6. Sette - Nr. 34
Nagolder Tagblatt „Der Sesellschaster'
Donnerstag, den 23. April Ms
Schlachtfliegern mit der „dicken Pelle". Oberleutnant H. hat so hineingehalten, dag die Brocken fliegen. Von der rechten Fläche montiert ein großes Stück ab, fliegt genau auf die Kabine der Me zu, die schleunigst hochzieht. Inzwischen hat der von Unteroffizier R. beschossene Bolschewik starke Treffer bekommen. Er will sich durch Hochziehen dem Angriff entziehen. In diesem Augenblick kommt er in Schußposition auf Oberleutnant H. Doch da jagt ihm sein Verfolger von der Seite her den tödlichen Feuerstoß in die Kabine. Jetzt hat er genug, kommt ins Abrutschen. In der gleichen Sekunde hat auch der linksarchen über die abmontierte Fläche gekippt und stürzt senkrecht in den Wald ab, wo er zwischen den Bäumen aufschlägt. Der Rechtsaußen geht ungesteuert nach unten. In der Nähe des Platzes schlägt er mit iurchtbarer Wucht in den Schnee.
Oberleutnant H. hat den dritten Schlachtflieger nicht aus den Augen gelassen. Der ist mit Ostkurs unbekümmert dem nahen Platz zugeflogen. Als die R 3 merkt, daß die beiden deutschen Jäger sich anpirschen, will sie im Tiefstflug, einmal links und einmal rechts auskurvend, entfliehen. Ueber Baumwipfel, Häuserdächer und Buschwerk geht die wilde Jagd. Immer wieder will sich der geschickt fliegende Bolschewik durch „Schwänzeln" jeder Angriffswirkung entziehen. Der erste Feuerstoß aus den Bordwafsen von Oberleutnant H. bringt noch keine Abschußwirkung. Nun kommt die Me mit Fahrtüberschuß an die Seite der N 3, kurvt leicht sin und schießt mit guter Trefferlage in die Kabine hinein. Da wird der Bolschewik nervös und weiß nicht mehr, was er machen soll. Jetzt geht er plötzlich auf Gegenkurs, macht Anstalten zu einer Notlandung. Ehe er aber anschwebt, trisft ihn der nächste Feuerstoß. Jetzt Bauchlandung. Noch eh« die R 3, deren rechte Fläche durch Vodenberührung abreißt, ans dem Bauch weiterrutschend zur Ruhe gekommen ist, beendet der letzte Eeschoßhagel das Schicksal auch dieses Schlacht- flieaers.
Oeffrüchte im Haushav Europas
Die ernäh r unq sr virtschaftliche Selbständigkeit Europas z« er» ringe», ist trotz des llnkeugeschreies der an den internationale» Spekulationsgeschäften mit Lebensmitteln interessierten Zeitgenosse» ohne weiteres möglich, wenn in allen Staate« die gegebene Aufgabe mit dem notwendige» Ernst angepackt wird. Dabei wird die größte Schwierigkeit zweifellos in der Ueber- Windung der Kettlücke bestehen, den« hier hatte sich Europa am weiteste» von seiner Selbstversorgung entfernt. Die Schließung der Fettlücke wird dabei nicht allein über die Mehwirtschaft möglich sei», den» di« Veredelungswirtschaft verbraucht in höherem Nlaße Pslanzeunährstosse, als durch die Veredelungsprodukt« der menschliche» Ernährung wieder zugeführt werden.
