Kirchheim u. T., 1. Dez. In dem auf der Alb gelegenen Pfarrdorfe S ch op flo ch ereignete sich ein großes Unglück, wobei 4 Personen ihren Tod fanden. In der Nacht vom 28. auf de» 29. v. M. brach in einem Hause Feuer aus, das aber nicht stark um sich griff. Es gloschlete fort und fort und erst gegen Vormittag bemerkten die Nachbarn einen ungewöhnlichen Rauch. Da sich im Haus selbst Niemand regte, drang man in dasselbe ein. Der Brand, der vom Herd sich aus entwickelte und eine Seitenwand ergriffen hatte, ward alsbald gelöscht, aber Vater, Mutter und beide Kinder fand man erstickt.
München, 4. Dec. Die von einer Anzahl Blätter gebrachte Nachricht über eine Berathnng im Kriegs-Ministerium wegen Mobilistrung der Armee ist vollständig unwahr.
Berlin, 2. Dez. Gestern hatte Fürst Bismarck den Gesammtvorstand des Reichstages zu Tische geladen. Es waren ungefähr zwanzig Gedecke und unter den Gästen alle Fraktionen, auch das Centrum mit drei Mitgliedern, vertreten. Nach aufgehobener Tafel blieb die Gesellschaft noch bis 10 Uhr zusammen; der Reichskanzler war in seiner besten Laune, die höchstens bei Erwähnung der Justizgesetze envas weniger gemülhlich wurde. Ueber die orientalische Frage hielt er einen Vortrag, der gegen */4 Stunden währte. Der Fürst bemerkte, er werde sich bei der dritten Lesung der Justugesetze im Reichstag über die orientalische Frage aussprechen in demselben Sinne, aber natürlich in weniger bestimmter Weise. Er begann damit, daß die Stelle der Thronrede über die Mächte, mit denen Deutschland durch Lage und Geschichte am nächsten verbunden sei, mißverstanden worden sei. Es sei nicht bloß Rußland und Oesterreich, sondern auch England gemeint gewesen. Scherzhaft bemerkte er, es sei schon schwer, sich zwischen zwei Stühlen niederznlassen, und nun vollends zwischen dreien! An der Erhaltung des Friedens sei noch nicht zu verzweifeln. Sollte es aber zum Kriege kommen, wie es allerdings scheine, so würden Rußland und die Türkei wohl nach einiger Zeit desselben müde werden und Deutschland dann mit mehr Aussicht auf Erfolg vermitteln können als jetzt. Gegenwärtig einen Rath an Rußland zu ertheilen, sei mißlich. Er entwickelte die Gründe dafür und bemerkte namentlich, die Folge eines solchen Rathes würde sein, die russische Nation zu verstimmen, und das sei schlimmer, als eine vorübergehende Differenz mit einer Regierung. Was er über England bemerkte, wurde so verstanden, daß der Reichskanzler hoffte, daß England kcinenfalls offenen Krieg Imit Rußland führen werde, sondern höchstens einen offiziösen, wie Rußland in Serbien. Ueber Oesterreich sorach sich Fürst Bismarck sehr sympathisch aus. Wenn Oesterreich in den Krieg gezogen werden sollte, wenn Gefahren für dessen Bestand sich zeigen sollten, so sei es Deutschlands Beruf, für den Bestand Oesterreichs und überhaupt im Großen und Ganzen für den der jetzigen Landkarte einzustehen. Deutschland werde seine volle Uncigennützigkeit zeigen, und sei die Blei- garnirung, welche die Figur imnier wieder zum Stehen bringe. Oesterreich habe übrigens eine große Lebenskraft, eine größere, als Manche meinten. Das habe er auch Lord Salisbury bemeikt, und dies würde sich zeigen, wenn Kaiser Franz Joseph unter Umständen selbst sich an seine Völker wenden sollte. Bo» einer Besetzung der Bulgare! habe er in der ihm zugeschriebenen Weise kein Wort zu Salisbury gesprochen. Das ist es, was man ohne Indiskretion aus den Aeußernngen des Fürsten Bismarck mit- theilcn kann. Er ließ noch eine Menge treffender Bemerkungen und geflügelter Worte fallen: er hat sich z. B. lebhaft gegen die Aufhebung der Schlacht- und Mahlsteuer ausgesprochen, durch die Fleisch und Brod nicht wohlfeiler geworden seien. Als Löwe Calde rntgegnete, ihn koste das Brod jetzt 20 Proz. weniger als sonst, rief Bismarck: „Ei, daß muß man sich merken, wo wohnen Sie? (Köln. Z)
