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lands. Rußland hat die Möglichkeit, ohne besondere Anstrengungen, ohne blutige Kriege, Indien von dem auf ihm lastenden und ihm verhaßten bri­tischen Joche zu befreien. Bei wem soll nun Rußland um die Erlaubnis Nachfragen, den russischen Einfluß in Bulgarien wiederherzustellen, und welche europäische Großmächte können wohl im Augenblick Rußland ernstlich daran hindern, Bulgarien diejenige staatliche Organisation zu geben, die es für die beste erachtet?"

Spanien.

Madrid, 6. Okt. Die Begnadigung der zum Tode ver­urteilten Aufständischen erfolgte auf den Wunsch der Regentin durch den M i n i st e r r a t h.

Gages-Weuigkeiterr.

^Amtliches.) Bei den in den Monaten JuliSeptbr. ab- gehaltenen Abiturientenprüfungen haben das Zeugnis der Reife erlangt und sich die in Ziff. 10, Abs. 1, der Verfügung des K. Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens bezeichneten Berechtigungen erworben: Schiler, Franz, Sohn von vr. Schiler in Calw, Beyerle, Sohn des Bäckers Beyerle in Weil der Stadt.

Calw. Das in voriger Nummer d. Bl. angrkündigte Konzert der Calwer Stadtmusik zu Gunsten der Fahnenkasse des Militärvereins findet am n ä ch st e n S o n n t a g im T h u d i u ur­schen Garten statt und beginnt nachmittags 3 Uhr. S. Inseratenteil der heut. Nummer.

Nagold, 5. Okt. Der Entwurf der projektierten Bahnlinie NagoldAlten steig wird, wie man hört, vor den nächsten Landtag kommen. Die Bahn soll eine Straßenbahn werden. Unser Bad Röthen­bach wurde mitsamt den zugehörigen 18 Morgen Gütern von einem Karls­ruher Arzt um den Preis von 32,000 gekauft.

Stuttgart, 6. Okt. ^Strafkammer^ Gestern standen vor der 1. Str.-K. 5 meist schon öfter bestrafte Individuen: 1) Johann Spann­seil, Graveur, 18 Jahre alt, von Liebenzell, O.A. Calw, wegen Dieb­stahls und Hehlerei, 2) Jakob Spannseil, 15 I. alt, Bruder des vorigen, ebenfalls wegen beider Vergehen; 3) Gottl. Mich. Stahl, Seiler, 20 I. alt, Hausknecht hier; 4) G. A. Losch von Schozach, O.A. Besigheim, 34jähr. Kellner, jetzt Wirt und Hundehändler; 5) Bessert von Kreuzingen bei Pforzheim, 62jähr. Hundehändler; letztere 3 sind nur der Hehlerei ver­dächtig. Die Anklage, welche St.-A. Degen vertrat, ging dahin, daß Johann Spannseil in 3 Fällen Hundediebstähle ausführte und bei ebensovielen, die seinem Bruder zur Last fallen, den Hehler machte; Jakob Spannseil stahl 5 Hunde und war als Hehler bei 3 der Diebstähle thätig, die sein Bruder Johann ausgeführt hat. Dem Stahl fallen 2, dem Losch 3, dem Bessert 1 Hehlerei zur Last. Obgleich erst 18 Jahre alt, ist der Angekl. Johann Sp. ein durchtriebener, ausgelernter Dieb; seine Spezialität sind stets Tiere; Hasen, Hunde, Kanarienvögel waren die ersten Gegenstände, die er an sich brachte. Er hat im März und April dem Wirt Volk einen Hühnerhund im Wert von 200 dem Zahnarzt Vogel einen Spitzer, Wert 25 dem Hausmeister Breilmayer eure Hazrüde für 450 ^ dadurch entwendet, daß er den Tieren etwas Fleisch vorhielt, sie dadurch anlockte und mitlaufen ließ, bis er sich ihrer bemächtigen konnte. Den Breitmayer'fchen Hund verkaufte er in Baden um 11 die andern in ebenso billigem Verhältnis. Der L5jährige Jakob Sp. stahl dem Kim. Groß einen Hund für 60 Hrn. Jone einen solchen für 250 , Hrn. Hauck eine Dogge für 40 Hrn.

