Hoffnung Solcher sind, die sich in allen andern Instanzen beschwert und verlassen fühlen. Der Schwerinstag ist der Mittwoch.
Berlin» 2l. Nov. („Nu aber raus!") An einem Stammtische einer Bierwirtschaft wurde folgende Rärselfrage zur Lösung gestellt: „Welcher Unterschied ist zwischen dem jetzigen preußischen Minister des Innern und dem jetzigen Leibarzte des Reichskanzlers vorhanden?" Die unsindbare Antwort lautet dahin: „Der jetzige Minister des Innern (von Puttkammer) ist der Vetter des Kanzlers, der jetzige Leibarzt aber dessen Entfettcr!" Die Wirkung, welche dieser Kalauer auf alle Anwesenden machte, war geradezu verblüffend. Erst nachdem sich die Gesellschaft von dem ihr zugesügten Schrecken erholt hatte, raffte sie sich zu dem vernichtenden Urteilsspruch auf: „Nu aber raus!"
Berlin, 21. Nov. Vor dem Gymnasium hält ein Wagen mit einem Esel bespannt. Der Besitzer des Fuhrwerks hat sich entfernt, und da gerade Freiviertelstunde ist, so vergnügen sich die größeren Zöglinge, Freund Langohr auf allerlei Art zu necken. Ein kleiner Quartaner steht als Zuschauer dabei und freut sich der Spässe seiner Kameraden. Plötzlich kehrt der Besitzer des geneckten Esels zurück; die größeren Knaben ergreifen die Flucht, und nur der kleine Quartaner, im Gefühl seiner Unschuld, bleibt ruhig stehen. Doch das Unglück schreitet schnell! Der Mann, keinen anderen Gegenstand seiner Rache erspähend, gibt' dem armen unschuldigen Jungen eine -Ohrfeige. Heulend läuft dieser ins Haus hinein, um dem Rektor sein Leid zu klagen und ihn als Rächer seiner Unschuld anzurufen. In der Eile und Bestürzung rennt er jedoch an einen die Treppe gerade heruntcrkommenden Lehrer, und — schwupp!
— hat er die zweite Ohrfeige. In seiner Bedrängnis eilt der arme Knabe zum Rektor. Von diesem um die Ursache seines Heulens gefragt, bringt er endlich stotternd heraus: „Ach Gott, der Herr Lehrer hat mir eine Ohrfeige gegeben und — ich habe dem Esel doch gar nichts gethan!" — Schwupp, hat er die dritte Ohrfeige. Wie arg mag dem armen Jungen unbewußt der Glaube an Gerechtigkeit erschüttert worden sein.
Berlin, 25. Nov. Der Kaiser hat, wie die Blätter berichten, beim Empfang des Reichstags- Präsidiums die drei Herren freundlich begrüßt, in konventioneller Weise bedauert, daß Herr v. Levetzow nicht wieder gewählt sei, unter anderem geäußert, daß der Ausfall der Wahlen diesmal schwer zu berechnen gewesen wäre und versichert, daß er den Verhandlungen dcS Reichstages mit großer Teilnahme folge.
Berlin, 25. Nov. lieber die erste Reichstagssitzung äußert sich der konservative „Reichsbotc", das Organ Stöckers, in folgender Schürfe: Herr Windthorst soll nur so weiter manövrieren, Schulter an Schulter mit Demokratie und Sozialdemokratie
— so dürften doch wohl auch bald die ernsthafteren konservativen Männer im Centrum sich fragen: Wohin gelangen wir unter solcher Führung? Will Herr Windthorst absolut im Bunde mit der Demokratie eine Oppositionspolitik deö Acrgers und Trotzes und der Ranküne treiben — wohlan, wir haben nichts dagegen; denn wir wissen, daß er dann bald am Ende ist. Es war ein Sieg der klerikal-freisinnigen Mehrheit — gewiß, die Welt weiß nun, daß eine solche existiert. Noch ein paar solche Siege der klerikal-freisinnigen-sozialdemokratischen Majorität und für das Zentrum dürften ernste Stunden kommen!
Berlin. 25. Nov. Ein Artikel der Nordd.Allg. Ztg.über die Braunschweigische Erbfolgefrage führt aus, es liege kein Beweis vor, daß der Herzog vvu Cum- berland den ernsten offenen Willen habe, den früheren Standpunkt als unversöhnlicher Gegner von Kaiser und Reich aufzugeben. Die Regierung könne bei der engen Verbindung dcS Herzogs mit dem, Kaiser und Reich feindlichen Centrum nicht aus Braun- s bweig das Hauptquartier Welsischer Politik machen l issen und nicht den Frieden von 45 Millionen Menschen den Tonderinteressen eines noch so alten vornehmen Hauses opfern, so entschlossen dieselben auch sonst für das monarchische Prinzip und die Fürstenrechte eingetreten sei.
