Nur eines hatte sie vergessen, dieses etwa, daß schöne Weiber so leicht übersehen, daß nämlich die Jugend nicht ewig und die Schönheit nicht länger als die Jugend währt. So geschah es denn, daß sie ihre Ansprüche nach den Schmeicheleien ihrer Anbeter bil­dete und sogleich sehr hoch hinaus wollte. Ehe sie sich's versah, hatte sie es zu einem gewissen Alter, aber immer noch zu keinem Manne gebracht.

Die Hoffnung blieb indeß treuer als das Heer ihrer Schmeichler; die Lady E. lebte nach wie vor der festen Ueberzcugung, daß ihre Schönheit noch im­mer die Alte sei, während sie aber schon allgemein eine alte Schönheit hieß.

Unter solchen Verhältnissen brachte die Lady es, dahin, daß sie eines Morgens die Entdeckung machte, sie habe nur noch fünftausend Pfund im Vermögen, aber vierzigtausend Pfund Sterling Schulden.

Am Abend dieser fatalen Bemerkung saß sie trotz! Geist und Schönheit im londoner Schuldgefängnisse, und obenhinein mit der Aussicht, daß ihr Aufenthalt in demselben etwas langwierig und langweilig werden dürfte.

Au der Zeit, von welcher hier die Rede ist, ließen sich alle Ladies in Newgatte das Haar von dem Bar­bier des Hauses frisiren, welcher der schönste Haar- und Bartkünstler der ganzen Stadt London, im übrigen aber ein armer Teufel war, Paddy Philan, ein Jrr- länder von Geburt, und aus Liebhaberei ein großer Bewunderer des schönen Geschlechts.

Eines Morgens war er mit dem Haar der My­lady beschäftigt und machte über den anziehenden Kopf seine stillen Bemerkungen, als die Dame zum ersten mal eine Frage an ihn richtete. Paddy war durch diese unverhoffte Gnade angenehm überrascht, denn Lady E. war die Besitzerin der schönsten Zähne und des bezaubernsten Lächelns von der Welt.

Nicht wahr, Mr. Paddy Philan, Sie haben noch keine sirau?

Das hat noch gute Wege, Mylady; ein armer Teufel wie ich

Hätten sie wohl Lust, sich bald zu verheirathen? fragte sie weiter.

Alle Wetter, Mylady, will eine Ente nicht schwim­men ?

Sie haben also schon ihre Wahl getroffen?

Gort, ja, Mylady. Haben Sie nie von Katha­rina O'Reillü reden gehört? Ihr Vater ist mit Mr. O'Donnaghan in Doneraile verwandt, welcher der Geschäftsmann von Mr. Murphy ist, dem Hausmei­ster des Lord Kingston»: und

Gut, Mr. Philan, unterbrach die Schöne den Gesprächigen, ich weiß genug. Aber schlüge das Mäd­chen ein, wenn Sie um Sie anhielten?

Das käme auf den Versuch an.

Weshalb machen sie den Versuch nicht?

Sehr einfach, weil ich keine Frau ernähren kann! antwortete Paddy mit einem Seufzer.

Möchten Sie wohl reich werden?

Ob ich wollte, Mylady! O welche Frage!

Wenn ich sie reich machte, würde sie sich erkennt­lich zeigen?

Was denken Sie von mir? Sehe ich aus wie die Undankbarkeit? Aber Mylady scherzen ja nur. Wie käme ich zu der Ehre?

Keine Komplimente, keine Weitschweifigkeiten, Mr. Paddy Philan. Hören Sie, wollen Sie mich zur Frau haben?

Strctfe mich Gott, ein solches Anerbieten wiese der Großmogul nicht von der Hand!

Schön, Mr. Philan! Wenn Sie mich morgen hei­rathen wollen, so gebe ich Ihnen tausend Pfund.

Tausend Pfund, Mylady ? Tausend Pfund? rief Philan, um die frisirte Dame herumtanzend.

Tausend Pfund! aber nur unter gewissen Be­dingungen !

Und diese wären? Daß Sie mir schwören, mich nach der Hochzeit nie Wiedersehen, noch mich als Ihre Frau reklamiren zu wollen.

Hm! hm! ehrlich gestanden, das gefällt mir nicht recht! wandte Paddy Philan ein, dem die schönen Zähne und das freundliche Lächeln der Lady den Kopf ver­dreht hatten.

Aber denken Sie doch an Katharina O'Reilly. Mit dem Gelde, das Sie von mir ausbezahlt erhalten, können Sie das Mädchen heirathen.

Sie haben recht, Kitty hatte ich in der ersten Freude ganz vergessen. Das wäre alles sehr schön, aber die Bigamie, Mylady, die Bigamie!

