stünden hat gewollt, daß der 74-jährige Vorleser Kaiser Wilhelms in dem Jahre gestorben ist, welches die Arbeit seines Lebens zu vernichten bestimmt scheint kurz vor Errichtung der östreichisch-deutschen Alli­ance starb dieser Mann Namens 'Louis Schnei­der. Jetzt machten seine literarischen Memoirien die Runde durch einen Theil der Norddeutschen Presse und aus ihnen erst ist zwischen den Zeilen zu lesen, wer er eigentlich gewesen: Eine Art Großmacht, der Vorleser zweier preußischer Könige, der intime Cor- respondent des Kaisers Nicolans u. stille Mitarbeiter an zahlreichen einflußreichen Zeitungen und Zeitschrif­ten ist viele Jahre lang der Hauptträger, so zu sa­gen die Verkörperung jener sentimentalen Auffassung der preußisch-russischen Beziehungen gewesen, die bis in die Neuzeit ihr Wesen getrieben und wenigstens zum Theil verschuldet hat, daß man sich in St. Pe­tersburg schließlich dem Wahne hingab, der preußisch­deutsche Hof sei nichts weiter, als ein Abglanz des russischen. Der Hofrath Louis Schneider zeigte sich stets bemüht, die russischen Interessen in Deutschland zu vertreten und war aus diesem Grunde der bitterste Feind des Fürsten Bismarck, er trieb seine Gehässig­keit sogar so weit, daß er dem ersten Beamten des deutschen Reichs schließlich den Gruß versagte und daß er, als ihm diese Ungebühr ein Mal vor einer zahlreichen, in Versailles vereinigten Versammlung von Fürsten und Feldherren verwiesen wurde, dem Kanzler zur Antwort gab:Ich bin der ältere von uns beiden." Kein Wunder, wenn das Ausscheiden dieses Mannes eine erhebliche Rolle gespielt hat. Das Ende, welches die russisch-preußische Alliance schließlich genommen hat, steht mit dem durch Schnei­der in Berlin heimisch gewordenen Rnssencultus in nur allzuverhängnißvollem Zusammenhang und ver­geblich klagen die Lvbredner der alten Zeit, daß wenn der kaiserliche Vorleser am Leben geblieben wäre, es zu dem östreichisch-deutschen Bündniß am Ende doch nicht gekommen wäre.

Der Großfürst-Thronfolger und seine Ge­mahlin werden am Ende der Woche in Berlin er­wartet, wo sie nicht versäumen dürften, die kaiserliche Familie zu begrüßen.

Wenn auch sonst mancherlei Noth in Berlin die Menschen drücken, und manchen derselben veran­lassen mag, bei Mutter Grün sich einzuquartieren, eigentliche Wohnungsnoth kann es nicht sein, welche dieselben dazu zwänge. Denn nach dortigen Berichten hat sich zwar in der letzten Zeit die Zahl der in Berlin leerstehenden Wohnungen vermindert: immer­hin aber stehen daselbst jetzt noch 1779 große, 2358 mittlere und 12 237 kleine, im Ganzen also 16 415 Wohnungen leer, so daß wohl an einen Aufschwung der Bauthätigkeit daselbst für's Erste schwerlich zu denken ist.

Der Reichskanzler hat beim Bundesrath bean­tragt, Kirsch- und Weichselblätter als Tabak-Surro­gate zu gestatten und mit 65 -4L per 100 KZ zu besteuern.

