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Samstag den 28. Februar.
1891.
Amtliches.
Nagold. Bekanntmachung,
betreffend die Zurückstellung, bezw. Befreiung vom Militärdienst in Berücksichtigung bürgerl. Verhältnisse.
Das Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874, H 19—22 und die Wehrordnung vom 22. Nov. 1888, § 32 und 63, enthalten bezüglich der Zurückstellung in Berücksichtigung bürgerlicher Verhältnisse folgende Bestimmungen:
1) Zurückstellungen in Berücksichtigung bürgerlicher Verhältnisse finden auf Ansuchen (Reklamationen) der Militärpflichtigen oder deren Angehörigen statt. (R.-M.-G. tz 19.)
2) Es dürfen vorläufig zurückgestellt werden: a) Die einzigen Ernährer hilfloser Familien, erwerbsunfähiger Eltern, Großeltern oder Geschwister;
5) der Sohn eines zur Arbeit und Aufsicht unfähigen Grundbesitzers, Pächters oder Gewerbetreibenden . wenn dieser Sohn dessen einzige und unentbehrliche Stütze zur wirtschaftlichen Erhaltung des Besitzes, der Pachtung oder des Gewerbes ist;
v) der nächstälteste Bruder eines vor dem Feinde gebliebenen, oder an den erhaltenen Wunden gestorbenen, oder in Folge derselben erwerbsunfähig gewordenen, oder im Kriege an Krankheit gestorbenen Soldaten, sofern durch die Zurückstellung den Angehörigen des letzteren eine wesentliche Erleichterung gewährt werden kann;
ä) Militärpflichtige, welchen der Besitz oder die Pachtung von Grundstücken durch Erbschaft oder Vermächtnis zugefallen, sofern ihr Lebensunterhalt auf deren Bewirtschaftung angewiesen und die wirtschaftliche Erhaltung des Besitzes oder der Pachtung auf andere Weise nicht zu ermöglichen ist;
o) Inhaber von Fabriken u. anderen gewerblichen Etablissements, in welchen mehrere Arbeiter beschäftigt sind, sofern der Betrieb ihnen erst innerhalb des dem Militärpflichtjahre vorangehenden Jahres durch Erbschaft oder Vermächtnis zugefallen und deren wirtschaftliche Erhaltung auf andere Weise nicht möglich ist. Auf Inhaber von Handelshäusern entsprechenden Umfangs findet diese Vorschrift sinngemäße Anwendung;
k) Militärpflichtige, welche in der Vorbereitung zu einem Lebensberufe oder in der Erlernung einer Kunst oder eines Gewerbes begriffen sind und durch eine Unterbrechung bedeutenden Nachteil erleiden würden;
S) Militärpflichtige, welche ihren dauernden Aufenthalt im Auslande haben.
Können zwei arbeitsfähige Ernährer hilflsloser Familien, erwerbsunfähiger Eltern, Großeltern oder Geschwister nicht gleichzeitig entbehrt werden, so ist einer von ihnen zurückzustellen, bis der andere entlassen wird. Spätestens nach Ablauf des zweiten Militärpflichtjahres soll der einstweilen Zurückgestellte eingestellt und gleichzeitig der zuerst Eingestellte entlassen werden. Diese Bestimmung findet auf Nr. 2 b entsprechende Anwendung. (R.-M.-G. 8 20.)
3) Durch Verheiratung eines Militärpflichtigen können Ansprüche auf Zurückstellung nicht begründet werden. (R.-M.-G. 8 22.)
4) Im dritten Militärpflichtjahre muß über die in Berücksichtigung bürgerlicher Verhältnisse Zurückgestellten endgiltig entschieden werden.
Anträge auf Zurückstellung oder Befreiung von der Aushebung sind spätestens im Musterungstermiu zu stellen. Es wird aber empfohlen, die zur Begründung der Zurückstellungsgesuche bestehenden Verhältnisse einige Zeit vor dem Musterungstermiu nachzuweisen.
Auf die Verheißung eines nachträglich zu füh. u- den Beweises kann keine Rücksicht genommen werden.
Entsteht jedoch die Veranlassung zur Reklamation erst nach Beendigung des Musterungsgeschäftes, so kann bezüglicher Antrag noch im Aushebungstermin angebracht werden. (W.-O. 8 63, Ziff. 7.)
