dem Kronprinzen das Ehrengeleite nach England gegeben hatte, hat bei den englischen Marine-Offizie­ren großes Interesse erregt. Das schneidige Aus­sehen und Auftreten der Mannschaften, die Schnellig­keit und Sicherheit der ausgeführten Bewegungen fand allgemeine Anerkennung. Die englischen Zeitun­gen machen mit Recht darauf aufmerksam, daß in der deutschen Marine der Dienst auf den Torpedo­booten, für den die Mannschaften besonders ausge­bildet werden, von dem Dienst auf den Kriegsschiffen geschieden ist, was in England nicht der Fall ist. Deutschland besitzt augenblicklich 59. Frankreich 57 und England 6l Torpedoboote.

Rußland.

Das in Rußland bestehende Pferde-Aus- suhr-Verbot soll in diesen Tagen wieder aus­gehoben werden.

Den evangelischen Seelsorgern in den russischen Ostseeprovinzen ist Seitens der Behörden bedeutet worden, daß auch sie künftig volle Kenntnis der russischen Sprache haben müßten.

Serbien.

König Milan von Serbien, der in diesen Tagen nach Belgrad wieder heimkehren wird, kommt mit guten Vorsätzen. Auf ernstliches Zureden des Kaisers von Oesterreich hat er sich entschlossen, es noch einmal mit seinem Volk und seiner Gemah­lin zu versuchen. Es wird zunächst also weder zu einer Abdankung noch zu einer Scheidung kommen. Was König Milan länger aushält, das Regieren oder das Verheiratetsein, das werden wir ja erleben. Inzwischen hat sein neuer Ministerpräsident, der Russenfreund Nistics, ein Rundschreiben an die Mächte erlassen, indem er höchst friedliche Gesinnungen an den Tag legt. Serbien, sagt er, dürfe im Orient nicht der Friedensstörer werden, es müsse vielmehr für gute Ordnung unter den Balkanstaaken sorgen. Sehr richtig!

Bulgarien-

Aus Sofia kommt die merkwürdige Nach­richt, die Sobranje werde, wenn die Fürstenwahl kein Resultat in Form einer wirklichen Thronbestei­gung ergeben sollte, König Milan von Serbien als Regenten wählen. Es klingt zwar äußerst wunder­bar, aber möglich ist Manches!

Die bulgarische Regierung wird der großen Sobranje in Tirnowa sofort nach ihrem Zusammen­tritt die Wahl des Prinzen von Koburg zum Fürsten Vorschlägen, und die Sobranje ihn auch wohl wählen. Bei Rußlands Widerstand gegen alle bulgarischen Regierungsakte ist aber an eine Thronbesteigung kaum zu denken; die Regentschaft will eben nur dem Lande und Europa beweisen, daß nicht sie es ist, welche die Schuld an dem gegenwärtigen Interregnum trägt. Es wird dann eine Regentenwahl stattfinden, doch wird der Name des Kandidaten sorgfältig geheim gehalten.

Sofia, 2. Juli. Die Wahl des Prinzen Coburg-Coahary zum Fürsten von Bulgarien gilt für gewiß.

Amerika.

Aus New York, 28. Juni, wird gemeldet: Das Dorf Marshfield in Wisconsin wurde durch Feuer zerstört. 2000 Personen wurden dadurch obdachlos. Der Verlust wird auf 1000000 Dollar geschätzt._

Kleinere Mitteilungen.

Am letzten Sonntag morgen ist zwischen Jnnkers- dorf (Landkreis Köln) und Frechen ein scheußliches Ver­brechen verübt worden. Das dreizehnjährige Töchterchcn eines Schmiedemeisters wurde von einem Unbekannten über­fallen, geschändet und derartig mißhandelt, daß es bereits gestorben ist. Das Kind hat vor seinem Tode den Hergang noch beschreiben können, so daß Hoffnung zur Ergreifung des Thäters vorhanden ist. Alles Bitten und Flehen des Kindes vermochte den Menschen nicht zu rühren und ans das Schreien desselben antwortete er mit den fürchterlichsten Miß­handlungen. So schlug er unter anderem seinem Opfer das linke Auge aus dem Kopfe. Ein Fuhrmann fand das Mäd­chen in hilflosem Zustande in einem Roggcnfclde; er legte die Unglückliche ans den Wagen und schaffte sie ins Dorf.

Ein Berliner Schlächtermeister hat sich ans der Fahrt von Potsdam nach Berlin erschossen. Man fand bei dem Toten noch 18000 Papiere.

Auf gräßliche Weise versuchte ein Wjährigcr Almo­senempfänger in Berlin seinem Leben ein Ende zu be­reiten. Er durchschnitt sich mit einem scharfgeschliffenen Mes­ser derart die Kehle, daß der Kehlkopf heräustrat. Als er merkte, daß er den Kehlkopf nicht richtig getroffen, schlitzte er sich den Leib von unten nach oben völlig auf. Man fand ! ihn noch lebend und brachte ihn in die Charitcc, doch ist keine Hoffnung, das Leben zu erhalten. ,

Wien, 23. Juni. Es gicbt keine Kinder mehr! Der Sohn des Bankdicners Wachender zählt gegenwärtig 9 Jahre.

