Berlin, 13. Aug. Bei dem heutigen Ga- lad in er im königlichen Schlosse brachte Kaiser Wilhelm folgenden Trinkspruch aus: Mit freudig bewegtem Herzen heiße ich Eure Majestät willkommen in meiner Residenz und an der Stätte, an welcher mein hochseliger Großvater Sie zuletzt begrüßt. Bei dem jubelnden Empfang meines Volkes werden Eure Majestät empfunden haben, wie warm und lebendig das Gefühl für die schon seit Hunderten von Jahren zwischen unfern Völkern bestehende Freundschaft zum Ausdruck kommt. Vor allem aber ist mein Heer, von dem Euer Majestät einen Teil zu sehen Gelegenheit hatten, stolz daraus, sich dem scharfen Soldatenblick Euer Majestät stellen zu dürfen. In meinem Volke, wie in meinem Heer wird treu an der von uns geschlossenen Bundesgenossenschaft fest- gehalten und letzteres ist sich bewußt, daß es zur Erhaltung des Friedens für unsere Länder vereint mit der tapferen österreichisch-ungarischen Armee ein- zustehen und, wenn es der Wille der Vorsehung sein sollte, Schulter an Schulter zu fechten haben wird. In dieser Gesinnung erhebe ich mein Glas und trinke auf das Wohl Eurer Majestät, des gesamten kaiserlichen Hauses und unserer braven österreichisch-ungarischen Kameraden. — Demnächst erhob sich Kaiser Franz Josef und dankte mit folgenden Worten: Dankbar für den mit den wärmsten Worten an erinnerungsreichcr Stelle ausgebrachten Trinkspruch meines kaiserlichen Bruders, dankbar für die in so glänzender erhebender Weise bethütigte Begrüßung, dankbar für den mir auch seitens der Be-, völkerung gewordenen wohlthuenden Empfang, für die große Herzlichkeit, welche mich hier inmitten treuer Bundesgenossen umgiebt, in dankbarer Erinnerung endlich an die mir von den Angehörigen dieses weiten Reiches bewiesene aufrichtige Teilnahme, erhebe ich mein Glas auf das Wohl des meinem Herzen so nahestehenden Freundes und Alliierten. auf die untrennbare Verbrüderung und Kameradschaft zwischen dessen tapferem Heere und meiner Armee und auf die Mehrung und Festigung der Friedensbürgschaften zum Heile und Segen der verbündeten Staaten und Völker, sowie des gesamten Europa. Se. Majestät der deutsche Kaiser und König, Ihre Majestät die Kaiserin und Königin, sowie
das erlauchte Herrscherhaus leben hoch! hoch! hoch!
Berlin, 14. Aug. In diplomatischen Kreisen gilt die hiesige Kaiserbegegnung politisch für außerordentlich wichtig. Gestern fanden sehr bedeutsame. Konferenzen statt: Kaiser Wilhelm empfing den Grafen Kalnoky, den österreichischen Generalstabschef Frhrn. v. Beck, den Grafen Szechenyi; der öfter- . rxichische Kaiser besuchte eine Stunde lang den Fürsten Bismarck und empfing dann den Besuch Kaiser Wilhelms und in einer späteren Audienz noch den Grafen Herbert Bismarck.
Kaiser Franz Joseph wird nicht, wie ursprünglich bestimmt war, die Rückreise über Dresden- Prag, sondern über Leipzig-Hof-Negensburg nach Ischl antretcn. Das große Gefolge wird direkt nach Wien reisen.
Schweiz. j
Ein süddeutsches Bundcsratsmitglied soll jüngst im Freundeskreise Aeußerungen des Reichskanzlers ! über den Zwist mit der Schweiz erzählt haben, j in welchen Fürst Bismarck sich erstaunt zeigte über die ernste Auffassung des Streites in Süddentsch- land. Es sei ihm nie eingefallen, einen Bruch mit der Schweiz herbeiführen zu wollen. Wenn von Seiten Deutschlands eine scharfe Tonart angewcndet ! wurde, habe man den Grund darin zu suchen, daß ! die schweizerische Regierung im ganzen Handel von ! Anfang an überaus derb auftrat. Fürst Bismarck ! soll geäußert haben: „Gegenüber dem, was die ^ Schweizer Regierung uns bot, war das Auftreten ! der französischen Regierung im Schnäbele-Handcl ein ! ausgesucht höfliches zu nennen." i
Oesterreich-Ungarn. !
Wien. 13. Aug. Es wird erst jetzt bekannt, ! daß Ende Juli blutige Kämpfe in der Herzegowina i zwischen einer österreichischen Militärabteilung und ! montenegrinischen Räubern stattfanden. Sieben Soldaten find getötet worden-, die Leichen der Gefallenen boten einen furchtbaren Anblick.
Wien, 14. Aug. Der Arbcitcrsäugcrbund, bestehend aus neun Arbeitervereinen, versendet Einladungen zu einer großen Lassallefeicr am 1. September.
