für den nächsten Reichstag erfolgen, damit dieselben baldmöglichst dem Bundesrathe zur Beschlußfassung zugehen können. (Fr. I)

Berlin, den 10. Juli. (Proceß Hödel.) Der Gerichtshof konstituirt sich. Borsitzender ist Mühler, Oberstaats-Anwalt Luck. Ein ungeheurer Andrang des Publikums findet statt. Hödel benimmt sich frech und vergnügt; er tritt um 9 Uhr in den Saal ein. Die Anklage wird verlesen. Hödel bekennt sich nichtschuldig. Er habe am 4. Mai, als er nach Berlin gekommen sei, eigentlich über Hamburg nach Amerika gehen wollen; habe sich aber einen Revolver in Berlin gekauft znm Zwecke des Selbstmordes, weil es ihm schlecht ging. Den Selbstmord habe er Unter den Linden geplant, weil das Jeder thue, wie es ihm convenire. Die Zeugen, welche behaupten, er habe auf den Kaiser geschossen, hätten falsch berichtet. Er habe sich schlecht getroffen; deßhalb seien seine Kleider unverletzt. Er erinnere sich, hinter einem Wagen stehend, geschossen und auf der Flucht einen zweiten Schuß abgeseuen zu haben. Alle Belastungszeugen hätten gelogen. Daß er sich in dem Brief an seine ElternAttentäter Sr. Mas. des deutschen Kaisers* genannt, sei ironisch gemeint gewesen. Er gesteht den Diebstahl bei seiner Mutter ein und will nach Metz gegangen sein, um dort zu agitiren Socialistischen Vereinen habe er nicht angehört; derVerein zur Wah­rung der Interessen des werkthäiigen Volkes" sei nicht socialistisch. Auch christlich-social sei er nicht, wohl aber Anarchist". Er verweigert die Erklärung, was er darunter versteht. Um Geld zu verdienen, habe er den christlich-socialen Schund" verkauft. Auf Hödel's Verlangen wird ein mit socialistischen Phrasen gespick ter Brief an seine Eltern verlesen, welcher sagt: Alles müsse umgestürzt werden. Er habe schon ein halbes Dutzend Revolutionäre gewonnen. Dennoch gesteht Hödel, nicht zu wissen, wasAnarchist" sei. Er werde übrigens nur aussagen, was ihm convenire. Darauf erfolgt der Zeugen-Ausruf, 33 an der Zahl. Im weiteren Verlaufe des Verhörs bestreitet Hödel, die in der Anklageschrift ihm zur Last gelegten auf das Atten­tat bezüglichen Aeußerungen gemacht zu haben. In dem Zeugen-Verhör bekunden die Zeugen fast überein­stimmend, daß Hödel auf den Kaiser gezielt und ge­schossen habe. Ebenso bestätigen die Zeugen Wort für Wort ihre in der Anklage erwähnten Aussagen über die auf das Attentat bezüglichen Aeußerungen Hödels. Nach Schluß des Zeugen-Verhörs plaidirte Ober- Staatsanwalt v. Luck für schuldig und beantragt die Todesstrafe. Der Officialvertheidiger erklärt, er ver­möge den Ausführungen des Staatsanwalts, die sich auf Thatsachcn stützten, nicht entgegenzutreten. Der Angeklagte sei das Opfer socialdemokratischer Lehren.

Hödel erklärt: Er danke für jede Vertheidigung.

Der Gerichtshof spricht nach kurzer Berathung die

Todesstrafe aus. Hödel lacht vergnügt und wird gefesselt abgeführt. (Fr. I.)

