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Rei.chskanzler am ersten Feiertage zum erstenmale nach seiner neuer- lichen Erkrankung wieder ausgefahren und zwar zum Kaiser, bei dem er etwa 3/4 Stunden verweilte. Unmittelbar darauf wurde Fürst Bismarck auch von der Kaiserin empfangen. Uebrigens sind die Fußschmerzen noch keineswegs ganz beseitigt.
— In Wien hat sich ein Verein gebildet, der den bedeutungsvollen Namen Niederwald trägt. Für die Deutschen aus dem Reiche, die sich dauernd oder vorübergehend in Berlin aufhalten, soll er ein gesellschaftlicher Sammelpunkt, eine Heimstätte werden und auch für Geschäfte guten Rat geben. Die nichtösterreichischen Deutschen sollen engere Fühlung unter einander bekommen. An der Spitze steht Fürst Reuß, der deutsche Botschafter.
Frankreich.
— Die durch den französischen Kongreß gestern vorgenommene Präsidentenwahl ist ausgefallen, wie sie der Sachlage nach nicht anders ausfallen konnte: Grevy ist auf weitere sieben Jahre zum Präsidenten der Republik gewählt. Die Wahl selbst macht von den turbulenten Scenen abgesehen, insofern keinen guten Eindruck, als selbst diese wichtige Abstimmung die Republikaner nicht zu einigen vermochte. Grevy ist nicht nur der geeignetste, sondern mit Berücksichtigung aller Umstände der einzig mögliche Kandidat der Republikaner gewesen. Kein Republikaner konnte sich täuschen, daß die Ersetzung Grevy's durch einen der anderen mehr oder weniger mittelmäßigen und halb abgenutzten republikanischen Staatsmänner die Stabilität auch dieser sozusagen letzten festen Position der Republikaner gefährdet haben würde. Und trotzdem keine Einigkeit! Das ist ein böses Vorzeichen für die weitere Entwickelung der inneren Verhältnisse der Republik und läßt dieselben in keinem günstigen Lichte erscheinen. Gegenüber der Gefahr, die aus der bei allen wichtigeren Anlässen erfolgenden Coalition der extremradikalen Republikaner mit den Monarchisten für die Republik erwächst, sollte doch ein engers Zusammenschließen der verschiedenen Elemente der republikanischen Partei stattfinden. Dazu ist aber wenig Aussicht und so dürfte Grevy seines ihm wieder übertragenen Amtes kaum froh werden.
Serbien, Bulgarien, Ostrnmelien.
Sofia, 28. Dez. Serbische Parlamentäre kamen am 25. Dez. bei den Dörfern Novoselo und Krivosea im Distrikt Vranja zu dem Befehlshaber der bulgarischen Truppen und erklärten, die Serben würden sich gemäß den Bestimmungen des Waffenstillstands drei Kilometer weit zurückziehen. Gegen 10 Uhr vormittags aber näherten sich die Serben unter dem Schutze des Nebels den bulgarischen Vorposten und feuerten von drei Seiten auf die Bulgaren, wodurch ein Offizier und einige Soldaten verwundet wurden. Es heißt, dieser und der am 24. Dez. vorgekommene Fall eines serbischen Angriffs werde von der bulgarischen Regierung zur Kenntnis der Mächte gebracht werden.
— Gestern wurde, der Krjeaskorreivondsnt^der „Neuen Freien. Prejss" wegen seiner Berichte vom Kriegsschauplätze verhaftet. Nach einem zweistündiges Verhöre wurde derselbe ausgewiesen und zwangsweise nach Orsova gebracht. Der österreichische diplomatische Agent, v. Biegeleben, ist zu Gunsten des Verhafteten energisch eingetreten; die Vorstellungen desselben blieben jedoch erfolglos-, da die bulgarische Regierung auf den im Augenblicke geltenden Ausnahmszustand hinwies.
Hages-Weuigkeiten.
