368; demnach hätten 31 gefehlt. Hiebei kommt ^ aber in Betracht, daß zwei Mandate durch den Tod der Abgg. Roßhirt und Dirichlet unbesetzt sind und daß ein halbes Dutzend Sozialdemokraten im Ge­fängnis sitzen.

Berlin, 14. Jan. (Aus dem Reichstage.) Noch niemals herrschte solches Leben und Treiben vor dem Eingänge zum Reichstagsgebäude, noch nie­mals zeigte sich die Aufregung im Hanse selbst so kräftig wie heute während der zweiten namentlichen Abstimmung. Fürst Bismarck saß auf seinem alten Platze, die Minister und Bundesbevollmächtigten, sowie zahlreiche hohe Beamte der verschiedenen Res­sorts standen in dichten Gruppen beisammen. Eine schwüle Stimmung herrschte im Hause und aus den dicht besetzten Tribünen. Endlich verkündet der Prä­sident das Resultat, das gleichbedeutend mit der Ab­lehnung der Regierungsvorlage ist. Aller Augen sind auf den Kanzler gerichtet, der sich rasch erhebt, und um das Wort bittet. Der Präsident, der so viele Versehen gemacht, sieht auch dies nicht, er will weiter abstimmen lassen. Endlich verlangt der Reichskanzler das Wort, um die Auflösungsordre mitzuteilcn. Ein schüchternes Bravo war von der ^ linken Seite her zu vernehmen, die Bewegung ist im j Hause gewaltig. Mächtig ertönte das Hoch auf den! Kaiser noch, dann bilden sich im Saale und im Foyer Gruppen, die lebhaft das Ereignis besprechen. Vor dem Hause hatten Schutzleute alles aufzubieten, um die Passagen frei zu halten. Als Moltke das Haus verließ, wurden ihm stürmische Hochs gebracht, die womöglich noch kräftiger erschallten, als der Reichskanzler im Wagen davon fuhr. Dicht drängte ! die Menge heran, so daß die Pferde im Schritt gehen mußten, und rief immer und immer wieder dem Kanzler ihr Hoch zu. DieNordd. Allg. Ztg." fordert alle reichstreuen Parteien auf, im Wahlkampfe zusammenzugehen, alle Eifersüchteleien zu vermeiden und nur das Ziel im Auge zu halten, die jetzige Majorität zu brechen.

Berlin, 14. Jan. Gestern speisten bei dem Fürsten Reichskanzler der Botschafter Graf Hatzfeldt und die Ministerpräsidenten von Sachsen und Würt­temberg.

Berlin, 15. Jan. Der Zusammentritt des neuen Reichstags wird für die erste Hälfte März erwartet; da die vollständige Etatsberatung bis 1. April nicht durchführbar erscheint, so dürfte der j Reichstag das Budget vorläufig nur für einen Teil § des Jahres bewilligen. Ebenso wird die Beratung des gestern abgelehnten Septennats und der Mili­tärvorlage sich jedenfalls bis nach 1. April 1887 hinziehen. In den nächsten Tagen werden die Finanzminister verschiedener Einzelstaaten hier Zusam­mentreffen; man glaubt vielfach, daß es sich beiden Beratungen um einen großen Steuerreformplan han­deln wird.

Berlin, 15. Jan. Der Bundesrat faßte erst gestern während der im Reichstag erfolgenden Ab­stimmungen den definitiven Auflösungsbeschluß.

lieber die Petitionen, welche zur Militär­vorlage eingegangen sind, referiert Dr. Buhl. Ge­gen die Vorlage sind im Ganzen nur 7 Petitionen eingelaufen. Für möglichst rasche und unverkürzte Bewilligung der Vorlage sind 798 Petitionen mit 119574 Unterschriften eingegangen, davon 688 Pe­titionen mit 52000 Unterschriften aus Württemberg. 55 Petitionen mit 502 Unterschriften von protestan­tischen Pfarrern und Studierenden der protestantischen Theologie wenden sich gegen eine Befreiung der protestantischen Pfarrer und Theologen vom Mili­tärdienst.

