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1879 ,
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Peter Kümmerling.
Ein Eharcictcrlnld vvn I. B. Jacobi.
(Fortsetzung.)
„Was wird sie denken!" Mit diesen Worten sprang Kümmerling ans und eilte hinaus in die Vorstadt.
Alma, die diesmal länger als gewöhnlich seiner geharrt hatte, empfieng ihn allerdings mit sausten Vorwürfe»; da sie jedoch die wahre llisache seines späten Kommens nicht ahnte, dachte sie, er habe sich bei der Arbeit verspätet, daher sagte sie:
„Du lassest Dir allzuviel autbürden, lieber Peter, Du bist zu bescheiden, zu bereitwillig, zu gutmüthig; daß weiß der Rechtsanwalt, der selbstsüchtig genug ist, um daraus Nutze» zu ziehen."
Wie ersichtlich kannte Alma bereits seine Schwäche, diese aber setzte ihn bei ihr nicht herab, sie hob ihn vielmehr in ihren Augen, war er doch auch ihr gegenüber die Aufmerksamkeit und Hingebung selbst.
„Du irrst —" erwiderte Peter, vollendete den Satz jedoch nicht. Ach, das Herz war ihm so voll, und doch — was ihn znrnckgehalten hatte, konnte er ihr unmöglich sagen. Nach kaum merklicher Panse aber fuhr er fort: „freilich ist es mir nicht gut möglich, eine Arbeit abzuweisen, selbst wenn diese mein Pensum übersteigen sollte: auch mag ich nicht in Abrede stellen —" Der gute Kümmerling hatte sich so an den Kanzleistyl gewöhnt, daß er ihn auch zuweilen in der Unterhaltung beibehielt. Alma, die auch diese Schwäche kannte, fragte lächelnd:
„Und was, lieber Peter, magst Du nicht in Abrede stellen?"
„Daß meine scheinbare Fügsamkeit leicht mißbraucht werden könnte."
„Und von dem Rechtsanwalt mißbraucht worden ist und noch mißbraucht wird," ergänzte Alma, „hat er Dir nicht den Unterricht der Kinder aufgebürdet, ohne Dich gehörig dafür zu honoriren?"
„Ich gebe ihnen nur ein paar Stunden wöchentlich," entschuldigte Peter.
„Ja, aber außer der gewöhnlichen Geschäftszeit; ich glaube," fügte sie scherzhaft hinzu, „wenn Du nicht Kümmerling hießest und — Kümmerling wärest," dabei streichelte ihm Alma, wie eine Mutter ihrem Kinde zu thun pflegt, liebreich die Wange, „er würde es gar nicht wagen, Dir so etwas zuznmnthen. Ja, ja, nur Dein leidiger Name ist Schuld daran, daß es Dir kümmerlich geht."
Er ergriff ihre Hand, küßte sie und sagte seufzend:
„Wenn es nur mir traurig ginge, wollte ich es gern ertragen, aber daß ich Dich an mich, den Aussichtslosen, gekettet —"
Sie ließ ihn nicht ausreden, ihre Hand ans seine Lippen drückend, rief sie:
„Schweig, lieber Peter, aus Mnthwillen scherzte ich über Deinen Namen; der uns lächelnden Gegenwart wollen wir uns freuen, und ohne der Zukunft zu gedenken, uns vertiefen in die Gedanken der großen Geister, die ans Deinen Büchern zu uns sprechen."
Es hatteu bereits alle seine Klassiker ihren Weg herausgefunden; sie standen zierlich geordnet in einem Schränkchen in Almas Zimmer, in welchem auch die rosabebänderte Guitarre ihr Plätzchen hatte.
In seiner Kammer brauchte er weder diese noch jene. H^r, wo seine Liebe weilte, war seine Lebenslust und sein Daheim.
Der Aktuarius war emsig an seinem Pulte beschäftigt, als die Thür der Schreibstube aufging und Herr Stein in Begleitung eines langen, hager», jungen Mannes hereintrat.
„Herr Streber, Herr Kümmerling," sagte der Rechtsanwalt, dem Actuarius seinen Begleiter vorstehend.
Kümmerling verbeugte sich in seiner steifen Manier vor dem Fremden, und dieser, der seinem Aeußeren nach gleichfalls in keinem Salon ausgewachsen zu sein schien, erwiderte äußerst linkisch dessen Verbeugung, worauf der Rechtsanwalt das Wort nahm:
„Herr Streber, lieber Kümmerling, will sich praktisch in das Justizfach einarbeiten, wollen sie ihm
Donnerstag den 1t). April.
gütigst mit Rath und Unterweisung beistehen, ehe Sie ihn selbständig arbeiten lassen, ihn mit Copialien beschäftigen, damit er daS Rechts- und Aktenwesen gründlich kennen lerne?"
