schreibt: In der Angelegenheit des Kultusministers wird neuerdings offiziös bestätigt, daß der Kaiser demselben wiederholt den Wunsch zu erkennen gab, er möge im Amte verbleiben. Eine definitive Erledigung der Angelegenheit wird bei der anscheinend nahe bevorstehenden Anwesenheit des Fürsten Bismark und des Grafen Stolberg erfolgen. Einstweilen tritt der Kultusminister eine amtliche Reise nach Schlesien an.
Berlin, 29. Mai. Wiener Nachrichten con- statiren den Erfolg der Bemühungen des Kanzlers hinsichtlich des Zustandekommens des Congreß-Ortes, muthmaßlich Berlin. Hier herrscht die Meinung, der Congreß werde die Erhaltung der europäischen Türkei nicht als wünschenswerth aussprechen. Die Verhandlungen zwischen England und Rußland sind noch schwebend; eine Verständigung über die Präliminar- Verhandlungen ist principiell erfolgt, einzelne wichtige Punkte sind noch strittig. Der Einmarsch Oesterreichs in Bosnien hat die Zustimmung der Türkei und der Großmächte, mit Ausnahme Italiens, gefunden.
(Neue Ztg.)
Zwei Cigarremarikanten in Wert her, Regierungsbezirk Minden, haben nach der Kunde von dem Hödet'schen Mordversuche ihren Arbeitern erklärt, daß sie kein Mitglied eines sozialdemokratischen Vereins mehr beschäftigen würden. Eine dieser Firmen hat 40 Arbeitern gekündigt, die nach Ablauf einer gestellten dreitägigen Frist die verlangte Entscheidung nicht abgegeben hatten.
Oesterreich—Ungarn.
Wien, 28. Mai. Graf Andrassy verlos heute in der österreichischen Delegation ein Expos«, worin er die thatjächliche Inanspruchnahme eines Theils des Kredits motivirt. Die Monarchie dürfe nicht in moralische Abhängigkeit von andern Staaten gerathen, sie müsse als gleichmäßiger Faktor d rstehen; es könnten Komplikationen entstehen, die auch bei einer Einigung über die euröpäischen Fragen unsere Interessen gefährden. Zunächst seien Verstärkungen in Dalmatien und Siebenbürgen auch eventuell ein Aufmarsch zur Sicherung der Kommunikationen beabsichtigt. Der baldige Zusammentritt des Kongresses stehe in Aus- sicht. Der Standpunkt der Regierung sei: für den europäischen Frieden zu wirken und die Interessen der Monarchie zu wahren. Andrassy bittet unter Betonung des unveränderten Karakters der Regicrungspolitik, die Inanspruchnahme zur Kenntniß nehmen zu wollen. Die Delegation beschloß die Zuweisung des Expose an den Budgetausschuß.(Neue Ztg.)
Wien, 29. Mai. Die „Politische Korrespondenz" meldet, daß der Sturz des Sultans unvermeidlich erscheine und daß das Absetzungsdekret, umlaufendem Gerüchte zufolge, schon vorbereitet sei.
In Oesterreich-Ungarn machten die Verhandlungen über den Ausgleich weitere Fortschritte: es ist somit gegründete Aussicht vorhanden, daß die Frage, welche fast drei Jahre lang Gegenstand hartnäckigsten Streites zwischen beiden Reichshälften war, endlich von der Tagesordnung verschwindet. Durch die Besetzung der kleinen türkischen Jnselfestung Adakaleh, deren Besitz für die Schifffahrt auf der untern Donau überaus wichtig ist, hat die Regierung den ersten Schritt zu selbständigem Eingreifen in die orientalischen Angelegenheiten gethan, dem andere wahrscheinlich demnächst folgen werden.
Frankreich.
Ter Schah von Persien wird mit einem Gefolge von zwanzig Personen, unter denen sich seine Ministern des Aeußern, der Justiz und des Krieges befinden, am 10. Juni in Paris erwartet. Er wird das strengste Inkognito beobachten und im „Grand Hotel" Gemächer beziehen. Sein Aufenthalt in Paris ist auf einen Monat bemessen.
