ordnung Interpellation wegen der Ausweisungen verliest der Reichskanzler eine kaiserliche Botschaft, in welcher als gegen die Reichsverfassung verstoßend dagegen protestiert wird, daß die Reichsregierung in die Landeshoheit Preußens oder eines anderen Bun­desstaates eingreifen könne, wie die von der Mehr­heit des Reichstags Unterzeichnete Interpellation es verlange. Fürst Bismarck begründet die Botschaft mit dem Hinweis darauf, daß nicht bloß Polen, Sozialdemokraten rc., sondern das Zentrum , die stärkste Fraktion, einen Einbruch in die Hoheitsrechte des Königs von Preußen versucht. Auf Antrag Windthorsts aber gegen Richter beschließt der Reichs­tag die Absetzung der Interpellation von der Tages­ordnung.

Berlin, 1 . Dez. Die Aufregung im Reichs­tage ist anhaltend. Die Verlesung der kaiserlichen Botschaft machte der Diskussion kein Ende, worauf der Kanzler an der Spitze des Bundesrates das Haus verließ. Allgemein unterhält man sich über die Fol­gen der heutigen Szene. Windthorst's Provokation, von Richter unterstützt, wird verurteilt.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 28. Nov. In Korneuburg, in der Nähe von Wien, ist heute nacht die große Schau­mansche Weberei, welche 20000 Militärmüntel für Bulgarien demnächst liefern sollte, samt den Vorräten total niedergebrannt. Die Lieferung der Militär­mäntel ist dadurch unmöglich. (Die wackeren Bul­garen werden trotzdem hoffentlich nicht erfrieren.)

Wien, 30. Nov. DieWiener Allg. Ztg." meldet aus Belgrad: Die serbische Timok-Armee steht anderthalb Kilometer vor Widdin. Das Treffen bei Pirot am 27. sei furchtbar gewesen. 80000 Bulgaren griffen die Serben an. Es entspann sich ein entsetzlicher Straßenkampf. Die Serben schossen aus den Fenstern und von den Dächern, die Bul­garen zertrümmerten die Hausthore und drangen über die Treppen, auf welchen im Dunkeln ein entsetzliches Ringen stattfand, in die Häuser ein.

Wien, 1. Dez. Um Oesterreich für die Ver­einigung Bulgariens mit Ostrumelicn zu gewinnen, hat sich England damit einverstanden erklärt, daß Serbien im äußersten Notfälle durch Oesterreich be­setzt werden solle.

Wien, 1. Nov. Eine Meldung desPester Lloyd" besagt, England sagte sich von allen Konfe­renzmächten los. Die Wiederherstellung des statua guo auts sei dadurch fraglich und mit der Parole Europäische Beherrschung der Komplikationen" sei cs vorbei.

Der Wiener Magistrat und die dortige Polizei hat die Abhaltung einer Versammlung, worin Dr. Gustav Jäger seine Anthropin- oder Haarduft­pillen demonstrieren wollte, verboten und ebenso auch dieWeinprobe" untersagt. Jäger erklärte, bei dem Gesandten Schutz zu suchen, was ihm schwerlich etwas helfen wird, da das Verbot mit gesundheits­polizeilichen Gründen motiviert ist.

Pest, 29. Nov. Tisza beging gestern sein lOjühriges Jubiläum als Ministerpräsident. Frankreich.

Paris, 28. Nov. In der Tonkin-Kom­mission erklärte gestern Brisson, das Kabinet sei entschlossen, die Politik der kolonialen Ausdehnung nicht fortzusetzen, aber ebenso sei es entschlossen, alle auf die Räumung Tonkins gerichteten Anträge zurück­zuweisen. Man werde zwar die Truppennachsendun- gen beschränken, nicht aber die Ausdehnung der Ok­kupation; die Räumung Tonkins würde alle hiefür gebrachten Opfer vernichten und das Prestige und die Ehre des Landes verletzen. Brisson gab sodann Einzelheiten über die Pläne der Organisation des Protektorats über jenes Land; er glaubt, daß die finanziellen Hilfsmittel Tonkins mindestens die Ko­sten der Truppentransporte decken werden.

Paris, 1 . Dez. DerGaulois" meldet: Fürst Bismarck äußerte, es werde keinen europäischen Krieg geben, er wolle nicht, daß die letzten Tage des Kaisers durch einen Krieg getrübt würden.

Spanien.

Madrid, 28. Nov. Die Nachricht von der in Aussicht genommenen Bildung eines liberalen Kabinets machte einen vorzüglichen Eindruck. Sagasta ist fest entschlossen, die Gesetzlichkeit der Regentschaft der Königin Christine zu verteidigen. Er glaubte an eine Einigkeit aller Royalisten zur Verteidigung des Trones und vertraut auf die Zukunft, ohne die Schwierigkeiten der Lage zu verkennen.

