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Reichsverfaflung gesprochen hatte, wurde die Versammlung auf Grund des ^ 9 Abs. 1 des Sozialistengesetzes polizeilich aufgelöst.

Mittelfischbach, OA. Gaildorf, 10. Sept. Gestern wurde unser Ort von einer Zigeunerbande heimgesucht, die wohl sechzig oder mehr Per­sonen zählte. Bald hatten auch mehrere Frauenzimmer in den Häusern Dieb­stähle ausgeführt, weshalb der Ortsvorsteher Verhaftungen vornehmen und die Diebe ans K. Oberamt einliefern ließ. Nur ungern verließen die übrigen den Weisungen des Ortvorstehers gemäß den Ort, nachdem sie sahen, daß ein Teil der Bürgerschaft in Bereitschaft stand, um einen etwaigen Widerstand zu brechen. Die Horde zerteilte sich, eine Hälfte zog nach Bühlerthann, die andere nach Obersontheim, nachdem sie vorher Rat gehalten und sich über den Ort des späteren Zusammentreffens verständigt hatten.

Vom Fuße des Wunnen st eins, 11. Septbr. Der Weinstock dürfte recht trocken und warm haben. Infolge dieser naßwarmen Witterung wurden die Weinberge, wie sich der Weingärtner auszudrücken pflegt, zu mast". Darum wäre warmer Sonnenschein sehr von Nöten. Schwarzries- linge sind meist alle schwarz, ebenso trifft man ganz gefärbte Trollinger, welche Heuer einen ganzen Herbst geben in Masse. Auf den in letzter Zeit abgehaltenen Viehmärkten war allerorten ein Viehabschlag und zwar bei sämt­lichen Viebgattungen wahrzunehmen. Die Fleischpreise sind deshalb endlich einmal im Sinken begriffen. Der Bauer konnte zwar lange nicht sich ent­schließen, eine Reduktion seines Viehstandes eintreten zu lassen, allein in An­betracht seines geringen Heu- und Oehmdvorrats, sowie des starken Ausfalls an Stroh ist er genötigt, sich für den Winter nach Verhältnis seiner Futter­vorräte auch seinen Viehstand zu regeln.

Pforzheim feiert am nächsten Sonntag die Eröffnung des prächtig gelegenen Stadtgartens. Der Garten ist auf dem von der Stadt zur Verfügung gestellten oberen Rennfeld vom. Pforzheimer Garten­bauverein mit großen Opfern angelegt und verspricht Äne der schönsten Zierden der Stadt zu werden. Der Gartenbauverein wird mit dieser Eröffnung seines Gartens eine auf dem Stadtgartenterrain arrangierte größer Pflanzen- und Blumen-Ausstellung verbinden, welche vom Samstag, den 18., bis Montag, den 21. September, abends dauern wird. Neben der Aus­stellungshalle ist auch eine provisorische Restaurationshalle errichtet und wird die Feuerwehrkapelle am Sonntag Nachmittag im Garten konzertieren. ^

München, 12. Sept. Heute morgen nach 5 Uhr stieg aus mehreren Fenstern des 3. Stockwerks jenes Trakts des K. Hauptpostgebäudes, welcher gegen das Münzgebäude liegt, eine starke Rauchsäule empor, was die sofortige Alarmierung der Feuerwehr veranlaßte. Es ergab sich, daß im Rechnungs- und Revisionsbureau aus bisher nicht ermittelter Ursache in einer Ecke die Bodendiele in Brand geraten war und das Feuer in den dort vorhandenen Papiermengen reichliche Nahrung gefunden hatte. Die rasch eintreffende Feuerwehr mußte eine volle Studde angestrengt arbeiten, bis das Feuer gedämpft und jede Gefahr beseitigt war. Bei der Enge der Gänge und Stiegen waren die Löscharbeiten, sowie die Fortschaffung der vielen brenn­baren Materialien sehr erschwert.

Frankfurt, 15. Septbr. Die Insulte, welche unserer Prima­donna, Frau Schröder-Hanfstängl, in einem Coupo der Hamburger Bahn widerfahren ist, wird schon in den nächsten Tagen Gegenstand gericht­licher Verhandlung werden. Die englische Bonne, welche bekanntlich verhaftet wurde, ist inzwischen gegen Kaution von 1500 auf freien Fuß gesetzt worden.

WevnrrfcHtes.