Berlin, 10. Juli. Die heutige Plenarsitzung des Kongresses war gleichzeitig seine letzte. Am Sonn­abend findet die Unterzeichnung deS Friedens-Jnstru< ments statt, welcher schon gestern sachlich abgeschlossen war. Der englisch-türkische Vertrag wegen Cypern konnte die Eintracht der Mächte nicht stören, da er allen (?) Betheiligten längst bekannt war und nur zur Beruhigung des englischen Publikums betreffs der Abmachung über Datum veröffentlicht wurde. Der Berliner Friede" erscheint zwar nur als ein Compromißwerk zwischen den widersprechenden Interes­sen der Mächte, wird aber doch eine längere Friedens- Aera einleiten. Das Abkommen betreffs Cyperns geht übrigens den Congreß nichts an, da dasselbe zu dem Vertrage von San Stefano in gar keiner Beziehung steht. (Fr. I )

Berlin, 10. Juli. DieProv.-Korr." schreibt: Die Friedensverhandlungen deS Berliner Kongreffes stehen unmittelbar vor ihrem glücklichen Abschlüsse. Alle wichtigen Fragen, die sich an den Vertrag von San Stefano knüpfen, haben unter dem fortdauernd fried­lichen Gesamlwillen der auf dem Kongresse vereinigten europäischen Mächte und durch allseitig vertrauensvolles Zusammenwirken ihrer Bevollmächtigten ausgleichende Lösung gefunden. Auch die auf die Grenzregulirungen bezüglichen Kommissionsarbeiten sind bereits zu einem befriedigenden Ergebniß gelangt, und der Kongreß selbst wird sich in den nächsten Tagen der schließlichen Fest­stellung und Genehmigung der getroffenen Vereinba­rungen widmen können. Die in den letzten Tagen bekannt gewordene Thatsache, daß England ein beson­deres Abkommen mit der Türkei wegen Abtretung Cy­perns zu englischer Okkupation behufs Schutzes der Türkei in ihrem asiatischen Besitze getroffen hat, wird

den Abschluß der Kougreßoerhandlungen nicht stören oder aushalten, da dieselbe den Vertrag von San Stefano, welcher der Beschlußnahme (des Kongresses unterliegt, nicht berührt. Samstag wird der Friede zu Berlin unterzeichnet werden, in welchem Europa den Abschluß der jüngsten Kriegsära und der seither noch drohenden Kriegsgefahr und damit, so Gott will, den Ausgangspunkt einer neuen Zeit friedlicher Entwicke­lung und friedlichen Aufschwungs freudig begrüßen wird. (Reue Ztg.)

ImKaiserhof" wurde am Sonnabend, wie die Tribüne" mittheilt, eine mächtige Kiste aus 20 mm. starken Brettern gezimmert, welcher die welt­geschichtliche Mission übertragen werden soll, die auf die Kongreß« er Handlungen bezüglichen Aktenstücke der englischen Diplomatie aufzunehmen und, gegen Seewaffec geschützt, mit ihrem kostbaren Inhalt nach Lonvon zu befördern.

Das Reichsgesetzblatt enthält das Gesetz, betr. den Spielkartenstempel. (Die Hauptbestimmung, welche im §. 1 enthalten ist, lautet: Spielkarten un­terliegen einer nach Vorschrift dieses Gesetzes zu er­hebenden, zur Reichskasse fließenden Stempelabgabe, welche beträgt: 0,»» für jedes Kartenspiel von 36 oder weniger Blättern, 0,»o -^l, für jedes andere Spiel. Spielkarten, welche unter amtlicher Kontrole in das Ausland ausgesührt werden, unterliegen der Abgabe nicht.) Der Neichsanz. veröffentlicht die Abberufung des Grafen Stolberg vom Wiener Botschafterposten.

Gegenüber dem Dementi, welches die Angaben desBerl. Tagebl." über eine neuerliche Vernehmung Nobilings erfahren haben, konstatirt die Auerbach'sche Gerichtskorresp.: Der Hochverräther Nobiling ist aller­dings während der vorigen Woche an 3 verschiedenen Tagen, jedoch nur kurze Zeit, vernommen worden. Nobiling hat sich hierbei meist auf die Bejahung, resp. Verneinung, der an ihn gestellten Fragen beschränkt, und im Wesentlichen das, was er bei seiner ersten Ver­nehmung am 2. Juni ausgesagt hatte, bestätigt. Für den Gang der Voruntersuchung haben diese Verneh­mungen einen werthvollen Beitrag nicht geliefert. Neue- stens hat sich der Zustand Nobilings wieder verschlim­mert, so daß die weitere Vernehmung desselben wieder auf unbestimmte Zeit vertagt werden mußte.

