I
- 594 —
von dem Afrikareisenden Andreas Küntzel über das vom deutschen Kolonial, verein erworbene Wituland in Ostafrika gehaltenen Vortrag. Der geehrte Redner, welcher sich schon frühe die zu Unternehmungsreisen notwendigen Kenntnisse angeeignet und bedeutende Reisen unternommen hatte, besuchte zwei, mal das Wituland und konnte also aus eigener Anschauung über diese heut- zutage ein so hervorragendes Interesse beanspruchenden Gegenden eindrucksvoll und in lebendiger Sprache berichten. Er bemerkte zuerst, daß er in Aden mit Regierungsbaumelster Hörnecke zusammengetroffen und von diesem singe, laden worden sei, sich einer Expedition nach Sansibar und von da nach Witu anzuschließen. Sansibar, eine Stadt von etwa 80,000 Seelen und ein be» deutender Stapelplatz des Welthandels, mache von der See aus gesehen keinen unangenehmen Eindruck; die am Ufer liegenden Häuser seien schön gebaut, die dahinter liegenden, von Sklaven bewohnten, lassen jedoch viel zu wünschen übrig, die Bewohner seien teils sehr kostbar oder aber auch gar nicht beklei- det, die Frauen leben ihrer Pflicht im Innern des Hauses; am Freitag könne man ein besonderes Schauspiel genießen. An diesem Tage rücke die rot ge« kleidete Garde des Sultans aus, stelle sich in Parade auf und jeder Soldat gebe, so schnell es ihm möglich, nacheinander in liegender Stellung 25 blinde Schüsse ab; während dieser Vorstellung zeige sich der Sultan, der ein nicht unschöner, sehr reicher, aber habsüchtiger Mann sei, mit seinen Ministern auf den Balkon 1 eines Palastes. Zu seinem Reichtum (er besitzt 60 000 Sklaven) an Ländereien und Menschen komme er sowohl durch List als durch Gewalt. Sein Harem sei sehr interessant, die Frauen von dunkler bis gelb» brauner Hautfarbe seien nicht unschön zu nennen; die Sklaven, 5—6 an einander gekettet, werden mit Holztragen, Wasserholen u. a. Dingen beschäftigt und seien im allgemeinen nach gethaner Arbeit gut aufgelegt und lustig. Im Mai 1885 kam der Reisende mit Hörnecke zum ersten Male nach Witu. Mit 190 Trägern brachen sie auf und wurden von dem Sultan Achmed, dessen Familie schon 800 Jahre im Lande herrscht, sehr freundlich empfangen. Die Reise war sehr gefahrvoll, da die Leute wochenlang im Wasser zu waten und von den feindseligen Arabern zu leiden hatten; es meldeten sich daher viele krank und nur durch die Energie und die klug angewandten Mitteln des Anführers Hörnecke, den oft fingirl Kranken gegenüber, konnte die Expe- dition ihr Ziel erreichen. Nach drei Monaten kehrte die Gesellschaft wieder nach Sansibar zurück und war freudig überrascht, als im Hafen die schon lange sckmerzlichst erwartete deutsche Kriegsflotte in Gefechtsstellung sich zeigte. Da der Kommandant der Korvette „Gneisenau", der Kapitän zur See, Valois, dem Sultan Achmed in Witu einen Besuch abzustatten hatte, so schloß sich Herr Küntzel wiederum dieser Expedition an. Da« Wituland wird bewohnt von dem Suahelenvolk. Vor 300 Jahren hatten sich die Portugiesen, welche weiter im Süden ihre Kolonie gründeten, auch an einigen Küstenplätzen dieses Gebiets niedergelassen; jetzt sind nur noch die Trümmer einiger Städte übrig geblieben. Dte Einwohner, eine Vermischung mit den Arabern, be. kennen sich zum Mohammedanismus. Redner schildert das Land als ein prächtiges, gut angebautes, mit prachtvollen Urwäldern und fruchtbarstem Boden versehenes Gebiet. Die Hauptstadt mit etwa 600 Häusern und 7 bis 8000 Einwohnern sei von einem dichten Laubwald umgeben, der so dicht sei, daß keine Katze, geschweige ein Mensch durchzudringen vermöge und daher die beste Verteidigung der Stadt biete; das in die Stadt führende Thor von Baumstämmen lasse nur Raum für einen einzigen Mann. Soldaten des Sultans bildeten bei dem Empfang Spaliere und bei der Audienz wurden die verschiedenen Geschenke ausgewechselt. Der Thronfolger, ein sehr intelli. genter Mann von 36 Jahren erschien zuerst, sodann sein Vater, der Sultan Achmed. Letzterer, 66 Jahre alt, mit einem starken Knebelbart und von fürstlichem Ansehen, reichte jedem der Deutschen die Hand und erwiderte auf die Ansprache des Kapitäns, daß er schon seit 22 Jahren mit dem Sultan von Sansibar Krieg führe; mit den neuen, ihm nun zur Verfügung stehenden Gewehren hoffe er von dem ihm mit Recht gehörenden Land in den nächsten Jahren vieles zurück zu erhalten; jetzt gehöre aber sein Reich dem Sultan Wilhelm und er wolle alle die Wünsche dieses mächtigsten Herrschers erfüllen,
