Aechzen und Stöhnen der Unglücklichen, die eingekeilt waren und sich nicht befreien konnten. Eine Frau war z. B. bis an die Brust im Wasser, in Trümmer einge­quetscht und mußte in dieser Lage stundenlang ver­harren, bis sie befreit werden konnte. Es gab Menschen, die erst nach fünf bis sechs Stunden, gegen 8 Uhr abends aus den Trümmern frei gemacht werden konnten. Ein Herr lag mit zerdrückten Beinen unter einem Rad. Er rief und bat, man möge, da man den Wagen nicht heben könnte, ihm doch die Beine abschneiden und ihn hervorziehen. Stundenlang mußte er in diesem martcrvollen Dasein verharren. Ein Arzt, der zu ihm gelangen konnte, suchte die furchtbaren Schmerzen des Beklagenswerten durch Morphiumeinsprintzen zu lindern; der Arme konnte nicht gerettet werden und starb. Bis gegen Ein­bruch der Dämmerung, also noch etwa fünf bis sechs Stunden nach dem Unglück, hörte man Wimmern, Rufen, Stöhnen unter den Trümmern. Es war herzzerreißend. Viele Menschen waren derart ein­gekeilt, daß man sie unmöglich befreien konnte. Der Zugführer, der zwischen dem auf dem Widerlager hängenden und dem auf dem Damm stehenden Wagen sich auf dem Trittbrett befand, wurde durch die beiden zusammenstoßenden Wände zerqucscht; der Leib wurde ihm aufgerissen und eingedrückt. Er war sofort tot. Die Stadt Basel ist in tiefer, allgemeiner Trauer. Auf allen Gesichtern liest man die Bestürzung und das Entsetzen über das grauen­hafte Unglück. Wer das unbeschreibliche Schauspiel gesehen hat, ist noch erschüttert und kann sich kaum fassen; so furchtbare Bilder vermag sich keine Phan- taste auszumalen.

Basel, 16. Juni. Amtlich verlautet, daß noch 100 Leichen unter den Trümmern liegen. Dann betrüge die Totalziffer circa 200 Tote. Der

Personenwagen erster und zweiter Klasse ist noch nicht gehoben. Mindestens acht Tote befinden sich noch in ihm. Ein Waggon mit italienischen Arbeitern befindet sich desgleichen noch unter Wasser; er ist gedrängt voll. Schwerverwundete liegen im Spital 41, ebensoviel in Privathäusern. Die Zahl der Leichtverwundeten ist unermittelt. Nene Regengüsse erschweren die Arbeit.

Basel, 18. Juni. Heute morgen ist der eine der zur Herausschaffung der Wagenteile aus dem Bette der Birs aufgestellte Hebekcahnen gebrochen, weil er für die ihm zugemureten Lasten zu schwach war. Zwei in die Birs gestürzten Wagen befin­den sich nämlich mit ihrem traurigen Inhalt immer noch unter Wasser.

Aus Basel wird geschrieben : Ein endloser Lei­chenzug bewegte sich mittags zum Kirchhof von Mön­chenstein, eskortiert von Infanterie. Hinter den Sär­gen gingen Vertreter der Regierung und zahllose Leid­tragende. Unter dem Geläute der Glocken trugen die Soldaten die Särge zu dem gemeinsamen Grabe. Nach der Leichenrede wurde das Trauergeleite von Schmerz überwältigt. Unbekannte Leichen wurden keine mehr begraben, sondern nach Basel in die Ana­tomie überführt und dort konserviert. Damit die Weg- schwemmung der Leichen unmöglich wird, ordnete der Regierungspräsident von Basel die Herstellung eines Rechens über Birs an. Zur Beschleunigung der Wegräumung ist weiteres Militär aufgeboteu.

Aus Basel wird gemeldet:Seitens der elsaß­lothringischen Landesregierung wird, dem Vernehmen nach, der Paßzwang über die von Belfort via Mül­hausen nach Basel führende Bahnstrecke bis zur Herstellung der Mönchcnsteiner Brücke aufgehoben."