Der kleine Eduard ist ein sehr aufgeweckter und lebhafter Knabe und hat sich in seine wenige Häuser weiter wohnende ! Kousine sterblich verliebt. Als die Eltern derselben nun vor einigen Tagen von Wien nach Graz überfiedelten, da wurde Eduard tiefsinnig. Gestern nachmittag fand ihn seine Mut­ter plötzlich totenbleich im Zimmer sitzen. Auf die Frage, was ihm fehle, deutete er mit der Hand ans den Tisch, wo ein Zettel lag, mit den Worten:Ich habe mich vergiftet! Ich kann ohne die Mali nicht leben! Der Knabe hatte Phos- phorhölzchcn abgeschabt und die Lösung mit Wasser getrunken. Ein rasch hcrbeigcholtcr Arzt brachte den Knaben bald außer Gefahr. _

?01ir Ms. vArr-ck

Nach dem Leben von Marie Romain).

Wer jemals während der letzten fünfzehn Jahre Okamps L1^868 in Paris besucht hat, wer namentlich zur späten Abendzeit, wenn die zahlrei­chen Kafss und Kouzerthallen ihre Thore allmählig schließen, bei den prächtigen Anlagen des Llaos äu Oirgus ä'sts vorübcrspaziertc, muß jene gebrochene, zerlumpte Erscheinung gesehen haben, die, tonlos die Worte: Nwsriooräs! ^sr xitis, Uvnsisnr! in Ab­sätzen wiederholend, eine verkrüppelte Hand den Vvr- übereilenden entgegenstreckt. Es ist der mwsrubls smAireur, wie ihn die große Schar der Vorbeizieh­enden nennt. Denn Jedermann kennt ihn. Ein Jeder weiß, daß er sich während der Tageszeit in der elenden Giebelkammer eines der erbärmlichsten Häuser der Vorstadt Auteuil verborgen hält, daß er die abgezehrten Glieder aus dem Lager von Stroh und Fetzen ruhen läßt, so lange die Sonne scheint, um erst dann seine Wanderung nach der Stätte sei­ner größten Erniedrigung anzutreten, wenn das Dunkel der Nacht ihn (wenigstens gibt ihm diese Einbildung einen matten Trost ein) für das Auge derer, die ihn einst in anderer Lebensstellung gesehen haben, unkenntlich macht. O, es hätte kaum der Nachtzeit bedurft, denn unkenntlich ist er: unkenntlich macht ihn die hohle Wange und der stiere Blick des verglasten Auges, das ruhelos auf dem Boden sucht; wer, der ihn einst bei Namen genannt hat, möchte ihn wohl unter dem zerfetzten, sackweiten Havelock wiedererkennen, mit dem er seine schlot­ternden Glieder umgeben mußte, wer möchte erraten, daß dieses verwilderte Haar sein Haar, daß diese Stimme in unterdrücktem Jammer das Mitleid der großen Menge erstellend, seine Stimme sein könnte? --Nein er ist nicht erkennbar; er ist verkom­men, eine Lumpengcstalt, im Elend seines Daseins verloren; und dennoch wenn man iyu einen Moment ins Auge faßt, kann man nicht zweifeln, daß ihn, der unter dem schwarzen Schatten der Bäume verborgen die verkrüppelte Hand nach einem Kupferlinge ausstreckt, dessen Lippen nur mehr die eine Bewegung kennen: Erbarmen! Der bei jedem! ungewohnten Tone zurückfliegt, daß ihn das > Schicksal nicht in Fetzen zur Welt gab, daß er nicht ! bei Elend und Schande, noch mit dem Bettelsack ^ groß gemacht worden war. Blicken wir zurück. ,

Jean Louis war der einzige Sohn eines alten ' Rentiers, Baptiste Corillac, der während der ersten Zeit des aufblühenden, südamerikanischen Handels seinen Reichtum erworben hatte und ihn auch mit derselben Leichtigkeit, wie er ihn gewonnen, wieder durch die Hand gleiten ließ.

Baptiste war seiner Gattin, einer Südameri- ^ kanerin, in blinder Neigung ergeben gewesen, und mit derselben Liebe hing er an Louis, seinem Sohne; es hätte sich nichts auffinden lassen, was dem Kna­ben untersagt worden wäre, keiner seiner Wünsche blieb ihm ohne Erfüllung; kaum den Kinderschuhen entwachsen, handelte er mit der unbeschränktesten Willkür und (was Baptiste Corillac leider zu spät betrachtete und was auch in den reiferen Jah­ren Vater und Sohn fast entfremdete) mit einer rücksichtslosen Selbstsucht, die ihres Gleichen nicht fand. Konnte es bei dem so egoistisch beanlagten Charakter des Knaben, den man in gehätschelter Zü­gellosigkeit hatte heranwachsen lassen, anders mög­lich sein?

