die Verdächtigung zurück, wobei er rmter gro­ßer Bewegung im Hause erklärte, daß der Papst wohl noch vor den Wahlen Gelegenheit nehmen werde, den katholischen Wählern zu sagen, daß sie nicht das Interesse der Kirche wahren, wenn sie Bestrebungen unterstützen, die auf Zerstörung des Reichs gerichtet sind. Die Wirkung dieser Worte trat auf das Lebhafteste im Zentrum hervor. Der Kanzler erklärt, daß er mit Graf Limburg die heutige Darlegung ver­abredet habe. Im weiteren Verlaufe der De­batte gibt Richter's Variation des alten Themas: fort mit Bismarck", das er offen in jetziger Zeit zu proklamieren wagte, dem Kanzler Gelegenheit, der Fortschrittspartei ihr Sündenregister seit Anfang der sechziger Jahre vorzuhalten. Die sonst so be­liebten Unterbrechungen der Freisinnigen unterblieben bei dieser schweren Anklage, welcher das Verbiet folgte, der Fortschritt habe alles bekämpft, was Deutsch­land groß und einig gemacht hat. Der Kanzler hofft, daß auch die Militärvorlage trotz des Kampfes der Fortschrittspartei dagegen zu Stande kommen werde.

Berlin, 25. Janr. Die gestern im Ausland verbreiteten beunruhigenden Gerüchte über eine in den letzten Tagen eingetretene Verschlechterung der deutsch­französischen Beziehungen bleiben unbestätigt. Graf Moltke lehnte die Kandidatur im zweiten Wahl­kreise ab. !

Berlin, 25. Jan. DieNordd. Allg. Ztg." erklärt die Nachricht derDaily News", daß Deutsch­land beschlossen habe, von Frankreich eine Aufklärung wegen Truppenansammlungen zu fordern, für unwahr.

Berlin, 25. Jan. Im Abgeordnetenhaus liefert Windthorst ein nichtssagendes Rückzugsgefecht.

Die Veröffentlichung des Wortlautes der An­sprache Kaiser Wilhelms an die Herrenhaus-Depu-! tatton bei Ueberreichung der Militär-Adresse ist laut l Allerhöchster Genehmigung erfolgt, nachdem der Kai- ser persönlich die Richtigkeit des Textes kontrolliert ! hatte. Bon dem Erlaß einer kaiserlichen Proklama- ; tion ist es wieder stiller geworden. Vielleicht soll die Rede an die Herrenhaus-Deputation die Pro- > klamation ersetzen.

Die Kriegs gerächte nnd Alarmnachrichten, ^ die in den letzten Tagen wieder lebhaft im Schwünge waren, haben einen empfindlichen Einfluß auf die deutschen Börsen ausgeübt. Alle deutschen Staats­papiere sind gefallen. Es ist aber in den auswär- ^ Ligen Beziehungen keine Veränderung eingetrcten, welche einen Krieg als nahe bevorstehend erscheinen lassen könnte. Ein Krieg kann kommen, aber es ist nicht das Geringste passiert, welches bedeutete, daß er sofort kommt. Uebrigens hat auch der Kaiser in seiner Donnerstagsrede die Hoffnung auf weitere Sicherung des Friedens ausgesprochen. ^

Eine Beleidigung durch die Postkarte ist nach einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts, stets als eine öffentliche Beleidigung anzusehen.

Zur öffentlichen Kenntnis bringt das Königl. Polizei-Präsidium in Berlin Folgendes: Ein unter der BezeichnungEsprit de Menthe" gegen Kopf- ! kolik und Kopfreißen für den Preis von 50 an- ! gepriesenes Geheimmittel besteht zufolge amtlicher, sachverständiger Prüfung lediglich aus Weingeist,' welcher mit Pfeffermünz und ein wenig Essigäther versetzt ist. Der wahre Wert des Flascheninhaltes beträgt zehn Pfennige. Das unter dem Namen Hühneraugenextrakt" angepriesene Geheiminittel, wel- s ches in Fläschchen für 50 Pf. und 1 Mk. abgegeben wird, besteht zufolge amtlicher chemischer Untersuchung ! lediglich aus unreiner Essigsäure, welche durch gleich­gültige organische Substanzen braun gefärbt ist. Der wahre Wert eines für den Preis von 50 Pf. ver­kauften Fläschchens mit Inhalt beträgt 10 Pfennig. ^

M e tz, 24. Jan. Der Notar Gandar in Re- ! milly, Mitglied des Bezirkstages, hat nach der Straßb. P. seine Zahlungen eingestellt. Der Volksmund spricht hoffentlich in übertriebener Weise von 4 Millionen Passiva gegen 2 Millionen Aktiva. In Ort und Kanton herrscht große Aufregung. Gandar hat sich selbst zur Hast gestellt und wurde hier ciugebracht.

Oesterreich-Uligaro.

