Amtsblatt für den OberamtsbezLrk Nagold.

Nr. 70.

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Donnerstag den 15. Juni.

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1876.

Tages-N-uigkeiten.

Stuttgart, 12. Juni. In ihrer Samstagssitzung erledigte die württembergischc Kammer zunächst das Gesetz über den Staatsgerichtshos. Eine lebhafte und ziemlich lange Debatte er­regte noch der Art. 14, welcher im Regierungseniwurs eine dreijährige Verjährungsfrist für die Handlungen der Minister annimmt und ferner eine Unstatthaftigkeit der Anklage in drei Fällen, wenn die Kammer den Antrag auf Anklage abgelehnt, wenn sie die Anklage selbst ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hat, in welchem Fall nur die andre Kammer wegen dieser Handlung noch Klage erheben kann. Die Kommission be­antragte Streichung des Artikels. Schließlich wurde ein Antrag v. Kerns angenommen, der statt dreijähriger Verjährungsfrist eine sechs­jährige annimmt und die Unstatthafligkeit der Anklage auf den Fall be­schränkt , wenn die Kammer eine Handlung des Ministers ausdrücklich gebilligt hat. Nunmehr begann die Kammer die Berathung des Gesetzes betr. die Aufsicht über Gelehrten- und Realschulen. Inder allgemeinen Diskussion wurde hier als das Wesentliche des Entwurfs das bezeichnet, daß nur noch bei den weniger als dreiklassigen Schulen der erste Ortsgeistliche Mitglied der Oberscbulbehörde werden soll. Prä­lat v. Beck wünschte für das Gesetz vollständige Konsequenz, d. h. Ent­fernung des Geistlichen aus den Oberjchulbehörden aller Gemeinden, worin er von Mohl und Prälat v. Bracken Hammer unterstützt wurde (die Herrn Prälaten sind nämlich der Hoffnung, daß der Geistliche um so eher durch Wahl in die Oberschulbehörde kommen werde, während Modi gerade auch dies nicht will). Bekämpft wurde diese Ansicht von v. Schwandner, welcher erklärte, in solchen Gemeinden sei der Pfar­rer meist der geeignetste Mann für die Schulaussicht und aus dis Wahl dürfe man es nicht ankommen lassen. Zu erwähnen ist aus der Sitzung noch die Antwort des Minisiers v. Sick auf die Interpellation von Wächter u. Gen. wegen einer städteordnung und des Gemeindebe­steuerungsrechts. Der Minister stellte ein betreffendes Gesetz in Aussicht, doch werden die Arbeiten vor Ablauf des Jahres nicht beendigt werden können. Stuttgc^rt, 13. Juni. In ihrer gestrigen (Montags-) Sitz­ung erledigte die württembergische Kammer zunächst das Gesetz, betr. die Aufsicht über die Gelehrten- und Realschulen. Beim 4. Artikels (Zu­sammensetzung der Oberschulbehörde) erneute sich die Debatte vom Sams­tag. Der Antrag v. Beck's auf Entfernung der Geistlichen aus der Oberschulbehörde wurde unterstützt von Mohl (freilich nicht aus densel­ben Gründen), bekämpft von den Prälaten v. Georgii und v. Hauber, sowie dem Kultminister. Der Antrag wurde übrigens verworfen und schließlich der Kommissionsanlrag mit einigen Modifikationen, daß auch der Bürgerausschuß an der Wahl der Mitglieder jener Behörde theil- nehmen soll, angenommen. Die folgenden Artikel erregten kaum mehr Diskussionen und schließlich wurde das ganze Gesetz fast einstimmig an­genommen. Hieraus fand die Schlußabstimmung über das Gesetz, betr. den Staatsgerichtshos, statt! dasselbe wurde mit 51 gegen 25 Stimmen also gerade noch mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen. Schließlich wurde noch der Antrag der Abgg. Hohl und Haug, die Regierung um ein Gesetz über Zwangsenteignung zu bitten, angenommen, womit die Sitzung ihr Ende nahm, indem der vierte Gegenstand der Tagesordnung, betr. die Petition verschiedener Gemeinden wegen der Lehmstrohbedachuug, auf die Tagesordnung der nächsten, heute stattfin­denden Sitzung gesetzt wurde. (R- T.)

