München, 6. Jan. Gerüchtweise erzählt man sich heute, die Staatsregierung würde für den Fall der Ablehnung der Ver­träge unmittelbar nach der Kammerauflösung die Verträge gleich­wohl ratifiziren und sich von der neuen Kammer wegen dieses nur mit Rücksicht auf die Nothlage und die gefährdeten Staats­interessen unternommenen Schrittes Indemnität erbitten.

In der Berliner Erbswurst-Fabrik wird gegenwärtig die eilfte Million Würste gefertigt, schreibt die Kreiszeitung vom 1 Jan.

Posen, 29. Dez. Am 23. d. wurde mit kirchlichem Pomp im hiesigen Kloster der barfüßigen Carmeliterinnen wieder die Einkleidung einer Novizin, eines Fräulein v. Bracza, vorgenom- men. Die neue Himmelsbraut bringt dem Kloster eine Mitgift von 20,000 Thlru. zu. Vor acht Tagen wurden mit Fräulein Anna v. Kalkstein demselben Kloster 35,000 Thlr. eingeheimst. Unter diesen Umständen erscheinen die Bezeichnungen eines solchen Ordens alsBettelorden" mit dem klpitllotou ornansBarfüß- lerinnen" als eine Ironie. Den sämmtlichcn katholischen und evangelischen Geistlichen Posens ist derOstd. Ztg. zufolge Seitens des Magistrats die Anzeige zugegangen, daß sie von Neujahr ab gleich allen andern Bürgern der Stadt Einquarti- rung erhalten. Der Erzbischof, der 56 Mann aufnehmen muß, sowie mehrere Domherren haben gegen eine solche Bequartirung protestirt, indem sie sich zur Tragung von Communallasteii nicht für verpflichtet errachten. Von den evangelischen Geistlichen ist bis jetzt ein Protest gegen die Bequartirung nicht eingegangen. Andere katholische Geistliche haben bereits ersucht, die für sie be­stimmte Einquartirung auf ihre Rechnung auszumieihen; doch be­halten auch sie sich die Beschreitung des Rechtsweges gegen den Magistrat vor.

DerMagdeburgischen Zeitung" schreibt man aus Leipzig vom 1. Jan.:lieber die Angelegenheit der verhafteten Sozial­demokraten Bebel, Liebknecht und Hepner hört man, daß das gegen sie vorliegende Anklagematerial ein sehr umfängliches sei. Die verschiedenen Haussuchungen sollen der Behörde eine Menge Beweisdokumente in die Hände geliefert haben, wonach die Sozial­demokraten in Deutschland, Frankreich, England rc. nach einem gemeinsamen und einheitlichen Plane handelten."

Die österreichischen Arbeiter, die vollständig auf dem in­ternationalen Standpunkte stehen, haben sich in einer großen Volks­versammlung in Graz wieder, wie jüngst in Wien, zu Gunsten der französischen Republik ausgesprochen. Die erste Frucht des preußisch-österreichischen Freundschaftsbündnisses dürfte der ob seiner preußenfreundlicheu Commersrede des Hochverraths ange- klagte Dr. Höplinger genießen. Es soll nämlich die Absicht obwalten, den Proceß langsam im Sande verlaufen zu lassen.

B e r n, 5. Dez. Fast täglich passiren Pferdekoppeln von 2025 Stück unsere Stadt in der Richtung nach Frankreich. Sowohl die Schweiz, wie Deutschland können sich zu dieser Aus­fuhr graiulircn; die elftere im Interesse der Veredlung der Pfer­dezucht, das letztere wegen der erbärmlichen Montirnug seiner Feinde; denn schauderhaftere Schindmähren sind mir in meinem Leben nicht vorgekommen. Wenn die Kälte so fort dauert, erleben wir noch das Schauspiel des Jahres 182930, daß der große Bodensee zugeht; denn in der verflossenen Nacht ist bereits der obere Vieler See von Neuenstadt nach Erlech und der Pe- tersinscl zugefrorcn; auch der nördliche Theil des Untersee's ist zugegaugen. (Frkf. Journ.)

