blieb, und der Beginn seiner Vorlesungen in San Francisco mußte daher um mehrere Tage verschoben werden. Der aus einem schweren Schneepflug, 12 Lokomotiven vom schwersten Kaliber, einem Gepäckwagen, dem Expreß- und Postwagen, vier Schlaf- und zwei Passagierwagen bestehende Zug war noch nicht fünf Meilen von Toano in Nevada entfernt, als er von einem neuen heftigen Schneesturme überrascht, in Schneemassen von höher denn 25 Fuß gerielh und im buchstäblichen Sinne des Wortes nichi rück- und vorwärts konnte, sondern nur tiefer von der gewaltigen Wucht des Elements begraben ward. Unter ungeheuren Anstrengungen arbeitete sich der Zug später nach Toano zurück. Ein Augenzeuge sagt: Der Schnee siel so dicht, daß buchstäblich an Aussicht nicht zu denken war; oazü heulte der Sturm und verursachte ein Getöse, als ob tue Erde sich gegen den Himmel bäuipen wollte; das laute und ungewohnte Commaudo des Zugführers, die Antwort der Bremser, die zur gleichen Leit aus zwölf Schlünden zum Himmel steigenden Feuersäulen, Alles dies gab ein Bild, wie cs selbst die lebhafteste Phantasie kaum zu malen im Stande ist. Ruft mau sich hierbei ins Gedächtniß, daß Toano 5964 Fuß über dem Meeresspiegel liegt und die Blokade eine derartige war, jdaß sogar die Communikalion zwischen den verschiedenen Wagen schwierig, dann und wann aber unmöglich wurde, so muß man eingestehen, daß die Reisenden bei aller Romantik sich in einer durchaus nicht angenehmen Lage befanden. Der für jenen Lahnzug benutzte Schneepflug wiegt nicht weniger als 45,000 Pfund und hat die Höhe eines zweistöckigen Hauses; rechnet man hierzu die Schwere der zwölf Lokomotiven, so ergibt sich ein Gesammtgewicht von zwischen 8—900,000 Pfund mit etwa sechshundert Pferdekraft; aber trotz dieser Zugkraft mußte der Lahnzug ruhig und geduldig aus den Steppen Revadas warten, bi- Wind und Detter ihm gestatteten, seine Reise fort- zusetzcn.
Lebenskämpfe.
(Fortsetzung.)
Sechstes Capitel.
Der Obermüller Anton erwachte aus einem unruhigen Schlafe. Es war ihm im Traum gewesen, als gösse das Gebirge zehn verschiedene Ströme aus, welche alles Laub ringsum überfluiheten, und auch die Obermnhle in der Ties: begruben. Er hatte daun eine hohnlachende Stimme vernommen, welche ausgerufen: „Mahle doch, jetzt hast Du Wasser genug?" und war von Schauer und Angst geschüttelt, erwacht. — Sein erster Gedanke war ein stilles, kindlich, frommes Geber und dann stand er auf, obgleich noch liefe Finsterniß herrschte.
Dem armen Anton wurde es recht unheimlich in seiner stillen Mühle, war's doch, als rutze ein furchtbarer Baun aus ihren sonst so geräuschvollen Rädern.
Er trat hinaus in den dunklen, kallen Morgen, kein freundlicher Stern glänzte ihm entgegen, Alles um ihn und in ihm traurig und finster. — Was war das? — rauschte ihm nicht ein lieber, bekannter Ton entgegen? — Er horchte — nein, es war keine Täuschung — das Bergwasser brauste wieder lustig um die stillen Räder.
Dem armen Müller klopfte das Herz vor Freude und Be- trübniß; vor Freude ob des bekannten Tons, der seinem Ohr wie Musik klang, vor Betrübniß ob dem Gedanken, welchen schlimmen Dienst ihm seine guten Berggeister aufs Neue geleistet. Er dachte dabei mit Schrecken an die drückende Geldstrafe.
So stand er eine ganze Weile von den verschiedensten Gedanken und Empfindungen bewegt. Nach und nach wich die Finsterniß der ein tretenden Morgendämmerung und die Thränen traten dem ehrlichen Müller in's Auge, als er sein rauschendes Lebenselement erblickte. Ein innerer Kamps malte sich auf seinem Gesichte, die angeborene Ehrlichkeit stritt mit der unwiderstehlichen Lust, seine Mühlräder klappern zu hören.
„Ist das Wasser nicht eine freie Gottesgobe?" rief er endlich mit einem gewissen Trotze aus und mit seltsamer Entschlossenheit ging er in die Mühle hinein, um die Räder in Gang zu bringen.
Nicht lange währte es, so klapperte diese ihre lustige Musik, und erschrocken kamen Frau und Kinder angerannt, in To besangst wähnend, eine unheimliche Macht habe die Mühlräder in Gang gesetzt. — Anton war in eine Art oerzweiflungsvolle Lustigkeir gerathen, er schüttete Korn ans und wollte wenigstens den ihm noch gegönnten Augenblick ausnutzen — Strafe mnßic er ja doch zahlen.
Schon war der Tag längst angebrochen und die Obermühle noch immer in voller ungestörter Thäugkeiik
Vom Gebirge her nahte der böse Feind. — Der Oberförster schritt eilig durch'- Feld, ihm zur Seile der Hojjäger, welcher sich vergebens abmühte, den gestrengen Vorgesetzten in eine falsche Fährte zu bringen. Doch was hais's, im Laufe des Ta. ges i^nrde er die Geschichte schnell genug gewahr.
