61. Jahrgang.

Yro. 40.

Amts- unä IntelligenzHlutt für äen Kezirlr.

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Dienstag, äen 6. Äprik 1886.

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'UotttifcHe Wachvichterr.

Deutsches Reich.

In dritter Lesung ist gestern das Sozialistengesetz mit 169 gegen 137 angenommen worden; dasselbe bleibt also für die nächsten zwei Jahre in Kraft. Es ist nun aber ganz natürlich, daß aus Anlaß der jüngsten Verhandlungen auch die Frage der sozialen Reform wiederum in Anre­gung gebracht wird. Niemand kann sich ja darüber täuschen, daß derjenige Zug der Zeit, welcher der ursächliche in dem belgischen Aufruhr war, in allen Ländern zu Tage tritt: der Haß gegen eine Gesellschaftsordnung, durch welche die Arbeiter sich da, wo sie sozialistischer Aufreizung anheimgefallen sind, ihren Anteil an den irdischen Gütern widerrechtlich vorenthalten wähnen. Und wer etwa zweifelte, ob dieser Haß auch in der deutschen Sozialdemokratie lebt, der brauchte nur diejenigen Stellen der letzten Rede Bebels zu lesen, an denen die wilde. Leidenschaft durch die dünne Decke äußerer Ruhe brach, mit der Bebel sonst zu sprechen pflegt. Nun hat Deutschland, wie man aus der gestrigen Erklärung Puttkamers aufs neue ersah, zwar die Macht, jede praktische Bethätigung dieses sozialistischen Hasses gegen die Gesellschafts­ordnung niederzuhalten; aber dieser Umstand enthebt nicht der moralischen Verpflichtung, Maßregeln zu ergreifen, welche geeignet sind, die Haßerfüllten zu versöhnen und sie vor Ausschüttungen zu bewahren, die ihrerseits für die Beteiligten von ?><- . >,,,p Geg ensätze erst

recht verschärfen würden. Mittels des Sozialistengesetzes allein ist diejes'Zlel nicht zu erreichen, dazu bedarf es vor allem der Verbreitung der Ueberzeu- gung in der arbeitenden Klasse, daß Staat und Gesellschaft durchaus von dem Willen beseelt sind, die gerechten Forderungen der Arbeiter zu erfüllen. Dies aber ist nur mittels eifrigen Förderung des sozialreformatorischen Werkes möglich, welches vom Kaiser selbst in Anregung gebracht wird.

DieFreisinnigen" pflegen bekanntlich, wenn ste Bismarck eins anhängen wollen, auf den deutschen Kronprinzen sich zu beziehen, was ihnen jedoch noch jedesmal schlecht bekommen ist. So wird jetzt gegenüber den Angriffen Richters auf eine Mitteilung des Frkf. I., daß der Kronprinz sich entschieden gegen den Standpunkt der Vorlagen zum Schutze des Deutsch­tums in den Ostseeprovinzen im Staatsrat ausgesprochen habe, von der Nat.Z. festgestellt, daß der Kronprinz ausdrücklich seine Zustimmung zu den Vorlagen ausgesprochen und daß der Reichskanzler für die ihm ge­zollte Billigung dem Kronprinzen neulich seinen Dank abgestattet habe.

Belgien.

Eine kurzweilige Beschreibung der belgischen Bürgergarden entwirft der Berichterstatter rer Nat.Z. Er schreibt unterm 29. März hier­über aus Charleroi:Wir waren gerade vor dem Rathause, als eine Kom­pagnie Bürgerwehr vor demselben aufgestellt wurde, die große Trommel machte einen Heidenlärm. Es waren wunderbare Gestalten diese Bürgerwehr­leute von Charleroi, der Eine trug den langen Winterüberzieher, der andere war im kurzen Jaquet, der Dritte endlich war mit einem hechtgrauen Sommer­überzieher bekleidet. Der Eine rauchte nachlässig die Zigarre, der Andere studierte emsigL'Union de Charleroi", dieser zog wiederum dieGazette de Charleroi" vor. Alle waren mit einem Seitengewehr bewaffnet, in dem Lederriemen hing das Gewehr über der Schulter, hier von rechts nach links, dort von links nach rechts. Die Kopfbedeckung war ein hoher Hut mit roter Quaste, der Hauptmann hat brennend rote Schleifen an den Beinkleidern. Während wir also mit mehreren HundertenGröoistes" diese Gruppe musterten, erschien plötzlich ein Beamter und forderte uns auf, in das Rathaus zu kommen. Lebendig ging es hier zu; der Chef der Bürgerwehr hielt das eine Ohr an das Telefon, von allen Seiten wurden ihm Nachrichten über den Stand der Sache gemeldet. Man muß es der Bürgerwehr lassen, sie war auf dem Posten und hat in dieser kritischen Zeit recht viel genützt."

Hages-Weuigkeiten.

, Calw, 5. April. Am letzten Samstag nachmittag starb hier uner­wartet schnell Hr. Partikukie^-A oh- auber. Schon seit einigen

Jahren nahmen die Kräfte des Verstorbenen mehr und mehr ab, sotzaß die geschwächte Constitution ein plötzlich eintretendes Katarrhfieber nicht mehr zu überwinden vermochte. Die überaus zahlreiche Begleitung zu seinem Grabe, von Hoch und Nieder, gab Zeugnis von der stetigen Opferfreudigkeit des Verblichenen, wo es galt, Gutes und Schönes zum Nutzen der Stadt und Gemeinde zu schaffen, aber auch die Armut klopfte nicht vergeblich an seine Thüre.