Hirschfelder eine für 50 und einen Box für 30 Die Hunde wurden teils hier, teils in Pforzheim angeboren und verkauft; die 3 Mitangeklagten waren teils Vermittler, teils Selbstkäufer der Hunde. Nachdem die mehr­stündige Vernehmung der Angekl. und Zeugen die größeren oder geringeren Verschuldungen klar gelegt und die Verteidiger ihre Klienten hinsichtlich der Hehlerei warm verteidigt hatten, wurde Joh. Spannseil wegen 2 Diebstählen

und 3 Hehlereien zu 2 I., Jakob Spannseil wegen 6 Diebstählen und 2 Hehlereien zu 1 I., Stahl wegen 2 Hehlereien zu 2 Mon. Gef. verurteilt; die beiden andern wurden freigesprochen. Die Brüder Spannseil haben ihre Haft in der Anstalt für jugendliche Gefangene abzubüßen; bei Jakob Sp. gehen 3 Mon. der erlittenen Untersuchungshaft ab. Johann Sp., der am 13. Mai verhaftet worden war, hatte sich bald darauf geisteskrank gestellt, war ins Spital gekommen und am 28. Aug. nachts ausgebrochen; bei Calw wieder ausgegriffen, entlief er den Landjägern am 6. Sept. wieder und kam erst am 10. Sept. in sicheres Gewahrsam.

Ludwigsbnrg, 6. Okt. Unter überaus zahlreicher Teilnahme wurde gestern nachmittag um 3 Uhr Dekan A. Mezger auf dem neuen Friedhofe zur Erde bestattet, der nach nur 5tägiger Krankheit in einem Alter von 68 Jahren aus einem gesegneten Wirkungskreise gerissen worden ist. In der evang. Stadtkirche, die niit Andächtigen dicht gefüllt war, wurde zuerst eine Totenfeier gehalten. Prälat v. Lang hielt die Rede, während Stadt­vikar Kübler den Lebensgang des Entschlafenen schilderte. Ein unabseh­barer Zug von Leidtragenden bewegte sich nach dieser Totenfeier dem Fried­hofe zu. Unter auswärtigen Teilnehmern waren zu bemerken: Oberhofprediger Prälat Dr. v. Gerok, Konsistorialpräsident v. Gemmingen, viele Geistliche von Stuttgart, Calw rc., zahlreiche Offiziere der hiesigen Garnison, die Mitglieder der Kreisregierung, die Bezirksbeamten von Ludwigsburg u. s. w. Die Grabrede hielt Helfer Lang. Nach ihm traten nacheinander mit Lorbeerkränzen und Palmzweigen an das Grab: Oberbürgermeister Abel namens der hiesigen Stadtgemeinde, Dekan Berg aus Calw im Aufträge der dortigen Gemeinde, Garnisonsprediger Blum im Aufträge der hiesigen Garnisonsgemeinde, Pfarrer Geyer in Thamm namens der Geistlichen des Bezirks, Pfarrer Greiner im Aufträge der hiesigen Kinderheilanstalt, In­spektor Rupp im Namen des Privatkrankenhauses und der evang. Brüder­schaft auf der Karlshöhe.

Brüssel, 7. Okt. Man meldet eine weitere Ausdehnung der Arbeiter-Streiks in Hennegau; die Erregung sei derartig, daß der Ausbruch ernster Unruhen täglich zu befürchten ist.

Werrnischtes.

In Straßburg kam neulich ein fremder Herr auch in die Steinstraße und betrachtete die aus der rechten Seite dieser Straße befind­lichen hübschen Bauten, welche zu jenen auf der anderen Seite der Straße befindlichen, was Größe und Eleganz anbelangt, in einem höchst vorteilhaften Gegensatz stehen.Ja, ja", so hörte er sich plötzlich von einem korpulenten älteren Herrn, welcher vor einem Hausthor derbescheidenen" Straßenseite stand, angesprochen,nit wahr, sage Sie nur selbscht, dasch üscht doch die höchste Ungerechtigkeit."Was ist die höchste Ungerechtigkeit? " Und nun begann das gute Herrchen des Langen und Breiten von derhöchsten Un­gerechtigkeit" zu erzählen.Daß nämlich, anno 70, als das Steinthor so gewaltig beschossen wurde, daß kein Stein auf dem andern blieb, leider nur die rechte Seite der Steinstraße den Vorzug gehabt hätte, gewissermaßen weg­rasiert zu werden, dagegen die linke Häuserfront der Straße verschont geblieben sei.Leider nur? Vorzug?" fragte der Fremde verwundert.Nun ja", erwiderte der biedere Hausherr,sehen Sie, die da drüben, loa osnsilles! die haben so viel Kriegsentschädigung erhalten, daß sie sich dafür, wie Sie sehen, förmliche Paläste aufbauen konnten, wir aber auf dieser Seite haben nichts bekommen."Ganz richtig", erwiderte der Fremde,weil Ihre Häuser auch unbeschädigt sind."Ja, das üscht's, das üscht ja ebe die Ungerechtigkeit!"