Aus diesem Grunde gewinnt der Oelfruchtanbau entscheidende Bedeutung. Er war doch um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Europa heimisch uud hätte bei richtiger Wetterführung de» europäische» Fettbedarf sichern können. Den Welt- Handelsinteresse« aber wurde der Oelpflanzenanbau geopfert, so daß zur Zeit der letzten Weltwirtschaftskrise nur «och völlig unbedeutende Reste vorhanden waren. Seit der Zeit aber hat sich ein grundsätzlicher Wandel bemerkbar gemacht. In Deutschland wurde eine Erweiterung der Anbaufläche von wenigen tausend Hektar im Jahre 1933 auf über 250 i)00 Hektar erreicht. Gedrängt durch die Versorgungsschwierigkelten haben nun die übrigen europäischen Länder radikale Maßnahmen zur Ausdehnung der Anbauflächen ergriffen. In Frankreich werden im lausenden Jahre 200 000 Hektar mit Oelpflanzen besetzt gegenüber 10 000 Hektar 1989. Dänemark hat eine Anbaufläche von 390 099 Hektar, etwa ein Zehntel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, vorgesehen. In Schweden wurden 15 999 Hektar mit Oel- pfkanzen bepflanzt. Die rumänische Anbaufläche, die 1949 rund 199 999 Hektar betrug, ist auf 499 09V Hektar ausgeweitet worden. Ebenso hat die bulgarische Regierung entschiedene Matz- nechme« für di« Oelpflanzen-Erzrugungsfteigernng in Angriff genommen. In Ungarn konnte, abgesehen von den sonstigen An-> tmurrweiterunge», allein bei Sonnenblumen eine Ausweitung d« Anbaufläche um US v. H. erreicht werden. Mehr als 130 909 Ku jtratmor gen sind heute mit den ertragreichsten Oelpflanzen besetzt. Der serbische Anbauplan sieht ebenfalls eine radikale Steigerung der Oelpflanzeuproduktion vor. War bisher der Oel« pstunzenanbau in diesem Gebiet völlig unbedeutend, so lautet das Produktionsprogramm sür 1942 auf 39000 Hektar Sonnenblume». 15 MO Hektar Hanf n»d darüber hinaus mehrere tausend
Hektar Sojabohne». Diese Beispiele könnte man beliebig wei- terführen, so vor allem im Hinblick auf die Förderung der Oli» venkultnren in Spanien, Italien und Griechenland. Ohne Ausnahme arbeitet heute jedes Land des Kontinents an der lleber- windung der vorläufig noch vorhandenen Fettlücke, und es ist kein Zweifel, daß eine weitere Fortführung der Oelpflanzen- aktion ein günstiges Veichäktnis zwischen Erzeugung und Verbrauch schassen wird.
Gewinnung und Anwendung von Stalldung und Jauche.
Damit alle BSden des Ackers und der Dauergrllnlandflächen auf die Dauer gesund und ertragreich bleiben, ist durch richtige und reichliche Gewinnung und Anwendung von Stalldung und Zauche für eine bessere Humusversorgung der Böden zu sorgen. Zn Gegenden mit vorwiegendem Getreideanbau haben wir eine» ausreichenden Strohanfall zur Slalldunggewinnung, anders in niederschlagsreichen Gegenden, wo die Dauergründlandfläche bei starkem Viehbesah der Wirtschaft sehr umfangreich ist. Stalldung sollte immer hochgestapelt werden, wodurch eine ungestörte Rotte erreicht wird. Zn niederschlagsreichen Gegenden, wo oft weniger Einstreu zur Hand ist, hat sich die Dunglege bewährt, durch die eine Stapelung des sehr feuchten Dunges möglich ist.
Es ist bekannt, daß die leichten Böden den Dung viel schneller als die schweren Böden zersetzen. Um eine wirtschaftliche Ausnutzung des Mistes auf den leichten Böden zu sichern, ist darauf zu achten, daß der Dung nicht allzu früh ausgebracht wird, wodurch sonst der Stickstoff von den Pflanzen nicht voll ausgenutzk werden kann, da ein Teil durch die Niederschläge ausgewaschen und auch der Humuszustand dieser leichten Böden nicht genügend verbessert wird. Auf den schweren Böden ist der Dung zur schnelleren Zersetzung zeitiger und recht flach unterzubringen.