Wien, 22. Jan. Der Jungczeche Dr. Gregr hat neulich einem Korrespondenten desDziennik pöznanski", det'ihn inkerwiewte,' folgendes gesagt:

An eine Verständigung zwischen-Deutschen und Czechen sei nicht zu denken, so lange nicht das Deutsche Reich eine tiefe Demütigung erlitten habe. Wörtlich äußerte er:Eine große, etttscheidende Niederlage des Deutschen Reiches, welche die Erinnerung an den Triumph von Sedan auslöschte, würde den Deutschen in Böhme» vielleicht in Erinnerung- bringen, däK außer ihnen auch noch andere Nationen, wie ss. B. dis Czechen, auf der Welt sind. So lange aber Deutschland von seiner heutigen Würde nicht herab­gestürzt ist, wird weder mit den Deutschböhmen noch mit den Deutschösterreichern etwas anzufangen sein."

Italien.

Im Zuchthaus in Catania auf Sizilien gings neulich toll her. Sämtliche Bagnosträflingc rotteten sich zu­sammen und protestierten heftig dagegen, daß der Mörder Nicotra, der seine Frau nebst seinen beiden kleinen Töchtern auf grausame Weise getötet hatte, in das Zuchthaus ausge­nommen werde. Eine Deputation, aus 2 Mördern und einem Falschmünzer bestehend, erklärte der Direktion, sie wollten mit einem Kerl, der sich an unschuldigen Kindern vergriffen habe, nichts zu thun haben, derselbe wäre eine Schande für das Bagno. Sollten sie trotzdem gezwungen werden, mit je­nem Scheusal zusammen zu leben, würden sic sich empören. Der Mörder Nicotra wurde in der That in einer Einzclzelle untergebracht.

Frankreich.

Paris, 23. Jan. Heute legt derFigaro" dem General Boulanger die Pflicht ans Herz, aus Patriotismus, um Frankreich den Krieg zu er­sparen, seine Demission zu geben. Der Patriotismus könne verschiedene Formen annehmen; für Boulanger sei das größte Opfer, das er seinem Lande bringen könne, der Verzicht auf den Ehrgeiz, dem Lande und der Armee durch gehoffte Großthaten wieder zu dem früheren Ruhm und der früheren Größe zu verhel­fen. Hier hätte Boulanger Gelegenheit, seinen Ver­leumdern den Mund zu schließen und zu beweisen, daß sein Patriotismus frei von unedler Legierung sei.Freunde Boulanger's haben uns gesagt, daß Paris an dem Tage aufstehen nnd sich empören werde, an welchem Boulanger das Kriegsministerium verließe. Das wird niemand im Ernst glauben. Vom Gesichtspunkt der äußern Politik bildet das Verbleiben des Generals an der Spitze der Armee wenn nicht eine Gefahr, so doch einenverwunder­lichen Zustand" , der gefährlich werden kann. Der General hat einmal eine Haltung angenommen, welche keiner seiner Vorgänger sich erlaubt hat, und unter ihm erscheinen Dinge wie die geplante Mobil­machung eines Armeekorps, die unter einem andern Minister von gesetztem Charakter ganz natürlich er­scheinen würden (?), als eine Herausforderung oder Drohung." An einer andern Stelle sucht das Blatt nachzuweisen, daß der General blos deshalb so populär geworden sei, weil viele von ihm die! Erlösung aus einem fast unerträglich gewordenen ! Zustand erwarten.Auch unter der ersten Republik dachte man an die Generale sie hießen damals! Hoche, Joubert, Augereau, Bonaparte nur dann,! wenn man vor lauter finanzieller Verlegenheit weder! aus noch ein wußte. Nur eine tiefe Erkrankung! des öffentlichen Geistes erklärt cs, daß die Nation ^ so weit gesunken ist, aus einem General ohne mili-> tärische Bagage ein Idol zu machen. Die Werk- ^ stätten feiern, deshalb spricht man so viel von dem! berühmten General. Der schlimme Stand unserer! Finanzen wird zu einer Art von Abgrund, in den ^ wir ganz sanft mit einer revolutionären Wollust hin-! abgleiten. Die Regierung besitzt nicht die Energie, eine bessernde Hand anzulegen; es sind Leute, denen man, wie der Araber sagt, weder sein Pferd, noch seine Börse, noch sein Weib anvertrauen würde.! Und in dieser Gesellschaft ist der General das ver- hätschelte Kind einer heillosen Situation; bessert sich die Situation, so tritt der General in die Reihen zurück."

Welche Rolle jetzt schon General Boulanger in der öffentlichen Meinung spielt, mit oder ohne sein Zuthun, zeigt der Zank der Pariser Zeitungen über ihn. Rochefort, der Laternenmann, droht in seiner Zeitung mit einem Bolksaufstand und Erhebung der ^ Armee, wenn die Kammer den Kriegsminister stürzen sollte. DieRepublique Franyaise" fordert in einem Gegenartikel, daß Boulanger diese Herausforderung zum Bürgerkrieg und zur Militär-Rebellion öffent­lich zurückmeise und brandmarke. Cassagnac, der Bonapartist, verlangt die Beseitigung Boulangers, weil er eine nationale Gefahr sei. (Siehe auch oben die Sprache des Figaro.)