Griechenland.
Laut Nachrichten aus Alben vom 25. d. haben die T ürken aus den englischen Consul in Kreta geschossen, jedoch obne ihn zu treffen. In der Ortschaft Verani wurden mehrere Christen von den Baschibozucks in Stücke zerhauen.
England.
London, 29. Mai. „Daily Telegraph" will wissen, der heutige Kabinetsrath werde die Instruktionen für die Vertreter Englands auf dem Kongresse feststellen. Nach der mit Graf Schuwaloff erzielten Verständigung würde Neubulgarien auf weniger als die Hälfte des ursprünglich bestimmten Umfanges reduzirt werden. In Armenien hat Rußland ebenfalls beträcht liche Einschränkungen zugestanden. Bezüglich der türkischen Kriegsentschädigung ist ein Arrangement zu erwarten. (St.-Anz.)
London, 29. Mai. Graf John Rüssel ist gestern Abend gegen 11 Uhr gestorben. (St. A.)
London, 29. Mai. Das Reuter'sche Bureau meldet: Das Gerücht von einem angeblichen Attentate auf den deutschen Kronprinzen hat seinen Ursprung in dem am letzten Sonntag vor der deutschen Botschaft von einer Anzahl deutscher Social-Demokraten gemach
ten Versuche, die Ueberreichung einer Loyalitäts-Adresse der deutsche» Arbeiter Londons an den Kronprinzen zu verhindern. Die Socialdemokraten, durch einige Franzosen verstärkt, roltcten sich zusammen, sangen die Marseillaise und riefen: Nieder mit dem Kronprinzen! Schließlich brachte die Polizei die Tumuitanlen aus- einander. (Fr. I)
Rußland.
Der Schah von Persien ist zum Besuch in Petersburg eingetroffen und von dem russischen Hose mit großer Auszeichnung empfangen worden.
Tiflis, 16 Mai. Von Erzerum lauten die Nachrichten trostlos; die Sladt und ihre Umgebung sollen durch die Menge der dort allenthalben oerwesen den Körper von Menschen und Thieren, die gar nicht oder nicht gehörig eingescharrt worden, wahre Brutstätten ansteckender Krankheiten sein. Selbst die 120,000 Hunde, welche nach neueren Angaben Erzecums Haupt- bevöikerung ausmachen sollen, werden nicht mehr mit all dem Unrath und dem Aase fertig, das sich in der Stadt angehäuft hat. In der Umgebung der Stadt liegen Tausende von unbegrabenen Leichen, welche jetzt, da der Schnee geschmolzen und die Erde ausgelhant ist, ans Tageslicht kommen und die Luft gräulich verpesten. Doch ist nach statistischen Erhebungen bei alledem der Gesundheüsstand der kaukasischen Armee immer noch besser als der an der Donau.
Türkei.
Konstantinopel, 28. Mai. Großvezier Sadyk Pascha wurde gestürzt und an dessen Stelle der englisch gesinnte Rudschi Pascha znm Großvezier ernannt. (Neue Ztg.)
Handel und Verkehr rc.
Ka t b o ti s ch e Kirch e» bau l o tteri e. Der erste Gewinn (20,000 ist dem Adlcrwirth Langenbach er in Hornberg zugefalten.
Bezirk Horb, 28 Mai. Die Vegetation steht, wenn man überhaupt etwas aussctzen kann, nur zu üppig, so daß eine Unmasse Futter gesichert ist und dis günstigste» Ernteaussichten vorhanden sind. Was den Obsterlrag betrifft, so gibt es ziemlich Zwetschgen, auch Aepsel; diese Obstsorte hat jedoch Lurch den sog. Btüthenstecher viel gelitten: Birnen wird cs nur hie und da geben. Der Hopsen ist je nach der Lage sehr verschieden, denn neben den üppigsten Ranken, welchen die Heuer reichlich ausgetretenen Ftöbe nichts mehr schaden können, gibt es noch viele, weiche sehr zurück sind und an diese geht das Ungeziefer am liebsten. Mancher fragt sich im «stillen jetzt schon, was die Hopfen Heuer gelten werden, denn nicht gar viele Produzenten Haben ihre nökhigen Prozente berausgeschlagen und selten hat sich das Sprichwort „Der Hops' ist ein Tropf" so bewährt wie im vergangenen Jahr, denn daß dieser HandelSarkikel von 500 vor zwei Jabren aus zum Theil 50 -L voriges Jahr sinken würde, das hat sicherlich gar Niemand geglaubt.
