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60. Jahrgang
Amts- unä Intelligenzökatt §ür äen Kezir^.
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§am8tag, äea 7. Mürz 1885.
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Deutsches Reich.
Berlin, 4. März. Reichstag. Dritte Beratung des Etats. In der Generaldebatte spricht Liebknecht (Soz.) gegen die gesamte Politik des Reichskanzlers. Seine Freunde werden das ganze Budget verwerfen und den Direktorsposten trotz der gedrohten Reichstags-Auflösung ablehnen. Grad (Elsässer) tritt dem Redner entgegen und verteidigt die Kolonialpolitik. Damit schließt die Generaldiskussion. Das Haus tritt in die Spezialdebatte ein und genehmigt das Kapital Bundesrat, Reichstag, Reichskanzler und Reichskanzlei, sowie Auswärtiges Amt, Titel 1, unverändert. Zu Titel 2 (neuer Direktor), dessen Wiederherstellung Graf Dönhoff beantragt, nimmt Richter das Wort. Seine Partei habe den Posten aus rein sachlichen Gründen abgelehnt und halte in der Mehrzahl daran fest trotz des Entrüstungssturmes. Von einem Mißtrauensvotum sei keine Rede, v. Franckenstein: Es sei Pflicht des Zentrums, nach den Schmähungen und Verdächtigungen, die sich an das Votum vom 25. Dezbr. geknüpft haben, dieses Votuin in dritter Beratung aufrechtzuerhalten, v. Lenz erklärt die Zustimmung der Nationalliberalen zur Wiederherstellung der Regierungsforderung. Rickert: Die Frage sei bloß, ob der neue Direktor eine definitive oder eine provisorische Stelle verwalten solle. Das sei eine Vudget- frage untergeordneten Ranges, er werde mit einem Teil seiner Freunde dafür stimmen, v. Wöllwarth spricht namens der Reichspartei für den Titel; er verteidigt unter dem Widerspruch der Opposition die Entrüstungsbewegung und findet in der ablehnenden Haltung des Zentrums und der anderen Oppositionsparteien persönliche Motive. Paper namens der Volkspartei gegen die Bewilligung. Die Entrüstungsbewegung sei eine künstliche Mache gewesen ohne allen volkstümlichen Charakter. Hier gelte es, dem Reichskanzler zu zeigen, daß man auch noch „Nein" sagen könne, v. Voll, mar namens der Sozialdemokraten gegen die Bewilligung v. Helldorf (kons.) bestreitet, daß die Entrüstungsbewegung eine künstlich gemachte gewesen sei. Lang werth v. Simmern (Welfe) hält den Posten für überflüssig. Windthorst motiviert nochmals die Ablehnung, die seitens seiner Partei kein Mißtrauensvotum sei. Gegen eine Auflösung des Reichstags habe er übrigens nichts. Bei namentlicher Abstimmung werden die 20,000 für den neuen Direktor mit 172 gegen 153 Stimmenge-
nehmigt. Es stimmen dafür 21 Freisinnige, darunter Mayer, Schräder, Siemens, Struve, Beisert, Brömel, v. Forckenbeck, Hoffmann, Lipke, Rickert und Willbrand. — Darauf wird die beantragte Wiederherstellung der Regierungsvorlage bezüglich der Errichtung eines Generalkonsulates in Kap - stodt genehmigt, bezüglich der Vertretung in Korea dagegen der Beschluß der zweiten Lesung aufrecht erhalten, wornach statt eines Generalkonsuls und eines Vizekonsuls nur ein Konsul und ein Sekretär bewilligt werden. Ebenso wird der Beschluß zweiter Lesung, wonach für Apia zwei Vizekonsuln gestrichen werden, aufrecht erhalten und die übrigen Positionen für Konsulate und allgemeine Fonds unverändert genehmigt. Fortsetzung morgen 12 Uhr.
— Es bestätigt sich nun auch die Erwerbung eines großen Gebietes in Ostafrika, westlich von Zanzibar, unter deutscher Schutzhoheit durch die „ostafrikanische Gesellschaft für Kolonisation". Nach der „Tägl. Rundschau" umfaßen die Landschaften 250 Quadratmeilen und sind durch kaiserlichen Schutzbrief vom 27. Februar unter kaiserlichen Schutz und Oberhoheit gestellt worden. Mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit ist Karl Jühlke (erster Beamter der Gesellschaft) betraut und dem kaiserlichen Generalkonsul in Zanzibar unterstellt. Zur Verwaltung und Ausbeutung der Kolonie ist aus Kapitalinteressen eine deutsch-ostafrikanische Gesellschaft gebildet worden, an deren Spitze für die nächsten 15 Jahre ein Direktorium, bestehend aus Karl Peters, Friedrich Lange, Konsul Raghe, Graf Behr- Bandelin und Hofgartendirektor Jühlke steht. Daneben fungiert eine aus fünf Personen bestehende Kontrolkörperschaft. Die Ländereien liegen zwischen der Küste von Zanzibar und dem Tanganjikasee. Der Boden ist überaus fruchtbar, meilenweit gleicht er schwarzer Gartenerde, an Wasser kein Mangel, das Klima aber für europäische Landleute wohl nicht zuträglich. — Man hat das Unternehmen sehr geheim gehalten und, wie die „Frkf. Ztg." zu berichten weiß, sogar durch falsche Nachrichten über beabsichtigten Ländererwerb im Boerenland die Aufmerksamkeit abgelenkt.