Berlin, 26. Nov. Der Reichstag nahm mit 180 gegen 99 Stimmen den Antrag auf Gewährung von Diäten für die Reichstagsmitglieder an. Bismarck hatte sich gegen den Antrag ausgesprochen. Die Diätenloügkcit sei ein Korrelat des Wahlsystems, sie beruhe auf Kompromissen unter den Negierungen,
man solle deshalb nicht alljährlich an der Verfassung rütteln. Die Ausschließung der Berufsparlamentarier vöm Reichstag würde nur vorteilhaft sein. Die Ses- sionen würden dadurch abgekürzt, das Land habe ein Interesse an kurzen Sessionen. Die einzelnen Parteien kämpsten um die Herrschaft; 157 Reichs- tagsmitgliedec kämpften für Kaiser und Reich, 100 für die Herrschaft der Kirche; die Freisinnigen, Sozialisten und BolkSparteiler halte er in seinem Innersten für Republikaner. Seine frühere Besorgnis, der Einheit Deutschlands könne einmal von den Regierungen Gefahr drohen, habe sich unbegründet erwiesen, in den letzten zehn Jahren habe er aber keinen Reichstag gesehen, den man ein nationales Band nennen könnte. Der Reichskanzler spricht sich aus das Entschiedenste gegen die von den Freisinnigen angestrebte parlamentarische Regierung aus, er hebt hervor, daß er nicht nur mit dem Reichstag, sondern auch mit dem Vundesrat in Einklang sein müsse, welcher eine sehr wichtige Körperschaft sei, ohne welche nicht vorwärts zu kommen sei.
Das höchste Wohnhaus Berlins und zugleich eine der gewaltigsten Mietskasernen dürfte nach dem Urteil Sachverständiger der erst vor kurzem fertigge- stellke Neubau au der Thurm- und Lübeckerstcaßen- Ecke sein, welcher sich mit der Dachwohnung, welche sich in einem turmarligen Erker befindet, mehr ats 100 Fuß hoch in die Lüfte streckt. Volle sieben (!!) Stock am Vordcrgebäude und sechs Stock in den Hinter- und Seitengebäuden sind mit Wohnungen besetzt, die obersten in einer geradezu schwindelerregenden Höhe.
Kreuznach, 23. Nov. Es dürfte wenig bekannt sein, daß es in hiesiger Gegend einige Bäche giebt, die Gold, wenn auch in sehr geringem Maße mit sich führen. So wurde in dem sich in die Nahe ergießenden Guldenbache bei Stromberg und in mehreren der Mosel zufließenden Bächen wiederholt gediegenes Gold gefunden. Dasselbe kam aber nicht als Staub oder feiner Sand, sondern in größeren Stückchen vor, die äußerlich gcschiebeartig abgeschliffen sind. Wahrscheinlich ist der Name Gnidenbach hierzu in Beziehung zu bringen. Ein Lager, von dem aus diese Goloabspüluugen ausgeheu. ist bis jetzt noch nicht entdeckt worden.
In Stettin ist das Thaliatheatec gänzlich abgebrannt und ist leider nicht versichert, weil die Versicherungsgesellschaften durch die Riugtheater-Kata- strophe die Versicherung von 84 000 Mark gekündigt hatten.
Oesterreich-Ungarn.
Die Czechisierung Wiens scheint eines der Hauptziele der czechischcu Propaganda zu sein. In Wien fand dieser Tage eine Versammlung der dort lebenden Czechen statt, in welcher die Redner darauf hinwicsen, daß Wien ursprünglich slavisch gewesen sei und wieder slavisch werden müsse, es gelle daher für die Czechen nur, in Wien ein alles, unveräußerliches Erbe anzulreleu. Ein CzechischerSchnl- lehier befürwortete die Errichtung czechischcr Volksschulen in jedem Stadtbezirke WieuS und wurde auch in diesem Sinuc eine Resolution angenommen. Ecu anderer Redner meinte noch, der Erfog der Czechen sei bei der bekannten politischen Trägheit der Deutschen Wiens nur um so gewisser, was mit höhnischem Geiüchiec und allgemeinem Händeklatschen ausgenommen wurde. In der That, es ist schon weit gekommen in der deutschen Stadt Wien, daß sie sich von einer kleinen czechischeu Kolonie so etwas bieten lassen wuß.
Unglückliche Feldherren hat zu allen Zeiten leicht der Verdacht des Verrats getroffen. Arthur Görgey, der Führer der ungarischen Revolntiousarinee, mußte den Schimpf eines VaterlandsvccräterS 35 lange Jahre tragen, weil er 1849 bei VilagoS die Waffen gestreckt hatte. Er war seitdem ein toter Mann und lebte kümmerlich in einem kleinen Neste. Vorige Woche haben viele alle Kriegskameraden, unter ihnen Klapka und Audrassq, seine Ehre gerettet. Sie über- brachten ihm eine Adresse, in welcher sie mls Zeugen erklären, er habe damals nur der eisernen Notwendigkeit nachgegeben und sei nichts weniger als ein Verräter.
Frankreich.
Paris. 25. Nov. Angesichts des fast gänzlichen Erlöschens der Cholera stellte auch der Scine- prüfekt heute die Veröffentlichung dcr Cholcraberichte ein.
