61. Jahrgang.
Wro. 109.
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8amstag, äea 18. Aeptember 1886.
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H'oLitifche WcrchrricHlen.
Deutsches Reich.
Straßburg, 14. Sept. Als der Kaiser gestern auf dem Gefechtsfelde in Brumath anlangte, waren die Manöver schon im vollen Gang. In Stephansfeld hatte er den Zug verlassen und seinen leichten, mit vier Pferden bespannten Wagen bestiegen. Hier wie in Brumath nahm der Kaiser die jubelnden Huldigungen der Einwohnerschaft entgegen. Von allen Seiten wurden ihm Blumensträuße gereicht, so daß sein Wagen schließlich einem einzigen großen Strauße glich. Die Schuljugend unter Führung ihrer Lehrer stand überall in der ersten Reihe, die Mädchen mit Blumensträußen, die Knaben mit Fähnchen in den Händen. Von Brumath fuhr der Kaiser nach Weitbruch. Hier hatten die Insassen des Kreises Hagenau am Südwestende des Ortes einen großen, äußerst geschmackvollen Triumphbogen errichtet, der reich mit Fahnen und Laubgewinden geziert auf seinem erhöhten Standpunkte von der ganzen Umgegend aus gesehen werden konnte. Hier hatten wieder Tausende von Menschen sich aufgestellt, um den Kaiser zu begrüßen. Hier standen die Kriegervereine aus der Umgegend, die Schulen mit ihren Lehrern, die jungen Mädchen in ihrer hübschen Landestracht, die jungen Bursche zu Pferde. Auch sämtliche Bürgermeister des Kreises mit ihren dreifarbigen Schärpen hatten hier unter Führung des Kreisdirektors Senft v. Pilsach Aufstellung genommen. Mit nicht enden wollendem Jubel wurde der Kaiser empfangen, dem im offenen Wagen seine Tochter, die Großherzogin von Baden, folgte. Der Kronprinz und die übrigen Fürstlichkeiten begleiteten den kaiserlichen Wagen zu Pferde, elfterer in der Uniform seines schlesischen Dragonerregiments auf der prächtigen schwarzen englischen Stute Warenna. Um 1 Uhr herrschte eine Hitze wie sonst nur im Juli, die durch den dicken Staub unerträglich gemacht wurde. Die Truppen hatten noch weit in ihre Quartiere, so befahl der Kaiser den Schluß des Manövers. Der Kaiser fuhr nach Stephansfeld zurück und kam im besten Wohlsein etwa um 2 Uhr wieder in Straßburg an.
Straßburg, 15. Sept. Der Kaiser unternahm während des gestrigen Diners eine Spazierfahrt durch die Orangerie. — Heute früh 7 Uhr fuhren der Großherzog von Baden und Prinz Wilhelm von Preußen mit dem fahrplanmäßigen Zuge ins Manöverfeld nach Dettweiler. Mit einem um 8 Uhr abgehenden Exlrazuge folgte Generalfeldmarschall Graf Moltke und die Generäle, und mit einem Extrazuge um 9 Uhr der Kronprinz und die übrigen Fürstlichkeiten nebst Gefolge. Vom frühen Morgen an hatte sich eine zahlreiche Menge in den Straßen, durch welche die hohen Herrschaften fuhren, ebenso am Bahnhofe selbst aufgestellt und begrüßten ins
besondere den Kronprinzen mit begeisterten Hochrufen. — Die Rückkehr vom 'Manöver erfolgte um 3 Uhr. — Der Kaiser war bei dem heutigen Feldmanöver nicht anwesend, er nahm die Vorträge des Zivil- und MilitärkabinetS entgegen. — In Dettweiler hatte die Einwohnerschaft große Vorderes- tun gen zu einem festlichen Empfang getroffen. Die Nachricht, daß der Kaiser nicht kommen werde, erregte große Betrübnis. Als dann aber der Kronprinz, von einer brillanten Suite gefolgt, durch den Triumphbogen einritt, schallten ihm hundertstimmige Hurrahrufe begeistert entgegen. Der Bürgermeister von Zabern und Dettweiler und Obxrpfarrer Ger st hielten Ansprachen, auf welche der Kronprinz freundlich dankend erwiderte. Der Kronprinz sprach namens des Kaisers sein Bedauern aus, daß derselbe sich zu ermüdet fühle und heute den Manövern fern bleibe, um sich für die bevorstehenden Tage zu schonen; er werde ihm aber Mitteilen, wie sehr man sich hier auf seinen Empfang gefreut habe und wie herrlich der Ort geschmückt sei. Angesichts der großen Hitze brach der Kronprinz das Manöver um 12>/z Uhr ab und kehrte nach abgehaltener Besprechung nach Straßburg zurück. — Am Sonntag besuchte der Kronprinz die Freimaurerloge „Zum treuen Herzen"; die andere Loge „Erwins Dom" war eingeladen worden. Der Kronprinz drückte das Bedauern seines Vaters aus, wegen Ermüdung an der Feierlichkeit nicht teilnehmen zu können; dann verbreitete er sich über die Aufgabe der Frei- maurei im Elsaß.