Das Facit der Reden Bismarcks ist bis jetzt kurz folgendes: Ohne eigentliche diploma­tische Enthüllungen zu machen, hat Fürst Bismarck doch die auswärtige Lage mit einer Bestimmtheit ^ und Anschaulichkeit geschildert, welche ein klareres ^ Urteil gestatten, als es bisher möglich war. Die ^ Lage ist hiernach diese: Deutschland lebt in Frieden! und Freundschaft mit Rußland, Rußland wird uns - nicht angreifen. aber es hat Differenzen mit Oester-. reich-Ungarn und der Ausgleich dieser Gegensätze, um welchen sich Deutschland bemüht, ist sehr schwer. Ferner: Deutschland hat kein Interesse in Bulgarien; . hier decken sich also die deutschen und die österreichi­schen Interessen nicht vollständig. Endlich: Deutsch- ^ land steht in sehr gespannten Beziehungen zu Frank- ^ reich, der Krieg kann jede Stunde ausbrechen,in j 10 Tagen oder vielleicht auch erst in !0 Jahren". :

Der Friede im Westen hängt einzig davon ab, ob Frankreich einen Bundesgenossen findet oder an die Überlegenheit seiner Waffen glaubt. Kommt es zum Krieg und siegen wir, so werden wir Frankreich auf mindestens 30 Jahre lahm legen, der Krieg von 1870 wird einKinderspiel" dagegen sein. Der Glaube an die Ueberlegenheit der Waffen soll den Franzosen durch die Erhöhung unserer Wehrkraft genommen werden; die Gefahr, daß Frankreich einen Bundesgenossen findet, besteht aber trotz unserer guten Verhältnisse zu Rußland insofern fort, als die russisch-österreichischen Differenzen die Gefahr ei­nes Zerwürfnisses in sich schließen, bei welchem Deutschland vielleicht nicht unbeteiligt bleiben würde. Dieser Schluß liegt in der logischen Folge der Aus­führungen des Kanzlers. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Fürst Bismarck sich mit dem Erfolg des geschickten Diplomaten begnügt und darauf ver­zichtet hätte, das Register der Drohungen zu ziehen. Gewisse Andeutungen von Maßnahmen, welche er­griffen werden würden, wenn das Septennat nicht zu Stand käme, lassen beinahe keine andere Ausle­gung zu, als diejenige, daß die verbündeten Regie­rungen unter Umständen auch vor einem Berfassungs- konflikt nicht zurückschrecken würden.