Stuttgart, 28. Dez. Am 26. d. ist folgende, von 247 Firmen w württembergischen Wollindustrie Unterzeichnete Petition an en Reichstag nach Berlin abgegangen: „Es werden von seiten der
Wollproduzenten Württembergs, wie auch von denen anderer deutschen Länder Eingaben an den hohen Reichstag geplant, um solchem die Notlage der Herdenbesitzer darzulegen und infolge dieser um Einführung hoher Wollzölle zu petitionieren. Die Einführung von Wollzöllen würde mit einem Schlage die gesamte deutsche Wollindustrie und die ihr nahestehenden Branchen (Maschinen, Bedarfsartikel aller Art rc. rc.) in der schwersten Weise schädigen, da solche neunmal mehr Wolle gebraucht, als in Deutschland produziert wird, und kein Zoll imstande wäre, in einem Kulturlande, wie es Deutschland ist, solche Herden zu erhalten, um dem Bedarfs der so groß entwickelten Wollindustrie nur entfernt zu entsprechen. (Viehzählung 10. Januar 1883.) Durch Einführung von Wollzöllen ginge die durch schwerste Opfer errungene ausländische (Export-) Kundschaft verloren, weil der deutsche Fabrikant ein durch hohe Zölle verteuertes Rohmaterial verarbeiten müßte und somit nicht mehr in der Lage wäre, mit den Fabrikanten anderer Länder auf dem Weltmärkte zu konkurrieren; es würde somit dem Auslands die Ernte des deutschen Fleißes mühe- und kostenlos zufallen. Es ist vollkommen unberechenbar, wie groß das Elend würde, wenn die für Export arbeitenden Fabrikanten zur Entlassung der Arbeiter gezwungen würden, was naturgemäß die erste Folge nach Einführung solcher Zölle wäre. Die Wollindustrie im allgemeinen liegt sehr darnieder, in den wenigen Fabriken wird die volle Zeit gearbeitet und mit trüben Aussichten geht man in den flauen Winter und frägt sich, wie und womit man seine Arbeiter beschäftigen soll. Eine Beunruhigung der Wollindustrie ist geradezu verderblich, die Einführung von Wollzöllen ist ruinös, weil eine Vergütung bei Ausführung von Wollwaren faktisch und technisch unmöglich ist, worüber die ersten und bedeutendsten Fachleute einig sind. Die Unterzeichneten Interessenten und Fabrikanten der Wollbranche protestieren gegen Einführung von Wollzöllen und bitten den hohen Reichstag, einen Antrag auf Einführung von Eingangszoll auf Wolle energisch zurückweisen zu wollen." — Auch die in der Sitzung der Stuttgarter Handels- und Gewerbekammer vom 16. d. M. beschlossene Petition liegt nunmehr in ihrer Schlußredaktion im Druck vor. Dieselbe faßt ihre Ausführungen dahin zusammen, daß jeder Wollzoll, ob klein oder groß, die deutsche Wollindustrie in hohem Grade schädigen würde, ohne der Landwirtschaft Nutzen zu bringen. Ein kleiner Zoll würde wirkungslos auf die Wollpreise sein, ein beträchtlicher aber die Kaufkraft der Abnehmer der Wollproduktion unterbinden.
Ludwigsburg, 28. Dez. Einige bange Minuten verlebten heute mittag die auf dem hiesigen Bahnhofe Anwesenden. Der um 1 Uhr 13 M. von Stuttgart kommende Schnellzug fuhr unter dem schauerlichen Gepfeife des Notsignales mit rasender Geschwindigkeit durch den hiesigen Bahnhof und erst einige Hundert Meter außerhalb des Stationsgebäudes gelang es, denselben zum Stehen zu bringen und wieder rückwärts an die richtige Haltestelle zu führen. Glatteis auf den Schienen, auf welchem die Räder trotz der rasch angezogenen Bremsen mie Schlittenläufe fortrutschten, wird wohl die Ursache gewesen sein.
Biberach, 27. Dez. Am Weihnachtsabende drohte mehreren hies. Familien schweres Unglück. Der Knecht von der unteren Mühle in Bikendorf sollte im Schlitten nahe Verwandte zur Christbescheerung dahin abholen. Vor dem Ulmerthore scheute das Pferd, raste durch die Ulmerstraße, warf bei einer Biegung der Straße den Schlitten um, so daß der Knecht und ein lOjähriger Knabe aufs Pflaster geschleudert wurden, rannte schließlich mit dem Kopfe in den Riegel eines Kaufladens und spießte sich daran fest. Knecht und Knabe wurden bewußtlos und blutüberströmt in ein Nachbarhaus gebracht, wo ärztliche Hilfe rasch zur Stelle war. Beide haben bedeutende Kopfwunden erhalten, doch ist keine Lebensgefahr für die Verunglückten, die sich heute den Umständen gemäß befinden, zu befürchten. Das furchtbar
Der Deutsche ging an seinen Schreibtisch und warf die verlangten ^orte flüchtig auf ein Papier, gebrauchte aber die Vorsicht, nicht seinen, .sondern einen erfundenen Namen unter die Schrift zu setzen. Red's Worte ließen ihm keinen Zweifel mehr, daß die Gegend rings herum von Negerfeinden bestand. Ein Paar Worte schriftlich genügten, um dem Neger freie Passage zu sichern. Da der Flüchtling selbst weder lesen noch konnte, mußte im Falle einer Entdeckung der Verdacht hinsichtlich der Abfassung des Schriftstückes auf den Deutschen fallen.
