272
dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkte wird in mehreren Antwortschreiben ausgeführt, daß es sich empfehlen möchte, die Unterstützung nicht sowohl zum Lebensunterhalt, als vielmehr zur weiteren Ausbildung zu gewähren. Es wird vorgeschlagen, den Philologen Reisestipendien zu einem mehrmonatlichen Aufenthalte in England, Frankreich oder Italien zu geben, oder ihnen die Möglichkeit zu schaffen, auf ein oder zwei Semester als Volontäre an hervorragenden Lehranstalten sich mit der Methode anerkannter Meister bekannt zu machen.
— In Bezug auf den Nordostseekanal wird den Hamb. Nachr. aus Berlin 29. Mai geschrieben: Seit einigen Tagen wird an maßgebender Stelle Preußens wieder lebhaft über das im vorigen Jahre zurückgestellte Nordostseekanalprojekt verhandelt. Man hört hierüber Folgendes: Schon vor 3 Jahren war auf Anregung des Reichskanzlers im Ministerium für öff. Arbeiten mit Vorarbeiten begonnen worden. Es ergab sich indes daß diese sehr langwierig und sehr kostspielig sich gestalten würden, weil absolut kein Material vorhanden war mit Ausnahme des von Dahlström gesammelten und bearbeiteten. Dieses ohne weiteres zu benützen, war ausgeschloffen und man trat deshalb in Verbindung mit Dahlström wegen Überlassung des Materials. Dasselbe ging denn auch zum Preise von 30,000 in den Besitz der preuß. Regierung über. Nun begannen Konferenzen zwischen Kommissarien der bei der Frage direkt beteiligten Ressorts, und zwar des Kriegsministeriums, der Marine, des Finanzministeriums, des Handelsministeriums, des Ministeriums für öff. Arbeiten und des Landwirtschaftsministeriums. Das Resultat dieser Konferenz war ein befriedigendes, jedoch zeigte sich, wenn der Nordostseekanal allen Interessen, denen der Kriegs- wie der Handelsmarine, entsprechen soll, er auf ganz anderen, breiteren, kostspieligeren Grundlagen zur Ausführung kommen müßte, als dies nach dem Dahlströmschen Projekte angenommen. Bei der Finanzlage Preußens und des Reichs — beide an den Kosten teilnehmen, den Kanal von Reichswegen ausführen zu lasten, war längst beschlossene Sache — erschien eine weitere Verfolgung des Projekts, d. h. dasselbe dem Bundesrat und dem Reichstag zu unterbreiten, für den Augenblick unthunlich. Inzwischen wurden jedoch alle Bauplane, Kostenanschläge rc. ausgearbeitet. so daß, als der Reichskanzler vor Kurzem aus den Nordostseekanal zurückkam, das Material sofort zur Verfügung gestellt werden konnte. Im Augenblicke dürfte die Sache noch den Kanzler beschäftigen. Ehe sie in den Bundesrat gelangt, muß indes das preuß. Staatsministerium darüber Beschluß fasten, und es ist nicht zu zweifeln, daß es zustimmen wird. Man glaubt, die Angelegenheit werde noch vor der Abreise des Kanzlers nach Kissingen zur Entscheidung im Staatsministerium kommen.
Hamburg, 31. Mai. Die westafrika n. Dampferlinie der Firma C. Wörman ist an eine neu errichtete Aktiengesellschaft übergegangen. Die 5 vorhandenen Dampfer werden zu 2,300,000 ^ übernommen, es werden 3 neue Dampfer angeschafft, über deren Bau mit deutschen Werften verhandelt wird. Das Aktienkapital von 3 Millionen ist fest übernommen, die Aktien kommen nicht an die Börse; daneben ist beabsichtigt, eine Prioritätsanleihe von 1 Mill. ^ aufzunehmen. Teilnehmer der neuen Aktiengesellschaft sind, außer Wörmann, die Firmen August Bolten, John Berenberg Goßler, F. Laisz, Theod. Wille.
Hcrgss-Weuigkeiterr.