DreigroßeAerzte. Ein berühmter Arzt, dessen Sterbebett viele seiner Amtsgenoffen umgaben, sagte:Zu meinem Trost, ihr Herren, hinterlaffe ich drei große Aerzte" alle horchten auf, denn jeder erwartete nun seinen Namensie heißen Mäßigkeit, Wasser und Bewegung."

die Hoffnung auf einen neuen Patienten geboren wurde und wieder erstarb. Doktor Hartmann war eben noch ein recht junger Arzt und hatte infolge dessen zwar ein hübsches Visitenzimmer und ein Schild mit fußhohen Buchstaben, aber verzweifelt wenig Kundschaft das heißt zahlende. Alle Armen und Elenden der Stadt dagegen bildeten gleichsam seine große Familie, in welcher er ebenso sehr geliebt, als re­spektiert wurde.

An einem windigen, regennassen Herbsttage, während es um die verschnörkelten, alten Hausgiebel heulte und pfiff und aus den Löwenmäulern oder Fratzenbildern der Dachtraufen in ganzen Strömen hervorschoß, an einem unfreundlichen, melancholisch stimmenden Tage finden wir in dem kleinen Sprechzimmer zu ebener Erde den Doktor selbst und noch einen jungen Mann, der aber keinesfalls hier den Arzt konsultierte, obgleich allerdings sein Gesicht sehr blaß war und die Haltung durchaus mutlos. Bekleidet mit der Uniform der Postbeamten, wanderte er in dem engen Raum auf und ab, als treibe ihn eine geheime Unruhe fortwährend von einer Stelle zur anderen.

Es soll mich nicht wundern, wenn ich vor Auflegung noch den Verstand ver­liere!" sagte er halblaut.

Ter junge Arzt schüttelte den Kopf. Groß und schlank gewachsen, mit dunk­lem Haar und eben solchen Augen, eine äußerst gewinnende Erscheinung; ein Mann, dessen Intelligenz nicht vermocht hatte, das Herz zu ersticken, dessen Wicken niemals zumGeschäft" herabsank, und der meistens den Unglücklichen schon auf den ersten Blick hin jenes Vertrauen einflößte, das an und für sich eine heilende Macht besitzt- ganz ohne alle Mithilfe der Apotheke und der Badeorte. Doktor Hartmann liebte die Menschheit und liebte seinen Beruf; das sagt alles. Er nannte die mühevolle Thätigkeit des Arztes eine hohepriesterliche Mission und dünkte sich reicher als ein Krösus, wenn es ihm gelungen war, bedrohtes Leben zu erhalten und die Thränen der Furcht in Freudeiühränen zu verwandeln.

Jetzt schüttelte er den Kopf.

Ich kann das immer noch nicht begreifen, Walter", sagte er.Du wirst Dich irren."

Der Andere blieb stehen.

Da ist kein Irrtum denkbar, Julius leider nicht. Wohin sollten die Noten gekommen sein?"

Bitte", unterbrach ihn der Doktor,erzähle mir das alles ohne Randbemerk­ungen noch einmal, Walter."

Der Postbeamte setzte sich ihm gegenüber.

Gut also!" sagte er seufzend.Höre mich an, Julius! Ich hatte im Nebenbureau am Hafen gestern Dienst und übernahm von meinem College» die Caffe mit etwa anderthalb tausend Thalern. Das Silbergeld lag wie gewöhnlich in dem Drathkästchen, die Bankbillets aber, der größeren Sicherheit wegen, leicht in Papier eingeschlagen, auf dem Regal, wo wir dergleichen immer zu verwahren pflegen, und zwar weil der häufig entstehende Zugwind die losen Blätter entführen könnte. Während des ganzen Vormittags hatte ich zufällig nach dem Gelbe nicht gesehen, die Unter­beamten sind'stellenweise auf kurze Zeit allein im Bureau gewesen, ich aber "

Er stockte, und der junge Arzt half lächelnd.

Du flüstertest gelegentlich einige Minuten auf der Haustreppe mit einer ge­wissen, braunäugigen, jungen Dame nicht wahr, guter Walter?"

Ja", nickte resigniert der Postbeamte,es ist wahr, ich habe es gethan und dadurch vielleicht meine ganze Zukunft verscherzt. Als ich wieder in das Bureau kam, war niemand anwesend, auch kein Unterbeamter, aber die Kassenscheine lagen nicht mehr an ihrer Stelle. Sie müssen inzwischen gestohlen worden sein."

Und Du hattest im Postzimmer keinen Fremden empfangen, Walter? Du hast auch bei Deiner Rückkehr von oben auf dem Flur Niemand bemerkt?"

Ueber das eben noch so blasse Gesicht des Mannes ergoß sich plötzliche Röthe.

Ich war zweimal fort", sagte er etwas unsicher,und wahrhaftig -- erst jetzt fällt mir's ein vor dem Schalter stand ein unbekannter Mensch, der schon den Griff der Hausthür erfaßt hielt er kann möglicherweise im Bureau gewesen sein."

(Fortsetzung folgt.)

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