* Calw, 5. April. Die im letzten Wochenblatt angekündigte Zu­sammenkunft benachbarter Schwarzwaldvereine fand gestern statt, mit der Beschränkung jedoch, daß Stuttgart nur durch den Vorstand des dortigen Bezirksvereins, Hrn. Baurath Rheinhard, Neuenbürg aber gar nicht vertreten war, wogegen aber die Sektion Pforzheim des badischen Schwarz­waldvereins einen reichen Zuzug von 24 Mitgliedern brachte, der sich nach­mittags in Hirsau und Liebenzell noch ansehnlich vermehrte. Daß die er-

(Nachdruck verboten.)

Die Falschmünzer.

Kriminal-Roman von Gustav Lössel.

(Fortsetzung.)

Ich habe Sie ausreden lassen, Leuchtmann", sprach Etwold mit er­zwungener Ruhe,nicht um die Gerechtigkeit Ihrer Klagen zu prüfen, sondern nur um Ihnen zu zeigen, wie wenig würdig Sie Ihrer Stellung und meines Ihnen bewiesenen Vertrauens waren."

Ein hämisches Lächeln umspielte auf eine Sekunde die zusammengepreßten Lippen Duprats, während sich auf Leuchtmanns Antlitz Staunen und Ent­rüstung malten.

Anstatt diesem verdienstvollen jungen Manne nachzueifern", fuhr Etwold fort,haben Sie ihm immer nur opponiert und es auch sonst an der schul­digen Achtung vor meinen Wünschen fehlen lassen. Mit Ihrem heutigen Erguß haben Sie sich vollends das Urteil gesprochen. Sie sind mit einem halben Jahresgehalt entlassen, das ich Ihnen mit Rücksicht auf Ihre traurigen Familienverhältnisse und Ihre langjährige Geschäftstätigkeit in meinem Hause zahlen will. Ich erwarte von Ihnen jetzt aber ein besonderes, anständiges Betragen, und daß Sie ihren Platz noch heute räumen werden."

Leuchtmann wollte noch etwas erwidern.

Kein Wort mehr!" brauste Etwold auf.Oder ich entziehe Ihnen auch diesen letzten Beweis von Wohlwollen. Gehen Sie."

Es gährte noch in der Brust des tiefgekränkten Mannes und gerne hätte er seinem gepreßten Herzen Luft gemacht. Aber er gedachte seiner armen Lieben daheim, und das zwang ihn, zu schweigen. Nur noch einen Blick warf er von dem Chef auf den Prokuristen, und daraus sprach Alles, was er hätte sagen können; er enthielt eine Warnung für Etwold, eine Drohung für Duprat. Natürlich machte das auf Beide keinen Eindruck weiter.

Als er hinaus war, nahm Etwold die unterbrochene Unterhaltung wie­der auf.

Also nicht mein Brief, sondern ein glücklicher Zufall hat Sie, mein lieber Duprat, zu einer Zeit zurückgeführt, wo ich Ihres Rates nicht wohl entbehren kann", sagte er im Tone ungeschwächten Wohlwollens.Zuvörderst nun eine Frage: Was führte sie nach M.?"

Erraten Sie es nicht schon, Herr Kommerzienrat?" fragte Duprat sanft. Er schloß mit einem bedeutungsvollen Blick auf den Chef die Thür.

Etwold's Züge verfinsterten sich.

Mein Sohn", sagte er gedankenvoll,ich hätte mir's denken können. Er hat seine frühere Lebensweise auch in M. beibehalten?"

Der junge Mann räusperte sich verlegen. Es schien, als wenn er mit der Sprache nicht recht heraus wolle.

Reden Sie ganz offen", ermutigte ihn Etwold.Was ist's mit Eouard?"

Herr Kommerzienrat", begann Duprat mit vollem Bedacht,es will mich bedünken, als ob schwere Zeiten über das Haus Etwold hereinzubrechen drohen; und das mag Ihnen erklären, warum ich zögere, Ihnen diese mir höchst schmerzliche Entdeckung zu machen."

Ich kenne und schätze die Teilnahme, welche Sie an den Vorgängen in meinem Hause stets genommen haben. Sie waren der erste, der mich auf die Gefahren, die meinem Sohne in dem Weltstadtleben drohten, auf­merksam machte, der mir bewies, daß er hier nicht bleiben könne, wenn ich meinen ehrlichen alten Namen nicht mit Schande bedeckt sehen wollte. Und wenn Sie jetzt fortfahren, Eduard zu beobachten, so erkenne ich das an. Ich weiß ja, daß Sie aus den lautersten Motiven handeln. Wie also führt sich mein Sohn in M. ?"

Darf ich ganz ohne Rücksicht sprechen?"

Ich verlange sogar Ihr volles Vertrauen. Das Zweiggeschäft in M. ist nicht unbedeutend, und ist es mir nicht gleichgültig, wie der derzeitige Chef