Madrid, 29. Nov. Beim Eintritt ins kö­nigliche Palais wurde die Königin mit ihren Töch­tern von einer großen Menschenmenge mit den Rufen Es lebe die Königin",es lebe die Prinzessin von Asturien" begrüßt. Die Königin hat den Schwur auf die Verfassung knieend geleistet. Die hohe Frau ist sehr angegriffen. DerTemps"-Korrespondent in Venedig hat eine Unterredung mit Don Carlos im Palast Loredan gehabt. Der Prätendent prophe­zeit der Regentschaft keine Dauer, er werde übrigens nur auftreten, wenn die Republikaner, wie zu erwar­ten, die Ordnung stören.

Madrid, 29. Nov. Am Freitag mittag wurde die Leiche des Königs vom Pardo hieher übcrgeführt. Hier wird die Leiche aufgebahrt und dem Volke der Zutritt gewährt. Königin Christine wollte sich anfänglich in ein Kloster zurückziehen, aber die könig­liche Familie hat sie von diesem Vorhaben abgcbracht. Die karlistischen und republikanischen Blätter führen eine besonnene Sprache. Es wird bestätigt, daß die Königin sich in gesegneten Umständen befinde. Doch ist das Stadium dieses Zustandes nicht vorgeschritten genug, um nach der am hiesigen Hofe üblichen Ge­pflogenheit mit der offiziellen Publikation desselben vorzugehen.

Madrid, 29. Nov. Am 26. November wurde das Uebereinkommen bezüglich der Karolinen-Jnseln mit Deutschland unterzeichnet. Dies war der letzte Regierungsakt des Ministeriums Canovas. Man sagt hier, Kaiser Wilhelm habe darauf bestanden, daß die Angelegenheit schleunigst aus der Welt geschafft werde. Die englische Regierung erklärte sich zur Anerkennung der Souveränetät Spaniens über die Karolinen und die Pelew-Jnseln bereit, falls auch England die Deutschland gewährten Vorteile zuge­standen werden.

Belgien.

Brüssel, 27. Nov. Die belgische und fran­zösische Regierung haben ein Uebereinkommen in der Münzfrage getroffen und den anderen Staaten der Union unterbreitet.

England.

London, 28. Nov. DieTimes" meldet aus Konstantinopel: Einer hier eingegangencn au­thentischen Meldung zufolge wurde infolge der In­tervention seitens der Türkei, Oesterreichs und Ruß­lands eine Waffenruhe zwischen Serbien und Bul­garien vereinbart.

London, 30. Nov. Bei dem Abschiedsdiner zu Ehren des Grafen Münster brachte Lord Salis­bury einen Trinkspruch auf den deutschen Kaiser aus, betonte die zwischen Deutschland und England beste­henden freundschaftlichen Beziehungen und wies auf die Thatsache hin, daß beide Reiche die beste Bürg­schaft für den europäischen Frieden bieten. Das Bündnis zwischen England und Deutschland, das die Herzen beider Völker labe, sei durch den Grafen Münster befestigt worden. Den Toast auf den Gra­fen Münster brachte der Herzog von Bedford aus, welcher den Vorsitz führte.

In London ist die 17jährige Nichte des Marquis of Lorne, Miß Ellen Cosdellda, eines der schönsten Mädchen Englands und Besitzerin eines großen Vermögens, mit einem Kutscher Anderson, der verheiratet und Vater von 6 Kindern ist, ent­flohen. Die Polizei fand das Paar in einer arm­seligen Wohnung und verhaftete es. Ellen schluchzte und rief: Ich liebe ihn und will mich nicht von ihm trennen.

Bluthunde. Die Bluthunde, welche in Lon­don zuweilen bei polizeilicher Nachforschung in Ver­wendung kommen, haben sich in neuerer Zeit als sehr wertvoll bewährt, und man ist zu dem Ent­schlüsse gelangt, Exemplare von allerreinster Zucht stets vorrätig zu halten. So machte es großes Auf­sehen , als es am 19. ds. einigen Bluthunden ge­lang, das verschwundene, ermordete Kind des Ehe­paares Wittey aufzufinden. Haus und Garten wa­ren wochenlang vergebens durchforscht worden, da brachte Inspektor Moore zwei Bluthunde. Die Hunde schnüffelten eine Weile herum, stürzten sich dann unter fürchterlichem Geheul in eine Rum­pelkammer, scharrten an dem Fußboden; die Polizei ließ die Bretter entfernen, und zwei Fuß unter dem Erdboden fand man thatsächlich die Leiche des un­glücklichen Knaben. Nebenbei sei bemerkt, daß das arme Kind von seinen eigenen Eltern ermordet wurde. Rußland.