Bei der Zauche ist der Stickstoff der wertvollste Bestandteil. Pferde- und Schafharn weisen fast immer einen höheren Gehalt an Stickstoff auf als Rind- und Schweineharn. Eine Grundregel zur Gewinnung einer wertvollen Zauche ist die nach Möglichkeit voneinander getrennte Aufbewahrung von Stalldung und Zauche. Für die Zauche ist eine gegen das Eindringen von Grundwasser und Rsgenwasser gesicherte und bedeckte Grube notwendig, in die die Zauche möglichst direkt aus dem Stall hineinzuleiken ist. Zn solchen Behältern sind die Verluste an Nährstoffen, die sonst leicht durch Verflüchtigung des Ammoniak eintreten, auf ein geringes Maß beschränkt. Die Zauche findet zu»Abdüngung des Grünlandes ausgiebige Anwendung. Auch für das Ackerland kann sie seyr wertvoll sein, sie liefert nicht nur Stickstoff und Kali als Nährstoffe, sie vermehrt auch das so vielseitige Bakterienleben. Zu berücksichtigen bleibt aber stets der Mangel der Zauche an genügenden Mengen Phosphorsäure und Kalk. Ob es sich um das Grünland oder die Kulturen des Ackers handelt, immer ist eine Ergänzung der Düngung durch Thomasphosphal und je nach dem Aeakiionszustanü des Bodens auch mit Kalk notwendig, obwohl bereiis durch das Thomasphosphat ein hoher und wirksamer Kalkankeil in den Boden gebracht wird, welcher den Boden stels verbessert. Zum Aufbau der Knochen, der Muskelsubstanz und der Körpsrgewebe braucht dbr Tierkörper viel Phosphorsäure und Kalk.
Schlafen Sie richtig?
Es gibt Menschen, die während des Schlafes vollständig bewegungslos daliegen und am Morgen noch in der gleichen Stellung aufwachen, in der sie abends eingeschlafen sind. Andere wieder bewegen sich während des Schlafens, drehen sich mehrfach um, schlafen bald auf der rechten, bald auf der linken Serie oder auf dem Rücken liegend. Es ist wenig bekannt, daß die letztere Art des Schlafens die gesündere und natürlich ist. Die vollkommen unbewegte Nachtruhe deutet häufig auf Erschöpfungszustände und pflegt auch nach dem Erwachen nicht jenes Gefühl der Frische und des richtigen „Ansgeschlafenseins" mit sich zu bringen, wie es der Mensch hat, der sich im Schlafe mehrfach bewegt.
Wo hat es am meisten Störche
Nach den jüngsten Feststellungen sind im Gau Schwaben nur noch 120 Storchenpaare anzutreffen. Im Kreis Mindelheim haben nur noch sechs Gemeinden Storchennester. Die Ursache des ständigen Zuruckgehens der Storchenzahl ist wohl, daß Gevatter Storch infolge der fortschreitenden Kultivierung von Moor- und .Sumpfgelände allmählich eine immer schmäler werdende Nahrungsgrundlage vorfin.det. Verhältnismäßig am häufigsten kommt der Storch noch in Ostpreußen vor, wo man bei der letzten Zählung noch über 15 000 Störchenpaare feststellte.
Erzählte Kleinigkeiten
In Paris lebte damals ein Kardinal, dem man gewisse ainon- röse Neigungen nachsagte. In einer Gesellschaft wurde vor ihn, gewarnt mit den Worten:
„Es mag sein, daß Eminenz ein frommer Mann ist; aber es steht außer Zweifel, daß er mehr Schäfer als Hirt ist!"
Max Reger war von größter Einfachheit und konnte alles Protzentum nicht leiden.
Einmal wurde er zu einer Abendgesellschaft geladen. Sein Gastgeber, ein eingebildeter Kommerzienrat, meinte bei Abgabe der Einladung von oben herab:
„Ich denke, Sie wissen die Ehre dieser Einladung zu schätzen! Es kommen nur Angehörige der aller besten Kreise!"
