Graf von Waldcrsee u. a. Als Solisten traten in dem Oratorium auf: Frau Hildach-Berlin (Sopran) Frau Exter-Münthen (Alt), Kammersänger Balluff- Stuttgart (Tenor), Herr Hildach-Berlin (Baß). Die Aufführung war in jeder Weise vollkommen gelun­gen und machte dem Dirigenten, Musikdirektor Graf- Ulm, alle Ehre.

U l m, 30. Juni. Der historische Festzug begann um 3 Uhr bei schönstem Wetter und defili- tierte vor dem Königspaar am Bahnhof vorbei. Der Zug stellte in 42 Gruppen Szenen aus der Geschichte der Stadt, vom 14. bis 19. Jahrhundert dar und bot ein Bild von selten gesehener Pracht und Schönheit. Die Gruppen des 14. Jahrhun­derts hatten zum Gegenstand die Gründung des Münsters (1377): Hohe Geistlichkeit, Mönche, Non­nen, der hohe Rat der Stadt, Patrizier, Bürger, das Münstermodell, Künstler, Baumeister, Zünfte; dazwischen der goldene Wagen derUlma" mit den vier allegorischen Figuren: Baukunst, Frömmigkeit, Bildhauerkunst und Malerei. Das 15. Jahrhundert eröffnete einen Ulmer Kaufmanns- und Warenzug, der von Venedig zurückkommt und von den Ange­hörigen in die Stadt geleitet wird; voraus berittene Reisige, dann die Kaufherrn, die selbst die Reise mitmachten, zwei große Frachtwagen, Krämer, fah­rende Künstler. In der nächsten Gruppe bringen bewaffnete Bürger gefangene Raubritter in die Stadt, um deren Befreiung sich die Erzherzogin Mechthil- dis vergebens bemüht. Die Gruppen des 16. Jahr- Hunderts bringen den Einzug Kaisers Karl's V. in Ulm mit dem Herzog Christoph von Württemberg, Kardinal Granvella, Herzog Alba; Theologen, Ge­lehrte, Patrizier, Bürger, Jungfrauen, die dem Kai­ser entgegenziehen. Spanische und deutsche Lands­knechte schließen sich an. Die nächsten Gruppen bringen Szenen aus dem heiteren Volksleben: Hochzeitszug eines reichen Kaufmanns; großer Jagd­zug mit mehreren historischen Persönlichkeiten; Wild- wagen, Bärenträger, Falkenjungen, Jäger zu Pferd und zu Fuß. Besonders reich war die Gruppe des Fischerstechens mit einem Ulmer Schiff, von 12 Schifferfrauen besetzt und gefolgt von 28 Fischer- mädchen. Das 17. Jahrhundert zeigt Wallenstein mit Generalen und Soldaten; fliehende Landleute, die ihre Habe in der Stadt Ulm bergen. Es folgen Szenen aus dem spanischen Erbfolgekrieg; die Bay­ern in Ulm (1707); Wiedereroberung durch General Thüngen; Soldaten des Reichsheers; Aufzug des Ulmer Militärs, des Magistrats und der Bürger­schaft am Schwurmontag. Den Schluß bildeten Soldaten der Freiheitskriege, den Wagen der Ger­mania umgebend, die auf hohem Thronstuhl sitzt, neben sich die Allegorien von Krieg und Frieden. Die allgemeine Stimme der vielen Tausenden Zu­schauer war, daß hier au künstlerischer Gestaltung der Gruppen, an Pracht und Geschmack der Kostüme ganz Außerordentliches geboten worden.

Ulm, 1. Juli. Wegen Hochwassers der Donau wird das Fischerstechen anstatt heute nach­mittag erst am nächsten Sonntag abgehalten. Auch das Volksfest in der Friedrichsau ist auf einen späteren, noch nicht festgesetzten Tag verschoben.

Brandfälle: In Dethlingen (Kirchheim u. T.) am 29. Juni die Gebrüder Müller'sche Fabrik mit den vielen Maschinen.