: Pest, 14. Aug. Die gesamte Presse hebt die
! weittragende politische Bedeutung der Berliner Kaisertoaste hervor, die, weit entfernt von jeder Herausforderung, die feste Entschlossenheit kundgeben, den Frieden zu wahren. Auch die oppositionelle Presse erklärt, daß die Opposition an der Allianz ebenso fest- halte, wie die Räte der Krone.
Frankreich.
Paris, 13. Aug. (Oberster Gerichtshof.)
^ Der Präsident verlas ein Schreiben Kerdrel's, welcher namens der Rechten erklärt, dieselbe lehne es ab, an den Sitzungen weiter teilzunehmen. Hierauf entspann sich eine längere Beratung der Frage betr. Verfahren und Competenz des Gerichtshofes, schließlich wurde mit 201 gegen 7 Stimmen und 2 Stim- menenthaltnngen entschieden, der Gerichtshof sei für alle Anklagepunkte competent und habe beschlossen mit der Prüfung der Thatsachen zu beginnen, welche das Complott begründen; darauf sei wegen des Attentats und der Veruntreuung zu verhandeln. Die namentliche Abstimmung ergab 206 Stimmen gegen 6 Stimmenenthaltungen. Bo »langer wurde des Complottes für schuldig erkannt, ebenso Dillon und Roch esort der Mithilfe des Complotts.
Paris, 14. August. Der oberste Gerichtshof verurteilte Boulauger, Dillon und Rochefort zur Deportation nach einem befestigten Ort.
Paris, l4. Aug. Sämtliche Zeitungsburschen, welche Boulangers Antwort auf die Anklage, sein Manifest an das Volk, seinen „einzigen Richter," auf den Boulevards verteilten, wurden mittags verhaftet. Man sagt, es seien ihrer Hundert.
Paiis, >5. Aug. Der Eindruck, den die Verurteilung Boulangers hervorrief, ist ein mäßiger. Die hervorragcnsten Mitglieder des boulangistischen Kvmites reisten gestern abend nach London, um mit ! Boulanger eine Proklamation abzufassen.
Die Zeitungen beschäftigen sich viel mit dem urplötzlich anfgetauchten Herrn von Mond ion, an den Boulanger laut Quittung während seiner ; Kriegsministerzeit 32 000 Fr. für Spionage in Deutsch- ! land gezahlt haben will. Mondion stellt sein Licht nicht unter den Scheffel und sagt, er habe im letzten Jahrzehnt der Politik des Fürsten Bismarck den. meisten Schaden dadurch zugesügt, daß er den Cza- ren über Bismarcks wahre Pläne"! aufgeklärt. Nebenbei ist Mondion aber ein Erzschwindler, der für eine runde Summe Alles schreibt und sagt. Es be- l steht die begründete Vermutung, daß Boulanger die- ! sen Gauner fürs Neklamemachen bezahlt hat. l
In Paris ist jetzt die dritte Stierkampf- ^ Arena schon eröffnet worden. Die Herrichtnng erfordert 2 Millionen -F. Alle Kampfplätze werden hübsch besucht, ein neuer Beweis für den zweifel- l haften Geschmack der Pariser.
Dem Schah von Persien widmen die Pariser Zeitungen bei seiner Abreise rührende Abschieds- l grüße. Bei seinen früheren Besuchen war er den Bewohnern der Seincstadt nicht entfernt so ans Herz gewachsen, wie diesmal. Mit dem Französtsch- Sprechen ging es einigermaßen, wenn auch oft genug wunderbare Sätze zu Tage kamen. Er nahm ferner an allem Anteil; er war ein unermüdlicher Ausstellungsbesucher, er lief durch alle Sammlungen, wie ein Hochzeitsreisender, er sah sich Straßen, Gärten, Gebäude und Denkmäler an, er ging zu allen Festen und Theatervorstellungen, zu welchen er eingeladen wurde und zeigte sich sogar in den ärmsten Stadtvierteln. Er kaufte massenhaft ein und ließ ziemliches Geld unter die Leute kommen. Das macht in Paris immer einen ausgezeichneten Eindruck, namentlich, da der Schah nicht handelte, sondern gleich bezahlte. Sein Schatzmeister ging stets hinter ihm und trug ein Checkbüchlein bei sich. Der Schah ließ sich sogar herbei, auf Einladung eines naiven Maire im Arbeiterviertel Belleville einer Preisverteilung an die Volksschulkinder beizuwohnen und den Jungen und Mägdlein den landesüblichen Papierkranz eigenhändig aus den wohlgeölten und mit dem i Brenneisen steif gelockten Kopf zu setzen. Die Mütter vergingen natürlich vor Rührung, und unter den , Arbeiterfrauen von Belleville giebt es derzeit keinen ^ größeren und erhabeneren Herrscher, als den Schah. Da er nun noch die Reise durch Elsaß-Lothringen ^ vermieden hat, find die Pariser von Entzücken reini außer sich. ;
Orient.