— In Bayern geht's jetzt mit Energie an die Abschaffung des Raupenhelms; wen es interessiert, was unsere biedern Nachbarn dazu sagen, dem teilen wir mit, daß darüber eine große Wurstigkeit zum Ausdruck oder niG zum Ausdruck kommt, vr. Sigl, der bekanntlich der „größte bayrische Patriot" sein will, schreibt z. B. in seinem „Vaterland": „Die Raupe war sozusagen ein bayerisches Wahrzeichen, die Pickelhaube aber entspricht, abgesehen von militärischen Gründen, den thatsächlichen Verhältnissen. Schön ist sie nicht, aber die thatsächlichen Verhältnisse sind auch nicht schön, und man hat in Bayern diese Verhältnisse gewollt, und hat sich Jungfer Bavaria leichtsinnig oder thöricht so tief mit dem Preußen eingelassen, so muß man auch die Pickelhaube hinunterwürgen, das andere Wahrzeichen. Im Uebrigen ist's ziemlich „Wurscht", wie unsere Armee bedeckest ist, nachdem sie preußisch gedrillt, inspiriert und kommandiert und, nach Lage eben der Verhältnisse, nie wieder aus der preußischen Umarmung loskommen wird, kuimus Iroes, kuit Ilion! Dem Raupenhelm wird übrigens von den Soldaten selbst schwerlich eine Thräne nachgeweint werden; er war im höchsten Grad unpraktisch und bei Negenwetter vollgesaugt der Schrecken der Soldaten. Er wackelt auf dem Kopf wie ein bayerischer „Patriot" in der Kammer und schützt weder gegen die Sonne noch gegen den Regen, am allerwenigsten aber gegen die Säbel der Kavallerie im Feld."
Feuilleton.
(Widerrechtlicher Nachdruck wird verfolgt.)
WerrkccnnL.
Novelle von Leo Sonlag.
„Marthe, Marthe, wo steckst Du denn nur wieder? Lieber Himmel, in sechs Wochen soll das Mädchen Examen machen und dabei sehe ich sie nie hinter den Büchern. Sie ist gewiß wieder in der Küche und hilft der Dörte. Als wenn ihre Zukunft davon abhinge, ob der Salat heute Abend gut ist! Marthe, Marthe!"
„Ja Mütterchen, was ist denn? Bin nur in der Küche gewesen und habe Dörte noch einmal gezeigt, wie der Salat angemacht werden muß, damit Fritz heute Abend nicht schilt!"
„Ich meine aber, es wäre viel besser, Du sorgtest dafür, daß Professor Hauswalt morgen nicht schilt —
„Ach Mütterchen, der schilt ja doch immer. Es hat gar keinen Zweck, wenn ich mir Mühe gebe, ich bringe die Geschichtsdaten, die geographischen Namen und die Zahlen der Einwohner doch nie in meinen Kopf, wenn ich auch hundert Jahre alt werde."
„Aber liebes Kind, Du mußt sie doch lernen, wenn Du Dein Examen bestehen willst, und hängt davon nicht unsere ganze Zukunft ab?"
Marthe, aus deren Zügen der Ausdruck der Heiterkeit, mit dem sie in das Zimmer gekommen, jetzt ganz verschwunden war, trat zu der Mutter heran und schlang den Arm um den Hals der armen Frau.
„Mütterchen, lieb Mütterchen, ist denn das wirklich der einzige Weg, unsere Zukunft zu sichern? Ich will ja so gerne für Dich arbeiten, aber erlaß mir das Examen. Kann ich denn nicht auf andere Art mein Brod verdienen? Tu weißt, ich habe viel Talent und Anstelligkeit in der Wirtschaft, laß mich eine Stellung als Haushälterin annehmen —"
„Haushälterin! Marthe, wo denkst Du hin? Wie kann die Tochter Deines Vaters eine so untergeordnete Stellung einnehmen! Er würde sich im Grabe hemmdrehen, wenn er wüßte, daß Du solche Ideen hast."
„Nein Mütterchen, das würde er gewiß nicht; er würde mich so gut und freundlich ansehen, wie er das immer zu thun pflegte und würde sagen: „Hast recht, mein Töchterchen; besser eine gute Haushälterin, als eine schlechte Lehrerin", denn etwas anderes werde ich ja doch nicht, selbst wenn ich das Examen bestehe."
„Du mußt es bestehen, Marthe, denn Lehrerin ist der einzige anständige Beruf, den Du als Pfarrerstochter wählen kannst, und ohne Beruf kannst Tu nicht leben, so gerne ich Dich bei mir behielte; dazu reicht mein Witwengehalt nicht."
„Nun Mütterchen, ich will inein Möglichstes thun aber ich wollte wirklich, Du erlaubtest mir einen ander» Weg zu gehen, doch sieh", sie trat an's Fenster, „da kommt Marie, wenn ich nur ihre Begabung hätte, wie gerne wollte ich Lehrerin werden!"
„Guten Tag, Frau Pfarrer, guten Tag, Marthe. Nun wie steht'S mit den Daten? Kannst Tu sie schon? Nein? Dann komme schnell in unser Zimmerche», ich will versuchen, ob ich sie Dir noch anpauken kann, sonst giebt's morgen wieder Schelte von dem gestrengen Herrn Professor." Mit diesen Worten faßte die Eingetretene den Arm der Freundin und zog sie aus den: Zimmer. „Denke Dir mix Marthe, es ist mir schon eine Stellung angeboten worden, erzählte sie dann, als die Beiden allein waren, und ich wette, Du rätst nicht, von wem!"
„Nun, dann brauche ich es ja gar nicht zu versuchen, also sag' mir's nur
gleich."
„Vorn Professor Hauswalt!"
„Von: Professor? Dann kannst Tu ja über den Ausgang Deines Examens ganz ruhig sein, denn wenn er nicht ganz sicher wäre, hätte er Dir gewiß von keiner Stelle gesprochen. Und bei wem ist es?"
„Bei der Gräfin Redern als Erzieherin ihrer Enkelinen." „