Rom, 9. Mai. Was ich Ihnen jüngst über den drohenden Ge sundheitszustand des Papstes geschrieben, bestätigt sich vollkommen. Die Fontanelle haben sich geschlossen. Was die Thatsache, welche bereits eine Lähmnng des Beines herbeigeführt bat, sür weitere Folgen haben muß, kann man sich nicht verhehlen. Um die Sache so geheim als möglich zu halten, behandelt sich der Papst selber. Dazu brachten ihn namentlich die Einflüsterungen der Jesuiten, denn sie fürchten, sei» Tod wäre zu­gleich der Ruin ihres Hauses.

Koustantinopel, 13. Mai. Nachrichten aus St. Pe­tersburg verbürgen die Reise des Czaren in die Krim, der ein Besuch bei dem Sultan folgen wird. (Frkf. I.)

Konstantinopel. Nächstens wird die Pflicht zum Mi­litärdienst auf alle Unterthanen des Sultans ausgedehnt werden.

M an« und Frau.

(Fortsetzung.)

Die Dame legte die Brochüre auf den Tisch. Dann ergriff sie ihr duftendes weißes Spitzcntuch und drückte es an die Lippen.

Fassen Sie sich, liebe Freundin! murmelte Sebastian. Fassen Sie sich! die arme Frau ist von großem Trübsal erlöst.

Ja ja, sie ist erlöst! Wenn sie nur ruhig heimgegangcn ist! Freund, diese Frau war meine Schwester! aber sie war auch eine verstockte Sünderin, deren Gemeinschaft ich fliehen mußte. Jetzt muß sie vor dem ewigen Richter ihre Missethaten verant­worten er sei ihrer Seele gnädig!

Amen! murmelte Sebastian salbungsvoll.

Der Tod löscht alle Zornsflammen, sagte Madame Odening, indem sie aufstand und einen Sekretär öffnete. Ich bitte um eine Gefälligkeit, lieber Freund.

Ich stehe zu Diensten.

Damit die Welt nicht sage, ich sei hartherzig, werde ich meiner Schwester ein anständiges Begräbnis; besorgen lassen' Hier sind vierzig Thaler wollen Sic die Besorgung übernehmen?

Sebastian verneigte sich.

Aber verschweigen Sie der Tochter, daß das Geld von mir kommt. Was die rechte Hand thut, darf die linke nicht wissen. Auch will ich das Mädchen nicht zu Danke verpflichten. Sie kennen meine Grundsätze. Die Frau ist doch noch nicht begraben?

Sie ist erst in der verflossenen Nacht gestorben.

Thun Sic, was Ihnen beliebt; aber lassen Sie mich aus dem Spiele. Wenn das Begräbniß einfach und würdig stattfindet

So haben Sie gethan, was Ihnen obliegt. Ich gehe, Madame, um ihren Auftrag zu vollziehen.

Meines Dankes, Freund, dürfen Sie gewiß sein.

Sie reichte ihm, wie eine Königin dem Vasallen, die Hand. Sebastian krümmte seinen langen Rücken und küßte diese Hand.

Schön! murmelte er. Wenn Alles besorgt ist, sehen sie mich wieder.

Die Dame nickte freundlich mit dem Kopfe. Der Organist verließ das Zimmer, hüllte sich in seinen Pelz und suchte die Wohnung der Verstorbenen auf.

III.

Kaum hatte sich Sebastian entfernt, als Madame Odening ausrief:

Meine ärgste Feindin ist gestorben! Ich will mich nicht freuen, aber trauern kann ich auch nicht. Wer trägt die Schuld an der lächerlichen Ehe, die ich eingegangen bin? Sic, Louise! Wer hat mir den Man» genommen, den ich leidenschaftlich liebte? Meine Schwester, meine eigene Schwester, welche die Natur in ihrer Laune mit mehr Körperreizen ausgestattet hatte, als mich. Louise ist sich ihrer Schönheit bewußt gewesen, und sie hat sie zu meinem Unglück geltend gemacht. Ich bin reich durch meinen Mann geworden, aber nicht glücklich. Sic ist arm geworden, aber in der Liebe glücklich gewesen. Und mit welchem Spotte hat sie mich verfolgt? Doch, ich will ihr Sündenregister nicht aufstellen sie ist todt, ihr sei vergeben. Nun kann ich doch durch die Straßen gehen, ohne fürchten zu müssen, daß mir die Näuberin meines Lebensglücks begegnet. Das ist ein Gewinn, den ich längst durch meine Ruhe und Ergebenheit verdient habe.

Sie hatte einige Augenblicke beobachtend am Fenster gestanden.

Dort kommt mein Mann I flüsterte sie unwillig. Kann diese Jammergestalt eine Frau beglücken? Wahrlich, Millionen geben dem sehnenden Herzen die Ruhe nicht zurück, die es einmal verloren hat. Ich bin verheirathet und habe seit zehn Jahren schon keinen Mann mehr. Das traurige Verhältnis; wird täglich drückender, es reibt micht auf und dennoch muß ich cs vor der Welt geheim halten, wenn ich nicht dem Spotte anhcimfallen will muß die Leute an mein Glück glauben machen.

Der Eintritt des Gemahls unterbrach die Betrachtungen der Dame.