Deutscher Reichstag. (Mittwochsitzung). Bei vol­lem Hause und dichtbesetzten Tribünen wird die zweite Frage der Militärvorlage fortgesetzt. Am späten Nachmittag ergriff auch Fürst Bismarck nochmals das Wort. Abg. v. Hell­dorf (kons.) bekämpft eine Bewilligung der Friedensstärke auf 3 Jahre; dadurch solle der Bestand der Armee nur vom Parlament abhängig gemacht werden. An finanziellen Mit­teln fehle es nicht, sei es doch Thatsache, daß in Deutschland jährlich 2000 Millionen für Zigarren, Wein, Bier ausgegeben würden. Redner erinnert an den früheren Konflikt wegen der Militärfrage und warnt vor einer Wiederholung. Abg. Hasenclever (Soz.) lehnt die Frage rundweg ab und greift den Fürsten Bismarck aufs Heftigste an. Gerade die gestrige Rede desselben werde Frankreich, das in seiner Mehr­heit friedlich gesinnt sei, Anlaß zu weiteren Rüstungen geben. Kein anderes Parlament würde sich die Art und Weise ge­fallen lassen, in der Fürst Bismarck den Reichstag behandle. Durch diese Vorlage wollten die Regierungen nur die Zügel der Reaktion fester in Händen behalten. Redner erklärt schließlich, bei der Abstimmung über die einzelnen Anträge werde seine Partei sich der Stimmabgabe enthalten, das! ganze Gesetz aber ablehnen. Krigsminister Bronsart v. ^ Schellendorf empfiehlt nochmals die Vorlage vom mili- ^ tärischen Standpunkt und unter besonderem Hinweis auf Frankreich. In Oesterreich habe man eine 10jährige Fest- ^ stellung der Friedensstärke, in Frankreich soll jetzt eine dauernde ^ Regelung erfolgen. Er bitte dringend um unveränderte An- nähme der Vorlage, die unbedingt nötig sei. Abg. Graf Behr (freikons.) schließt sich dem an. Redner tadelt beson­ders das Zusammengehen des Zentrums mit den Sozialde­mokraten. Abg. Windthorst erwidert, die Konservativen hätten auch schon für Sozialdemokraten gegen Zentrumskandi­daten gestimmt. Redner kommt auf die Bemerkung des Reichskanzlers über Hannover zurück und behauptet, König Georg habe 1866 um Friedensvcrhaudlungen nachgesucht. Habe man ihm die etwa verweigert? (Ordnungsruf des Prä- sidentcn.) Redner wiederholt dann, seine Partei werde die volle Friedensstärke auf 3 Jahre bewillige», mehr aber nicht. ! Die Wahlparole Parlaments- oder kaiserliche Armee werde! nicht ziehen, Niemand denke daran, die Rechte der Krone anzutasten. (Beifall und Zischen). Fürst Bismarck: Die jetzige Majorität ist gar keine Majorität mehr, wenn es sich um etwas Positives handelt; sie ist nur einig in der Ne­gation. Und auf eine solche Mehrheit will der Vorredner ^ die Armee für die Zukunft verweisen? Ich halte an dem s. Z. vereinbarten Kompromiß über das Septennat unbedingt fest. Rütteln sie daran, so rufen Sic Konflikte hervor. Eine Parlamentsarmee ist eine solche, die von den Beschlüssen wechselnder Mehrheiten abhängig ist. Wir wollen aber das! Volk schützen, wir wollen ihm den Frieden sichern, daher ge- brauchen wir eine kaiserliche Armee. Das Volk hat sich ge­irrt, als es Sie hierher sandte. Wir wollen das Reich un­abhängig vom Auslände und fest im Innern machen, und finden statt Unterstützung elende Streitigkeiten. Was das Zusammengehen von Zentrum, Freisinnigen und Sozialdemo­kraten anbelangt, so ist cs Thatsache, daß die Führer der beiden ersteren Parteien immer eine Politik treiben, welche die letzteren bequem mitmachen können. In allen auswärti­gen Fragen stimmen sie in einer Richtung überein, die für Deutschland nachteilig sein würde, wenn wir sie cinschlagen j wollten. Die Karoliiienfrage, von welcher der Abg Windthorst, vorhin sprach, halte ich auch heute noch für eine Lumperei, ^ nicht aber unsere Beziehungen zu Spanien. Viel schärfer ^ als die Anträge des Königs Georg von Seiten Preußens ! sind die preußischen Anträge vom König Georg 1866 abgc- wiesen. Ich kann Ihnen nnr noch die Bitte unterbreiten, die Vorlage in 2. Lesung mit dem Septennat anzunehmen. Was Herr Windthorstjeden Mann und jeden Groschen" nennt, kann uns nicht genügen. Unsere Parteiführer sind durch die absolute Folgsamkeit ihrer Parteien verwöhnt. Ich bin vielleicht der einzige Mensch, der im Laufe des Jahres es wagt, dem Abg. Windthorst zu widersprechen. Ich wie­derhole: Die Regierung kann um keines Haares Breite von der Vorlage abweichen. Hierauf vertagte sich das Hans auf Donnerstag vormittag 11 Uhr.

Als Grund für die Auflösung des Reichstags gibt die Offiziöse Norddeutsche Fol-^ gendes an: Angesichts der Unmöglichkeit, mit der gegenwärtigen Mehrheit des Reichstags zu einer

Verständigung über die Lebensfragen der Sicherstel­lung unserer Wehrkraft zu gelangen, ist der Reichs­tag auf Befehl des Kaisers aufgelöst worden.

Welche Interessen die Reden im deutschen Reichstag erregen und wie schnell das Echo mit Hilfe des Telegraphen antwortet, sieht man aus ei­nem Telegramm aus Utah am Salzsee. Die Deut­schen dort danken dem alten Moltke für seine Rede am 11. Januar, und dieser Dank ist am 12. Jan. nachts telegraphisch in Berlin angekommen.