Die Beteiligten sind berechtigt, ihre Anträge durch Vorlegung von Urkunden und Stellung von Zeugen und Sachverständigen zu unterstützen. (R.- M.-G. 8 30, Ziff. 6; W.-O. 8 63, Ziff. 7.)
Behauptete Erwerbsunfähigkeit muß durch ärztliche Untersuchung im Musterungstcrmin bestätigt werden. (W.-O. 8 63, Ziff. 7.)
Ein Berücksichtigter, welcher sich der Erfüllung des Zweckes entzieht, der seine Befreiung vom Militärdienste herbeigeführt hat, kann vor Ablauf des Jahres, in welchem er das 25. Lebensjahr vollendet, nachträglich ausgehoben werden. (R.-M.-G. 8 21, Abs. 2.)
Bolksschullehrer und Kandidaten des Bolksschul- amtes, welche ihre Befähigung für das Schulamt in vorschriftsmäßiger Prüfung nachgewiesen haben, können nach kürzerer Einübung mit den Waffen zur Reserve beurlaubt werden. Giebt aber der so Beurlaubte seinen bisherigen Beruf gänzlich auf oder wird er aus dem Schulamt für immer entlassen, so kanu er vor Ablauf des Jahres, in welchem er das 25. Lebensjahr vollendet, zur Ableistung des Restes seiner aktiven Dienstpflicht wieder eingezogen werden. (R.-M.-G. 8 51; W.-O. 8 9, Ziff. I und 2.)
Der Anspruch ist durch Vorlegung einer amtlich beglaubigten Abschrift des Prüfungs-Zengniffes nachzuweisen.
Die Zurückstellungsgesuche solcher Militärpflichtigen, über deren Militärpflicht erst zu entscheiden ist,
sind von den zur Reklamation Berechtigten bei dem Ortsvorsteher des Domicilortes anzubrtngen. Von diesem sind nach Beibringung der etwa fehlenden Notizen und Zeugnisse und nach sorgfältiger Prüfung der Verhältnisse die in dem Fragebogen Formular lüt. ^ gestellten Fragen genau zu beantworten, worauf das Gesuch dem Gemeinderat zur Begutachtung und Unterzeichnung vorzulegen ist. Der ausgesüllte, von dem Gemeinderat Unterzeichnete Fragebogen ist, wo immer möglich vor, spätestens aber in dem Musterungstermin dem Civilvorsitzenden der Ersatzkommission des Gestellnngsorts zuzusenden. Ist der letztere in einem andern Aushebungsbezirk als der Domicilort, so ist der Fragebogen dem Oberamt des Domicilortes vorher zur Beglaubigung vorzulegen.
Gesuche um Entlassung eines bereits bei einem Truppenteil eingestellten Militärpflichtigen vor beendeter Dienstzeit sind gleichfalls in der oben vorgeschriebenen Weise bei dem Ortsvorsteher des Domicilortes anzubringen, von diesem und dem Gemeinderat zu prüfen und, mit der Aeußerung des letzteren versehen, dem Oberamt des Domicilortes zu übergeben.
Hiebei wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß Gesuche um Entlassung im aktiven Dienst befindlicher Mannschaften auf Reklamation nur dann Berücksichtigung finden können, wenn die zur Begründung des Entlassungsgesuchs vorgetragenen Verhältnisse erst nach der Aushebung einge- reten sind. (8 83, W.-O.) Die nötigen Formulare sind vom Oberamt zu beziehen.
Den 9. Febr. 1891.
K. Oberamt. vr. Gugel.
„Die Frau und der Sozialismus" von A. Bebel.
Soeben ist die obige Schrift des Abgeordneten A. Bebel in der neunten, vollständig umgearbeiteten Auflage erschienen, (Stuttgart, bei I. H. W. Dietz, 1891), und wir stimmen dem Verfasscwsin dem einen, in der Vorrede betonten Punkt bei, daß diese neue Bearbeitung keine Abschwächung der früheren Auflagen in retrogradem Sinn bedeute.