Daß die Steuer-Quellen im deutschen Reiche noch nicht erschöpft oder verstecht sind, zeigt folgen­der wohlgemeinte, wahrscheinlich von einem Apotheker ausgehende und nicht unbedingt verwerfliche Vorschlag einer neuen Steuer, der mehrere Zeitungen durchläuft. Derselbe lautet wie folgt: Es ist zu verwundern, daß man in Berlin, wo man doch sonst die Steuerschraube so gut behandeln weiß, noch nicht daraus verfallen ist, die Geheimmittel genügend zu besteuern. Da die Fabrikanten derselben gewöhnlich einen nnverhältniß- mäßigen Profit daran nehmen, oft bis 1000 pCt., so wäre es nicht mehr denn billig, daß auch die Staatskasse dabei nicht ganz leer ausginge. Wer in England sich mit dem Verkauf eines Geheimmittels beschäftigen will, muß nicht nur von vornherein eine bedeutende Summe für Lösung der Erlaubnis; (des sog. Patents) bezahlen, sondern auch für den Verkauf jedes einzelnen Stückes seiner Waare eine Abgabe an den Staat entrichten. So bezahlt beispielsweise ein Herr A. I. Withe für den Absatz seinesHeil- syrups" jährlich 10 000 Pfd. Sterl. (200000 -4L> Steuern an den Fiskus. Wenn mau in Deutschland wo die Zahl der Geheimmittel mehrere Tausende be­trägt, nach diesem Vorgänge verfahren wollte, so würde jährlich eine schöne Summe in die Reichskasse fließen. Es bedürfte ja nur der gesetzlichen Bestim­mung, daß jedes Fläschchen oder Packet, das verkauft wird, mit einer nach der Höhe des Verkaufspreises bemessenen Stempelmarke versehen sein müßte. Wenn man zugleich mit der Erlaubniß des Verkaufs eine

entsprechende Abgabe festsetzte, so würde nicht jeder abgehauste und arbeitsscheue Speculant sich auf diese keineswegs ehrenvolle Branche des Erwerbes verlegen können.

In Kestiz bei Lundenburg wurde der Dorf­bürgermeister vou seinem 18jährigen Sohne auf dem Felde mit dem Beile hinterrücks erschlagen.

In Elsaß-Lothringen soll wegen der beständigen Vermehrung der französischen Truppen an den Grenzen der dortige Armeebestand von 3 Divisionen binnen Kurzem verstärkt werden. Auch ist in lleberlegung gezogen, ob nicht an der Südwestgrenze, Belfort gegenüber, eine größere Festung oder ein verschanztes Lager angelegt werden soll. In Aussicht genommen ist dazu Breisach am Rhein, und steht die Reise des Grafen Moltke damit in Beziehung.

OesterreichUngarn.

Wien, 30. Okt. Ein französisches Journal hat vor Kurzem die Bemerkung gemacht, daß der neue General-Gouverneur von Elsaß-Lothringen, Feld­marschall Freiherr v. Manteuffel, den Bewohner deS Landes in sehr ausfälliger Weise die Cour mache. Man kann hinzufügen, daß Herr v. Manteuffel dies in sehr geschickter Weise thut. Ja noch mehr, eS scheint fast, als ob Herr v. Manteuffel neben seiner Mission in Elsaß-Lothringen noch ein zweites, wei­terreichendes Ziel anstrebe, und als sollte Elsaß-Loth­ringen die Brücke werden, auf welcher sich Deutsch­land und Frankreich die Hand zur Versöhnung reichen könnten. Herr v. Manteuffel läßt nämlich keine Gelegenheit vorübergehen, ohne von Frankreich und dem französischen Volke in Ausdrücken größter Be­wunderung zu sprechen. So hat er kürzlich in Mülhausen in einem Toaste, den er auf das Wohl dieser Stadt ausbrachte, geäußert,die Stadt Mül­hausen habe den Wandel der neuen Verhältnisse wohl am tiefsten empfunden, denn sei sie auch nicht wie andere Städte Elsaß-Lothringens Jahrhunderte mit Frankreich verbunden gewesen, so habe sie ihm doch lange genug angehört, um das geistige Leben dieses reich gesegneten Landes in sich aufzunehmen". Diese und andere freundliche Worte, welche Herr v. Man­teuffel an den verschiedenen Orten Elsaß-Lothringens gesprochen, werden gewiß nicht verfehlen, in Frankreich den günstigen Eindruck zu machen und ein freund­liches Echo wachzurnfen.