„Weißt Du wohl, Red", fragte er in ernstem Tone, indem er dem Sklaven das Papier einhändigte, „daß ich sehr viel für Dich wage? Weißt Du, daß es mir das Leben kosten kann, wenn es herauskommt, daß ich Dir /neu Paß geschrieben habe?"
„Ich weiß, Massai 0 , ich weiß, lieber guter Herr!" rief Red mit überströmenden Augen und von Neuem Borrmanns Hand ergreifend, „ 0 , Mafia, d?r Red dankt's Ihnen mit heißen Thränen. Ec wird's nie und nimmer vergessen, was Sie ihm Gutes gethan haben und der liebe Gott wird's vergelten."
„Es ist gut, Red, ich glaube Dir."
„Und hören Sie noch eins, Mafia. Der Wilm führt nichts Gutes '"'gen Sie im Schilde. Nehmen Sie sich vor dem Mann in Acht. Als er Ihnen das Geld gab, stand ich hinter der Thür in der Kammer, und als Sie fortgingen, da hörte ich, wie er sagte: Den Hab' ich sicher im Sacke. Einige Zeit will ich's noch ansehen, dann kündige ich ihm das Geld und wenn er nicht zahlen kann, muß er springen und ich habe dann das Blockhaus und das schöne Land dazu. Möglicherweise findet sich noch ein zweiter Gimpel, dem ich Beides zu einem schönen Preise wieder verkaufen kann."
Borrmann schaute betroffen auf. „Red, Red! sollte es wirklich so sein, wie Du sagst?" fragte er angstvoll.
„Es ist so, Mafia! gewiß und wahrhaftig, es ist so. Haben Sie das denn nicht schon lange gemerkt? Er hat Ihnen Ihr bischen Geld abgeschwindelt und wenn Sie ihm das Land urbar gemacht und das Häuschen eingewohnt haben, müssen Sie fort ohne Gnade. Sie haben es ja verpfändet. Kein Advokat kann Ihnen helfen."
Borrmann stand erstaunt. „Es ist nicht möglich. Ich kann es nicht
glauben; so kann Einer nicht gegen einen Deutschen handeln, der selbst aus deutschem Blute entsprossen", klagte er.
Der Neger stand bereits auf der Fensterbrüstung. Leben Sie wohl, Massa", rief er hinein. „Ich muß eilen, ehe man es merkt, daß ich nicht da bin. Gott behüte Sie, Mafia!"
Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Borrmann stand noch eine Weile wie betäubt. Dann eilte er an's Fenster, um dem Neger nachzusehen. Der Mond war aufgegangen. Die Felder erschienen wie mit einem weißen, duftigen, zarten Schleier überhaucht. Der dunkle Riesenwald zerfloß in der Ferne zu einer ungeheuren, schwarzen Wolke, die sich scharf von dem lichtbeglänzten Horizont abhob. Am Rande des Waldes entlang glitt ein flüchtiger Schatten pfeilschnell hin. Die wenigen Häuser, welche sich hier und dort inmitten der Gehege erhoben, waren bereits dunkel. Die Stille der Nacht wurde von keinem Laut unterbrochen.
Von peinlicher Unruhe erfüllt, schloß der Deutsche das Fenster. Dann entkleidete er sich und legte sich zur Ruhe. Aber die Aufregung, in welche ihn die vielfachen Ereignisse und Erfahrungen des verflossenen Tages versetzt hatten, hielt den Schlummer von seinem Lager fern. Er überdachte sorgenvoll Alles, was ihm seit seinem ersten Betreten des amerikanischen Bodens widerfahren war. Wie fest hatte er sich vorgenommen, auf seiner Hut zu sein, Jeden mit Mißtrauen zu betrachten, der sich ihm nähern würde, und nun war er doch auf das Schändlichste betrogen von einem Manne, den er trotz aller seiner Eigenheiten und Fehler doch nicht umhin gekonnt hatte, für ehrlich und zuverlässig zu halten. Bald aber bildete sich unter seinen trüben Gedanken ein fester Entschluß heraus. Nicht wanken und nicht weichen wollte er von dem Boden, den er im Schweiße seines Angesichts mit tausend Mühen und Sorgen angebaut. Er wollte das Geld herbeischaffen. Es würde ihm wohl irgendwo ein wahrer Freund zu finden sein, der ihm die kleine Summe auf längere Zeit vorstrecken konnte. In diesem Gedanken schlief er beruhigt mit dem Vorsatze ein, am folgenden Morgen sogleich die nötigen Schritte zu thun, um das ihm von Seiten seines Nachbars drohende Unheil abzuwenden.
(Fortsetzung folgt.)