Nagold, 1. Juni. Nicht ohne Genugthuung schaut der hiesige Verschönerungsverein auf seine Thätigkeit in diesem Frühjahr zurück. Hat er doch einige neue liebliche Anlagen geschaffen, für weitere angenehme Spaziergänge gesorgt, noch eine größere Zahl von Ruhebänken
errichtet u. dgl. Zwar werden die alten Erholungs- und Vergnügungsstätten, der Schloßberg mit seinem prächtigen Laubwalde, seinen geschmackvollen Anlagen und seiner stattlichen Burgruine, der Galgenberg mit seinen dunkeln Tannenwaldungen und seinen schattigen Wegen, das Bad Röthenbach mit seinem erprobten heilkräftigen Master und seiner idyllischen Waldeinsamkeit auch in Zukunft den Vorrang behaupten, aber man ist überzeugt, daß auch die neuen Anlagen, insbesondere die aufs „Teufels Hirnschale", einer der lohnendsten Aussichtspunkte in unmittelbarer Nähe, von Einheimischen und Fremden mit Lust besucht werden. Immerhin ist durch diese Thätigkeit des Verschönerungsvereins der Beweis geliefert, daß Nagold in seiner Eigenschaft als Luftkurort kein Opfer scheut, um seine alten Gäste zu erhalten und neue anzuziehen. Schw. Merk.
Stuttgart, 1. Juni. Die Maimesse hat Samstag abend 10 Uhr ihren Abschluß erreicht. Die Verkäufer sind mit dem finanziellen Ergebnis, das sich am ersten und letzten Tage besonders günstig gestaltete, recht zufrieden. Am lebhaftesten ging es auf dem Markte am sogenannten Bärenplatze zu, woselbst auch sämtliche Buden besetzt waren, da die Händler nur ungern in die beengten Reihen am Marktplatze gehen. Es ist geplant, zur nächsten Messe die Dorotheenstraße in ihrer ganzen Länge für die städtischen Buden zu verwenden, dadurch den Marktplatz zu entlasten und für den Wochenmarktverkehr frei zu halten.
Vaihingen a. d. E., 30. Mai. Heute nachm, wurde eine Z i geunerbande aus Bosnien, bestehend aus 42 Köpfen mit 25 Pferden und 10 Wagen hier eingeliefert, welche den Pulverdinger Hof gebrandschatzt hatte, so daß die Hofbauern, über ihr Eigentum nicht mehr Herr, sich genötigt sahen, polizeiliche Hilfe zu reklamieren, was zur Verhaftung der Bande führte. Dieselbe scheint vollständig organisiert zu sein und steht unter einem Kommandanten, welcher aber mit seinem Fuhrwerk leider entkommen ist. Bei ihrer Durchsuchung wurden über 2000 Wertgegenstände und Geld vorgefunden. Reisepapiere besitzen dieselben nicht. Es ist unbegreiflich, daß man solche Vaganten, die eine Landplage sind, nicht beim Betreten des deutschen Reichsgebiets zurückweist.
Ulm, 31. Mai. Gestern nachmittag zog gegen halb 5 Uhr ein von Westen kommendes Gewitter über unsere Gegend, das sich an verschiedenen Orten mit Heftigkeit entlud und große Verheerungen anrichtete. Besonders soll das mit starkem Sturm verbundene Hagelwetter den Feldfrüchten der Markungen Langenau, Herrlingen, Blaubeuren, dann den donauabwärts gelegenen Orten Leipheim, Günzburg u. a. übel mitgespielt haben. Auch über die Ulmer Markung hat der etwa 5 Minuten andauernde leichte Hagelfall den Gartengewächsen und den Fruchtansätzen der Obstbäume Schaden zugefügt. Vor Ausbruch des Gewitters zeigte das Thermometer -f- 24 o k., nach demselben -s- 12 5 k. Der heutige vormittag war sehr schwül; einige Gewitterregen brachten jedoch bedeutende Abkühlung.
Langenau, 31. Mai. Gestern abend ging ein schweres Hagelwetter über unsere Gemeinde und Markung. Nach mehrtägiger großer Hitze stiegen von der Donau und von der Alb her 2 Gewitter auf, die zusammen stießen und sich kurz vor 5 Uhr nachmittags in einem schauerlichen Wetter eine ganze Viertelstunde lang entleerten. Die Schloffen fielen sehr dicht und in außerordentlicher Größe. Stellenweise lag der Hagel mehrere Zoll hoch. Der Schaden an Feld- und Gartenfrüchten sowie an den Obstbäumen ist sehr groß. Fast kein Teil der weitgedehnten Markung blieb verschont, ob zwar die einzelnen Gegenden verschieden betroffen sind. Der Roggen muß abgemäht werden, das Korn ist vielfach so in den Boden hineingeschlagen, daß man es nicht einmal abmähen kann und keine andere Wahl hat, als unterzupflügen. Nicht minder schlimm steht es mit den Futter-
„Du verstehst nicht!" rief sie, „gut, es sei, ich will Dir's erklären! Das bedeutet, daß ich liebe, daß ich bis zum Wahnsinn einen Mann liebe, der mich nicht wiederliebt, der nicht einmal einen Blick für meinen Gram hat! Ich liebe Jemand, der nur Verachtung für meine Zärtlichkeit an den Tag legt, der selbst für meine Koketterie mit einem Anderen nur Gleichgiltigkeit bezeigt! Und meine Schwäche und Selbstverleugnung geht so weit, daß ich nicht einmal gegen diese verächtliche Behandlung mehr meinen Stolz sich aufbäumen fühle! O, meine wahnsinnige Liebe versucht mich fast, Dir den Namen dieses Mannes zu nennen!"