Frankfurt, 1. Juli. Zu Ehren des Finanz- ministers Dr. Miguel fand gestern abend hier ein großartiger Fackelzug statt, woran die vereinigten Sänger-, Turner-, Schützen- uud Sportsvereine, die oberen Klaffen der höheren Schulen, die Feuer­wehr rc. sich beteiligten.

Finanzminister Dr. Miguel hat in Frankfurt a. M. eine bedeutsame Rede gehalten, der wir fol­gende Sätze entnehmen:Ich stehe im Begriff, mich aus einen Boden der Gegensätze, vielleicht des Kam­pfes, zu stellen, dennoch bin ich entschlossen, das Werk herzhaft anzureisen im Vertrauen auf Seine Majestät den Kaiser, welcher das Panier des so­zialen Ausgleichs erhoben hat." Nicht als Partei­mann könne er seine Aufgabe lösen, dazu seien alle Parteien berufen; es handle sich darum, die Staats­lasten gerechter zu verteilen, gleichmäßiger, als es bisher die Gesetzgebung gethan habe. Ich will in meinem Amte als Minister versöhnen, nicht trennen, versammeln, statt verbittern. Alle Männer, die in patriotischem Sinne Mitwirken wollen, sollen mir per­sönlich willkommen sein. Große Dinge können nur

durchgeführt werden unter Zustimmung und unter Einverständnis des gesammten Volkes. Dieses werde ich suchen." Die Worte des Redners begegneten der lebhaftesten Zustimmung.

Die Ankunft Kaiser Wilhelms in der nor­wegischen Hauptstadt Christian« ist auf Dienstag abend 6 Uhr festgesetzt. Der König Oskar von Schweden und Norwegen begiebt sich zur Begrüß­ung seines Gastes an Bord der JachtHohenzol- lern," kehrt sodann ans Land zurück, worauf die Landung des Kaisers und die offizielle Begrüßung erfolgt. Im sechsspännigen Wagen wird die Fahrt nach dem Schlosse zurückgelegt. Abends ist Fami- lienabcnd. Mittwoch wird ein Ausflug nach Frog- nerstätter unternommen, abends ist Galatafel. Die Deutschen in Christiana werden dem Kaiser außer einem kostbaren Blumenstrauß ein wertvolles Album mit photographischen Ansichten von Christiana überreichen. Das Album ist mit Filigranbeschlägen von norwegischem Silber geziert und weist die Wap­pen ^Norwegens, Christianas und den kaiserlichen Namenszug auf.

Die ältesten Söhne des Kaisers werden militä­risch einfach im Kadettenkorps erzogen. Der Kaiser hat, wie diePost" erfährt, vor kurzem in Betreff der Erziehung seiner Söhne seine Willensmeiuung dahin ausgesprochen, daß die Prinzen, insonderheit der Kronprinz und der Prinz Eitel Fritz, im Kadet­tenkorps erzogen werden. Es sollen bereits An­weisungen hierüber ergangen sein.

Deutscher Reichstag. Am Freitag hatte der Reichs­tag den Gesetzentwurf betr. die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten in dritter Lesung ohne wesentliche Debatte unverändert nach den Beschlüsten der zweiten Lesung ange­nommen. Eine Reihe von sozialdemokratischen Abänderungs- anträgen wurde abermals abgclehnt.