Paris, 24. Jan. Anläßlich des Jahrestages

der Kämpfe vor Paris finden imposante Kundge­bungen statt. Es werden fKMkche Reden gehalten. Boulanger beantwortete die EVkadung, nach Saint Quentin zu gehen, abzulehnen.

Die Opposition gegen BvAlan g er wächst. Namentlich die gemäßigten ÄeKblikaner sind erbit­tert auf ihn, weil er sich oKr zu sehr als Herrn anfspielt. Es" wird in der Mknmek wegen der Mi­litärforderung von 86 Millionen einen heftigen Tanz geben.

England.

London, 25. Jan. Die britische Regierung wurde von ihrem Botschafter in Paris dahin infor­miert, Frankreich hege die friedlichsten Gesinnungen Deutschland gegenüber. Der Pariser Correspon- dent desDaily Telegraph" erfährt, Boulanger würde niemals einen Angriff auf Deutschland befür­worten. Der General soll emphatisch erklärt haben, selbst wenn die übrigen Minister dafür wären, Deutschland den Krieg zu erklären, würde er lieber sein Portefeuille niederlegen, als sich an einer solchen Maßregel beteiligen. Boulanger beteuerte, daß kein Mann, kein Pferd und keine Kanone nach der fran­zösischen Ostgreuze dirigiert wurde.

Wie ein Londoner Privattelegr. uns mitteilt, bringt dieDaily News" heute die Nachricht, die deutsche Regierung habe beschlossen, bei dem franzö­sischen Minister des Auswärtigen, Flourens, anzu­fragen, was die jüngsten Truppenbewegungen an der deutschen Grenze bedeuten. Bon der Antwort Frank­reichs hänge die Entscheidung, ob Krieg oder Frieden ab. Wir registrieren die Nachricht des englischen Blattes mit allem Vorbehalte, obschon dieselbe einer inneren Wahrscheinlichkeit nicht entbehrt. Die im heutigen Morgenblatt mitgeteilten Auslassungen des Berliner Berichterstatters der offiziösenPol. Korr." stellten eine solche Anfrage in Aussicht. Bestätigt sich die Nachricht derDaily News" , so darf man sich auf eine ernste Verschärfung der Situation ge­faßt machen, da bekannt ist, was aus einem derarti­gen Frage- und Antwortspiel in der Regel zu ent­stehen Pflegt. (Bergl. die Nachr. der Nordd. Allg. Ztg.)

Der Afrikareiscnde Stanley ist am Freitag abend von London über Brindisi nach Aegypten ge­reist, um von dort nach Zanzibar weiterzugehen, von wo der Abmarsch der Expedition zur Befreiung Emin Bey's aus dem Sudan erfolgt.

Dänemark.

Wer's noch nicht geglaubt hat, daß die Dä­nen sich zum Sprung bereit machen, sobald es zwi­schen Deutschen und Franzosen zum Krieg kommt, der lese die Rede des Kriegsministers beim Ber- fassungsfest in Kopenhagen. Sie drängt zur Rü­stung und ist gespickt mit Ausfällen auf Preußen. Nachträglich leugnet man die letzteren erschrocken ab; denn man kennt auch in Kopenhagen das Wort: 81 koeisti, N6KU, leugne, was Du gethan hast!

Rußland.

Ueber die Reden des Reichskanzlers im deut­schen Reichstage sagt derSt. Petersburger Herold":Der Grundgedanke" dieser Hochbedeut­famen Reden des Fürsten Bismarck, die einen Mark­stein in der Politik und Geschichte bilden werden, gipfelt in dem Einen: Jedes Volk strebe nicht dar­nach, Bündnisfe zu schließen und sich auf fremde Hilfe zu verlassen, sondern selbst stark und mächtig zu sein, so daß es, umgeben wohl von Freunden, im Falle der Not allein mit seinein Feinde fertig werde. Fürst Bismarck gibt damit in der Politik den Regierungen und den Völkern einen neuen und großartigen Impuls. Denn abgesehen von jenen Eroberern, die, wie Alexander der Große und Na­poleon I., die Welt allein unterjochen zu können vermeinten, wimmelt die Geschichte seit des alten Griechenlands Zeiten von Schutz- und Trutz-Bünd­nissen, die selten ihre guten Früchte trugen. Bon nun an aber soll es im Leben der Nationen heißen: Allein und frei, mächtig und jedem Gegner ebenbür­tig, doch Freundschaft mit Allen. In der That eine gewaltige Idee! Außerhalb Deutschlands hat man diese neueste, die Politik in andere, natürlichere und bessere Bahnen lenkende Idee gut begriffen!

Bulgarien.

Sofia, 22. Jan. In Zankoffistischen Kreisen wird in zuversichtlicher Weise die Nachricht kolpor­tiert, daß demnächst ein türkischer und ein russischer Kommissar nach Sofia entsendet werden sollen. Die­selben würden sofort nach ihrem Eintreffen im Namen des Sultans als Suzeräns die Regentschaft und das