Ein Feenschloß im Stile der phantasievoll ausgeführten Baulichkeiten, wie solche König Ludwig von Bayern ausführen läßt, soll das Jagdschloß werden, welches für die Kaiserin von Oesterreich gegenwärtig im Bau begriffen ist und im nächsten Jahre vollendet sein wird. Die Kaiserin selbst hat dem Architekten, Baron Hasenauer, einige Ideen zu der Ausstattung angegeben. Auf den speziellen Wunsch der Kaiserin wurde in dem in alt- gothischem Stil dekorierten Speisesaal eine Fclsengrotte angebracht. Der

Kaiser übergibt das Schloß als Geschenk, und es wird dasselbe auch in das Grundbuch auf den NamenKaiserin Elisabeth von Oesterreich" eingetragen werden, um ausdrücklich zu konstatieren, daß die Kaiserin für alle Zeiten freie Verfügung über das Schloß besitzt. Der Kaiser und die anderen Mit­glieder der Kaiserfamilie lassen keine Gelegenheit vorübergehen, ohne der Kaiserin für das neue Schloß bestimmte Geschenke zu machen. So hat der Kaiser seiner Gemahlin zu Weihnachten vorigen Jahres ein kompletes Service aus altem Silber für dreißig Personen übergeben, dessen Anschaffungs­wert rund 95,000 Gulden betrug.

Eine Frau Gymnasialdirektor in Lörrach ist eine seelengute Frau, nur etwas rasch mit Hand und Mund und das brachte sie vor die Strafkammer in Freiburg, sogar in zweiter Instanz. Ihrem 16jährigen Dienstmädchen, dem sie nach lOjährigem Dienst 2000 versprochen hatte, widerfuhr das Mißgeschick, eine Nadel an der Nähmaschine abzubrechen: da schlug ihr die Madame mit eisernem Instrument eine Partie Zähne ein und riß ihr die Haare aus. Die Dame war ihr eigner Advokat und entwickelte eine Mundfertigkeit, daß der Präsident ihr mit den Worten:Jetzt haben wir genug" ein Ziel setzte. Sie wurde zu 200 Geldstrafe rc. verurteilt. Komisch dabei ist, daß die Dame früher mit einem Professor K. . . . ver­heiratet war, während ihr jetziger Mann Praktikant an derselben Anstalt war. Sie lernte den Letzteren, welcher bei ihrer ersten Trauung war, näher kennen und ließ sich nach neunzehnjähriger Ehe von dem Professor K. scheiden, um ihren jetzigen Gemahl zu ehelichen, bei welcher Hochzeit der geschiedene Gemahl als glücklicher Zeuge fungierte. Dfztg.

König Humberts Bart. Aus Monza schreibt man: Das Haar und der Bart des Königs von Italien, welche schon seit einem Jahre ergraut waren, sind jetzt völlig weiß geworden. Die Königin Margherita, welche sich einigermaßen darüber kränkt, daß ihr geliebter Gatte bedeutend älter erscheint,' als er ist (König Humbert wurde im März 1844 geboren), ließ aus Paris ein Kästchen mit Haarfarbe von einem der ersten Parfümeure kommen und überreichte diese ihrem Gemahl, begleitet von den süßesten Schmeichelworten. Der König nahm die Gabe an. Als am nächsten morgen die Königin in ihr Gartenhaus kam, sah sie daselbst zu ihrem Entsetzen ihren Liebling, ein weißes Löwenhündchen, völlig grün gefärbt. Die Königin weinte vor Zorn. Da sagte König Humbert:Beruhige dich, Margherita, ich mußte das Mittel doch vorher probieren, ob es haltbar und nicht schäd­lich sei. Morgen mache ich den zweiten Versuch bei deinem brasilianischen Kakadu". Als der König abends in sein Zimmer kam, da fehlte die fran­zösische Parfümerie; die Königin hatte sie vernichtet.

Allerlei. DerGreat Eastern", ein Dampfer von unge­wöhnlicher Größe, der unter den Wundern Englands stets als eines der her­vorragendsten aufgeführt wurde, soll unter den Hammer kommen. Er gehört dem englischen Lloyd. Nicht weniger als 75,570 zahlende Personen sind im Lauf des vergangenen Sonntag dem Zoologischen Garten in Berlin zugeströmt, um die Singhalesen zu betrachten. Bis mittags 12 Uhr allein wurden 38,000 Personen gezählt.Die Wilden" scheinen für die wiß­begierigen Berliner eine gewaltige Anziehungskraft zu haben. In Leipzig hat man mit 5 Kamerunnegern schlechte Erfahrungen gemacht. Der eine ist aus dem ersten Stockwerk seiner Wohnung heruntergesprungen und hat das linke Bein zweimal gebrochen, der zweite hat sich in einer Wirtschaft toll und voll getrunken und dann den Wirt und mehrere Schutzleute geprügelt, der dritte ist auf galante Abenteuer ausgezogen, wo aber der vierte und der fünfte hingekommen ist, das weiß man überhaupt nicht. Wiederfinden wird man die Kerls gewiß, sie sind ja schwarz. In Paris ist dieser Tage der berühmte Luftschiffer Godard gestorben. Er war derjenige, welcher während der Belagerung im Jahr 1870/71 den dortigen Ballondienst mit Geschick zu leiten verstanden hat. Am vergangenen Sonnabend ist von London nach Cardiff der erste Eisenbahnzug durch den Severntunnel abgelaffen worden, der die Entfernung zwischen beiden Städten um 13 englische Meilen abkürzt. Der Bau des Tunnels hat fast 13 Jahre gedauert. Der Tunnel ist 7664 Fuß lang, geht 40 Fuß unter dem Flußbett der Themse hin und hat 75 Millionen Ziegelsteine erfordert.