Berlin, 4. Dez. Man telegraphirt der „Fr. Ztg": In dem gestern unter Vorsitz des Kaisers stattgehabten Minister» Conseil ist definitiv beschlossen worden, die Pariser Ausstellung nicht zu beschicken. Der Kaiser sprach sich in eingehender Rede darüber aus. Heute findet ein preußischer Ministerrath statt, in welchem über ein neues Zollgesetz beralhen und zu den Reichs- tagsbeschlüssen über die Justizgcsetzc Stellung genommen wird. In unterrichteten Kreisen des Reichstags herrscht große Besorg- niß wegen des Zustandekommens der Justizgesetze. Bismarck wird morgen Richter's Interpellation über die Erhöhung der russischen Zölle beantworten. Es werden dabei nähere Auslassungen Bismarcks über die Orienlfrage erwartet.
Berlin, 5. Dez. Salisbury erhielt neuerdings Weisungen, einen starken Druck auf die Türkei auszuüben wegen Annahme des voraussichtlichen europäischen Reformprogramms ohne Okkupation.
Die in die Oeffentüchkeit gedrungene Nachricht, daß sich daß Kriegsministerium gegenwärtig mit einer Vorlage beschäftige, durch welche sämmtlichen Inhabern des Eisernen Kreuzes eine Monatslöhnung von 3 Mark zngewendet werden solle, ist, wie wir vernehmen, dahin zu berichtigen, daß dies zunächst nur für die mit dem Eisernen Kreuz erster Classe ausgezeichneten Personen zutrifst. Von den Inhabern des eisernen Kreuzes zweiter Classe aus dem Feldzuge 1870 und 1871 sind nur diejenigen
zum Bezug obiger 3 Mark in Aussicht genommen, die neben dieser Auszeichnung auch das Militär-Ehrenzeichen oder eine demselben gleichzustellende militärische Dienstauszeichnung der seit 1866 zu Preußen gehörigen deutschen Landestheile besitzen, wenn die Weiteriragung der letzterwähnten Ehrenzeichen durch besondere Cabineisordre genehmigt worden ist.
Bei einer großen Feuersbrunst auf dem Rittergute Alt-Traist in Pommern sind nicht nur säuuntliche Wohngebäude und Scheuern mit allen Vorräthen, sondern auch 500 Schafe und 32 Pferde verbrannt.
Wien, 3. Dez. Ein Tagesbefehl des Truppenkomman- danten in Kiew sagt: sein Armeekorps habe die Ehre, die türkische Grenze für Rußland und die heilige Sache zuerst zu überschreiten. — Die Pforte erklärte die Okkupation nochmals bestimmt als Kriegsfall.
Paris, 4. Dez. Das „Journ. off." meldet, daß die Minister ein Entlassungsgesuch überreichten und der Präsident sie bat, die Geschäfte weiterznführen, bis er über ihr Gesuch beschlossen habe.
Paris, 4. Dec. Die Lage ist sehr kritisch. Die Linke ist bestürzt, die Rechte lriumphirt, desgleichen die Intransigenten. Naquet kündigt in seiner „Revolution" bereits einen raschen Conflict an.
London, 4. Dec. Die Aeußernngen des Fürsten Bismarck bei dem parlametarischen Diner am letzten Freitag bilden den Hauptgegenstand der Besprechung der heutigen Morgenblätter. Die „Times" legt besonderes Gewicht auf die Aeußerungen des Reichskanzlers über Oesterreich und meint, daß der damit an Rußland gegebene Fingerzeig mächtig dazu beilragen werde, den Krieg zu localisiren. Zugleich empfiehlt das Blatt ein Bündniß mit Deutschland behufs Erhaltung des Friedens, event. Localisi- rung des Krieges. „Daily News" sprechen sich entschieden gegen die Führung eines „officiösen" Krieges gegen Rußland aus.