OesterreichUngarn.

Wien, 9. Juli. Die Ansicht, daß Gras An- drassy bei seiuer Rückkehr vom Kongresse vom Kaiser die Fürstenwürde empfangen werde, tritt immer allge­meiner und bestimmter auf. (Neue Ztg.)

Wien, 9. Juli. Die englisch-türkische Conven­tion macht ungeheures Aufsehen. Die Presse schreibt: England hat das Kalisenreich in Pacht genommen." Das Fremdenblatt nennt die Occupation Cyperns eine definitive. Das Tageblatt erklärt, England habe ganz Europa getäuscht. Allseitig wird die Frage aufgewor­fen, ob Rußland die Affaire voraus gekannt habe? (Gewiß, wie wir aus Berlin bereits nicht nur seit Tagen, sondern seit Wochen gemeldet haben.) Vielfach werden neue Schwierigkeiten besorgt (aber nicht in Wirklichkeit treten). (Fr. I.)

Wien, 10. Juli. DerStandard" behauptet, sämmtliche Mächte hätten dem Abkommen betreffs Cy­perns zugestimmt. Von unterrichteter Seite verlautet, es sei definitiv bestimmt, daß nach dem Schluß des Congresses unter Hohenlohe's Vorsitz eine Ausführungs- Commission behufs Regelung der Detail-Fragen zu­rückbliebe. Andraffy und Ristics Unterzeichneten in Berlin den Entwurf eines östreichisch-serbischen Handels­und Eisenbahn-Vertrags (Fr. I.)

Dem Schah scheint es diesmal in Wien nach den Berichten dortiger Blätter recht wohl zu behagen; er besieht sich alle möglichen Sehenswürdigkeiten, macht und empfängt viele Besuche. Er hat sich auch photo- graphiren lassen; Madame Adele wurde zu diesem Be­hufs in seine Gemächer beschicken. Er und sein Ge­folge scheinen die Gastfreundschaft deS Kaisers diesmal in mehr europäischer Weise zu benützen als daS letzte mal. Ueber die Freundlichkeit, die das Wiener Publi­kum dem Schah entgegenbringt, soll sich derselbe un- gemein erfreut ausgesprochen haben; selbst das Andrän­gen an seinen Wagen behage ihm recht gut.

Dänemark

Die größte Prinzessin ist die dänische Kron- prinzeß. Sie mißt 6 Fuß 2 Zoll, tanzt sehr gern, hat aber Mühe, Tänzer zu bekommen, da sie durchaus nicht mit Herren tanzen will, die kleiner als sie sind. Sie muß daher oft schimmeln. Der Prinz Lulu soll auf diese 6 Fuß 2 Zoll seine beiden Augen ge­worfen haben, um sie heimzuführen, und Frau Eugenie auch. Da aber der Prinz nur 5 Fuß 5 Zoll mißt, so wird sie weder mit ihm tanzen, noch ihn heirathen wollen.

England.

London, 9. Juli. Die nationale Vereinigung aller liberalen Vereine veröffentlicht einen Aufruf, welcher das Land auffordert, sofort energisch zu pro- testiren gegen die Annection Cyperns und die geheim- nißvolle Art und Weise, in welcher die Regierung die Allianz mit der Türkei abschloß. (Fr. I.)

Rußland.