Falsche Münze.
Aus den Nachtseiten der Weltstadt.
(Fortsetzung.)
Durch dis in der nächstgciegenen Destillation nach dem gelhanen schweren Werke sich erquickenden Dienstmänner verbreitete sich bald die Nachricht von dem vorgefallencn Selbstmorde und gelangte auch zu den Ohren des neuigkeilsbednrftigeii Reporters des Abendblattes. vr. Heider, der inzwischen sich eingefnnden, zuckte die Achseln, Rettung sei wohl bei sorgsamster Pflege noch möglich, aber unwahrscheinlich, und ordnete den Transport des Unglücklichen nach der Charit« an.
Als K. nach dem Polizeipräsidium zurückgekehrt war, entging ihm eine gewisse Aufregung nicht, die sich bemerklich machte und selbst auf den Präsidenten erstreckte, dem er sofort über den Erfolg seiner Excur- ston rapportiren mußte. „Ich danke Ihnen, lieber K.," sagte der Präsident, als der Commiffar seinen Bericht beendet; es wird sich wahrscheinlich bald Gelegenheit für Sie bieten, neue Lorbeeren zu pflücken: die ganze Hölle scheint auf einmal losgelassen zu sein, vor wenig Minuten ist von Breslau die telegraphische Meldung eingelaufen, daß dort 80000 Mark falsche Reichsbank- noren zur Ausgabe gelangt sind."
Achtzigtausend! — die Summe rief etwas in der Erinnerung des Commissars wach.
„Achtzigtausend Mark, sagten Sie, Herr Präsident? Würden Sie mir nochmals die Ansicht der beiden Zettel gestatten, welche die junge Dame vorhin zurückgelaffen? Es wäre zwar ein merkwürdiges Zusammentreffen, und doch auch läßt sich wieder der Selbstmord oder das gegen den jungen Selbstmörder verübte Verbrechen sehr leicht in Zusammenhang bringet» mit der Notenfälschung."
Die beiden Zettel lagen noch auf dem Arbeitstische des Präsidenten. Es waren die auseinandergerissenen Hälften eines, vorher ein Ganzes bildenden Stückes Papier, legte man sie aneinander, so fielen die einge- riffencn Ränder genau zusammen. Der Commiffar wandte die Zettel um, daß die Namen nach unten zu
liegen kamen, die sich sodann dem Auge des Beschauers zukehrende Rückseite enthielt die Rechnung eines Breslauer Bankiers über angekaufte Kur- und Neu- märkische Pfandbriefe und Brandenburger Rentenbriefe im Betrage von zusammen 80000 Mark.
Ueber die Züge des Commissars glitt ein Lächeln des Triumphes. Er wies stumm auf seine Entdeckung. Der Präsident trat hinzu, die Wirkung auf ihn war eine doppelte, halb freudige Ueberraschung, halb Schreck. „Wie, der Referendar?"
„Nein, Herr Präsident, verzeihe» Sie, nicht der Referendar —der Andere, Niendorf heißt er ja wohl; der Referendar war vielleicht das Werkzeug, das nun unschädlich gemacht werden sollte; darum das amerikanische Duell mit den gefälschten Loosen.
„Sie haben Recht, lieber K, Ihre Belohnung sei, daß ich Ihnen die weiteren Ermittelungen und die Verhaftung des Verbrechers übertrage; ich kann sie besseren Händen nicht anvertrauen."
