land gebe das ostafrikanische Gebiet völlig auf. Reichskanzler von Caprivi betont, daß die Kolonialpolitik nur aufrecht erhalten werden könne, sofern sie von dem Willen und dem Empfinden der Nation getragen werde. Ohne Verlust an Ehre und Geld könne Deutschland nicht mehr zurück, die Kolonialpolitik müsse deshalb soweit aufrecht erhalten werden, als sie die Ehre und das Interesse Deutschlands angehe. Er hoffe, daß die Dinge in Ostafrika zu einer solchen Entwicklung gelangen würden, daß das Reich keine Zuschüsse mehr zu leisten brauche. (Bravo!) Abgg. Graf Stolberg (kous) und v- Kardorff (freikons.) werden für die Vorlage stimmen, da sie von derselben sich nur Gutes versprechen. Abg. von Volkmar (Soz.) bekämpft die Vorlage, die Deutschland zu viel Geld koste. Abg. Windthorst spricht sich für die Bewilligung aus. Deutschland sei nun einmal in Afrika und könne ohne weiteres nicht zurück.
Deutscher Reichstag. Am Dienstag wurde die erste Beratung der Kolonialvorlage fortgesetzt. Staatssekretär Frhr. von Marschall teilt mit, daß die Sklavenstadt Lindi vom ReichSkommissar Wißmanu eingenommen ist. Bundes- ralskommissar Major Liebert teilt aff Grund seiner eben beendeten Reise nach Ostafrika mit, daß das dortige Gebiet durchaus nicht ungesund sei. Major Wißmanu habe Vorzügliches geleistet, seine Truppe sei eine Mullcrtruppe, vor welcher die Araber bedeutenden Respekt hätten. Wißmanu habe alles gethan, was möglich gewesen. Emin Pascha's Thätig- keit werde dem deutschen Handel besonders großen Nutzen bringen. Abg. von Bennigsen (natlib.) weist darauf hin, daß es unmöglich sei, gegenwärtig die ostafrikanische Besitzung aufzugcben. Das würde einen sehr schlechten Eindruck machen, gerade jetzt, wo alle Staaten bemüht seien, Gebiet in Afrika zu erwerben. Die Erfolge der Kolonialpolitik würden schon nicht ausbleibcn. Redner erklärt, seine Partei billige die gestrige Erklärung des Reichskanzlers über die Kolonialpolitik durchaus und werde ihn unterstützen. Abg. Barth (freist) bleibt dabei stehen, daß für das deutsche Reich in Ostafrika nichts oder doch nur mit ungeheuren Kosten zu holen sei. Das mache seine Partei nicht mit. Daß Ostafrika sofort aufgegeben werde, wolle die freisinnige Partei nicht, aber das Reich möge sich zurückziehen und das Unternehmen der ostafrikanischen Gesellichaft überlassen. Abgeord. Fürst Radziwill (Pol.) spricht für die Vorlage, ebenso Abg. Windthorst, der besonders eine Bemerkung des Abg. Barth zurückweist, der Koran sei in Ostafrika weiter verbreitet, als die Bibel. Nachdem noch Abg. von Vollmar (Soz.) gegen jede Kolonialpolitik des Reiches gesprochen, wird die Debatte geschlossen und die Vorlage der Bndgetkommission überwiesen. Nächste Sitzung Mittwoch I Uhr (Militärvorlage).
Berlin, 13. Mai. Der Reichstag wählte die Kommission für die Gewerbegerichtsvorlage. Vorsitzender ist Äckermann (kons ), Stellvertreter desselben v. Guny (nat.lib.), Schriftführer v. Gült- 1 ingcn.
Berlin, 14. Mai. Die „Nordd. Allg. Ztg." erfährt, das Centrum habe die Ablehnung der Vorlage bctr. Verwendung der Sperrgelder beschlossen.
Berlin, 13. Mai. Dr. Peters berichtet über einen neuen großen Kampf mir den Massais, wobei er 2000 Schafe erbeutete.
Die Dienstprämien für Unteroffiziere, welche man in der Militärvorlage vorgesehen hat, sind folgendermaßen gedacht: Während die mit dem Zivilversorgungsschein ansscheidenden Unterosfiziere bisher eine einmalige Beihilfe von 165 erhielten, gewährt die Vorlage vom 5. Dienstjahre ab eine für jedes Jahr steigende, bei der Entlassung
zu bezahlende Prämie und zwar nach Ablauf des 5. Diensljahres 50 nach dem 6. Dienstjahr
100 nach dem 7. Dicnstjahr 200 ^6, nach dem 8. Tienstjahr 350 nach dem 9. Dienstjahr 550 -ffst, nach dem 10. Dienstjahr 800 -,16, nach dem 11.