Abermals verbeugte sich Kümmerling, diesmal aber vor seine»! Prinzipal: dann wandte er sich an den neuen Ankömmling, und ihn an das noch leerstehende Pult des früheren zweiten Schreibers führend, übergab er ihm mit einigen erklärenden Worten ein Paket Akten zur Durchsicht und zur Abschrift.
Zwei in jeder Hinsicht mehr von einander verschiedene Leute als Johann Streber und Peter Kümmerling waren kaum denkbar.
Hellblondes, spärliches Kopf- und spärlicheres, rölhlicbschillerndes Barihaar umrahmte» das magere und dennoch breite Gesicht Strebers, dem die sehr kleinen, sehr kurzsichtige», und daher stets zwinkernden Augen, der breite Mund und die wenig vorspringende Nase keine» ungewöhnlichen Ausdruck verliehen. Nein, ein großer Geist sprach nicht ans diesem Gesicht, wohl aber Ausdauer und fester Wille. Diesen suchte man vergebens dem des Aktuarius, dessen blasses Antlitz mit dem schwarzen Haar und Bart zwar klüger aussah, aber uni Mund und Angen mehr Geiuüth verrieth als thatkräftigcn Sinn. Strebers Gestalt zeigte übrigens die nicht zu voller Ausbildung gelangte Kraft eines stark angelegten Körpers, der des Aktuarius war offenbar schon in früher Kindheit verkümmert, durch Noth und Mangel an Pflege.
Sv verschieden wie ihr Aeußeres, so verschieden waren auch die Charactere der beiden Männer. Kümmerling war, ivie schon erwähnt, eine schwärmerische, Streber hingegen eine durchaus praktische Natur.
Sehr armer Eltern Kind und früh verwaist, war er, ans einer rauhen Hand in die andere wandernd unter herben Entbehrungen und bitteren Qualen ausgewachsen. Doch schon als zwölfjähriger Knabe hatte er sich ein Ziel gesteckt, und, dasselbe unverrückbar im Auge haltend, sich täglich gesagt: Ich ivill ein Mann werden und dieses Ziel erreichen.
Jetzt stand er bereits im ersten Mannesalter und obgleich durch widrige Verhältnisse immer wieder znrückgeworfen, hatte er es keineswegs aufgegeben; im Gegcnthcil, er ließ nicht nach, inuthig darauf hin zu arbeiten.
Er schrieb Copialien, hungerte und fror dabei, dennoch kaufte er sich für einen Theil seines geringen Verdienstes alte juristische Bücher, deren trockenen, für ihn aber sehr interessanten Inhalt er, wie Kümmerling seine Klassiker, meistens bei Mondlicht studirte. Und studiren wollte er und zwar Jurisprudenz, das war das Ziel, nach dem er strebte. Als er nun endlich nach langjährigen vergeblichen Versuchen zu Erlangung einer festen Stelle, die des zweiten Schreibers bei Herrn Stein erhalten halte, da jubelte er laut auf. Er hatte, das war er überzeugt, die erste Staffel zur künftigen juristischen Laufbahn erklommen.
Studenten, deren Bekanntschaft er suchte, nahinen sich auf sein Bitten seiner mangelhaften wissenschaftlichen Bildung an, und tagüber für seinen Unterhalt arbeitend, trieb er während der Nächte Latein und Griechisch. Jetzt aber warf er sich mit geistige»! Heißhunger ans die ihm von Kümmerling übergebenen Akten.
Von nun ab herrschte meistens tiefes Schweigen in der Schreibstube des Herrn Stein, die der sehr gesprächige Flink früher oft durch sein Geschwätz belebt hatte. Streber und Kümmerling vergeudeten nie die Zeit mit unnützen Reden, ihre Unterhaltiingenbeschränk- ten sich lediglich auf die Sache, welcher sie dienten. Gar emsig arbeiteten sie Tag für Tag, Woche um Woche zum Nutzen des Rechtsanwalts, häufig genug zum Nachtheil der lhörichten Menschen, die zu Schlichtung ihrer Angelegenheiten den fremden Verstand, den sie bezahlen müssen, anstatt des eigenen, der sie nichts kostet, zu Hilfe rufen.