DemBund" entnehmen wir folgende Mitteilun­gen : Die Brücke wurde in den 70er Jahren mit anderen Brücken der Jurabahn vom Brückenunter­nehmer Eiffel, der seitdem durch den Pariser Ausstellungsturm berühmt geworden ist, erstellt. Durch die große Ueberschwemmung von 1881 hatte die Brücke gelitten. Ein Widerlager wurde neu pneu­matisch fundiert. Diese Arbeit wurde durch Holz­mann u. Cie. in Frankfurt ausgeführt. Letztes Jahr wurden wieder Verstärkungsarbeitcn gemacht, und zwar durch die Firma Probst, Chapnis und Wolf. Nun ist das große Unglück hereingebrochen. Die Brücke ist in der Mitte geborsten. Stützpfeiler hatte sie nicht. Den Fachkreisen muß sich die Frage am­drängen, wie es sich nach den gemachten Erfahrun­gen mit der modernen Eisenkonstruktion verhält.

Frankreich.

Paris, 13. Juni. Es ist davon die Rede, daß Barou Hirsch eine Konferenz angesehener und einflußreicher Juden in Berlin zu veranstalten gedenkt, um die geeignetsten Maßregeln zum Schutze der russischen Glaubensgenossen anzuregen. Gleich­zeitig erzählt derFigaro" von einem in Calscutta wohnenden reichen Seidenhändler Namens Mapohas, welcher nach Paris gekommen ist, um seine hiesigen Brüder für das Schicksal der Juden spanischen Ursprungs, 11,000 an der Zahl, zu interessieren, die in Jerusalem im tiefsten Elende lebe». Wie es scheint, findet er nicht die beste Aufnahme und wird ihm geantwortet, die russischen und deutschen Juden gäben ihren hiesigen Stammesgenossen schon genug zu schaffen; mit den spanischen, die obendrein im gelobten Lande wohnen, sollte man sie in Ruhe lassen. Dessen ungeachtet haben einige reiche Per­sönlichkeiten in Paris nach dem Vorgänge der Ban­kiers in Calcutta und Damaskus und des Sultans selbst, der hundert türkische Pfund beisteuerte, unter­zeichnet und hofft Herr Mayohas mit einer reichen Ausbeute nach dem Orient zurückkehren zu können.

Paris, 17. Juni. Die Angeklagten Turpin, Tripono, Fasseler wurden jeder 6, Feuvrier zu 2 (nicht 5) Jahren Gefängnis verurteilt, Turpin außerdem zu einer Geldstrafe von 2000 Franks, zu 5 Jahren bürgerlichem Ehrverlust, Tripone zu 5000 Fr., 10 Jahren Ehrverlust und Aufenthaltsbeschrän­kung, Fasseler zu 1000 Fr., 5 Jahren Ehrverlust, Feuvrier zu 200 Fr., 5 Jahren Ehrverlust.

Die Pariser Zeitungen äußern sich über den Lesseps-Prozeß in ziemlich bedenklicher Weise. Eine Verurteilung des alten Lesseps ist leicht möglich, weil in den Kreisen der hereingefallenen Aktionäre der Panamakanalgesellschaft viel böses Blut herrscht. Den Leuten ist es sehr egal, ob Lesseps ein berühm­ter Mann ist oder nicht, sic verlangen stürmisch nur

ihr Geld zurück. Bei der Staatsanwaltschaft sind sehr zahlreiche Denuncialioncn gegen Lesseps ein­gegangen.

England.

London, 16. Juni. Der ungewöhnliche Schritt, den der Prinz von Wales gethan, indem er durch den Kriegsminister Stanhope im llnterhause dem Lande öffentliche Abbitte leistete, hat seine Gegner teilweise entwaffnet. Die Daily News sagt, die Abbitte beweise eine heilsame Unterordnung unter die öffentliche Meinung, der wir alle unterworfen seien. Der Daily Telegraph, welcher stets den Prinzen verteidigte, billigt das Eingeständnis des Fehlers. Es sei übrigens ein Fehler, den die Mehrzahl der englischen Gentlemen begangen haben würden, um einen gefallenen Freund zu unterstützen.