London, 4. Dez. Seit Samstag herrschen furchtbare Stürme auf der ganzen Insel und an den Küsten. Bereits werden zahlreiche Schifsdrüche gemeldet, wobei beträchtlichster Menschenlebenverlust. Der Themsestrand ist durch andauernde heftige Regengüsse stark überschwemmt. Themseübertritt wird befürchtet.
Lesfing als Sohn.
(Fortsetzung.)
Der Magister zog aus's neue den verhängnißvollen Brief, der ihn heute schon fast den ganzen Tag beunruhigte, ans seinem Schreibtisch, entfaltete ihn mit großer Umständlichkeit und begann wie folgt:
„Leipzig, im Decbr. 1749.
„Mein sehr geschätzter Herr Magister!
„Aus großer Vorliebe und absonderlicher Verehrung für Dero ganze Familie u»d absonderlich für Dero Herrn Sohn, den Studiosus Theologiae Gotthold Ephraim Lessing, nehme ich mir die große Freiheit, gegenwärtige Zeilen als Warnungs- und Mahnruf an sie abzuschicke», ohne jedoch meinen Namen zu nennen, dieweil mein junger Freund, nach der gar übelen Gewohnheit der heurigen Jugend, einen wohlgemeinten freundlichen Tadel mit Empfindlichkeit und Unwillen aufnehmen und mir solches gar übel vermerken würde. Indessen mögen Sie, hochgeschätzter Herr Magister! geneigtest erkennen, daß folgende Jndicia die pure Wahrheit enthalten, maßen der Schreiber dieser Zeilen der vertrauteste Eollega und Freund Ihres Sohnes ist. — Also, — Gotthold, den sie mit großer, väterlicher Liebe zum frommen und tüchtigen Theologen bestimmt, versäumt leider ganz und gar die darauf bezüglichen Collegia, treibt allerhand Allotria, als Philosophie, Naturlehre ünd Mathematik, und vor allen Dingen Co- mödienkram. Er läuft mit lüderlichen, freigeistischen Gesellen, als da ist der berüchtigte Mylins, welcher eine Wochenschrift, benamset: „Der Naturforscher," herausgiebt, und zu welchem der Gotthold sogar die Gedichte liefert, auch mit einem Thunichtgut Namens Weiße, aus den Promenaden umher, besucht das Theater, diese Schule der Gottlosigkeit und Verderbniß, und geht nur mit leichtfertigen Comödianten um; ja, o des Gräuels! schreibt Co- mödienstücke und läßt sie auf dem hiesigen Theater, wo die Neuberin ihr gottloses Wesen treibt, zum Schimpf und Spott aller guten Sitte aufführen. Mit einem Worte, der Herr Gotthold ist zeitlich und ewig verloren, wenn nicht zur rechten Zeit eine Umkehr geschieht und er wohl oder übel des Teufels Klauen entrissen wird. Nehmen Sie, werthgeschätzter Herr Magister, die Versicherung meiner unbegrenztesten Hochachtung, mit welcher ich mich zu geneigtestem Andenken empfehle, als Dero gehorsamster N. N."
Als der Magister mit einem tiefen Athemzuge geendet, saß die Mutter stumm und bleich, wie erstarrt, auf ihrem Stuhle und alles Leben schien aus ihr entwiche» zu fein. „Vater, um Jesu willen, was sind das für Historien von dem Gotthold," stammelte sie endlich mit bebenden Lippen.
„Ja, ja, man darf den Tag nimmer vor dem Abend loben," murmelte der Prediger, noch immer auf den unheilvollen Brief starrend. „Herr Gott, Du scheinst mir schwere Last auferlegen zu wollen," setzte er dann schwer seufzend hinzu.