Ja, Herr Stein konnte zufrieden sein; sein Weizen blühte, wie man zu sagen pflegt, und pünktlichere, fleißigere und zuverlässigere Leute, als die beiden Männer, welche ihm beihilflich waren, ihn zum Blühen
zu bringen, gab es sicherlich nicht. Mit der Zeit — und diese verrauschte gar schnell — überließ er Streber die Ausarbeitung seiner Prozeßakten, Kümmerling die notariellen Aufnahmen — die Abschriften besorgten einige angenommene jüngere Schreiber — er selbst aber begnügte sich damit, alle Papiere mit seiner Unterschrift zu versehen und — die ibm von „Rechtswegen" zu- kommendcn Sportel» einznstreichen.
Ein Jahr, nachdem Streber Herrn Ltein's Schreibstube betreten, hatte er auf einige Zeit Urlaub genommen und trotz seines Bartes und seiner fünfundzwanzig Jahre sein Abitnrientenepamen gemacht, dann von Herrn Stein sich die Vergünstigung ansbedungen, zweimal wöchentlich rechtswissenschaftliche Vorlesungen in der Universität Horen zu dürfen und — nach abermals drei Jahren war er im Begriff, den ersten juristischen Grad zu erwerben. Kümmerling aber hatte mit rastlose»! Flciße endlich dreihundert und achtzig Dhaler znsammengespart; er dachte nun ernstlich daran, eine eigene Häuslichkeit zu begründen und die Braut heimznfnhren. Noch hatte er, obgleich ihm die frohen, ihr Gutes verkündenden Worte oft auf den Lippen geschwebt, mit ihr darüber nicht gesprochen.
Nein, erst mußte er die Vierhundert voll haben.' In zwei Monaten — gerade zu Weihnachten — oh, wie jauchzte er aus bei dem Gedanken, daß er am heiligen Abend, wo Alle in der Christenheit, die der Freude noch fähig sind, sich doppelt freuen, vor sie hintreten würde und sagen:
„Sieh her, inein Lieb, all das Geld ist Dein, nimm es und kaufe Alles, was Du für nöthig errachtest zu unserer Einrichtung — ich verstehe nichts davon — suche und micthe eine Wohnung, wo und wie sie Dir gefällt — und — gestatte mir ein Plätzchen darin, denn Du sollst walten in dem Daheim, mein Leben, mein Glück, meine Herrin, mein Alles auf Erden!"
Diese Rede — wie oft hatte er sie sich in Gedanken wiederholt — und ivie durchschauerte ihn selige Wonne bei diesen Gedanken!
Oh, ihr armen, armen Menschenkinder — mit der Hoffnung auf künftige Freude, künftiges Glück ist euch gewöhnlich des Glückes und der Freude knapp zngemessener Antheil schon zu Theil geworden.
(Fortsetzung folgt.)
- - Der kalte Frühling. Der „Bcrl. Börsen- cour." thcilt ans dem Nachlaß Salingre's ein niedliches ,,Frühlingslied" mit, das einigermaßen ans die jetzige Situation paßt. Es ist betitelt: „Frommer Wunsch eines alten Schauspielers" und lautet:
O Himmel voller Zuversicht Ich meine Hände falte:
Ich bitll, las; wiederkehreu nicht Die Witterung - die kalte.
Das Frnhlingswetter hat so schon Zu werden schon begonnen - - Mit Freuden habe ich gesch'n,
Wie aller Schnee zerronnen.
O lieber Gott, las; dauernd sein Des strengen Winters Scheiden —
Las; brechen nicht ans uns herein Rachtminterliche Leiden!
Denn eine kalte Witt'rnng — vH!
Ans's Tiefste mich verletzte —
Weil meinen Winterpaletot Heut Morgen ich versetzte.
Ein für jeden Haushalt äußerst praktisches und rentables Mittel hat die Obere Apotheke von Otto Santermeistcr in Rottweil erfunden. Es ist die schon vielfach bekannte Restitutions-Schwärze. Mittelst derselben können abgetragene Kleider jeden Stoffs, mögen sie eine graue, braune, blaue oder schwarze Farbe haben, besonders auch schwarze Filzhüte, ans die einfachste Weise wicderhcrgestellt werden, daß sie wie neu anssehen. Selbstredend enthält dieselbe keine Substanzen, welche nachtheilig auf die Kleiderstoffe eimvirken könnten, weßhalb der Gebrauch derselben einer jeden Haushaltung auf's Beste empfohlen werden kann. Niederlagen befinden sich an allen größeren Plätzen Württembergs.