ja er wolle auch seinen Glauben verlassen, was natürlich für die Bemühungen der Missionare von großem Vorteil wäre. Hierauf exerzierten die deutschen Soldaten von der Marine, worüber der Sultan sehr erfreut war. Mit einem herzlichen Lebewohl wurde von diesem interessanten neuen Bundesge. nassen Deutschlands geschieden. Nach des Redners Ansicht hat das Wituland von allen unseren Kolonien den größten Wert und die größte Zukunft, da 1) Anknüpfungspunkte für Gewerbe und Handel genügend vorhanden, nament« lich gute Hafenplätze zu finden seien; der Fischreichtum sei sehr groß; 2) die Einwohner seien thätig, willig und geschickt, intelligent und gebildet; 3) das Klima sei gesund, mindestens seien 6 Stunden Arbeit täglich möglich, da keine unmäßige, erschlaffende Hitze existiere; der Thermometer steige bei Tag nicht über 28 Grad und bei Nacht nicht über 15 Grad R., so daß man ganz gut schlafen könne; besonders fehle da» Fieber fast ganz; 4) der Boden sei gut, üppig; ungeheure, mannshohe Grasflächen, die aber nicht dürr werden, finden sich; der Boden, aus Thon und Sand bestehend, sei mit einer ca. 3 Meter dicken Humusschichte bedeckt und sei eine 2malige Ernte möglich; die meisten Früchte gedeihen dort, das Vieh sei sehr gut genährt, das Pfund Fleisch koste nur 5 Pfennig. Indem Redner noch die Vorzüge dieses Landes zusammenfaßte, führte er an, daß zwar Deutschland spät mit Kolo- nien hervorgetreten sei, dennoch aber könne das Wituland ein zweites Indien werden; Pflicht eines jeden Deutschen sei es. Deutschlands Güter zu erhalten uno der drohenden Uebervölkerung Deutschlands könne durch Ansiedelung in den Kolonien abgeholfen werden; er bitte daher um Unterstützung des deut» schen Kolonialvereins, der durch Ankauf der von den Gebrüdern Denhardt erworbenen Küstenstrecke den Zugang zu diesem Lande für Deutschland ge. sichert habe und fordere die anwesenden Herren auf, soweit es jedem möglich sei, dem deutschen Kolonialverein sich anzuschließen. Reicher Beifall folgte diesem interessanten, anschaulichen und mit liebenswürdigem Humor gewürzten Vortrage.
Nagold, 8 . Dezbr. Gestern Abend IM /4 Uhr erscholl von Straße zu Straße der Ruf: Feuer! und bald auch riefen die Feuerwehrzeichen und die Sturmglocken die Einwohnerschaft zu dem Brandplatz des Uhrmacher Klägersschen Hauses neben dem Engel. Ehe die Feuerwehr zum Angriff des Brandobjekts schreiten konnte, schlugen die Flammen schon gewaltig aus den Dachlucken. Der Dachstuhl wurde vollständig zerstört, noch mehr aber litt das Gebäude durch die Masse Wasser Schaden, das in dasselbe geworfen wurde. Anfänglich verlangte Hilfe von auswärts wurde schon nach einer halben Stunde abbestellt. (N. Ges.)
Eingesendet.
(Anfrage.) Ist es absolut notwendig und wie verträgt e« sich mit den die Nachtruhe-Störung betreffenoen polizeilichen Vorschriften, daß mit dem Wegräumen der Marktslände in so früher Morgenstunde begonnen wird, daß das Hämmern und Niederwerfen der Bretter in der ganzen Runde des Markt- Platzes die Bewohner aus dem Schlafe aufschreckt und weiteren Schlaf un- möglich macht? Die ganze Arbeit ist in der Regel im Laufe des Vormit- tags beendigt, ein Notwerk ist sie also gewiß nicht.
3. Dezember,
Kgl. Standesamt Kak«.
Vom 3. bis 8. Dezember 1886.
Geborene:
Emmi Bertha, Tochter des Ludwig Wilhelm Brunnet, Maschinen strickers hier.
Luise Wilhelmine, Tochter des Johannes Koenig, Fuhrknechts hier. Karl, Sohn des Karl Nagler, Händlers von Mazenbach O.A. Crailsheim.
Gottesdienste am Sonntag, den 12. Dezember 1886.
III. Advent.
Vom Turm: Nro. 461. Vorm.-Predigt in der Kirche: Hr. Dekan Berg. Christen- lehre mit den Töchtern. Abendpredigt, um b Uhr in der Kirche: Hr. Helfer Braun.