Unnütze Sorgen. Es kann mir nie in den Sinn

kommen, deßhalb gegen Sie klagbar zu werben. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie mir-schwören, mich nach der Trauung niemals Ihre Frau zu nennen, noch von ufisrrer Angelegenheit etwas wcrlaüten zu lassen. Zm entgegengesetzten Falle würden Sie sich um Ihre Katha­rina bringen.

Ich werde doch kein Narr sein, zu schwatzen!

Also bei Leben und Seligkeit, Mr. Philan, Sie halten Wort?

So wahr ich ein ehrlicher Mann bin und den Galgen nicht liebe!

Es bleibt dabei! Da haben Sie eine Zehnpfund­note ! Sie kaufen die Heiraths-Licenz; für das übrige lassen Sie mich sorgen.

Paddy erhielt das Geld nebst den nöthrgen Pa­pieren und Andeutungen und erschien, wie zu seiner Ehre angeführt werden muß, am folgenden Morgen auf die Minute bei Lady E., bei der er zwei Gent- lemen traf.

Haben Sie den Erlaubnißschein, Mr. Philan?

Zu dienen, Mylady! antwortete Paddy, indem er ihr denselben einhändigte.

Mylady reichte das Aktenstück einem der anwesen­den Gentlemen, der es aufmerksam las. Hierauf ließ sie ihre beiden Bedienten Hineinrufen und sagte zu dem lesenden Herrn in der Perrücke:

Sie, vollziehen Sie die Ceremonie!

Und der Gentlemen that wie ihm besohlen worden, so daß nach zehn Minuten der ehrsame Barbier des Londoner Schuldgefängnisses, Mr. Paddy Philan, der legitime Gemahl der schönen, liebenswürdigen Lady E. war.

Schön, bester Paddy, sagte die Neuvermählte mit geistreichem Lächeln, während sie dem Herrn Gemahl ihre wirklich ausgezeichnet schöne Hand zum Kusse reichte.

Haben Sie jetzt die Güte, mir den Trauschein auszustellen! sagte sie zu dem Gentlemen, der die Ce­remonie vollzogen hatte und ein anglikanischer Geist­licher war.

Der alte Gentlemen stellte den Schein aus, ver­neigte sich bei der Fünfpfundnote, welche ihm für seine Mühewaltung gereicht wurde, und empfahl sich mit seinem Sakristian.

Während Paddy wie im Traume dastand und, nicht wissend, was er thun oder lassen sollte, die Lady anlächelte, gab diese dem Bedienten den Befehl, den Gefängnißaufseher zu rufen.

Wollen Sie die Güte haben, sagte Lady E., als derselbe vor ihr stand, mit der einschmeichelnden Stimme von der Welt, wollen Sie die Güte haben, mir einen Wagen kommen zu lassen, da ich auf der Stelle das Zuchthaus zu verlassen wünsche.

Mylady scheint zu vergessen, daß sie vierzigtau­send Pfund Sterling zu bezahlen hat, ehe ich sie heraus­lassen darf.

Ich bin eine verheirathete Frau, Sir. Es steht Ihnen frei, meinen Mann hier Mr. Paddy Phi­lan festzuhalten, aber nicht mich. Ich habe das Gesetz für mich.

So redend, lächelte sie ihren Neuvermählten wie­der an.

Diesmal fand derselbe das Lächeln keineswegs bezaubernd; er fand sich durch diese Wendung viel­mehr so entzaubert, daß ihm die Augen übergiengen.

Mylady scherzt. Wir wissen zu gut, daß Sie nicht verheirathet sind.

Ich bin aber verheirathet, Sir.

Wo ist denn Ihr Mann?

Hier, Sir! antwortete sie auf den barbirten Bar­bier zeigend, der vor Schrecken stumm wie ein Fisch dastand. Und hier ist mein Trauschein! Meine beiden Bedienten waren die Zeugen. Jetzt, Sir, wagen Sie es nicht, mich auch nur eine Minute noch hier festzu­halten !

Der Mann des Gesetzes schaute die feine Lady betroffen an; Paddy wollte reden, konnte aber nicht zu Worte kommen. Ein Advokat, der sich gerade auf der Treppe des Gefängnisses befand, wurde zu Rakhe gezogen und erklärte, der Fall sei sonnenklar, da nach dem englischen Gesetz keine verheirathete Frau für Schulden in Haft gehalten werden könne, dahin­gegen ihr Mann dafür haftbar sei. Kurz, eine halbe Stunde nach der Trauung war Lady E. frei und ihr legitimer Gatte, Mr. Paddi Philan, Insasse we­gen der runden Summe von vierzigtausend Pfund Sterling. Der arme Paddy rieb sich den Kopf, denn es war ihm wie ein Traum, und die Gläubiger theil- ten seine Illusion.