Herr Odening war ein kleines, schwächliches Männlein von sechs bis siebcuuudsechzig Jahren; sein Gesicht war zu unzähligen Runzeln zusammengeschrumpft. Das schwache Haupthaar trug die Farbe des Greisenalters. Ein Hüsteln deutete den krankhaften > Zustand seiner Brust an. Die Zähne fehlten ihm fast alle. Aber !

das Auge war gut, er sah scharf wie ein Jüngling. Seine Toilette war stets sauber und sein, und sein Kinn glatt rasirt. Er war der Mann der Ordnung. In seinem Hause ging Alles nach der Uhr. Heute war er in das feinste kaffeebraune Tuch gekleidet. Hut und Pelz hatte ihm Christoph im Vorzimmer ab­genommen. Zufrieden lächelnd grüßte er.

Guten Tag, Cornelia!

Cornelia dankte, indem sie gleichgültig zur Seite sah.

Du bist betrübt, fuhr der kleine Mann fort; so hast du wohl schon die Trauerkuude erfahren.

Ich weiß cs, meine Schwester ist gestorben. Und wer hat es dir mitgclheilt?

Der Armenarzt.

Herr Odening ließ sich hüstelnd ans den schwellenden Sopha nieder.

Ich habe den Arzt im Museum getroffen. Nimm mir es nicht übel, mein Kind aber cs war nicht Recht, daß du deine ktanke Schwester von dem Armenärzte hast behandeln lassen. Hätte ich das gewußt

Der Husten unterbrach ihn.

Nun, was würdest du gethan haben? fragte die Gattin.

Ich würde ihr unfern Hausarzt geschickt haben.

Ohne meine Bewilligung?

Ohne deine Bewilligung!

Peter!

Cornelia?

Ich bin deine Frau.

Und ich dein Mann.

Leider! seufzte Madame Odening.

Leider? wiederholte der Gatte, ruhig lächelnd. Du kannst dich wohl über mich nicht beklagen, da ich dir stets in allen Stücken zu Willen gewesen bin und mehr als gut ist, deine Launen ertragen habe. Was du wolltest, ist in der Regel auch geschehen. Ich habe nicht widersprochen, des lieben Friedens wegen. Heute muß ich dir aber sagen, daß du nicht schwesterlich, nicht einmal christlich an deiner Schwester gehandelt hast, die sich, wie man in der ganzen Stadt spricht» zu Tode gehungert und gearbeitet hat, während wir hier in Ueberfluß und in träger Ruhe leben. Meine Schwägerin, die Schwägerin des Rentiers Odening, hat in dem Armenviertel gewohnt! Das ist nicht nur eine Sünde, das ist, mein liebes Kind, auch eine Schmach. Und wenn ich nach deiner Schwester fragte, so sagtest du, cs gehe ihr gut. Das war eine Lüge.

Cornelia hatte sich gewendet; ihr volles Gesicht glühte vor Zorn.

Mann, was fällt dir heute ein? rief sie aus. Du weißt, daß ich mir stets eine gewisse Freiheit des Willens bewahre

Die ich dir auch nicht streitig mache, weil es nicht in meinem Charakter liegt. Meint doch die ganze Stadt, ich stände unter dem Pantoffel, und wenn ich es beim Lichte betrachte, so ist es auch wahr. Ich habe mich wohl dabei befunden, und darum ließ ich die Leute reden. Aber ich rede ein Wort mit, wenn ich Dinge höre . . .

Die dich nicht angehen! unterbrach ihn Cornelia maliciös. Ich habe es für gut befunden, mich um Frau Händel nicht zu kümmern, und nun hast du mich um die Gründe weiter nicht zu befragen.

Cornelia, du gehörst dem Armenvereine an.

Weil ich Gefallen daran finde.

Nein, deshalb nicht; sondern weil es Mode ist. Ich kenne das. Die Passionen der Damen wechseln wie die Hüte und die Kleider. Vor fünf Jahren gingen die Damen in die Vorlesungen über Erziehungskunde, da wollten alle gute Frauen und gute Mütter werden; vor vier Jahren kamen die naturwissen­schaftlichen Vorträge an die Reihe da sah man Krämer- und Handwerkerwciber, die sich vorbereiteten, Humboldr's Kosmos zu lesen; vor drei Jahren liefen die Frauen, die keinen Ton in der Kehle hatten, in den Gesangverein, um geistliche Musik zu singen, und vor zwei Jahren, seitdem der neue Oberprediger hier ist, sind die Armenvereine Mode geworden. Ich habe nichts dagegen, die Armenvereine sind mir lieber, als die medicinischen Vorlesungen, die dich zu einer Quacksalber!» zu machen drohten, denn du fingst schon an, bei nur zu cxpcrimentiren und die sogenannten Gesund­heitssuppen zu kochen diese Manie ist glücklicherweise vorüber; aber wenn du betest, von christlicher Nächstenliebe sprichst, in glänzender Equipage zu dem Nrmenvereine fährst, und dabei deine Schwester darben läßst dann, mein Kind, erhebe ich meine Stimme, und sage dir, daß du eine ausgemachte Heuchlerin bist. Heute, an ihrem Todestage, muß ich das Elend der armen Frau erfahren! Viele Leute wissen nicht, daß die Verstorbene deine Schwester war das ist gut, recht gut, und es soll auch so ge­heim als möglich bleiben; aber wir müssen etwas thun, um das begangene Unrecht auszugleichen.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.