60 . Jahrgang
Amts- unä Iiüekkigrnzbkatt für llen Pezirst.
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8am8tag, äen 3. Januar 1885.
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„KoFwer* Wochenö^cctt^
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'MotttiscHe Wcrchvichterr.
Deutsches Reich.
— Das zu Ende gegangene Jahr 1884 hat eines der größten Ereignisse der Zeit heraufgeführt und wirb in der Weltgeschichte eine große Nolle spielen. Deutschland, seit Jahrhunderten zerrissen, ohnmächtig und verlacht, seit kaum länger als einem Jahrzent zum deutschen Reiche geeinigt, hat in diesem Jahre seinen vollen Amheil an den herrenlosen Ländern des Erdballs gefordert und mit Erfolg geltend gemacht, es nimmt den Wettstreit mit dem fee- und länderbeherrschenden England in Australien und Afrika auf. Die Vertreter der größten Seemächte Europas und Amerikas sind auf den Ruf und unter dem Vorsitze Bismaicks in Berlin versammelt, in der eirill viel veisrmtt-lo? N-rck^-SkE-:-^.-^.'. i- < -gruch -P.'L 'Protokoll trocknen, in dem die fernen Länder der Well getheilt werden. Die deutsche Flotte ist die jüngste unter allen und wie lange ist es her, daß die ersten Anfänge einer Flotte, vom deutschen Volke mühselig durch gesammelte Pfennige, Kreuzer und Gulden zusammengebettelt, unter dem Hohnlachen des Auslandes unter dem Hammer des Auctionators versteigert wurden? Und deni Manne, der vor allen andern das alles mit seinem Genie und seiner Energie ausgebaut hat, dem streichen die Vertreter des Reiches 20,000 für den unentbehrlichen Mitarbeiter an seinem Riesenwerke. Sie können von Glück sagen, wenn man einst ihre Namen nicht mehr nennt und der Bismarcks in hellstem Ruhmesglanze strahlt.!
B e r l i n , 28. Dez. Die A b r eise der F ü r st i u Bismarck nach dem Süden ist, wie man erfährt, zwar vorbereitet, findet ober immer wieder einen Aufschub, weil die Fürstin nicht ohne chren Gemahl reifen möchte, und dieser unter den gegenwärtigen Verhältnissen sich als nicht von Berlin abkömmlich hält. Ein Anderes wäre es allerdings, wenn Graf Hatzfeld! nicht erkrankt wäre; aber im bestem Falle werden noch gegen 2 Monate vergehen, ehe derselbe wieder sein Amt in vollem Umfange und zugleich die Vertretung des Reichskaüzters in einschlägigen Angelegenheiten
antreten kann. Einigermaßen hat sich Hwar das Befinden des Staatssekretärs bereits gebessert. Er kann bereits, was lange nicht der Fall war, wieder feste Kahrnng zu sich nehr.-.en und einen Teil des Tages außerhalb des Bettes zubringen. Aber der KranU bedarf selbstverständlich noch der größten Schonung und nach der hoffentlich nahe bevorstehenden Wiederherstellung einer längeren Erholung, zu welchem Zweck die Aerzte einen etwa Owöchigen Urlaub für wünschenswert erachten.
— Ueber den Einfluß Deutschlands unter Bismarck sagt ein ultramon- taües amerik. Blatt, dich St. Lou'iser „Amerika"-: Wenn in den Tagen des „verflossenen" Frhrn.,.v. Mant'euffel Großbritannien mit Spanien oder Portugal einen Vertrag geschlossen Hütte und Preußen hatte dagegen protestiert , welch' unauslöschliches Hohngelächter hätte sich in Europa- erhoben! Lord Palmerston hatte einige« frivole Witze losgelassen und der angegriffene Vertrag wäre in Giltigkeit-geblieben. 'Und heute? Gsadstone schließt einen Vertrag über die westafrikauische Beute mit Portugal, ein Dokument, das die beiden meistbeteiligtm Nationen zu unumschränkten Herren des Kongo macht. Sofort erklärt Bisluarck, daß er sich nicht einen Pfifferling darum kümmere. Gladstone schweigt. Da.gewinnt der. deutsche Kanzler für seine Anschauung Frankreich und die Ostmächte. Und nun erklärt der britische Minister des Auswärtigen: daß mcM den Vertrag wegen des daqegen, na- menilich von Deulschland erhobenen Einspruchs fällen gelassen habe. Das war für die deutsche Politik ein Triiynch. Aber fie wifiO - fv-PL'-re-i ^ Fürü - R^ch verlangte .One Korw-
kouserenz! Eine Kongokouserenz >n Berlin ! Uno er hat sie- erhalten. Unter dem Vorsitze seines Hauptschreibers Hatzfeld: sitzen jetzt dort die Gesandten der Brächte und beraten, ob ein Fluß m Westafrika dem allgemeinen Handel geöffnet sein soll. Und er wird dem Handel aller Nationen geöffnet werden. Denn das Deutsche Reich hat dort noch nicht erhebliche Sonderinteressen. Es will blos dem Monopol Englands entgegcntreten. Und es thut Recht daran. Stanley wird mit seiner „Internationalen Afrikanischen Gesellschaft" nun Luft bekommen, und Amerikaner wie Deutsche tonnen mit ihren Waaren bis in das Herz des schwarzen Weltteils gehen. Das ist der Einfluß Ten..che lauds. Möchte er sich stets in so vernünftiger Weise geltend machen!