Stu ttgart, 12. Juni. (Landesproduktenbörse.) Nachdem der längst ersehnte Regen endlich reichlich eingetroffen ist, hat sich auch das Aussehen der Felder wesentlich verbessert und es wurden dadurch manche Besorgnisse für die Ernte beseitigt. Die Berichte von auswärts lauten in dieser Beziehung ebenfalls wieder günstiger und es ist in Folge dessen fast überall eine recht ruhige Haltung im Getreidehandel einge­treten, ohne daß übrigens die Preise bis jetzt einen erheblichen Rückgang erfahren haben. Auch unsere heutige Börse verkehrte unter diesem Eindrücke und der Verkehr blieb auf den nöthigsten Bedarf beschränkt. Wir notiren: Weizen, rust. 12 60 Lto. bayer. 12 60 13

dto. amerikan. 12 50 -1. Kernen 13 »13 ^ 60 ^k. Haber 10

3050 4. Mehlpreise pr. 100 KIg. inkl. Sack. Mehl Nr. 1: 3940 Nr. 2: 33-35 ^ Nr. 3: 27 bis 28 50 4. Nr. 4: 24 <-« bis 25

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Cannstatt, 12. Juni. Seit dem gestrigen Abend ist der Neckar ausgetreten, die Verbindung zwischen Berg und Cann­statt auf dem Gittersteg gestört.

Cannstatt, 13. Juni. Der Neckar ist in fortwährendem Steigen begriffen.

Tagesordnung der Verhandlungen des K. Schwurge- richtshoss Tübingen im zweiten Quartal 1876. 1) Montag den 19. Juni d. I.: Anklagesache gegen Jakob Gottlob Burk­hardt von Bieselsberg, OA. Neuenbürg, wegen Brandstiftung.

2) Dienstag den 20. Juni d. I.: Anktagesache gegen Jakob Hoyh von Schlaitdorf, OA- Tübingen, wegen Verbrechens gegen die Sittlichkeit.

3) Dienstag den 20. Juni d. I.: Anklagesache gegen Joseph Kittel, von Poltringen, OA- Herrenberg, wegen Verbrechens gegen die Sittlich­keit. 4) Mittwoch den 21. Juni d. I.: Anklagesache gegen Johann Gg. Hipp von Mössingen, OA. Rottenburg, wegen Verbrechens gegen die Sittlichkeit. 5) Donnerstag den 22. Juni d. I.: Anklagesache gegen SimonBiesi nger von Wendelsheim, OA. Rottenburg, wegen erschwer­ter Fälschung einer Privaturkunde. 6) Donnerstag den 22. Juni d. J-: Anklagesache gegen Johannes Hosfmann von Eningen , OA. Reut­lingen, wegen versuchter Nothzucht. 7) Freitag den 23. Juni d. I.: Anklagesache gegen Martin Rohm von Reutlingen, wegen versuchten

Mords. 8) Samstag den 24. Juni d. I.: Anklagesache gegen Friedrich Ep Pie von Metzingen, OA. Urach, wegen durch vorsätzliche Körperver­letzung verursachter Tödtung. 9) Montag den 26. Juni d. I.: Anklage­sache gegen Johann Georg Gaiser von Gniebel, OA. Tübingen, und Genoston wegen erschwerten Raubs. 10) Dienstag den 27 Juni d. I.: Anklagesache gegen Katharine Stauch von Neckartenzlingen, OA. Nür­tingen, wegen Meineids.

Untertürkheim, 13. Juni. Die vor einigen Tagen ausgestellten B ad h äu sch en, etlich und zwanzig an der Zahl sind weggeschwemml. Der Verlust der Inhaberin der Badanstalt ist empfindlich.

Ulm, 13. Juni. Die Donau und Iller find über ihre Ufer getreten und noch im Steigen.