kosend strich der Wind über sie hin; die lauschigen Gänge des Parkes waren schon in tiefere Dämmerung gehüllt, lauter rauschte unten der Fluß. Es war so schwül gewesen am Tage, doppelt erfrischend wirkte nun die Nähe des Wassers.

Zwischen dunklen Tanuen wandelte eine schlanke Frauengestalt, deren geisterbleiches Antlitz sich scharf von dem Hintergrund abhob. Ihr Atem ging mühsam und schwer, die weißen Händchen preßten sich krampfhaft gegen die wogende Brust. Es war Lina, doch nicht mehr die überselige, glückstrahlende junge Frau, wie wir sie am Hochzeitstage sahen, sondern ein müdes, ver- zweifelte» Weib, das den Schmerzensschrei ihres zuckenden Herzens in die Nacht hinaustönen lassen wollte.

Was hatte binnen Jahresfrist diese traurige Veränderung bewirkt? Wo ^ar letzt der starke Arm. der feste Wille ihres Gatten, der am Hochzeitstag alle Wolken von ihrem Glückshimmel verscheuchen zu können sich vermaß? ^ O, vor ihren starren Augen zog immer wieder die Vergangenheit vor­über, mit all dem grenzenlosen Glück und all der unerträglichen Qual und Pem! O, sie wußte es genau, wann ihr Elend seinen Anfang genommen aut dem Eintritte ihrer herrsch« und ränkevollen Schwiegermutter in ihr Helm war Frieden, Ruhe und auch das sonnige Glück daraus ver- scheucht. Mit heuchlerischer Freundlichkeit hatte die stolze Frau Harders zwar dre aufgezwungene-Schwiegertochter als Gutsherrin begrüßt, aber der finstere Strahl, der einen Moment lang in ihrem Auge aufflammte, hatte Lina bis in s innerste Herz erzittern gemacht.

Von dem Tage a« warLina'S Wesen scheu und gedrückt geworden, ihre «ugen waren stets von aufsteigenden Thränen verdunkelt, die sie nur müh- sam zurückhielt, wenn die Schwiegermutter immer wieder an ihr dm Mangel «l Chic, an Gewandtheit beim Empfang der Gäste, die große Schweigfanttett

im Kreise derselben, kurz alles in allem tadelte. Sie wußte es, daß ihrem Gatten nichts widerwärtiger war, als Thränen, aber ihr sanfter Charakter, ihre große Schüchternheit und die Furcht vor dem Hohne der zungenfertigen Schwiegermutter ließen sie zu keinem energischen Widerstande kommen. Für alle Kränkungen hatte sie nur Thränen als Erwiderung, wenngleich sie sah, daß jedesmal eine Wolke des Unmuts ihres Gatten Antlitz verdüsterte.

Im Beginne dieser geheimen Quälereien ihrer Schwiegermutter hatte sie mit leiser Stimme Feodor das Leid geklagt, hatte gefleht, er möge doch einen Vorwand ersinnen, damit die Mutter wieder nach Petersburg zurück­kehre, er aber hatte geantwortet:

Sei kein Kind, Linuschka, weine nur nicht immer und nimm nicht jede Bagatelle gleich zu Herzen! Die Mutter meint's ja gut mit Dir, sie will Dich zur vollendeten Dame erziehen. Wir müssen ihr dankbar sein, und außerdem hilft sie Dir ja bei der Aufrechterhaltung Deines Hausstandes, hilft Dir die Honneurs des Hauses machen. Deine übergroße Zurückhaltung würde alle Gäste von unserem Hause fern halten und den Ruf liebenswürdigster Gastfreundschaft, der unserm Hause seit Jahren gezollt wird, müssen wir auf­recht erhalten. Drum sei vernünftig, liebes Kind, den Anforderungen der Welt an uns muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen, und wenn Du mutig der Unannehmlichkeit ins Auge siehst, wird sie bald sich für Dich zur An­nehmlichkeit gestalten. Nur heiter und lebensfroh blicken, diese Leichenbitter­miene verunstaltet fast Dein süßes Gesichtchen."

Und mit flüchtigem Kuß auf ihre Stim verließ er das Gemach, um auf die ausgedehnten Felder hinauszuretten, die er jetzt selbständig bewirtschaftete. Er sah nicht den todestraurigen Blick, den sie ihm nachsandte.

(Fortsetzung folgt.)