London, 16. Juni. DerDaily Chronicle" bringt einen heftigen Leitartikel gegen den Prinzen von Wales, das Feldmarschallamt sei unnütz, da er nie einer Schlacht beigewohnt. Auch der Herzog von Cambridge habe für sein Nichtstyun Lstr. 700000 erhalten. DerChronicle" stellt gegenüber, was der erste und der zweite deutsche Kaiser für das Heer gethan habe, und was der jetz-ge Kaiser noch thue.

London, 16. Juni. Aus Cardiff wird gemeldet, die Blechfabrikeu von Südwales, welche 26 000 Ar­beiter beschäftigen, beabsichtigen für den Juli und viellricht länger die Fabrikation zu suspendieren. Grund davon ist die Uebcrproduktion zu dem Zwecke, vor Inkrafttreten der Mac Kinley-Bill möglichst viel Fabrikate nach Amerika zu importieren.

London, 17. Juni. Vor der Abendvorlesung Stanley's wurde die HymneGott segne den Prin­zen von Wales" nicdcrgezischt.

Türkei.

Zu der Räubergeschichte von Tscherkcßköi ist nachträglich noch eine kleine Episode mitgctcilt worden, welche die schon in den früheren Berichten hcrvorgehobene Eitelkeit der Räuber illustriert. Der Hauptmann Athanas hat nämlich dem zur Abholung des Lösegclds nach Kirkilissa entsandten Maschinisten Freudinger den Auftrag erteilt, von dort .... einen Photographen mitzubringen, welcher ein Gruppenbild von der Räuberbande aufnehmcn sollte; Athanas ließ demSounenn,aler" die Summe von fünfzig Gold-Lire (das sind 1000 ^) für seine Bemühung zusichern. Herr Freudinger fand indcß keinen Pho­tographen bereit, der den Marsch ins Gebirge mit­zumachen gewillt war, und brachte den Bescheid zu­rück, daß Niemand den Auftrag ausführen wollte, selbst wenn das doppelte Honorar geboten worden wäre.

Der Sultan hat zur Erinnerung an den Besuch des Deutschen Kaisers im November 1889 500 bronzierte Kupfermedaillen (das Gold bekommen die Räuber) unfertigen lassen, welche die Inschrift haben:Begegnung des Sultans Hamid mit dem Deutschen Kaiser Wilhelm II. ^lonstantinopel, 7. Redjeb 1307." Aus der anderen Seite steht das deutsche Wappenzeichen. Eine Anzahl Medaillen wird nach Berlin geschickt.

Amerika.

Newyork, 17. Juni. Ein schweres Eisen­bahnunglück hat sich gestern im Jowastaate bei der Coonbrücke, in der Nähe der Coonflußschnellen er­eignet. Die Lokomotive, welche in größerer Ent­fernung vor der Brücke aus den Schienen geraten war, durchlief die Strecke bis zur Brücke außerhalb des Geleises, durchschlug das Brückengeländer und stürzte, sämtliche Waggons mit Ausnahme der Schlaf­wagen mitreißend, in den Fluß; Zwei Personen sind getötet, 30, darunter mehrere tätlich, verwundet.

Kleinere Mitteilungen.

DerBalinger Volksfreund" enthält in seiner jüngsten Nr. 112 nachstehendes Inserat: Gesucht zum sofortigen Eintritt auf nur feinere Möbelarbeit bei gutem Lohn und dauernder Beschäftigung zwei tüchtige Arbeiter. Mittagspause: 2 Stunden mit Sopharuhe. Fr. Eppler, Fabrikation feinerer Möbel und Aussteuern, Balingen (Württemberg).

Der Selbstmord in der Kiste. Der in Heinzcndorf bei Jglau (Oesterreich) ansässige Schmied Josef Ripper war schon wiederholt an der Aus­führung eines Selbstmordes verhindert worden. Kürzlich ist es dem hartnäckigen Mann trotzdem gelungen, seinem Leben ein Ende zu machen. Er zimmerte sich eine große Holzkiste von Mannshöhe,