sind sie, während sie diesen Kampf um hohle Nüsse! ausfochten, leer ausgegangen bet der Theilung der > Colonialb^rte. Und heute? Nun, heute suchen sie einander, statt die große Frage der Gründung von Colonien, ohne welche eine Großmacht jetzt noch weniger existiren kann, als früher, eine Frage, zu deren Lösung die Ueberfülle unserer Volkskraft so dringend auffordert, ja, statt diese Frage in die Hand zu nehmen und diese Arbeit zu thun, suchen sie einander abermals todt zu schlagen, wenigstens mit Worten. Nur lauten die Losungen jetzt: „Hie Monarchismus!" und „Da Parlamentarismus!" oder „Hie Culturkampf!" und da: „Freiheit der Kirche" oder „Hie Manchester" und: „Da Schutzzoll!" oder „Hie zweijähriger Etat!" und: „Da einjähriges Budget!" Derweilen knüpfen Engländer, Franzosen, Russen, Holländer in das Netz ihrer Colonialmacht eine Masche nach der andern. Aber was thut das? Wir haben keine Zeit dazu. Wir müssen ja unsere „deutschen Streitigkeiten" zum Austrag bringen. — Wer ist der, der so fragt? Ein grilliger Parteimann? Nein, der bekannte Johannes Scherr, der Deutsche in der Schweiz, der an dem lebenslangen Studium der Geschichte der Völker, der großen Männer der Geschichte und der Kämpfe, welche die Entwickelung hemmen oder fördern, sein Auge gebildet und sein Urtheil geschärft hat.
Daß der große Schweiger Moltke auch Schlagfer- tigkcit der Rede besitzt, beweist wieder folgende Anekdote. Der Kaiser fragt einen Cadetten in Gegenwart Moltkes, was er werden will. Der Cadett antwortet: Offizier. Warum denn nicht Feldmarschall? Nun, denn, Feldmarschall, Ew. Majestät. Haben Sie gehört, Graf Moltke, jagte der Kaiser zu diesem gewendet, der will auch Feldmarschall werden. Moltke bemerkte lächelnd, einstweilen fehle dem Cadetten noch die Vorbedingung dazu, nämlich der Tornister, in welchem der Marschallsstab verborgen sei.
Hexenwahn im neunzehnten Jahrhundert. Aus Westprcußen geht der „Voss. Ztg." eine Mittheilung zu, die, so unglaublich sie auch klingt, doch buchstäblich wahr ist. In dem Dorfe Sch önbeck lag die 10jährige Tochter des dortigen Tischlers S. schon 3 Jahre bettlägerig darnieder. Der Vater des Mädchens behauptete, seine Tochter sei durch eine Frau M., die dem Mädchen Aepfel und Birnen gegeben habe, behext worden. Auf verschiedene Anfragen wurde gerathen, der M. Blut zu entziehen und dieses dem kranken Mädchen zu geben, was zur Folge haben würde, daß sie sofort gesunde. Von den Orts schössen vorgcladeu, wurde die M. gezwungen, von ihrem Blute dem Kinde zu geben. Vermittelst eines Nadelstiches wurden ihrem Finger 3 Tropfen Blut entzogen, die das Kind einsog. Diese Röthigung brachte den Betheiligten in einer Strafkammersitzung 3 Tage Gefäng- niß ein. Meß Alles ist im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts noch möglich!
Zur Sonntagsheiligung. In Calbc a. d. S. standen dieser Tage mehrere Einwohner wegen Uebertretung der Sonntagsverordnung vor Gericht. Originell war die Ver- theidigung des einen der Angeklagten, welcher nur eine Zahlung von 1 30 für bereits früher verkaufte Maaren am Abend
eines Sonntags in seinem Verkaufslokale in Empfang genommen hatte: „In der Bibel heißt es, wenn Deines Nächsten Ochse oder Esel am Sabbath in den Brunnen fällt, so sollst Du ihn herausholen. Diese Arbeit ist doch jedenfalls störender, als wenn man 1 -4L 30 cinnimmt". Er wurde freigesprochen.
Frankfurt a. M., 8. Juni. Im Zoologischen Garten ißt eben allabendlich eine Gesellschaft Mexikaner zu Nacht, wobei kein Kouvert unter 10 ^ kostet. Ist um 10 Uhr das Conzert beendet, so schicken sie dem Kapellmeister 100 und bitten ihn freundlichst, bis 11 Uhr weiter spielen zu wollen. Das geschieht denn auch zur Freude des Publikums, welches nun länger als sonst im Garten bleibt.