Petersburg, 29. Nov. Eine Versammlung

von hier lebenden deutschen Reichsangehörigen stellte ein Programm für das am 21. Dez. a. St. zu be­gehende Jubiläum des Kaisers Wilhelm. Darnach soll am Sonntag, 22. Dez., in einer hiesigen deut­schen Kirche feierlicher Dankgottesdienst abgehalten werden und am Nachmittag ein Festdiner mit Damen stattfinden; ferner soll an den deutschen Kaiser eine künstlerisch ausgesührte Adresse abgesandt werden, zu welcher Sammlungen alsbald zu eröffnen sind. Die Sammlungen werden nicht nur auf den Petersbur­ger Bezirk beschränkt, sondern sollen mit Genehmigung des Kaisers von Rußland unter den Deutschen im ganzen russischen Reiche stattfinden. Ein etwaiger Ucberschuß der Sammlungen wird zu wohlthütigen Zwecken zu Gunsten der Deutschen in Rußland ver­wendet werden.

Warschau, 28. Nov. Gestern begann der Prozeß gegen die sozialrevolutionäre Verbindung ^

Proletariat". Die Verteidigung haben 14 hiesige i

Anwälte und 3 aus Rußland übernommen. Vorge­laden sind 113 Zeugen von Seiten der Anklagen und 80 seitens der Verteidigung. Der Prozeß wird 20 Tage dauern.

Serbisch-bulgarischer Kriegsschauplatz.

Sofia, 29. Nov. Eine Depesche des Fürsten Alexander besagt Folgendes: Mit Rücksicht ans die Kollektivnote der Großmächte und auf die Erklärung des Grafen Khevenhüller, der seitens seines Souve­räns erschien und erklärte, daß, wenn wir vormar­schieren, die österreichischen Truppen nach Serbien den serbischen Truppen zu Hilfe kommen werden; ferner im Hinblicke darauf, daß unser siegreicher Einzug in Pirot unsere militärische Ehre wahrt und unseren Ruf sichert, habe ich eingewilligt, den Befehl zum Aufhören der Feindseligkeiten zu erteilen, um sonach Verhandlungen wegen Waffenstillstandsbcdingungen zu eröffnen.

Belgrad, 30. Nav. Die Rüstungen und Truppensendungen an die Grenze dauern fort. Ser­bien will erst abrüsten, wenn ein neuer Gouverneur für Ostrumelicn, der aber nicht Fürst Alexander sein darf, ernannt ist.

Der Panzer des Königs Milan. Vor­sicht ist die Mutter des Porzellans, denkt der König von Serbien und da bestellte er sich vor der Kriegserklärung bei einem Wiener Fabrikanten einen Panzer. Der Auftrag wurde getreulich und rasch ausgeführt. Der Kostenpreis des Panzers soll 600 Gulden betragen, und der Panzer den Auftraggeber in jeder Hinsicht vollständig befriedigt haben. Ob der letztere auch schon in der Lage war, den prakti­schen Wert des Werkes zu erproben, ist nicht bekannt.

Pirot, 1. Dez. Der abermalige Angriff, den die Serben am Sonntag im Widerspruch mit dem Abkommen wegen der Waffenruhe auf Widdin mach­ten, rief im bulgarischen Lager große Gereiztheit hervor. Der Fürst Alexander brachte den Vorgang noch gestern abend durch eine Depesche zur Kenntnis der Vertreter der Mächte und zeigte gleichzeitig dem Grafen Khevenhüller an, er halte sich seines Wortes entbunden, wenn serbischerseits die Feindseligkeiten nicht sofort aufhören.

Türkei.

Konstantinopel, 28. Nov. Nach einem Telegramm des Reuter'schen Bureaus forderte die Pforte den Fürsten Alexander telegraphisch auf, die Bewegungen gegen die Serben einzustellen.

Asien.

Kalkutta, 28. Nov. In Nepal ist ein Ausstand ausgebrochen. Der erste Minister ist ge­tötet und der Maharadjah zum Gefangenen gemacht.

Der englische Vertreter befindet sich gegenwärtig auf einer Inspektionsrei se._ _

Handel K Mer Kefir.

Stuttgart, 30. Nov. (Landesproduktcnbörsc.) Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, Niederbayer. 18 75 -1

bis 19 Gerste, Nördlinger 17 75 Haber 1314

Durchschnitts-Mehlpreise Pr. 100 Klg. inkl. Sack pro Nov. 1885. Nr. 1 28-29, Nr. 2 28-26.50,

Nr. 3 24-25, Nr. 4 20.50-21.50, Suppengries 30

bis 31, Kleie mit Sack 8.50 per 100 Kilo je nach Qualität.

(Konkurseröffnung.) Samuel A. Marx, Handels­mann in Freudenthal, (Besigheim.) Gottfried Reusch, Bauer ! von Eningen, gebürtig von Neuhauseu (Urach), entwichen. ! Karoline Haas, Witwe in BopfingeN, Inhaberin der Firma Rieme nfa brik Bopfingen. __ ^

Die Möüngskinder. Nachdruck

Novelle von M. Gerb ran dt. verboten. >

(Fortsetzung.)

Hausmann kehrte langsam zurück, blieb am Tisch stehen, stützte beide Hände auf die Platte und (