Eine herbere Kritik hat die schweizerische Militärverfassung seit lange nicht getroffen, als von Seiten des resignirten Generals Herzog. Dieser betrachtet cs in seinem Bericht über die schwei­zerische Truppenaufstellung als unmöglich, daß die Milizarmee jemals in taktischer, dienstlicher und disziplinarischer Beziehung mit den stehenden Heeren sich auf gleiche Linie werde stellen können, weil hicfür die Dienstzeit viel zu kurz fei. Eindringlich warnt der General davor, allzu sehr auf eine möglichst große "Mannschaftszahl zu dringen, und bemerkt hierüber:Besser wird es stets sein, eine an Mannschaftszahl etwas schwächere, dagegen qualitativ tüchtigere Armee zu besitzen, als cs gegenwärtig der Fall ist, wo gar Manches auf dem Papiere prangt, was in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. In gar manchem Kanton sicht es mit der Landwehr gar bedenklich aus, die Mannschaft ist zwar vorhanden, das Offiziers- uud Unterosfizierskadre jedoch sehr lückenhaft, die Waffen noch äußerst mangelhaft, Kleidung oft bloß thcilweise vorhanden, während diese Bataillone in der Armcceintheilung als Bestandtheile der Brigaden figuriren und Dienste leisten sollen, zu denen gar viele dieser Bataillone zur Stunde absolut nicht fähig sind und sobald nicht fähig werden können, falls nicht ganz andere Opfer an Zeit und Geld hiezu gebracht werde», als es in jüngsten Jahren geschah u. s. w. In einigen Kantonen muß ein ganz anderer Geist in deren Miliz ge­schaffen werden, und das Kriegshandwerk darf dort nicht länger als eine unnütze Plage oder als bloße Spielerei angesehen werden. Die Reibung in dem ganzen Mechanismus der Armee war eine ganz unglaubliche.

Aus Bordeaux, 29. Dez. wird der W. Presse geschrieben: Gambclta ist gestern aus Lyon hier angelangt. So viel ich er­

fuhr, brachte er die lebhafte Ueberzeugung mit, daß die militäri­schen Verhältnisse bei Bourbaki und an der Rhone solche sind, wie sie nur zu den allerbesten Hoffnungen berechtigen können. Nichtsdestoweniger weiß ich, daß man hier nicht durchgehendes die Ansicht dieses Ministers theilt, am allerwenigsten aber über die Perspektive des endlosen Krieges entzückt und erheitert ist. Ja, wenn ich recht informirt bin, so dürften sogar im Schoße der provisorischen Regierung die früher erwähnten Meinungs­verschiedenheiten neue Formen angenommen haben, die diesmal leicht wie eine Dupirung Gambetta's ausgelegt werden könnten.

Bordeaux, 9. Jan. Ein Regierungsdekret ordnet die sofortige Aushebung des Kontingentes von 1871 an; dasselbe umfaßt alle diensttauglichen jungen Männer. Es findet keine Loosziehung statt.

DasOfficielle Journal" in Paris vom 28. Dezbr. enthält folgende Note: Der Angriff des Feindes (Bombardement) wird nur den Muth der Pariser Bevölkerung erhöhen. Sie hat durch ihre Standhaftigkeit bewiesen, daß sie zn einem unbeugsamen Widerstande entschlossen ist. Sie wird sich den edlen Kraftan- strengnngen ihrer Vertheidiger durch ihre Ruhe und ihre Disciplin anschließen. Auf jedes Opfer zur Rettung des Vaterlandes ge­faßt, kann sie durch keine Prüfung überrascht oder erschüttert werden. Der Minister des Innern per interim : Jules Favre.

Die Deutschen, welche noch in Marseille wohnen, wurden gezwungen, einen Brief an den König von Preußen zu veröffent­lichen, worin sie sich gegen den Krieg aussprechen.