500 Handlungsreiscnde waren inCöln beisammen und haben einen feierlichen Protest an den Reichskanzler und den Reichstag erlassen gegen die Aeußerung des Abg. v. Köllcr im Reichstage: „Die Hcmdlungsreiscnden sind diejenigen Elemente, die dem Kaufmannsstand keine Ehre machen."
Ein furchtbarer Waldbrand hat in den 2^/r Stunden von Sterkerade entfernt liegenden Königl. preuß. Waldungen stattgefunden. Die verbrannte Fläche wird ans 3000 Morgen geschätzt.
Oesterreich-Ungarn.
Die Väter der Stadt Wien sind mit ihrem neuen Rathhaus tief hincingcfallcn. Der erste Anschlag der Baumeister wurde um I 8 OO 0 OO Gulden überschritten und seufzend wurde das Geld bewilligt. Als aber der Bau fertig war, stellte sich heraus, daß die Gas- und Wasserleitung vergessen war und daß Mauern und Gewölbe durchbrochen werden müssen, um sie nachträglich hcrzustelle». Auch unentbehrliche andere Anstalten sind ganz vergessen. Nachforderung wieder eine Million oder so etwas.
Unter den schulpflichtigen Kindern Oesterreichs befinden sich gegenwärtig neben 2 225 000 katholischen und nur 50000 evangelischen — 70000 Judenkinder.
In Böhmen fehlt es sehr an Regen. Der Prager Erzbischof ließ Kirchengebete anstellen, um
Regen zu erflehen. Das Heu leidet sehr und viele andere landwirthschaftliche Produkte.
Frankreich.
Paris, 12. Juni. Der Municipalrath nahm mit 46 gegen 10 Stimmen den Antrag auf Beseitigung der Ringmauer und der Befestigungen von Paris an.
Die jungen französischen Truppen, die nach Tonkin eingeschifft sind, gehen, auch abgesehen von den gewöhnlichen Opfern des Kriegs, einem gefährlichen Schicksal entgegen. Sie werden ohne Ueber- gang und Vorbereitung aus dem Norden Frankreichs in das tropische Tonkin versetzt. Der rothe Fluß ist selbst in jenen Gegenden seiner Ungesundheit wegen verrufen, und es ist unzweifelhaft, daß ein großer Prozentsatz der europäischen Mannschaften einem sicheren Tode in Folge des mörderischen Klimas entgegensieht.
In dem Organ Waldeck-Rousfeau's, der „Re- forme", wird jetzt wieder eine „Enthüllung" aufgefrischt, die nach dem Tod Gambetta's in den Blättern aufgetaucht war und welche eine eigenthümliche Geschichte von der Entstehung der Tonkin-Affaire gibt. Darnach wäre auch hier, wie in so manchen französischen Angelegenheiten, die Ursache eine — Frau, eine Pariserin, Namens Valtesse, der das leichte Leben Millionen und ein Prachthotel eingebracht hat. Die Dame hatte in Cochinchina einen „Freund" und kam eines schönen Tages auf den Einfall, daß in Anam „alles zu gewinnen sei, wenn Frankreich seine Schutzhoheit in Tüdücs Reich ausbreite". Sie bat Gambetta um eine Zusammenkunft; dieser empfing sie und trug ihr auf, ihm einen Bericht auf Grund ihrer persönlichen Aktenstücke, die sie von ihrem Freunde hatte, abzufassen. Aus diesem Bericht gibt die „Reforme" Proben. Gambetta bedankte sich durch Brief vom 14. September 1880 für diese Mittheilnng und erklärte dieselbe für ausgezeichnet. So entstand die Tonkin-Affaire.
England.
In London sind im vorigen Jahre, einem amtlichen Ausweis zufolge, 58 Menschen buchstäblich Hungers gestorben.
Rußland.
Der Kaiser und die Kaiserin von Rußland sind am 10. ds. in Petersburg eingetroffen und von der dicht gedrängten Volksmenge mit enthusiastischen Kundgebungen empfangen worden. Das Kaiserpaar fuhr sofort nach der Ankunft im offenen Wagen nach der Kasan'schen Kathedrale. Die Truppen bildeten längs dem Newski-Prospekt Spalier. Die Stadt war auf das Festlichste geschmückt, das Wetter schön. Der Kaiser und die Kaiserin begaben sich aus der Kasan'schen Kathedrale ohne weiteren Aufenthalt mittels Dampfers nach Peterhof.