Petersburg, 9. Juli. In hiesigen hohen Kreisen zirkulirt ein autographirtes Memorandum des Prinzen Peter von Oldenburg. Das Memorandum knüpft an den Zusammentritt der Kon- greß-Delegirten in Berlin und die schmerzlichen Umstände an, unter denen derselbe ersolgte. Die ganze Welt, erschreck^ durch die entsetzlichen Ereignisse in Berlin, frage: Sollen wir eine Beute der Internationale werden, die daraus abzielt, die Grundlagen der Gesellschaft zu erschüttern, die Throne und Regierungen zu stürzen, die Religion zu vernichten? Die Ideen der Sozialisten verbreiteten sich in erschreckender Weise. Die Geschichte beweise, daß man Ideen nicht mit Bayonnetten be­kämpfen könne; daß, um die Keime verbrecherischer Ideen auszurotten, es der gleichzeitigen, übereinstim­menden Aktion aller Regierungen und Souveräne bedürfe. Leider hätten die Regierungen, trotz allen Verkehrheiten der Ideen des Sozialismus, demselben Vorwände zur Unzufriedenheit gegeben, besonders durch die Blutsteuer, die schwer auf dem Volke laste. Es genüge nicht, einen Frieden zu schließen, so ehrenvoll derselbe sein möge, wennman einen bewaffneten Frieden fortführe, der den Regierungen die Mittel raube, das Volk zu unterstützen und verläßliche Ver­besserungen in der inneren Verwaltung einzuführen. Jede Regierung bedürfe einer ihrer politischen und geographischen Lage entsprechenden be­waffneten Macht. Sie abzuschaffen, wäre eine ver­brecherische, sinnlose Idee, aber die gegenwärtige, von Robespierre eingeführte Maffenaushebung müsse ge­ändert werden. (Neue Ztg.)

Türkei.

K o nstan tin op el, 10. Juli. Reuter meldet von hier, es sei bezüglich der Okkupation Bosniens eine Einigung auf der Grundlage einer gemeinsamen Besetzung durch Oestreich und die Pforte erzielt.

Tiflis, 4. Juli. Hier ist ein Betrug an den Kranken entdeckt worden; welcher darin b^eht, daß man Chinin, welches während des Krieges aus dem Tiflissche» Kronsmagazine an die Lazarethe und Hospitäler der kaukasischen Armee versandt wurde, mit Magnesia vermischt hat.

Zypern hat 9537 Quadratkilometer, ist also etwa halb so groß wie Württemberg. Die Einwohnerzahl der von der Natur reichgesegneten Insel hat sich unter der Türkenwirthschaft auf 110 000 reduzirt, während sie noch im Mittelalter über eine Million zählte. Es ist zu hoffen, daß unter der englichen Verwaltung dieser herrliche Fleck Erde der europäischen Kultur wieder gewonnen wird. Im Alterthum waren bekannt­lich die Mittelmeerländer der Hauptsitz alles geistigen Lebens. Nun ist Aussicht vorhanden, daß der Hauch der Kultur wieder mehr in jene so lange verödeten Gebiete einzieht. (Neue Ztg.)

Amerika.

Heirathen werden hier umsonst geschlossen", lautete die Inschrift an derOffice" eines Friedensrichters in Ohio, derdaneben" eine Wirthschast hält und genug Veld durch das Besorgen der Hochzeits-Mahlzeiten und deS Hochzeitstrunks verdient, um das Copuliren gratis besorgen zu können.

«firn.

Der Reichthum an Steinkohlen in China ist nach neueren Berichten ein ganz enormer. Die chine­sischen Kohlenfelder nehmen nämlich einen Raum von 400,000 (engl.) Quadratmeilen ein, während für Eng­land seine 12000 Quadratmeilen Kohlenlager genügten, um es zum industriellsten Lande der Welt zu erheben. In der Provinz Hu-Nan findet sich ein Kohlenfeld, daS sich über 21,700 Quadratmeilen ausdehnt. Dieser Länderstrich zeigt zwei von einander vollkommen ver­schiedene Kohlenbecken, eines derselben besitzt nur bitu­minöse, das andere dagegen sogenannte Glanzkohlen. Die Kohlenlager der Provinz Schan-Si nehmen den kolossalen Raum von 30,000 Quadratmeilen ein. Ein derartiger Kohlenreichthum ist im Stande, für Tausende von Jahren den Bedarf für die ganze Erde zu liefern. Die Tiefe dieser Kohlenbecken variirt sonst von 12 bis 30 Fuß, die der letztgenannten Provinz erstreckt sich bis auf 500 Fuß. ,

Handel und Beüehr rc.

Vom Bodensee, 8. Juli. Bei uns da oben stehen die Fruchtfelder überall schön und versprechen «inen reichen