Eine große Erbitterung hat nach demGlobe" unter der Pariser Bevölkerung die Erklärung desTemps", des Organs Ferry's, hervorgerufen, die Regierung sei für den Fall einer ent­scheidenden Niederlage zu dem Entschluß gekommen, entweder ab­zudanken oder sich in eines der Forts zurückzuzichen, um der Demüthigung einer Kapitulation zu entgehen. Ein Blatt schreibt: Würde die Regierung in der Stunde der größten Gefahr Paris verlassen, so wäre dies ein Akt unvergleichbarer Feigheit, wahr­haften Verrathes. Auf eigene Faust nahmen sie die Zügel der Regierung an sich und nannten sich eine Regierung für die na­tionale Vertheidigung. Daß die Mitglieder der Regierung sich in Acht nehmen; alle ihre Bewegungen werden überwacht; das Volk wird ihnen nie gestatten, den Posten zu verlassen, den sie mit solcher Anmaßung usurpirt haben."

Aus bester Quelle berichtet dasDeutsche Volksblatt" aus Rom: Der Sultan hat dem heiligen Vater zu dessen Namens­tage am 27. Dez. in einer kostbar gearbeiteten silbernen Schüssel 20,MO Franks nebst einem Beglückwünschungsschreiben überrei­chen lassen. (B.-Z.)

Brüssel, 8. Jan. Immer mehr werden wir in der Hoffnung befestigt, daß der Anfang des Endes gekommen ist. Die Be­schießung der Forts von Paris scheint großen Erfolg zu haben. Der Mangel an Lebensmitteln macht sich in der eindringlichsten Weise fühlbar, und die Noch wird noch vermehrt in Folge der Flucht nach Paris der Einwohnerschaft jener Lokalitäten, welche von den Deutschen beschossen werden.

Brüsfel, 8. Januar. DieJndependance" meldet: Paris, 2. Jan. Trochu willigte zufolge einer Pression in die Beiord­nung eines Rathes, welcher aus 4 Ministern und 4 Generalen bestehen und ausschließlich berathende Befugniß haben soll. Am 31. Dez. fand eine erregte Versammlung des Rathes statt, worin wichtige Beschlüsse gefaßt wurden. Gegenüber feindlichen Mani­festationen, welche die Clubs der Regierung androhten, wurden energische Maßregeln getroffen. Truppen waren konsignirt. Das Amtsblatt fordert die Bevölkerung zur Eintracht auf, verheißt baldige neue Aktion, zeigt an, die Zusammensetzung der Regie­rung werde nicht geändert, fordert auf, optimistischen Gerüchten keinen Glauben zu schenken. Die Bäume der Champs Elysees sind behufs Holzgewinnung gefällt worden. Demnächst werden auch die Bäume im Tuileriengarten gefällt.

Brüssel, 10. Jan. Es heißt, Trochu werde sich nicht in den Mont Valerien zurückziehen, sondern beabsichtige, schlimmsten Falls sich durchzuschlagen. DasEcho du Parlament" meldet, daß drei Jahresklassen der belgischen Miliz zum Schutze der West- und Südgrenze neu einberufen sind.

St. Petersburg, 6. Jan. Eine allerunterthänigste Vor­lage des Kriegsministers beantragt fünfzehnjährige Dienstpflicht, wovon 7 Jahre effektiver Dienst. Jährlich sind 25 pCt. der Einundzwanzigjährigen auszuheben, der Loskaus ist abgestellt, An­gehörige der gebildeten Klasse treten mit 17 Jahren als Freiwillige ein, haben kürzere Dienstzeit und erhalten den Offiziersgrad nach abgelegter Prüfung.

Gesindenoth in Amerika. In einer Newyorker Zeitung finden wir folgenden Schmerzensruf:Die Jagd auf den Hippe- potamus an den Ufern des Nil, aus den Alligator in der Bai von Louisiana, auf den Löwen in Numidicn, auf den Gorilla in Senegambien, auf den Tiger in Bengalen, den Bären in Schwe­den und den Wolf in den Steppen Rußlands jede solche Jagd ist ein reines Kinderspiel gegen eine Jagd nach einem treuen, fleißigen und bescheidenen Dienstbote n!" _

Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser 'scheu Buchhandlung.