Lotte,ckieafl« in äer Metkoäiftenkapelle am Sonntag, den 12. Dezember.
Morgens >/r10 Uhr abends 8 Uhr.
„Ja", sagte er offen, „ich liebe meine Frau. Es gab für die Werbung um ihren Besitz keinen anderen als nur diesen Grund."
Das junge Mädchen entzog ihm langsam ihre Hand.
„Ich dachte es mir!" fügte sie halblaut hinzu. „Gott schenke Ihnen Beiden seinen reichsten Segen!"
Und dann in den gewohnten Ton übergehend, fuhr sofort:
„Ich frage nicht aus Neugier, Herr Doctor — das dürfen Sie mir glauben — sondern in unserem beiderseitigen Interesse. Wäre es gut, wenn Ihre junge Frau gleich nach der Hochzeit eine Kranke pflegen, ja wenn sie überhaupt im Hause eine dritte Person dulden sollte? — Es ist besser, ich bleibe bei irgend einer anderen Familie — das heißt vor der Hand. Später findet sich das Alles, nicht war."
Julius errötete wie ein ertappter Schulknabe.
Und dieses Mädchen nannte Elisabeth ohne Weiteres eine Betrügerin!
„Wie Sie wollen, Fräulein Herbst", antwortete er gerührt, außer Stande, sie in sein häusliches Elend hineinsehen zu lassen. „Ich sage mit Ihnen: später findet sich das Alles. Die polizeiliche Erlaubnis für Ihren Aufenthalt in K. habe ich durch Vermittelung eines persönlichen Freundes bereits erlangt."
Anna dankte ihm auf das Lebhafteste.
„Also was meine verlorenen Legitimationspapiere betrifft, so —"
„Bekümmern Sie sich um Nichts", schattete er ein. „Ich habe die Bürgschaft übernommen, und Niemand wird Sie behelligen."
„Ach", rang es sich fast wie ein Freudenschrei aus ihrer Brust, „dann ist ja Alles gut!"
Und nun war er es, der hinzusetzte: „Bis auf die Augen! Aber Gott wird auch das gelingen lassen."
Die Diakonissin kam und brachte ihrer Schutzbefohlenen die Sachen, mit denen sie damals blutüberströmt und leblos an der Unglücksstätte aufgefunden worden war: Hut und Mantille und das lederne Handtäschchen, aus welchem Elisabeth die Dokumente entwendete. Außer der Quittung des Spitalverwatters steckten in Kassen
scheinen noch vielleicht zweihundert Thaler im Portemonaie — das war Alles, womit sich die Blinde, auf ihre eigene Kraft angewiesen, freudlos und allein wieder hinauswagen sollte in das feindliche Leben.
Die Diakonissin half ihr treulich. Selbst mit stiller Ruhe freiwillig resignierend um eines-Gedankens willen, fühlte sie sich zu der anderen Verlassenen magnetisch hingezogen; selbst in einer Art frommer Schwärmerenden Namen des jungen Arztes verehrend, liebte sie seinetwegen Jene, welche ihm Interesse einflößte. Von ihr geführt, verabschiedete sich Anna bei den Aerzten des Hospitals — dann bestiegen alle drei den wartenden Wagen.
Auf dem Bahnhofe gab bei ihrer Ankunft die Glocke das zweite Signal — sie mußten sich beeilen, noch Plätze zu erhalten. Gerade als Julius das junge Mädchen ins CoupS hob, pfiff die Lokomotive, und er fühlte, wie sie in seinen Annen zusammenschauerte. Das kindlich reizende Gesichtchen war schneeweiß geworden — sie zitterte heftig.
Neben ihr sitzend behielt er sie noch in seine Arme geschmiegt; ihr Herz pochte wie mit Hammerschlägen.
„Es war der Schreck", flüsterte sie entschuldigend, „die Erinnerung an das plötzliche Unglück von damals! — O, es ist doch so schauerlich, allein zu sein in der grauenhaften, gespenstischen Nacht!"
Julius zog voll Erbarmen die zarte Gestalt fester an seine Brust; er that es ohne Berechnung, unwillkürlich aus innerstem Herzen heraus.
„Sie sind nicht allein, Fräulein Herbst — ich bin bei Ihnen und werde Sie beschützen, so wett es in eines Mannes Kräften steht."
Um den kleinen, blassen Mund zuckte es, als kämpfe das arme Kind mit verhaltenem Weinen.
„Ich möchte Ihnen nicht gern wie eine Thörin erscheinen, Herr Doktor — bitte halten Sie mich nicht für kindisch, aber — ich kann das Zittern nicht unterdrücken."
Er nahm ihren Hut und legte ihn neben sich, um den kleinen Kopf an seine Schulter zu betten. (Forts, folgt.)
A