Türkei.
Am Mittwoch fand ein erneutes Gefecht der türkischen Truppen mit den aufrührerischen Albanesen statt. Es bestätigt sich, daß die türkischen Truppen in den Kämpfen gegen die Albanesen große Verluste erlitten.
Handel S Verkehr.
* Nagold. (Viehmarkts-Resultat vom 7. Juni.) Ochsen wurden zugeführt 100 Stück, verkauft 52 Stück, Erlös ^L 18 819.43. Kühe: Zufuhr 198 Stück, verkauft 60 St., Erlös 16 500 ^4L Kalbeln: Zufuhr 93 Stück, verkauft 41 St., Erlös 7941 Schmalvieh: Zufuhr 59 Stück, verkauft 26 Stück, Erlös 3539 -4L Saugschweine: Zufuhr 90 Stück, verkauft 45 Stück, Erlös 1070 Läuferschwcine: Zufuhr 160 Stück, verkauft 108 Stück, Erlös 4536 -4L Gesammtcrlös 50 405 -4L 43 «!.
Neuenbürg, 10. Juni. Beim Holzverkauf am 8. ds. aus dem Revier Calmbach wurden erlöst für Brennholz durchschnittlich 143 pCt. des Revierpreises, beim Verkauf am 9. aus dem Revier Schwann für Stammholz durchschnittlich 110 pCt. und für Brennholz durchschnittlich 131. pCt.
Freudcnstadt, 8. Juni. Die jgünstige Witterung hat ihren Einfluß auf unsere Vegetation nicht verfehlt. Die Obstbäume haben reichlich Früchte angesetzt; die Wiesen stehen sehr üppig und mußte deren Ertrag schon vielfach eingcheimst werden: Heidelbeeren giebt es Heuer in seltener Menge und wohl auch gute, so daß ein guter Heidelbeergeist zu erwarten ist. Das lßfund guter reifer Kirschen kostet heute 30. <4.
Sulz, 8. Juni. (Jahrmarkt.) Für Fettvieh wurde bis zu 65 Karol. pro Paar bezahlt. Stiere mittleren und geringeren Schlags waren weniger begehrt, doch wurden auch hier annehmbare Preise, bis zu 45 Karol. erzielt, Kühe erster Qualität wurden von 350 -440 -4L, zweiter Qualität von 290—830 Mark, dritter Qualität von 140—290 -4L bezahlt. Für Kalbeln wurden bis zu 200 -4L erzielt. Schmal- und Jungvieh, halbjähriges, erzielte 65—95 jähriges 110—168 -A. Die ge
ringe Zufuhr auf dem Schweinemarkt war schon Morgens 10 Uhr beinahe vergriffen. Für Milchschweine wurden 24—30 Mark pro Paar, für Läufer 25 38 -4L pro Stück erlöst.
Stuttgart, 11. Juni. (Landesproduktenbörsc.) Unsere Börse war heute wegen des jüdischen Pfingstfestes schwach besucht und der Umsatz nicht von Bedeutung. Wir notiren per 100 Kilogramm: Walzen, baierischer prima -4L 19.25—19.65, russischer fax. >L 22.50—23.10, russischer (Azow) -4L 20.50, Kernen -4L 20, Dinkel .4L 12.40.
Stuttgart, 11. Juni. (Mehlbörsc.) An heutiger Börse sind von inländische» Mehlen 880 Sack als verkauft zur Anzeige gekommen zu folgenden Preisen: Mehl Nr. 0: 33 -4L bis 34 -4L 50 Nr. I: 31 -4L 50 -1 bis 32 -4L 50 ^t, Nr 2' -4L 29.-30.50, Nr. 3: 27.50-28.50, Nr. 4: 23.—24.50. In ausländischen Mehlen wurden 250 Sack verkauft in verschiedenen Sorte» und zu verschiedenen Preisen.
Augsburg, 12. Juni. Tclegr. jW ollmarkt.j Das Geschäft ist heute rege, so daß bis heute Abend voraussichtlich wenig Wolle unverkauft bleibt. Bessere Bastard kostet 160 bis 170 -4L, gewöhnliche Bastard 150 bis 160 -4L. Erstere ca. 5, letztere 10 -4L Preisabschlag.