Dienstjahr 900 -/A, und nach dem 12. Dicnstjahr
1000 ^ Hiemit sollen^nanicutlich den Unterofsi-, zieren, welche nach 9 Dienstjahren zur Gendarmerie, Schntzmannschast n. s. w. übertreten oder nach 12 Dicnsljahren cu e .inslellung im Zivildienst erhalten. Beihilfen gewährt werden, welche entweder zur ersten Einrichtung vvllstgndig genügen oder für etwaige Krankheiten und Unglücksfälle einen nicht geringen Notpfennig abgcbcn.
Schwerin, 13. Mai. Ein schweres Gewitter mit wolkenbrucharügcm Regen und Hagelschlag hat gestern in ganz Mecklenburg großen Schaden ange- richtetci. -In hiesiger Stadt selbst hat mehrfach Militär requiriert werden müssen, um Menschen, die in der Gefahr waren zu ertrinken, zu retten.
r. e Ü e r r k i (st -Ungar n.
Wien, 9. Mai. Merkwürdigen Eindruck machte die Rede des Ackcrbauministcrs Falkenhahn im Abgeordnetenhaus: Die Arbeiter präsentieren keinen Stand, blos eine Klasse der Gesellschaft. Deshalb Hütten sie keinen Anspruch auf politische Rechte. Arbcitcrkammcrn seien nicht nötig. Daran knüpfte er ein völlig christlich-soziales Programm, damit das Kapital nicht zum goldenen Kalbe werde. Es sei nötig, daß nicht die Religion in den Koth hinabge- zerri, der Gedanke an Jenseits und Gott lächerlich gemacht werde. A» der Ehrfurcht vor den zehn Ge
boten sei festzuhalten, sonst sei die Autorität des Staates vernichtet. Plener antwortete schneidig, cs wäre wichtig, zu erfahren, ob diese Aeußerungen das politische Eigenthum der gesamten Regierung oder persönliche Liebhaberei des christlich-sozialen Resortministers seien. Redner entwickelte in großen Zügen den natürlichen Gang der Geschichte, welchem die Theorien Falkcnhayns widersprechen.
Wien, 14. Mai. Gestern Abend traf Exkönig Milan von Serbien aus Paris hier ein. Der König wird nur wenige Tage hier verweilen, um sich dann nach Belgrad zu begeben. Als Zweck der Reise König M-lan's nach Belgrad wird angc- ben, daß dieser Sehnsucht empfinde, wieder einmal seinen Sohn Alexander zu sprechen und sich über den Fortgang seiner Studien zu unterrichten.
Frankreich.
Paris, 13. Mai. Im Finanzministerium wurden gestern Coupons von über 100000 Franks gestohlen.
Italien.
Rom, 13. Mai. Aus Avigliano wird gemeldet, daß daselbst die Kugelgießerei abgebrannt sei. 14 Menschen wurden getötet, mehrere verwundet.
Belgien.
Brüssel, 14. Mai. Aus London wird folgende Meldung des Wiener Korrespondenten der Times übermittelt: Es verlautet aus zuverlässiger Quelle, daß der Zar im Begriff stehe, die seit 1875 verfolgte Politik aufzngeben und die Idee jeder Verbindung oder jedes Zusammengehens mit Frankreich fallen zu lassen. Der Zar sei überzeugt, daß ein Bündnis mit Deutschland die sicherste Garantie für Rußland sei. Diese Idee sei endgültig zur Reise gelangt seit dem Sturze des Fürsten Bismarck.
England.
London, 13. Mai. Heute werden aufsehenerregende Aeußerungen Stanley's über die englische und die deutsche Kolonialpolitik bekannt. In einer Unterredung mit dem Berichterstatter des „Manchester Guardian" verurteilte Stanley auf das schärfste Englands schlafmützige Politik in Afrika. England gleiche einem alten hinfälligen Greise, Deutschland hingegen einem jugendkrästigen Manne. Er könne es den Deutschen nicht verdenken, zu nehmen, was sie bekommen könnten. Wißmanns Leistungen flößten ihm Bewunderung und Achtung ein. Beseelt vom Gefühl, für Kaiser und Reich zu wirken, müsse Wiß- mann große Erfolge erzielen. Alle deutschen Maßregeln in Afrika seien das Ergebnis von Stanleys Ratschlägen, welche England unbeachtet ließ.
Türkei.
Zwischen Deutschland und der Türkei hat in den letzten Tagen ein Streitfall stattgefunden, der, wie bereits telegraphisch gemeldet, zur Entlassung des türkischen Justizministers geführt har. Die Ursache war die Mißhandlung eines deutschen Handelsschiffmatrosen namens Hundt durch Polizeisoldaten in Konstantinopel. Dieser Schiffsmann wurde, als er vor etwa zwei Monaten in einer Nacht betrunken in der Vorstadt Galata umherlief, nach dem Polizeigefängnisse gebracht und dort unter Mithilfe von drei anderen Polizeisoldaten vergewaltigt, so daß er noch heute die Spuren der Thal trägt. Der deutsche Generalkonsul hatte Mühe, die Verhaftung der Thäter zu erwirken, und als cs nun neuerdings zur Gerichtsverhandlung über dieselben kam, wurden sic wegen angeblichen Mangels an Beweisen freigesprochen, obwohl das Beweismaterial geradezu erdrückend war. Der deutsche Botschafter von Rado- witz schritt nachdrücklich für die nachträgliche Ahndung der an dem deutschen Matrosen begangenen That ein, und die Folge war die Entlassung des türkischen Justizministers.