„Sieh da, die Hallunken!" ries er ingrimmig aus und seine kurze Jagdpseife hüüle ihn in eine dichte Rauchwolke ein, „haben sie wieder das Wasser abgeleitet — und — Mohreuele-
ment — was hör' ich? — Ist denn der Anton rein toll geworden? — Die Obermühle ist in vollem Gange. — Da soll denn doch gleich —"
„Aber, Herr Oberförster," wandte der Hojjäger beschwichtigend ein, „lassen Sie's doch gut sein, was sollen denn die armen Menschen anfangen, wenn ihnen das Wasser entzogen bleibt? — sie müssen ja dann elendiglich umkommen."
„So, meinen Sie das, Arnold?" rief der Oberförster rauh, „kümmern Sie sich nicht darum, und kritisiren Sie nicht über die Handlungen Ihrer Vorgesetzten. — Verstanden?" —
Er schüttelte heftig die Asche von seiner Pfeife und schaute eine Zeitlang mit finsterer Miene nach der Obermühle hinüber.
„Wollen den Burschen das Handwerk doch gründlich verleiden," brummte er dann mn einem kurzen Lachen, „und der Obermüller mag sein Letztes verkaufen, um die Strafe zu zahlen."
Nach am selben Tage kamen Arbeiter, um das Wasser wieder abzudämmen und große Quadersteine zu legen, welche mir eisernen Klammern so üefestigr wurden, daß an ein Kanal- gradeu nicht mehr .zu denken war. Anton aber mußte wieder aufs Amt, um wieder in eine größere Geldstrafe verurtheilt zu werden. Und immer trüber wurde des Armen Stimmung, immer öder und trauriger die sonst so glückliche Obermnhle.
An dem Abend nach jener Nacht, wo die Bergleute zum letzten Male ihr Lieveswerk verrichteten, schlich sich die schöne Anna aus der Untermähle nach Vater Jean's Häuschen. Hier redete sie lange, heimlich und eifrig mit dem Greise, und als sie endlich sorlgiritz, stand der alle Bergmann vor der Thüre, und schäme ihr, so gut es in der zunehmenden Dunkelheit ging, mit zufriedenem Lächeln nach. Ja, er lächle sogar lustig auf, als er bemerkte, wie ein hübscher, schlanker Jägersmann leise dem schönen Wilde nachschlich und es auch glücklich einfing.
„Das wird ein Hauptspaß," murmelte Later Jean, „die Anna ist klüger als wir Alle; wenn nur der Fürst bis dahin gute Antwort schickt. Na, hoffen wir ans den Herrgott dort oben."
Siebentes Capitel.
Auf der Untermähle ging's gar hoch und lustig her, es wurde eine Verlobung gefeiert. — Das war ein seltsames Brautpaar, der Verwalter und die schöne Anna, des Untermnllers Brudertochter. Der Bräutigam schien durchaus den Willen zu haben, sich beneidet und glücklich zu sehen, aber es wollte nicht gelingen, das bewies häufig genug sein finsteres Auge, mit dem er die neben ihm sitzende Braul beobachtete.
Anna hingegen trug offen ihre Abneigung gegen den ihr aufgedrungenen Bräutignm zur Schau, sie war munter und aufgeräumt, scherzte mit den Gästen, ohne den Verwalter eines Blickes zu würdigen. Sie Halle dem schlauen und habsüchtigen Onket durch ihr keckes Spiel einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Das freilich ahnte er nicht, daß die Schlaue das Gcheimniß des Testaments kannte.
Als der verhaßte Verwalter um ihre Hand anhielt, gab der Untermüller ohne Umstände seine Einwilligung, hatte er doch kraft des väterlichen Testaments unumschränkte Macht über das Schicksal der Jungfrau. Ec triumphirte bereits in der festen Ueberzeugung ihrer bestimmten Weigerung und sah sich schon als Erbe des bedeutenden Vermögens. -
Und Anna? — sie hörte die Werbung mit bewundernswürdiger Ruhe an, dann sagte sie in Gegenwart des Onkels und der gelben Tante zu dem Verwalter: „Ihr Antrag überrascht mich durchaus nicht, doch kann ich Ihnen nicht verhehlen, daß Sie mir persönlich zuwider sind. Ist Ihnen das gleichgültig, gut, dann habe ich nichts dawider, wir schließen eben eine moderne Ehe, wie es in der vornehmen Welt sein soll, und das macht mir Vergnügen. — Gefällt es Ihnen jedoch nicht, auch gut — dann stehen Sie in Gottes Namen von Ihrer Werbung ab."
Onkel und Tante waren wie vom Donner gerührt, sie konnten sich in diese Seltsamkeit nicht finden und warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu — das Mädchen war nach ihrer Ueberzeugung reif sür's Tollhaus.
Diese zweifelhafte und absonderliche Hoffnung belebte einigermaßen wieder ihren Muth und sie waren jetzt nur noch neugierig, was denn der Verwalter darauf erwidern werde.
Der war nun freilich auch nicht besonders erbaut von der Antwort der schönen Anna und Anfangs nicht im Stande, seinen Aerger und sein Erstaunen zu unterdrücken. Doch faßte er sich bald wieder so weit, um Alles in Scherz umzuwandeln und sagte deßhalb mit liebenswürdigem Humor: „Sie sind zu reizend, theure Anna, als daß ich, selbst auf Ihr offenes Gesiändniß hin, Sie nicht beim Wort nehmen und diese kleine Hand sür's ganze Leben ergreifen und sesthalten sollte. Sie sollen es erleben, daß wir e>n ganz ausgezeichnetes Ehepaar werden."
„Meinen Sie?" warf Anna leicht hin, „nun es ist Vieles unterm Mond möglich. Onkelchen, Tantchen!" setzte sie mit scherzhaftem Ernst hinzu, „geben Sie uns Ihren Segen, Sie sehen, der Herr Verwalter ist genügsam, um meine Liebe gibt