Inzwischen hatte Helene, während sie die ihr vom Polizeipräsidenten zugesagte Nachricht mit fieberhafter Ungeduld erwartete, eine eigenthümliche Thäligkeit in ihrer Wohnung entfaltet. Ihre Verbindung mit Niendorf war gelöst, sie empfand Entsetzen vor ihm, den sie einst als edlen Menschenfreund verehrt. Sie zahlte der Dienerin den Lohn für ein halbes Jahr, suchte für sich einen einfachen schwarzen Anzug zusammen, mit dem sie sich bekleidete, ihre» Schmuck und das baare Geld verwahrte sie in dem Schreibsekretair, dessen Schlüssel sie einem kurzen Briefe einoerleible, in dem sie Niendorf ihren Entschluß mittheilte, und welchen sie dem Mädchen mit der Weisung übergab, ihn Niendorf einzuhändigen, wenn er wiederkäme. Als die Nachricht des Polizeipräsidenten angelaugt war, verließ sie mit stillem Weinen die Wohnung und begab sich zu Fuß nach der Charit«. Nur unter der sorgsamsten Pflege, hatte der Arzt gesagt, könnte Grieben wieder zum Leben erwachen.
Auch der Criminal-Commissar K. war indeß nicht müssig. Es galt den Fuchs zu fangen, ehe er das Mißlingen seines JagdzugeS bemerkte und sich dehalb von seinem Bau fern hielt.
K. begab sich darum schleunigst mit einem Schutzmann nach Niendorfs Wohnung in der Schanzstraße. Er fand sie verschlossen. Das Oeffnen der Thür machte K., der für solche Fälle stets vorbereitet war, keine Schwierigkeiten. Nachdem sie eingetretcn, postirle K. seinen Begleiter hinter der Gardine des im Nebenzimmer stehenden Beltes, er selbst verbarg sich hinter der Portiere der nach dem Schlafzimmer führenden Thür. Dort harrten sie lautlos stundenlang, der Abend dämmerte herein, der Magen des Schutzmanns ließ dann und wann einen knurrenden Ton hören.
Auf der Straße flackerten die Flammen der Gaslaternen. Die Abendzeitung enthielt folgende Notiz: „In der Müllerschen Badeanstalt in der Ziethenstraße machte heut gegen Mittag der Reserendar G. seinem Leben durch Ausschneiden der Pulsadern selbst ein Ende. Die Motive sind noch unbekannt. G. war, soviel wir erfahren konnten, der einzige Sohn eines wohlhabenden Schuh waarenfabrikanten in G."
Unter den die kleinen mit gewaltigen Stößen des noch druckfeuchten Blattes beladenen Zeitungsverkäufer umdrängenden Neugierigen bemerken wir einen eleganten Herrn mit dunklen Locken. Es ist Niendorf. Er kaufte eine Nummer und faltete sie inmitten des Gewühles auseinander .Sein Auge suchte die Lokalnachs richten. Da: „Selbstmord" ; sein Blick verweilt länger, ein Ausdruck wilder Freude zuckt über seine Züge, er legt das Blatt wieder zusammen und eilt elastischen Schrittes weiter. (Fortsetzung folgt.)
Allerlei.
— Das Heirathen kommt unter der jungen Männerwelt immer mehr ab, das zeigt sich namentlich in wenig volkreichen Orten, und hier oft in höchst komischer Weise. In Gräfendorf bei Torgau z. B. hängt augenblicklich ein Paar im Standesamtskasten aus, wie vielleicht im ganzen deutschen Reiche noch kein zweites darin gewesen. Ein Rothschwanzpärchen hat nemlich in dem wenig benutzten Kasten sich ein Nest gebaut, durch die etwas zu weit gerathenen Maschen des Drahtgitters vergnügt aus- und einschlüpfend.
— Ein medizinelles Examen. Allgemeine Pathologie. »Herr Candidat, was gehört zum Begriffe einer Krankheit?" — „Ein Patient und ein Doctor." Arzneimittellehre. „Fällt ihnen außer Chloroform und Schwefeläther kein weiteres Betäubungsmittel ein? — „Ja, wenn man Jemand mit einem Prügel auf den Kops haut." Gerichtliche Medicin. „Wie wollen Sie am besten bei Simulation von Arbeitsunfähigkeit die Wahrheit herausbringen? — „Ich biete dem Simulanten einen täglichen Arbeitslohn von 30 Mark an.