Von der Insel Kreta kommen bessere Nach richten. Die blutige Zusammenstöße scheinen been
det zu sein und der neuernannte Gouverneur Chakir Pascha hat Vollmachten erhalten, die Schuldigen mit Strenge zur Rechenschaft zu ziehen. Zn gleicher Zeit sollen die begründeten Beschwerden der christlichen Bewohner berücksichtigt werden. Die Großmächten geben der Türkei durchaus darin Recht, daß sie jede Einmischung sich verbittet und es ist auch nicht daran zu denken, daß dieser Sturm im Glase Wasser besondere Folgen haben wird.
Afrika.
Hauptmann Wißmann organisiert jetzt eine Expedition ins Innere, welche den Araberführer Bushiri überrumpeln soll. DaS Kommando des Zu-, ges wird der Lieutenant Gicse erhalten.
Kleinere Mitteilungen.
Im anatomischen Museum der tierärztlichen Hochschule in Berlin befindet sich das Skelett des Lieblinpspferdes Friedrichs des Großen, des historischen Fliegenschimmels Conde. Der alte Schimmel erfreute sich nach Beendigung des 7jührigen Kr eges besonderer Gunst Seitens seines königlichen Herrn. Als das Pferd, das man frei im Potsdamer Park umherlaufen ließ, einst der aufziehendcn Wachtparade recht im Wege war, mußte dieselbe auf einen Wink des Königs einen Bogen machen, um den alten , Schimmel nicht zu beunruhigen. Bei großen Para- ! den ritt der König ihn gern und hatte zu diesem l Zweck ein prächtiges blausammtncs Reitzeug für ^ Conde anfertigen lassen, welches noch heute sich im ! Berliner Hohenzollernmuseum befindet. Conde war, und das zeigt das Skelett, ein vorzüglich gebautes Tier edelster Rasse.
Der „Figaro" berichtet von der Erfindung eines neuen Eisenbahn s y st e m s, mit dem letzten Sonntag auf der Esplanade des Invalides vor hervorragenden Fachmännern eine Probe gemacht worden. Das System der „gleitenden Bahn" ist ein vollständig neuartiges. Kein Dampf, keine Kohle, keine Elektrizität, keine Lokomotive und keine Räder! Dennoch soll eine Geschwindigkeit von 200 Kilometer in der Stunde mit Leichtigkeit erreicht werden können. Bei der Probefahrt dnrchglitt ein Zug von fünf bis sechs Waggons eine Strecke von 300 Metern in kaum einer Minute. Statt der Räder ist eine Art von Schlittschuhen an den Waggons angebracht. Es sind dies hohle Kästchen, welche an der Basis offen find und durch ein vom ersten Waggon ausgehendes Röhrcnsystem mit komprimiertem Wafi ser gespeist werden. Der Druck des Wassers wird durch einen Hahn reguliert; bei einer gewissen Stellung dieses Hahnens wird der Druck so stark, daß sich die Waggons um etwa einen halben Millimeter von den Schienen heben, wobei sich eine dünne Wasserschicht aus den schlittschuhartigen Kästen auf die stachen Schienen ergießt. In diesem Augenblicke beginnt der Zug zu gleiten; er kann jedoch mitten in der schnellsten Bewegung durch Schließung des Hahnens zum Stehen gebracht werden und zwar ohne Erschütterung und Stoß. Bei Bergfahrten dienen als treibende Kraft Wassersäulen, welche unter starkem Drucke aus Röhren hervorschnellen, die am Geleise befestigt sind. Während des Passierens des Zuges öffnen sich diese Röhren von selbst und schleudern ihre Wassersäulen auf Turbinen mit geradlinigen Schaufeln, die unter den Waggons angebracht sind, wodurch die Weiterbeförderung des Zuges erfolgt. Das verwendete Wasser geht sowohl bei Bergfahrten als bei Fahrten auf der Ebene in Reservoirs zurück und kann wieder benützt werden. — Der Erfinder dieser „Schlittschuhbahn", Girard, ist nicht mehr am Leben. Er hatte sein Bahnsystem bereits im Jahre 1868 ausgedacht, fiel jedoch im deutsch-französischen Kriege, ehe er mit seiner Erfindung durchdringen konnte. Sein Assistent, Barre, der den Pariser Probezug führte, hat das System inzwischen vervollkommnet. Er berechnet, daß die Kosten der neuartigen Bahn um ein Drittel geringer sind, als die der bisherigen Bahnen. Er meint, daß die gleitende Bahn insbesondere alle Schwierigkeiten beseitige, welche sich einem Eiscnbahnban unter dem Aermelkanal entgegentürmen, und macht sich anheischig, eine solche unterirdische Bahn derart auszuführen, daß mau binnen zwei Stunden von Paris nach London gelangen-kann. (Wir lasten die Sache dahin gestellt.)
Hiezu das Unterhaltungsblatt ZL 33.
verantwortlicher Redakteur Steinomndcc in Aagokd.
LrnS und Verlag der K. W. Aaiser'schen Buchhandlun, In Aagow.