Amerika.
Ncwyork, 14. Mai, Am Montag wurde die Dynamitfabrik zu Brvckville in Canada durch eine Explosion total zerstört. Nur cm ungeheures, in den Boden gerissenes Loch bezeichnet die Stelle, an welcher das Etablissement gestanden har. Es wird ein großer Verlust an Menschenleben befürchtet.
Afrika.
Der „Kreuzzeitung" wird ans Sansibar gemeldet, daß Bana Heri seine Mannschaften entlassen, 100 Träger für die Expedition Emin Paschas gestellt hat und mit Geldmitteln Wißmanns -Saadani wieder anfbant, auch ein Moschee errichtet.
An der ostafrilanischen Küste herrscht ein drolliges Wettrennen, in dem aber sie Deutschen den Engländern zuvorgekommen sind. An der Wi- tuküste und in ihrer Nachbarschaft suchen sich beide Nationen bekanntlich den Rang abznlaufen, aber es ist dem deutschen Generalkonsul doch gelungen, einen neuen sehr günstigen Vertrag niit dem Sultan von Witu abzuschließen. Kanin hätte aber der englische Vertreter in Zanzibar erfahren, sein deutscher Kollege sei nach Witu gereist, als er somit ein Kriegsschiff Heizen ließ und Hais über Kopf hinterher fuhr. Er kam indessen zu spät, wich nun aber dem deutschen Schiffe nicht von den Feisen, um ganz genau zu sehen, was dieses sonst noch anfange. Das Zusehen hatte der Engländer nun freilich gratis.
Kleinere Mitteilungen.
Tübingen, >4. Mai. Die Influenza hat seit kurzem hier wieder ihren Einzug gehalten und sind ziemlich viel Erkrankungen an dieser lästigen Epidemie zu verzeichnen; besonders groß ist die Zahl der Rückfälle. Hoffentlich weicht der ungebetene Gast bald wieder.
Die drei kalten Tage haben sich als sehr warme erwiesen, aber manches schwere Unwetter mit sich gebracht. In einem Länderstrich, der von Schleswig-Holstein direkt von Norden nach Süden, bis tief nach Italien hinabläuft, haben heftige Gewitter mit starkem Hagelschlag, die manchen Schaden an- gerichtet hoben, stattgefnnden. (Auch Württemberg wurde harr betroffen.) In Rom wurde die Schießhalle für das große italienische Schützenfest dermaßen demoliert, daß sie zeitweise nicht benutzt werden konnte.
Gotha, 9. Mai. Ein hiesiger Rentner, der am 1. Mai Maurerarbeiter beschäftigte, hat diese am „Allerweltsseiertag", weil sie sich von ihrer Arbeit nicht haben abhaiten lassen, mit gutem Frühstück und Vesperbrot bedacht. Am nachmittag erhielt jeder Arbeiter ein belegtes Butterbrot, in dem sich ein Dreimarkstück befand; auch an Getränk hat es natürlich nicht gefehlt.
Der Bäckeransstand in Pest ist zu Ende Die Meister haben die Forderung der Gesellen, vier- zehnstündige Arbeitszeit in zwei Schichten, sowie Lohnerhöhung zumeist angenommen. Das Gebäck wird aber nunmehr teurer werden. — Am Sonnabend steht ein Streik aller Maschinenfabrikarbeiter bevor.
Der Feucrsbrnnst in Tiefenkasten im Albula- thal sind 40 Häuser zum Opfer gefallen; auch die Kirche, das Pfrund- und Schulhaus sind ein Raub der Flammen geworden, l 50 Personen sind obdachlos.
In Sewastopol sind, wie man jetzt heraus- bekommen hat. ein ganzes Jahr lang ans dem Artillerie-Magazin Bomben gestohlen worden. Ein Ingenieur, der noch vor 10 Jahren einfacher Arbeiter war, hat vor kurzem eine große Fabrik angelegt und auf großem Fuß gelebt. Das war der Polizei verdächtig, sie drang in die Fabrik ein, wo sie eine Menge Bomben, die in den Regierungs- Werkstätten hergestellt waren, vorfand. Die Verhaftung des Jngeniers führte zu der Entdeckung einer- ganzen Bande Artilleristen und anderer Personen, die an dem Diebstahl beteiligt gewesen sind. Der Brand eines wahrscheinlich ausgeplünderten Magazins und die Ermordung eines Artilleristen werden dieser Bande zur Last gelegt. Rätselhaft ist nur, in welcher Weise die Bomben verwertet worden sind.
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Hiezu das Unterhaltungsblatt 30.
Verantwortlicher Redakteur S t e i uw a u d e l in Nagold. Druck und Verlag der G. W. Zaiscr'scheu Buckih nidlu.-g.