Deutscher Reichstag. Sonnabendsitzung. Beraten wird zunächst der Antrag des Reichskanzlers, die Sitzungen des Reichstages vom 8. Juli bis zum 18. November zu vertagen. Abg. Graf Ballestrem (Ztr.) beantragt dazu, daß die Arbcitcrschutzgesetzkommission schon am 4. November ihre Arbeiten wieder aufnehmen soll. Staatssekretär von Bötticher erklärt sich damit einverstanden. Abg. Richter (freist) findet es bedenklich, daß eine Rcichstagskommissiou Sitzungen ab­hält, während der Reichstag selbst vertagt ist. Der Antrag des Reichskanzlers wird hierauf mit dem Anträge Ballestrem angenommen. Es folgt die dritte Beratung der neuen Mili­tärvorlage. Abg. Reichensperger (Ctr.) wiederholt die Zu­stimmung seiner Partei zu der Vorlage, bittet aber die ReichS- regieruug dringend, in der Zukunft auf Erleichterung der Militärlasten Bedacht zu nehmen. Abg. Rickert (freist) er­klärt, daß seine Partei nach wie vor gegen die Vorlage stimmen werde, die wohl neue Steuern, aber keine Kompen­sationen bringe. Staatssekretär von Maltzahn betont, daß stir das laufende und das nächste Etatsjahr die vorhandenen Einnahmen genügten. Eist später werde au neue Mittel gedacht werden müssen. Abg. Frhr. von Friesen (kons.) Pricht für die Vorlage, welche die Friedenspolitik der Reichs­regierung verstärken werde. Abg Liebcrmann von Sonnen- b»rg (Antisemit) wird für die Vorlage stimmen, spricht aber mehr über das internationale Judentum und dessen Bekäm­pfung, als über den Gegenstand der Tagesordnung uud wird deshalb von dem Präsidenten dringend ersucht, bei der Sache zu bleiben. Nachdem noch Abg. Frhr. von Münch (Volks­partei) gegen die Vorlage gesprochen, wird dieselbe angenom­men. Dasür stimmen Nationalliberalc, Konservative, die meisten Zentrumsmitglieder und die Polen. Dagegen stim­men der Rest des Zentrums, Freisinnige, Sozialisten, Volks- Partei, Welfen. Darauf wird das Gesetz betr. die Einfüh­rung von gewerblichen Schiedsgerichten gegen die Stimmen von Freisinnigen und Sozialdemokraten im Ganzen ange­nommen. ES folgt zweite Beratung des zweiten Nachtrags­etats betr. die Gehaltserhöhung für Beamte und Offiziere. Die Budgetkommission beantragt die Ablehnung der für die Offiziere und höheren Staatsbeamten geforderten Gehalts­erhöhungen. Abgg. von Benda (narlib.), Windthorst (Ztr.), Baumbach (freist) treten für die Kommissionsbeschlüsse ein, während Staatssekretär von Maltzahn und Kriegsminister von Verdy die Regierungsvorlage befürworten Nachdem ein Teil der Forderungen nach dem Rommissionsautrage ge­nehmigt ist, wird die Weiterberarung auf Montag l Uhr vertagt.

Berlin, 28. Juni. Die Meldung, Fürst Bismarck sei in politischen Angelegenheiten um seinen Rat gebeten worden, wird offiziös dementiert.

Fürst Bismarck wird nicht in Kaiserslautern kandidieren für. den Reichstag. Das dortige Na­tionalkomitee hat das Mandat einem Gutsbesitzer des Wahlkreises angetragen.

Der Reichskanzler v. Caprivi äußerte laut Köl. Ztg." bei seinem parlamentarischen Feste am Donnerstag zu einem Kolonialfreunde:Sie wissen, ich bin kein Kolonialsreund gewesen, aber ich habe mein jetziges Amt übernommen in der vollen lleber- zeugung, daß wir auf dem betretenen Wege nicht mehr zurück können, sondern vorwärts müssen. Ost- asrika ist selbstverständlich der Schwerpunkt unserer Kolonialpolitik, und jetzt, nachdem ich das Abkommen

mit England getroffen habe, wird es geradezu mein Ehrgeiz sein, daß aus Ostafrika etwas wird, das können Sie allen Ihren Freunden sagen." Nach derKöl. Ztg." haben beim Wißmann-Kommers 5 Abgeordnete, alle der nat.-lib. Fraktion angehörig, gleich ein erhebliches Kapital gezeichnet, um eine neue große Pflanzung in Ostasrika ins Leben zu rufen. Die Mitteilungen über den bisherigen Er­folg der Zeichnungen auf die Ausgabe neuer Vor­rechtsaktien der Deutschostafrikanischen Gesellschaft lauteten sehr zufriedenstellend.