Nach einer derPolit. Corresp." aus Paris zugehenden Meldung wird auch in dortigen infor­mierten Kreisen bezüglich der politischen Lage eine Besserung angenommen. Man will bestimmt wissen, daß das russische Kabinet aus seiner in den letzten Wochen beobachteten Passivität durch Kundgebungen herausgetreten sei, welche nicht blos die friedlichen Absichten des Kaisers von Rußland von neuem be­kräftigen, sondern auch geeignet seien, der Wieder­aufnahme der stockenden Vorbesprechungen zur Herbei­führung einer Verständigung der Mächte in der bul­garischen Frage die Wege zu ebnen. Ein bezüglicher Meinungsaustausch zwischen einzelnen Kabinetten habe entweder schon begonnen oder stehe unmittel­bar bevor und biete diesmal bessere Chancen als in früheren Stadien dieser Frage. Unser Londoner Korrespondent meldet gleichfalls eine bemerkenswerte Besserung der politischen Lage; ob die Zurückführung derselben auf das Fehlschlagen der Mission des Gra­fen Schuwaloff am Berliner Hofe, die angeblich auf die Erlangung der Zustimmung Deutschlands zu einer temporär begrenzten Okkupation Bulgariens durch Rußland hinzielte, richtig ist, läßt sicb bei dem Dun­kel, welches über die Sendung Schulawoff's gebreitet ist, schwer entscheiden. (Fr. I.)

Straßburg, 14. Jan. Die amtliche Landes­zeitung publiziert einen Regierungserlaß, wodurch der Aufenthalt französischer Militärs in den Reichs­landen beschränkt wird.

Fürst Hohenlohe in Elsaß geht langsam, aber sicher vor und thut niemals einen Schritt zu­rück. Von jetzt an müssen auch die Feuerwehren nach deutschem Kommando üben und handeln. Seit­her wurden sie selbst in solchen Orten, wo fast alle Einwohner besser Deutsch als Französisch sprechen, französisch kommandiert. Das geschah sogar in ei­nem Flecken von 1100 Einwohnern, von denen kaum ein halbes Dutzend mehr französisch sprach als don jour und insroi. Am meisten hat es die Soldaten, die in Deutschland gedient hatten, gewundert und geärgert, wenn sie in der Feuerwehr französisch kom­mandiert wurden.

Wie von der französischen Grenze bei Metz gemeldet wird, hat das französische Krigsministcrium beschlossen, die Festungen der Ostgrenze bedeutend zu verstärken, namentlich Toul und Verdun. So ist kürzlich von der Garnisonverwaltung Verduns mit mehreren Bau-Unternehmern ein geheimer Ver­trag abgeschlossen worden, daß dieselben auf dem- nächstige Aufforderung hin Holzbaracken für meh­rere Tausend Mann verschiedener Truppengattungen binnen 50 Tagen herzustellen haben. Es sind dabei 1000 Francs Strafe für jeden Tag verspäteter Her­stellung ausbedungen. Außerdem werden mehrere in nächster Nähe der Grenze gelegene Ortschaften Garnisonen erhalten, z. B. Etain nur Jäger und wohl auch Kavallerie. Die auf diese Angelegenhei­ten bezüglichen Schriftstücke sind namentlich im Ver­kehr mit den Ortsbehörden als streng geheimzuhal­tende bezeichnet.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 10. Jan. DerNeuen freien Presse" wird aus St. Petersburg gemeldet: In Konstanti­nopel gilt es als sicher, die Pforte werde zur Lö­sung der bulgarischen Krisis den Mächten Vorschlä­gen, die Wahl des Fürsten von Bulgarien dem Kai­ser Wilhelm von Deutschland zu übertragen.

Wien, 14. Jan. Aus Odessa wird gemel- meldet: Ein Ukas des Zaren verbot das Tragen bulgarischer Dekorationen.

Im österreichisch-ungarischen Heeresetat hat sich in den ersten 4 Monaten des Etats-Jahres ein Mehr­bedarf von 1215 Millionen ergeben. Da eine Neuberufung der Delegationen zu viel Aufsehen er­regen würde, soll die Summe vorläufig aus anderen Fonds gedeckt werden.

Italic«.

Rom, 9. Jan. In Mailand und Genua hat es vor 3 Tagen so stark geschneit, daß der Verkehr