Breslau, 8. Juni. (Wollmarkt.) Nachdem schon gestern auf den Lagern zu dem bereits gemeldeten Preisanfschlag von ca. 6 -4L größere Abschlüsse zu Stande gekommen waren, gingen heute bei Eröffnung des offenen Marktes auch da die Käufer flott an das Geschäft. Bis jetzt ist reichlich die Halste verkauft. Die Anfuhr beträgt ca. 10 000 Zentner. Gut gcra- thene Wollen erzielten 4—10 -« höhere, minder gelungene Wollen die vorjährigen Preise; die beliebtesten Wollen sind Mittelsorten zu 160—186 ^L Der Markt ist veraussichtlich heute Abend schon beendet.
Aer Milchmann.
Eine Erzählung von A. v. Rothenburg.
Es hatte so eben vier Uhr geschlagen; Nachmittags war's, und die Kinder kamen aus den Schulen. Um so bald als möglich wieder daheim und bei der Mutter zu sein, ging's im Galopp dahin; zuweilen ertönte aus einer kleinen Kehle ein lautes Jauchzen.
Für einen Berliner Jungen zumal ist's auch keine Kleinigkeit, von der Schulbank los auf die bunt bewegte Straße hinauszukommen, wo es so viel zu sehen und zu hören giebt, daß einem die Augen übergehen und die Ohren gellen. Es war noch nicht die Zeit des Hochsommers, aber die Bäume, wo es solche gab, hatten doch schon abgeblüht, und setzten Frucht an; das Laub im Thiergarten warf bereits einen tiefen Schatten, und draußen aus dem Lande, wo die freie Gottesluft weht, schoß die Saat in Aehren und die Nachtigall sing an zu verstummen, weil sie brüten mußte.
Aber nicht nur die Klippschüler, auch die Gymnasiasten drängten auf die Straße hinaus; sie liefen und balgten sich freilich nicht mehr, denn man wird zeitig frühreif und alt in Berlin; aber man konnte es ihnen doch ansehen, daß es ihnen lieb war, Rom und Athen hinter sich zu haben und wieder in die Hauptstadt des deutschen Reiches versetzt zu sein.
Einer der Knaben blieb aus dem Schwarm der Genossen zurück, so als ob er sich von ihnen nicht wollte sehen lassen. Es war ein hübscher Krauskopf von neun bis zehn Jahren und sehr sauber gekleidet, guter Leute Kind; das merkte man ihm an.
Heute aber sah er ziemlich närrisch aus; es mußte ihn wohl der Schulranzen drücken, den er auf dem Rücken trug. Er hatte eine Soldatenmütze auf dem Kopf, wie sie die Söhne von Offizieren gern tragen, weil es ihnen dann zu Muthe ist, als ob sie selber ein Stückchen Dragoner, Füsilier oder Artillerist seien.
Walther von Herburg war auch wirklich der Sohn eines preußischen Hauptmannes; sein Vater wohnte in einer der schönen Straßen, welche den Thiergarten durchschneiden: „ein furchtbar reicher Herr," sagten die Leute von ihm, „und wer heut zu Tage reich ist" — denken Viele — „der ist gut dran; den vermag nichts mehr anzutasten; der hat es besser als wir, die wir im Schweiße des Angesichts unser Brod essen, das oft genug nicht einmal zulangen will."
Aber so war es doch nicht, sondern ganz, ganz anders.
Auch über Herrn von Herburgs Schwelle war bitteres Herzeleid gezogen, als sie ihm die treue, fromme Frau, die Mutter seiner Kinder, hinausgetragen hatten nach dem großen städtischen Friedhof. Was er verloren, das wußte nur er allein.
Es war ihm auch schwer genug geworden, für seine kleinen Kinder zu sorgen, und ihnen eine passende Erzieherin zu verschaffen, denn Liebe und Treue lassen sich für Geld nicht kaufen; sie kommen vom Himmel herab, und manches schreiende Herzblatt liegt darum wärmer und weicher an der Brust der ärmsten Mutter, als ein verwaistes Kind reicher Leute auf seinem mit feinstem Linnen überzogenen Kiffen.
Es war aber doch gegangen, und gerade die kleineren Kinder zumal hatten eine Pflegerin gefunden, welche Alles that, was in ihren Kräften stand, um