Auf einem ihm in Berlin gegebenen Festmahl hat sich Reichskommisfar v. Wißmann offen zu Gun­sten des Kvlonialabkommens mit England ausge­sprochen. Er äußerte, man müsse Vertrauen zur Reichsregierung haben, die sicherlich die besten Gründe für ihr Verhalten habe.

Kciegsminister v. Verdy. Die von Berliner Zeitungen immer wieder verbreiteten Gerüchte von einem bevorstehenden Rücktritt des Kriegsministers sind unrichtig. General v. Verdy hat in der Sonn­abendsitzung des Reichstages mitgeteilt, er habe ein Entlasfungsgesuch nicht cingereicht.

Der Reichstagsabgeordnete Frhr. v. M ü n ch hat, wie dieLib. Korr." meldet, seinen Austritt aus der Volkspartei erklärt. Die Veranlassung hiezu bot sein Auftreten in der letzten Reichstags­sitzung, in welcher er u. a. für Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie sich aus­sprach. Das erste Auftreten des Herrn v. Münch war überhaupt nach übereinstimmenden Berichten der Berliner Blätter verunglückt.

Der Entwurf eines Heimstättengesetzes, den die konservativen Parteien im Reichstage eingebracht haben und -der die Erhaltung und Kräftigung des selbständigen Bauernstandes bezweckt, hat bei allen Parteien lebhaftes Interesse ekivegt. (S. Leitartikel).

An verschiedenen Orten regt cs sich zu Prote­sten über das deutsch-englische Abkommen. So hat der Verein für Handelsgcographie und Kolonialpo­litik in Leipzig eine Versammlung einberufen, welche gegen die zu großen Zugeständnisse an England Verwahrung entlegen soll; in Kissiugen ist unter'den Badegästen eine Erklärung im Umlauf, worin gesagt wird:Der Vertrag mit England über den Besitz­stand in Afrika bedeutet deutscherseits ein trauriges Preisgeben deutscher Interessen und ein unwürdiges Zurückweichen vor den unberechtigten englischen An­maßungen". DieM. Allg. Ztg." erläßt unter der UeberschriftDeutschland wach' auf" einen ausführ­lichen Mahnruf, worin zu einer Massenbittschrift an den Reichstag wegen des deutsch-englischen Abkom­mens aufgefordert wird. Es heißt darin: Laßt eine Massenbittschrift an den Reichstag offen und unum­wunden aussprechen, daß jener Vertrag die Helle Verzweiflung geweckt hat in Tausenden, die mit jeder Faser ihres Herzens an Deutschland hängen. Män­ner aller Parteien, die bei diese» Angelegenheit sich lediglich als Deutsche fühlen, mögen die Sache in die Hand nehmen. Der Reichstag wird und muß dem Wunsche Gehör schenken. Der Reichstag wird, o hoffen wir, mit einem überwältigenden Mehr vor die Regierung treten und ihr sagen: Der Vertrag mit England schädigt unsere Interessen und ver­wundet unser Ehrgefühl; er darf deshalb niemals zur Wirklichkeit werden!

Frankreich.

Paris, 26. Juni. Die Sonnenfinsternis auf Port Said. Die Sonnenfinsternis war in Port Said von 11 Uhr 45 Min. an 10r Stunden hin­durch sichtbar und hatte die Sonne die Form des zunehmenden Mondes angenommen. Interessant ist, daß dieses Phänomen von den Arabern noch mit derselben Angst und demselben Aberglauben betrach­tet wird, wie dies im Altertum der Fall war. Die Araber warfen sich in den Staub, stießen ein furcht­bares Angstgeheul aus und suchten durch den mit eisernen Kasserols und Topfdeckeln verursachten Lärm den Zorn der Götter, der sich ihnen durch dieses Phänomen kundgiebt, zu beruhigen. Gegen Mittag iel die Temparatur um 12 Grad.

Italien.

Rom, 30. Juni. Der Papst hatte, wie in gut unterrichteten Kreisen des Vatikans verlautet, die Creierung zweier deutscher Kardinäle sowie die Ernennung mehrerer Erzbischöfe beabsichtigt. So war beispielsweise dem Fürstbischof von Breslau,