England.
London, 5. März. Graf Herbert Bismarck ist eingetroffen; er hatte gestern Abend eine Unterredung mit Lord Granville. „Times" knüpft an die Anwesenheit des Grafen Bismarck die Hoffnung, es würden Mittel für Wiederaufnahme der freundlichen Beziehungen zwischen Deutschland und England gefunden. Mißverständnisse hätten wahrscheinlich eine bedeutende Rolle gespielt in der Herbeiführung der gegenwärtig unglücklichen
<1ein1!c1on. Nachdruck v-rb-t-n.
Die Königin Louise
und ihre Schützlinge.
Historische Erzählung von Karl Prenzlau.
(Fortsetzung.)
„Was »st geschehen?" fragte sie besorgt. „Hat man Euch auf's Neue verwundet? Oder habt Ihr Euch sonst wo verletzt?"
„Der Franzose, der hier oben war", — flüsterte Humbert in kaum vernehmbarem Tone, „er stach mit seinem Säbel in das Heu ... und die scharfe Spitze drang mir in die Seite."
„Und Ihr habt nicht geschrieen?"
„Nein ... es hätte mich verraten, und . . . dann wären wir Alle unglücklich gewesen."
„Jesus, was seid Ihr für ein Held!" rief das junge Weib und schlug bewundernd die Hände zusammen. Dann eilte sie an die Luke und schrie in den Hof hinunter:
„Johann! binde den Augenblick zwei von den langen Brettern zusammen und lege diese Brücke schräg an den Heuboden, damit wir den Kranken so schonend als möglich hinunterschaffen können. Die Dörthe soll das Giebelzimmer in Stand setzen, das Bett weiß beziehen und heißes Wasser zum Thee bereit halten, und der August soll gleich den Gaul satteln und in die Stadt reiten zum Doktor Keppler. Ich ließe ihn schön grüßen und er möcht' flugs hinauskommen. Sputet Euch, Johann! das Alles leidet nicht den geringsten Aufschub!"
Während der letzten Worte war sie in den Hof hinuntergestiegen und nach der Remise geeilt, in welcher die langen zu baulichen Reparaturen bestimmten Bretter aufgeschichtet lagen. Hurtig riß sie die beiden obersten Lagen herunter und warf dem verdrießlich dreinschauenden Johann einen so strengen und zugleich fragenden Blick zu, daß dieser trotz seiner Verstimmung es für das
Geratenste hielt, nicht länger mit der Ausführung der erhaltenen Aufträge zu säumen.
Binnen wenigen Minuten war die Verbindung des Bodens mit dem Hofraum hergestellt, und man konnte nun den Verwundeten bequem hinunterschaffen. Das zu seinem Aufenthalt bestimmte Zimmer war inzwischen in Stand gesetzt worden. Man brachte ihn zu Bett und legte einen Verband an. Die Hausfrau zeigte die rührendste Sorgfalt. Sie schalt das Gesinde, daß es sich lässig zeigte, wo es galt, ein Werk der Barmherzigkeit zu üben, legte überall selbst mit Hand an und war eben damit beschäftigt, den durch den starken Blutverlust erschöpften Kranken in eine bequeme Lage zu bringen, als der Arzt eintrat.
Er war ein bejahrter Herr, dem eine ebenso reiche Erfahrung wie gediegene Kenntnisse zur Seite standen. Mit einem leichten Kopfnicken schritt er an der Hausfrau vorüber, trat an das Bett und machte sich an die Untersuchung des Verwundeten.
Nicht ohne ein Gefühl der Beklemmung sah die Pflegerin seinem Ausspruch entgegen. Dieser ließ denn auch nicht lange auf sich warten.
„Es hat keine Gefahr, Frau Heidner." Der starke Blutverlust hat ihn zwar sehr mitgenommen; das hat aber bei seiner Jugeno nichts auf sich. Der Stich ist nicht allzu tief eingedrungen. Nur Ruhe und Pflege, und ehe sechs Wochen vergehen, wird er gänzlich wieder hergestellt sein."
Er packte während dieser Worte seine Instrumente zusammen und ließ dann seine klugen Augen mit einem forschenden Ausdruck über die volle Gestalt der jungen Frau Hingleiten. „Wohl ein Verwandter?" fragte er lächelnd.
„Ach nein", gab Frau Heidner errötend zurück und schüttelte leicht den Kopf. „Nur so ein Versprengter ... ein Flüchtling oder Deserteur, dem sie dort drüben im Preußischen recht garstig mitgespielt haben müssen."
„Na ... mir ist's schon recht, Frau Heidner. Für den Arzl sind alle Menschen gleich, wenn sie krank sind. Also Ruhe und Pflege. Gott befohlen, Frau Heidner!"
„Ruhe und Pflege" , flüsterte diese vor sich hin, als der Arzt sich entfernt hatte, „daran soll's ihm nicht fehlen, so wahr ich eine rechtschaffene Lithauerin bin." (Forts, folgt.)