Ravensburg, 12. Juni. Das Schusfenthal nebst dessen Seitenthäler sind in bedeutendem Maße überschwemmt. Der Bahn-Verkehr auf der Süd und Allgäu-Bahn ist unterbrochen; auch die Postwagen sind ausgeblieben. Das Wasser ist noch immer im Steigen begriffen.

Friedrichshafen, 13. Juni. Die Ueberschwemmung in der Umgebung des Bodensee's dauert fort; der See steht 10 Fuß über Null. Die Landungs-Brücken in den See-Häfen sind überflulhet, auch die sonstigen Hafen-Anlagen bedroht. Das hiesige Gaswerk ist stark beschädigt. In Ravensburg, Weingarten und mehreren Dörfern stehen tiefliegende Fabrik-Anlagen und Häuser unter Wasser.

Kehl, 13. Juni. In Folge Anschwellens der Flüsse in der Schweiz riß in vergangener Nacht der Rhein die Schiffbrücke bei Hüningen fort. Das Wasser des Rheins ist noch in fort­währendem Steigen begriffen.

Aus Dresden, 7. Juni, schreibt dieDr. Z.":Wie wir hören, hat die Regierung die Erlaubniß zur Feuer-B estat- tung der Leiche des vor 14 Tagen verstorbenen Prof. Richter nicht erlheilt, und es wird nun die Leiche nach Mailand gebracht werden müssen, da in Gotha, wo die Leichen-Verbrennung eben­falls gestattet ist, der Ofen noch nicht fertig ist."

München, 9. Juni. Mit dem heutigen Morgenschnellzuge haben sich unter Führung des Grafen Arco 280 Pilgrime aus allen Ständen und Gauen des deutschen Reichs zur Huldigung beim Pabste, welcher am 16. d. M. die 30jährige Feier seiner Erwählung zum Pabste begeht, nach Rom begeben. Es werden kostbare Geschenke für den heiligen Vater mitgeführt.

Der gegenwärtige Reichstag ist am 10. Januar 1874 gewählt worden, sein Auftrag läuft daher am 9. Januar 1877 ab. Im Herbste dieses Jahres wird er aber noch einmal tagen und die großen Justizgesctze für das deutsche Reich berathen und beschließen.

Ein Justizbeamter in Berlin rief, wie das Tageblatt er­zählt, seinen Sohn, welcher ein auswärtiges Gymnasium besucht, telegraphisch an das Krankenbett der in Todesgefahr schwebenden Mutter, und der junge Mann traf am Abend ein. Die Mutter hatte die Krisis glücklich überstanden und war außer Gefahr, so daß der Vohn mit freudiger Beruhigung sein Nachtlager auf­suchen konnte. Als er am Morgen erwachte, fiel es ihm auf, daß es, obwohl er nach der Reise prächtig und anscheinend sehr lange geschlafen, im Zimmer noch so dunkel war, daß er keinen Gegenstand wahrnehmen konnte. Dennoch vernahm er anderer­seits die Stimmen der jüngeren Geschwister, von denen eines an sein Bett trat, um den Langschläfer mit einem Kusse zu wecken. Eine furchtbare Ahnung beschlich des Jünglings Herz und die Gewißheit raubte ihm fast den Verstand. Sein Augenlicht war erloschen er war blind. Doller Entsetzen ließ er den Vater ans Bett rufen und machte ihm die Mittheilung von der schreck­lichen Wahrnehmung. Dieser ließ natürlich sofort alle Mittel anwenden, welche geeignet sein können, das Nebel zu Hellen, hof­fentlich mit bestem Erfolg. Für Eisenbahnreisende ist der Fall aber unter allen Umständen beachtenswerth. Der junge Mann hat nemlich dem Arzte gestanden, daß er fast während der ganzen Reise aus dem Coupeefenster gelehnt und nichtachtend den starken Zug, welcher durch jeden Eisenbahntrain entsteht, hinaus geschaut habe. Bis jetzt ist lediglich dieser Umstand als die Ursache der Erblindung zu betrachten.

Der neueste wahrhaft blutige Kalauerder Berliner lautet: Der Sultan hat sich aus der Welt gescheert.