Wien, 3. Nov. Ein hiesiger Korrespondent des LondonerStandard" meldet seinem Blatte: Es scheint, daß dasMißverständniß" mit Rußland sich zu klären beginnt und die Beziehungen der bei­den Kaiser zu dem Czaren sich gebessert haben. Rußland ist sich seiner Jsolirung bewußt geworden und hat ernstliche Versuche gemacht, sich dem Bünd­nisse der beiden Kaiser zu nähern. In gewissen Kreisen ist dieser Schritt sowohl hier, als in Berlin günstig ausgenommen worden."

Italien.

Rom, 3. Nov. (Der Papst gegen die Jesuiten.) Der Papst hat aus eigenem Antriebe sämmtliche Professoren der Philosophie an dem rö­mischen Seminar, dem Seminare Pius' IX. und der kropazancla Illclo, plötzlich entlassen und durch strikte Anhänger der Lehren Thomas' von Anquino ersetzt, die natürlich Gegner der Jesuiten sind. So hat Leo XIII. die Theorien seiner letzten Enzhklica prak­tisch durchzuführen begonnen und gleichzeitig dem Jesuiten - Orden den Krieg erklärt. Diese Nach­richt finden wir in der N. Fr. Pr., die allerdings in solchen Dingen keine besonders lautere Quelle ist. Wir registrireu diese Meldung in der Erwar­tung, daß die ultramontanen Blätter Näheres dar­über bringen werden. Sollte es aber wahr sein, daß der Papst offen Front macht gegen die Jesuiten, dann wäre einer gewissen Presse und gewissen Bier­bankpolitikern, welche die Jesuiten als integrirenden Bestandtheil der kath. Kirche darzustellen Pflegen, ein starkes Oesaveu ertheilt, von dem nur zu hoffen ist, daß es keine schlimme Folgen nach sich ziehe. Frankreich.

Paris, 4. Nov. Der Präfekturrath des Sei­nedepartements annullirte die Wahl des Amnestirten Humbert znm Pariser Munizipalrath.

Einer neuesten Nachricht aus Wien zufolge ist in maßgebenden Kreisen den Verhandlungen des Ar­beiterkongresses zu Marseille eine sehr ernste Auf­merksamkeit zugewendet worden. Es gewinnt den Anschein, als würden zwischen mehreren, wenn nicht allen Mächten Europa's Erwägungen über die soziale Frage stattfinden.

Belgien.

Brüssel, 4. Nov. DerMeuse" wird von hier geschrieben, im Zustande der Prinzessin Char­lotte habe sich eine merkliche Besserung, ja, fast eine Umwandlung vollzogen; man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, daß die unglückliche Frau ihren Ver­stand ganz wieder gewinne.

England.

Aus London meldet die Köln. Ztg.; Diplo­matische Bemühungen haben zu einer vorläufigen Verständigung zwischen England und der Pforte geführt. Die Aufstellung der britischen Flotte in türkischen Gewässern ist nunmehr unwahrscheinlich.

In Irland herrscht große Noth, und man sieht dem Winter mit Bangen entgegen. In Belfast wird die Regierung öffentliche Werke in Angriff nehmen lassen und dafür 350,000 Pfund Sterling verwenden. Rußland.

Warschau, 1. Nov. In ganz Rußland ist es bekanntlich bei der jüdischen Bevölkerung Sitte, daß die jungen Leute, kaum dem Kindesalter ent­wachsen, sofort auch heirathen. Zwölfjährige Ehe­frauen n. 15jährige Ehemänner sind bei uns etwas ganz Gewöhnliches. Da diese frühen Verheira­thungen vielfache Uebelstände mit sich bringen, zur Trägheit verleiten und die Degeneration der Bevöl­kerung nach sich ziehen, ist ganz erklärlich. In Folge dessen ist durch einen behördlichen Erlaß die Ver- heirathung von Kindern in schulpflichtigem Alter ver­boten und dadurch dieser korrumpirendeu Unsitte ge­steuert worden. Nach jener Verfügung der Regie­rung müssen die männlichen Ehestandskandidaten min­destens ein Alter von 20 Jahren, die weiblichen aber mindestens von 15 Jahren besitzen.