Als Jean Louis zwanzig Jahre zählte, verließ er, der Eingebung einer Laune folgend, das väter­liche Haus. Einen Beruf hatte er nicht erwählt. Er wußte, daß der Reichtum seines Vaters ihn er­mächtigte, zu leben, wie er wollte; und daß Herr Corillac nicht dem Manne Einhalt thun werde, da er selbst dem Knaben niemals gewehrt hatte, das lag nach des Sohnes leicht faßlicher Berechnung wohl auf der Hand. Jean Louis spielte; was war da­ran gelegen? Er hielt sich Diener, Pferde, ging auf Reisen; konnte es seinen Reichtum verzehren?

Ein junger Mann, vom Glück in die Welt ge­setzt, wie es ihm geschehen war. muß leben, muß sich über andere erheben; was denn möchte wohl berechtigen, Herr zu sein und die Welt zu genießen, wenn es nicht das Gold und der Vorzug der un­gebundenen Erziehung war! Gelegentlich seiner Rei­sen, die er in Gesellschaft eines Freundes unternom­men , kam Julius Corillac (es mögen etwa dreißig Jahre her sein) über Bordeaux.

Unlustig, da gelangweilt, schleuderten sie am Ufer der Garonne auf und nieder ; da fiel es Jenem ein, daß es kein übler Zeitvercreib wäre, eine der Vorstellungen in dem neu erbauten llllisutrs Variete in Augenschein zu nehmen, von denen man in einer Nachbarstadt, die sie passiert hatten, des Lobes voll gewesen war.

Gesagt, gethan.

Der gute Ruf, welcher diejcn Vorstellungen vorausging, hatte nicht gelogen ; Saal und Galle- rien waren zum Erdrücken mit Schaulustigen unge­füllt. Als Jean Louis und sein Begleiter eintrateu, hatte man soeben die Posse ,Iw8 äeux pautaloiw" gegeben; das Haus widerhallte von Beifallsbezeu- guugen, mit welchem die kleine Gesellschaft, die sich auf der Scene dankend verneigte, überschüttet ward.

In einer Loge, welche der Bühne zunächst gelegen war, nahmen die Freunde ihren Platz.

Wie so manches Mal der Zufall spielt, so wollte er heute abend, daß in dem nämlichen Au­genblick zwei andere Herren, deren Bekanntschaft Louis Corillac in einem Club gemacht hatte, dieselbe Loge betraten; und natürlich war die Freude über diese Begegnung um jo größer, als jene Herren Lebemänner genannt wurden und ein lustig sich ge­bender Abend vorauszuseheu war.

Es dauerte auch nicht lange, so war die Laune da. Was könnte wohl junge Männer, deren Wiege Fortuna geschaukelt, hindern, sich der Lust zu er­geben? Man lachte, spottete, warf Bonmots hin, der Champagner perlte, und zur guten Abwechslung glitt ab und zu ein Blick über die Bühne hin.

Es war eine junge Sängerin, welche in die­sem Moment auf die Scene trat. Eine liebreizende Anmut, die ihre Erscheinung begleitete. Ihre Kunst war nicht überraschend, aber um so angenehmer wirkte der Zauber, der über ihree Gestalt und Schüchternheit lag. »Lslls enkant«, meinte Louis Corillac.Süperbe Erscheinung!"

Anmutig."

O, über die Maßen, so nach meinem Ge­schmack."

Er setzte ein Lorgnon auf, schob es wieder bei Seite, nahm den Gucker, betrachtete lange, ap­plaudierte dann mit vollen Händen und meinte dann endlich in Entzücken: ^Honnsnr cls won Lms! Die Kleine gefällt mir. Ich suche ihre Bekanntschaft. Was/ (der Sekt hatte ihn lebhaft gemacht)wenn ich sie mir für heute Abend gewänne?"

Mademoijellc Elmiot? wiederholte einer der Freunde.

Freilich, freilich."

Sie sind unbekannt mit der Stadt, odsr ami."

Und weiter?,,

Haha", lächelte Jener,Mademoiselle Elmiot ist nicht zu gewinnen, man hat Beweise davon." _ (Forts, folgt). _

Allerlei.

-- Bestrafte Aufschneiderei. A.: Sapertot, ha­ben Sie aber einen schönen Anzug! Was kostet er denn? B. (stolz): Hundert Gulden! A: So? Da scheint der Schneider gleich die Gerichtskosten d'raufgeschlagcn zu haben!

Unerfüllbarer Wunsch.O, ich möchte ein­mal gerne so betrunken sein daß ich meine Schwieger­mutter für einen Engel ansehen könnt'!"

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Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. Druck und

Verlag der G. A>. Zailer'schcn Buchhandlung in Nagold.