— In der eayptischen Frage hat die „Nordd. Mg. Ztg." ein gew'ch- tiges Wort gesprochen. In einem Artikel, der das Bemühen der deutschen Negierung erkennen läßt, zu verhüten, daß die egyptijche Frage Spaltungen unter den kontinentalen Mächten herbeiführe, wird die englische Regierung darauf verwiesen, zunächst eine Verständigung mit Frankreich zu suchen. Keine der Mächte hat nächst England gleich große Interessen in "Egypten, wie Frankreich, und es ist daher nur sachgemäß, daß Frankreich unter den kontinentalen Mächten in dieser Angelegenbeit die Führung übernimmt. Damit fallen'chie in der letzten Zeit wiederholt ausgetauchten Meldungen ausländischer
AerritteLorr.
Eine Geschichte aus dem Volksleben von August Butscher.
(Unbefugter Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.)
(Fortsetzung.) '
Heute hatte er die alte Jul bei sich und schleppte sie, indem er überall galant das Eintrittsgeld bezahlte, von einer Bude in die andere, bis sie fast noch konfuser war, als er selbst.- Ueberall mußte er sein, wo eine bierheisere Stimme rief: „Nur hereinspaziert, meine Herrschaften, nehmen Sch Platz, nehmen Sie Zutritt, stier ist zu sehen das Unerhörte. Nie werden Sie es bereuen, cs ist das Wunderbarste, was die Welt gesehen hat: der große Napoleon, wie er lebt und schwebt. Er richtet eigenhändig eine. Kanone in der Schlacht bei Leipzig und brennt sie ab. Hören Sie den Schuß? Augenblicklich treten Sie ein, er fängt gleich wieder von vorne an!"
Und so stieß der unwiderstehliche Ausrufer die noch Zögernden hinter die zeriffene Leinwand und begann wieder wie vorhin von Napoleon zu schreien an.
Voin Holderhofe war heute Alles in Murrheim, und nur ein alter, halblahmer Knecht, dem man ein Päckchen Tabak versprochen hatte, hütete das Haus.
Es war wirklich ein maicnschöner Tag, Alles voll Glanz und Dust und Blüthe. Auf den Nepsfeldern wogten goldene Wolken von Blüthen- staub, und an jeder Brust und auf jedem Hute stack ein Strauß.
Der heutige Tag war noch in anderer Beziehung bedeutungsvoll, denn gestern war die Landtagswahl vor sich gegangen, und heute säion war vielleicht das Resultat zu erfahren.
In der großen Nebenstube des Gasthauses „zum baierischen Hiesel"
finden wir so ziemlich Alle von unseren Bekannten beisammen, scheinbar einträchtig, und doch vielfach innerlich geschieden. Der Lärm war so ungeheuer, daß Niemano mehr' sein eigenes Wort verstand. Nur wenn gesungen oder gespielt wurde, gab es zuweilen eine Pause, je nachdem die Lieder waren, auf die der Bauer stets etwas gibt, besonders wenn sie rührend sind. Es ist wirklich so; in der lautesten Fröhlichkeit machte wenigstens m jener Zeit ein schmerzlickes Lied, von irgend einem Gebrechlichen oder Blinden gesungen, einen tiefen Eindruck.
So trat eben jetzt ein blühender junger Mensch, dessen glanzlose Augen deutlich genug von seiner Blindheit redeten, am Arme eines alten Mütterchens in dis Stube, in der unsere Bekannten saßen. Er trug eine Guitarre prälu- ducke fertig und sang mit einer maiensrischen Stimme, nachdem der alte Holderhofer mit seinem Stock auf den Tisch geschlagen hatte, das alte ' rührende Lied:
„Der Mensch soll nicht stolz sein .Auf Gut und auf Geld,
Es lenkt ja verschieden Das Schicksal die Welt.
Dem Einen hat's Gaben,
Die gold'nen bescheert:
Der And're muß graben Tief unter der Erd'!"
Die Meisten horchten aufmerksam zu, und der alte Holverhofer wischte mit noch vielen Andern die Augen. Sogar der Rentmeister schien ergriffen, und nur der Commissionär Sturm, welcher sich in einen Winkel zurückgezogen hatte, blieb teilnahmslos.
Der Rentmeister war in neuerer Zeit immer etwas nervös. Der Baron hatte ihm, gleichsam als Pflaster auf die empfangene Wunde, den