Nach einer langatmigen, historischen Einleitung, m welcher ausgeführt wird, welche Stellung der Frau in den verschiedenen Zeitaltern und bei den verschiedenen Völkern geschieden gewesen sei, kommt der Verfasser zu einer Schilderung des sozialdemokrati
schen Zukunftsstaates, welcher eintretcn müsse, „wenn in einem gewissen Zeitpunkt alle aus unseren gegenwärtigen Zuständen entspringenden Uebel so auf die Spitze getrieben seien, daß sie der großen Mehrheit der Bevölkerung unerträglich würden und sie in erster Linie das Privateigentum durch eine große Expropriation in gesellschaftliches Eigentum (Gemeineigentum) verwandele." Es werde alsdann — führt er fort — „sobald die Gesellschaft sich im alleinigen Besitz aller Arbeitsmittel befinde, die gleiche Arbeitspflicht aller, ohne Unterschied des Geschlechtes, das erste Grundgesetz der sozialistischen Gesellschaft sein; ohne Arbeit könne die Gesellschaft nicht existieren; die Nichtarbeiter, die Faulenzer, gäbe es nur in der bürgerlichen Welt." Es soll aber ein Jeder sich möglichst die Art und Weise seiner Thätigkeit wählen dürfen; wenn sich indessen irgendwo auf einem Gebiet ein Ueberschuß und auf einem anderen ein Mangel an Kräften herausstelle, so entscheide die Verwaltung, da die Leitung und die Aufsicht in der Hand „gewählter Funktionäre" liege. Weil aber ein Wechsel zwischen geistiger und körperlicher Arbeit sehr gesund sei, so „werde die künftige Gesellschaft Gelehrte und Künstler jeder Art und in ungezählter Menge besitzen, die einen mäßigen Teil des Tages Physisch arbeiteten und in der übrigen Zeit nach Geschmack ihren Studien und Künsten oblägen." — (Wenn ein W. Goethe und Leopold Ranke dies Rezept beherzigt und alltäglich unter der Aufsicht eines „Funktionärs" einen halben Tag lang Schnee geschäufelt hätten oder dergl., so würden sie jedenfalls noch weit Erklecklicheres geleistet haben.)
Mit dieser Expropriation aller Arbeitsmittel ist sofort die Existenz des Staates beendigt, da ihm ja nach der Ansicht A. Bebel's außer dem Schutz des Privateigentums keine weitere Bestimmung zukommt; der Staat ist gegenwärtig nur „die notwendige Organisation einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaftsordnung" und .er fällt daher mit der Aufhebung des Privateigentums von selbst zusammen. Alsdann beginnt das goldene Zeitalter, von welchem schon die Dichter des Altertums träumten: „Die Diebe sind verschwunden, weil das Privateigentum verschwunden ist und Jeder in der neuen Gesellschaft seine Bedürfnisse leicht und bSquem, gleich allen anderen, durch ehrliche Arbeit befriedigen kann; Stromer und Vagabunden existieren ebenfalls nicht mehr, sie sind das Produkt der auf Privateigentum beruhenden Gesellschaft gewesen. Mord? Weshalb? Es kann Keiner am Anderen sich bereichern und der Mord aus Haß und Rache hängt immer wieder direkt oder indirekt mit dem heutigen Sozialzustand der Gesellschaft zusammen. Brandstiftung? Wer soll daran Freude oder Befriedigung suchen, da die Gesellschaft ihm jede Möglichkeit zum Haß nimmt?" rc
Ganz begreiflich. Denn es sind, wie A. Bebel meint, mit der Erklärung des Privateigentums zum Collectiveigentum Faulheit und Lüderlichkeit, die nichts arbeiten wollen, Eigensinn und Widersetzlichkeit, die sich den „Funktionären" nicht fügen, Haß und Eifersucht, die sich auf körperliche oder geistige Vorzüge Anderer gründen rc. mit einem Schlag aus der Welt verschwunden. Es wird nach Bebel's Ansicht damit gehen, wie mit den Fundamenten der heutigen Gesellschaftsordnung, von welchen, wie der Verfasser sagt, dereinst „die Eltern den Kindern, wie aus alten märchenhaften Zeiten, erzählen werden, während die Kleinen zuhören und dies alles nur schwer begreifen können." Zugleich wird alsdann in allen Landen selger Friede herrschen: „die Nationen werden sich verbrüdern und sich gegenseitig die Hände reichen und sich danach trachten, den neuen Zustand all- mählig über alle Völker der Erde auszudehnen."
Eine Kritik dieser Phantastereien kann uns selbstverständlich nicht in den Sinn kommen. Wir wollen hier nur darauf Hinweisen, wie himmelweit A. Bebel in der Wertschätzung des Staatsbegriffs von Ferdinand Lassalle entfernt ist, der immer und immer