Paris, 26. Nov. Gleich nach Schluß der Börse wurde das Gerücht verbreitet, der deutsche
Kaiser sei plötzlich gestorben, worauf die Rentencourse sofort wichen. Die Nachricht war gestern abends in den Clubs und in den Bureaus der Journale, auch gegen Schluß der Sitzung in den Couloirs der Kammer verbreitet. Den Reportern, welche auf der deutschen Botschaft um Auskunft gebeten hatten, ließ Fürst Hohenlohe antworten, er könne glücklicherweise die Nachricht entschieden dementieren, da er im Besitze eines officicllen Berliner Telegramms von 2 Uhr nachmittags sei.
Die Versammlung der unbeschäftigten Arbeiter in Paris, welche am Sonnabend dort statlhatte und von der schon berichtet ist, ist unter recht bedrohlichen anarchistischen Anzeichen verlausen. Der Aufruf zur Versammlung schloß: „Wir wollen nicht verhungern, während die Speicher mit Getreide überfüllt sind. „Wir wollen nicht auf der Straße liegen, wenn Tausende von Wohnungen leer stehen. Wir wollen nicht in Lumpen frieren, wenn die Lüden mit Kleidungsstücken angesüllt sind. Arbeiter! Gehen wir alle zur Versammlung der unbeschäftigten Arbeiter, um ein wirksames Mittel für unsere schreckliche Lage zu suchen." In der Versammlung wollten alle Redner, daß man nichts mehr von dem Parlament verlange, das aus Spitzbuben, Schurken und Schund zusammengesetzt sei. Ein junger Bursche von 16 Jahren bestieg nun die Tribüne, um die Versammlung aufzufordern, daß sie nicht ohne die Waffe in der Hand den Saal verlasse. Ein anderer Arbeiter will Versöhnung predigen, wirs aber unter furchtbarem Geheul vor die Thürc gesetzt. Der nächste Redner verlangt, daß man aus die Straße hiuabsteige, denn die Regierung sei eine Baude von Elenden, die nichts thun werde. „Das Volk muß sich erheben mit den Waffen in der Hand. So werden wir siegen oder sterben." Andere Redner verlangen nun, daß man die Läden plündere und sich mit allem Notwendigen versehe. Ein anti-anarchistischer Arbeiter spricht gegen diese tollen Pläne, wird aber ans dem Saale entfernt. Furchtbarer Tumult. Der Lärm legt sich dann etwas und die Versammlung nimmt folgenden Beschluß an : „In Erwägung, daß das Kapital in wucherischen Händen ist, welche den Genuß der Erzeugnisse der Arbeiter haben; in Erwägung, daß das persönliche Eigentum ein Hinder- niß für die Forderungen der Arbeiter ist. erklären die im Saal Levis am 23. November versammelten revolutionär-sozialistischen Arbeiter, daß man nichts von der Regierung selbst verlangen darf und die Arbeiterpartei sich in einem gegebenen Augenblick mit den Waffen in der Hand ihr Recht verschaffen muß. Hiermit wurde die Sitzung aufgehoben.
Italien.
R o m, 23. Nov. Heute Vormittag kam das Königspaar hier an ; zu seinem Empfange harte sich eine ungeheure Menschenmenge eingefnnden, um dem Königs anläßlich seiner heldenmütigen Halinng bei den Verheerungen der Cholera eine Huldigung darzubringen. Studenten- , Arbeiter- , Krieger- und Schützenvercine mit mehr als hundert Fahnen bildeten vom Bahnhof bis zum Schlosse eine dichte Hecke. Als sich der königliche Wagen in Bewegung setzte, wurde er-von der jubelnden Volksmenge in die Mitte genommen und unter rauschenden Hochrufen bis zum Schlosse begleitet, vor welchem gewiß hunderttausend Menschen sich gestaut hatten. Die Königin war blaß vor Ergriffenheit. In der Nähe des Schlosses überreichte ihr eine arme Frau ein Gesuch und stürzte dann ohnmächtig zu Boden. Die Königin sprang auf und winkte der den Wagen umgebenden Volksmenge , dieselbe zu halten; bas Weib erholte sich aber und wurde fortgetcagen. Der König und oie Königin erschienen zwei Mal auf dem Balkon. Die Bolksmassen blieben länger als eine Stunde auf dem Platze. Abends fand ein Fackelzug statt.
England
Eine neue Lichtquelle ist vor einiger Zeit erfunden worden, welche dem elektrischen Licht erfolgreich Konkurrenz zu machen droht. Es stl dies das svgl „P l a ti n gl nh li cht", von Mr. Lewis in London entdeckt, welches durch Modifikation der Konstruktion von gewöhnliche» Lenchtgaslaternen erlangt wird. Das Verfahren ist das folgende: U.wer die Oeffnung eines Bnnscn'schcn Brenners bringt man einen spitz zulaufenden Kegel von Platingaze, durch den also das Gas passieren muß. Steckt in::, den Brenner an, so wirb das Platingewebe ganz ichwach rotglühend. Auch wenn man einen Glaszylinder darüber bringt, bemerkt inan keine wcyeutlichc Acnde-