Amerika.

New-Uork, 31. Okt. Den hiesigen Zeitungen geht die telegraphische Nachricht zu, daß eine furcht­bare Feucrsbrunst in dem französischen Theile von Shanghai in China ausgebrochen ist, wodurch 991 Häuser in Asche gelegt wurden.

Kandel L Gerkehr.

Mannheim, 3. Nov. (Getreidemarkt.) Die Stim- imma ist wieder fester und Preise etwas besser. Zu notiren ist: Weizen amerik. Winter ^ 27, dto. amerik. Sommer 26, dtv. russischer 25^26p,. Roggen russischer ^ 171/2 I81/2. Gerste hiesige ^ 201/2. Hafer 14 -t4i/z.

Herrenberg, 4. Nov. Am Sonntag Nachmittag fand im Gasthof zurPost" hier die Wanderversammlung benach­barter Banken statt. Herr O.A.-Baumeister Braun deck hier wurde znm Vorsitzenden der Versammlung gewählt. Derselbe begrüßte die Vertreter der verschiedenen Banken und dankte denselben für ihr zahlreiches Erscheinen. Banken jwaren ver­treten: Böblingen, Calw, Freudenstadt, Wildbad, Nagold, Rottcnbnrg, Magstadt, Sindelfingen, Weil der Stadt, Lconberg, Herrenberg. Die Bersammlnng dauerte ca. 2 Stunden und wurde manche interessante Erfahrung aus dem Gebiete der Banken mitgethcilt. Als nächster Versammlungsort wurde ein­stimmig Wildbad gewählt.

Der Zinsfuß der Anrttcmb. Sparkasse wurde vom 1. Jan. 1880 an für die ordentlichen Einlagen von 41/2 auf 4, für die außerordentlichen von 4 ans 31/2 pCt. herabgesetzt.

Ravensburg, 4. Nov. In größerer Anzahl coursiren hier gegenwärtig falsche Zeh np sc unigstück e. Dieselben sind von den ächten kaum zu unterscheiden, tragen sämmtlich die Jahreszahl 1874 ^ 4 , sehen noch neu aber bleiähnlich ans. Das Gewicht disferirt um 4 Decigramm. (Anfgepaßt!)

Allerlei.

Der Hektograph, der gegenwärtig so viel von sich reden macht, ist in Wahrheit eine allerliebste Erfindung. Wenn man, was in jedem Beruf häufig genug vorkommt, plötzlich in der Lage sich befindet, von einem eben vollendeten Schriftstück eine größere Anzahl Exemplare an verschiedene Interessenten (der Architekt seine Pläne, der Schriftsteller ein Elaborat, der Geschäftsmann ein Cirkular) zu vertheilen, so wußte man sich seither (wenn man es nicht drucken lassen wollte) gar schwer zu helfen. Die autographi­schen Apparate waren so schwerfällig und so thener, daß mit ihnen nichts anzufangen war. Wie leicht und billig ist das jetzt mit dem neuen Verfahren von Lewitus in Wien zu bewerkstelligen! Was hat man zu thun? Einfach Folgendes: Man erhält eine eigens dazu qualificirte Tinte, rothe, blaue oder blauschwarze. Man schreibt damit mittels gewöhnlicher Stahlfeder ohne besondere Vorrichtung seine Niederschrift oder entwirft seine Zeichnung. Daneben hat man einen eigenthümlichen, aber sehr einfachen Apparat stehen: eine flache Zinnkapsel, welche mit einer gelatineartigen Masse, dem Geheimniß des Erfinders, ausgefüllt ist; auf diese letztere wird das Geschriebene etwa eine Minute aufgelegt; es erscheint alsdann auf der Masse als Negativbild und nunmehr nimmt man in rascher