Sie verbarg ihr Gesicht in beiden Händen und weinte mit heftigem Schluchzen. Leo war lebhaft bewegt; wenn er auch gewußt, daß seine Cousine eine gewisse Neigung für ihn gefaßt hatte, so hatte er doch niemals vorausgesetzt, daß diese Neigung eine solche wilde Leidenschaft war. Er hatte wenigstens das Bewußtsein, nichts gethan zu haben, um dieselbe zu nähren; nicht nur hatte nichts ihn zu dieser feurigen Natur hingezogen, sondern er liebte ja selbst, wenn er auch den Gegenstand seiner Liebe aus den Augen verloren hatte. Seine Lage war in diesem Falle höchst delikater Natur; denn wie wollte er seine trostlose Cousine beruhigen, ohne dieselbe in sein eigenes Geheimnis einzuwcihen? Und doch war Freimut der sicherste und kürzeste Weg, das sagte auch Leo sich.
„Beruhige Dich, Lucienne", sagte er, indem er sich zu ihrer Seite niederließ, „und höre mich an. Ich habe nur ein paar Worte zu meiner Entschuldigung zu sagen. — Du wirst mein Benehmen würdigen, wenn Du weißt, daß ich auch liebe."
„Und wen liebst Du?" fragte sie heftig.
„Meine Liebe ist die Entschuldigung dafür, daß ich Deinen Vorzügen nicht die Beachtung schenkte, die sie verdienen", entgegnete er, ohne auf ihre Frage einzugehen. „Mein Herz ist nun einmal so ausschließlich, und ich kann es nicht ändern."
„Kenne ich Diejenige, welche Du liebst."
„Nein."
„Ich habe sie nie gesehen?"
„Wozu von ihr reden?" umging Leo mit einem Seufzer ihre Frage;
„die Erinnerung an sie ist mir ein Schmerz, denn ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist."
„Wie, Du weißt nicht, wo sie ist?"
„Sie ist mit ihren Angehörigen plötzlich verschwunden."
Lucienne atmete laut auf; in ihren Augen blitzte eine grausame, selbstsüchtige Freude.
„O, wenn Du sie nicht wiederfändest", sagte sie.
„Dann fände ich wenigstens ihr Bild auf dem Grunde meines Herzens wieder", antwortete Leo mit Wärme und Festigkeit.
Lucienne hoffte wieder; verschmähte Liebe ist nachhaltig und zäh; wie der Ertrinkende sich an einem Strohhalm halten möchte, so versuchte Lucienne ihre Rettung in dem Gedanken, daß Leo nur noch ein Bild, ein Andenken zu lieben hatte. Wie schnell vergißt der Mensch! Wie bald verblaßt ein Bild! Sie wollte ihn weiter befragen, mit mehr Ruhe und Ueberlegung als vordem, als Don Balthasar wieder im Salon erschien; Leo stand auf und ging hinaus, während Lucienne sich anschickte, in der höflichsten Form dem Banquier einen Korb zu geben. Jedoch wurde sie in diesem Momente daran verhindert durch das unerwartete Zwischentreten des Grafen Villefleur, der bleich, bebend und mit verstörter Miene auf Don Balthasar losstürzte und ihm mit zornerstickter Stimme zurief:
„Ah, endlich finde ich Sie, kommen Sie, kommen Sie!"
Die Ueberraschung des Banquier war um so größer, als er im Momente vorher erst den Tisch verlassen hatte, an welchem der Graf spielte und Gewinn auf Gewinn einheimste.
„Was giebt's denn?" fragte er, „woher diese Aufregung?"
„Was es giebt, Don Balthasar?" keuchte der Graf und schob unsanft Lucienne bei Seite, die voller Neugier ihm in den Weg getreten war; „die niederträchtigste, blutigste Infamie, die einem Manne ins Antlitz gegeifert werden kann, die tödlichste Beleidigung ist mir widerfahren. Denken Sie sich — nein, ich kriege es nicht über die Lippen! — Ich verlange eine augenblickliche blutige Genugthuung, und Sie sollen mein Zeuge sein!"
(Fortsetzung folgt.)