Am folgenden Tage versammelten sich die Gläu­biger der Lady E. und faßten in Anbetracht der teuflischen Art, wie sie um ihr Geld gebracht worden, einmüthig den Beschluß, den Gatten der schlauen Lady Zeit seines Lebens in Newgate schmachten zu lasten.

Nach der ersten.Hitze wurde indessen der Be­schluß in Anbetracht von Paddys Armuth und Un­schuld dahin abgeändert, den Gimpel laufen zu lasten, um nicht noch mehr unnütze Ausgaben zu veranlassen vierzehn Tage nach dieser glücklichen Wendung süß Paddy wieder bei seinem Feuer, das sehr hell brannte, und überdachte wehmüthig die kuriose Geschichte, in der er die Hauptrolle gespielt hatte, als der Briefträger einen Brief brachte, den ersten, den er in seinem Le­ben erhielt.

Da das Lesen seine starke Seite nicht war, so eilte er mit dem Schreiben zu einem guten Freunde, welcher ihm vorlas, wie folgt:

Gehen Sie nach Doneraile und heirathen Sie getrost Ihre Katharina. Sind Sie getraut, so ist Ihr Glück gemacht. Aber wenn Freiheit und Leben Ihnen lieb sind, so lassen Sie von dem Bewußten nie etwas merken, da es mir leicht wäre, Sie in eine sehr be­denkliche Lage zu versetzen. Daß ich ohne Ihre Schuld nie Veranlassung nehmen werde. Sie jemals zu be­unruhigen, dürfen Sie mir zutraüen. Schicken Sie mir Ihren Trauschein, so erhalten Sie umgehend die verheißene Summe. Anbei als Abschlagszahlung fünf­zig Pfund. E.

Paddy that, wie ihm geheißen. Abends trank er sich einen Rausch, und da er sich durch diese Gin­probe überzeugt hatte, daß er selbst im begeisterten Zustande reinen Mund.zu halten wisse, so reiste er nach Cork, heirathete Katharina O'Reilly und erhielt richtig die tausend Pfund ausbezahlt.

Späterhin übernahm er in der Grafschaft Lim- merick eine Pachterei, wurde ein musterhafter Haus- wirth und Ehemann und vergaß seine erste Frau so gänzlich, daß er der zweiten auf seinem Todtenbette zum erstenmal den Vorfall gestand.

Katharina verzieh ihm in Erwägung seines sonst musterhaften ehelichen Lebens, konnte es aber nach dem Begräbniß nicht über's Herz bringen, das Geheimniß ihres Paddys zu bewahren, indem sie sich mit der Bemerkung tröstete, die Sache habe jetzt keine Gefahr mehr.

Lady E. hatte nie wieder etwas von sich hö­ren lassen.

Ein Gedichtchen ohne R.

Ein Veilchen wollte stille blühen,

Es bat nm Himmelsthau;

Und jedes Blatt fing an za glühen In schönem dunklen Blau.

Es blieb entzogen vielen Blicken,

Ihm ist so wohl und gut

Doch kam ein Mädchen cs zu pflücken Und steckt cs auf dcu Hut.

O! hättest Du mich leben lassen,

So seufzt das Veilchen tief;

Du bist zu schön, um Dich zu hassen, _ So seufzt cs u nd entschlief.

Neuestes.

Berlin, 28. Sept. DieNat.-Ztg." meldet: Von Seiten des preußischen Justizministeriums steht eine Vorlage an den Bundesrath wegen Herab­setzung der Gerichtskosten nicht in Aussicht, auch würde ein von anderer Seite eingebrachter Antrag auf Unterstützung Preußens nicht zu zählen haben.

Paris, 28. Septbr. DieAgence Havas" meldet aus Ragusa: Da Montenegro die materielle Unterstützung der Flotte nachgesucht hat, so haben die Admiräle der Großmächte an ihre bez. Regie­rungen darüber berichtet. England und Rußland sollen geneigt sein, dem Ansuchen Montenegros nachzukommen. Gleichwohl sehe man bereits voraus, daß die Flottenmanifestation aufgegeben werde und die Geschwader alsbald absegeln würden.

London, 28. Sept. Die Operationen gegen Dulcigno sind über Mittwoch hinaus verschoben. Montenegro erklärte, durch das Auftreten Riza Pa- scha's in Dulcigno sei die Situation verändert. Es würde bei einem Angriff nicht blos gegen die Alba­nesen, sondern auch gleichzeitig gegen die türkischen Truppen zu kämpfen haben, wozu es weiterer Vor­bereitungen bedürfe. Unter den Mächten finden s chleunige Verhandlungen statt. _

Goldkurs der K. Staatskajsen-Vcrwaltung

vom 23. September 1880.

20-Frankenstücke.16 12