„Ich danke Ihnen!" sagte Reger darauf ironisch. „Ich werde mir den allerbesten Frack leihen, den das Leihinstitut auf Lager hat!"
Von einem besonderen Kunstverständnis zeugte eine junge Dame, der Eduard Künneke einmal eine Freikarte zu einer seiner Operetten geschenkt hatte.
Als Künneke einige Tage später besagte junge Dame auf der Straße traf, sagte dieselbe schmollend: „Na, ich war ja schön enttäuscht. Siehaben ja gar nicht selber gesungen!"
Hans Pfitzner hörte einmal in einem Konzert eine sehr mittelmäßige Sängerin, die u. a. ein „Ländliches Lied" sang. Nach Schluß des Konzertes begab es sich, daß diese Sängerin mit dem Meister zusammentraf. In der Hoffnung, ein Lob zu hören sagte die Schöne:
„Nun, Meister, welchen Eindruck hat mein Gesang auf Sie gemacht? Wie hat Ihnen vor allem das „Ländliche Lied" gefallen?"
Worauf Pfitzner antwortete:
„Eine ganz erstaunliche Leistung, mein Fräulein. Ich hatte die Augen geschlossen und sah mich im Geist um 20 Jahre zurückversetzt. Damals weilte ich mehrere Wochen bei einem Freund, der ein Gut hat. Als Sie das „Ländliche Lied" sangen, hörte ich ganz deutlich wieder das alte Scheunentor in seinen Angeln knarren und die von der Weide heimkehrenden Schafe blöken!"
Der alte Graf Haeseler, in der alten Armee unterdem Name» „Gottlieb" bekannt, besichtigte eines Tages ein Regiment. Dabei achtete er wie gewöhnlich besonders auf das propere Aussehen der Soldaten. Sein Augenmerk galt in erster Lime dem einwandfreien Zustand der Uniformen. Fand er hier etwas auszusetzen, so kannte sein Zorn keine Grenzen.
Bei dieser Besichtigung nun fiel ihm ein junger Vaterlandsverteidiger auf, der vergessen hatte, einen Knopf an seinem Waffenrock zu schließen. Das sehen und auf den Sünder losschießen war das Werk eines Augenblicks:
„Mann!" donnerte er den Soldaten an. „Was fällt Ihnen ein, in diesem Aufzuge vor mir zu erscheinen? Ich werde Ihnen von morgen ab mein Kindermädchen schicken, das kann Ihnen helfen, sich richtig anzukleiden!"
In höchst unmilitärischer, aber schlagfertiger Weise antwortete der Soldat:
„Vielen Dank, Exzellenz, aber das ist nicht nötig, die treffe ich jeden Abend selber nach Dienstschluß!"
Sosehr sich Haeseler geärgert hatte, sosehr entwaffnete ihn diese Schlagfertigkeit. Er gab dem vor Schreck erstarrenden Hauptmann, der dabeistand, den Befehl, den jungen Sünder nicht zu bestrafen, wandte sich ab, um sein Lachen zu verbergen, und schritt weiter.
Heiteres um Bismarck
Im Reichstag stand die Erhöhung der Tabaksteuer -zur Debatte. Ein Redner befürchtete, daß sich bei der Durchdrückung des Antrages viele Leute das Rauchen abgewöhnen würden, wodurch dem Staat statt der erwarteten Mehreinnahmen Ausfälle entstehen würden.
Bismarck erhob sich und sagte: „Ein Raucher gewöhnt sich das Rauchen nicht ab. Ich kenne nur einen einzigen Fall, wo das doch geschah: Der Mann arbeitete an einem Pulveriurm und klopfte dort seine Pfeife mit noch glühenden Tabatresteu aus. Er hat allerdings nie wieder geraucht!"
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SS. Fortsetzung.
„Ah, du kleine Dumme", lachte Dolores, „wer wird auf Schmeicheleien achten, die einem auf der Straße von Unbekannten gesagt werden!?"
„Warum nicht", entgegnet« Fernan eifrig und brachte es fertig, glentzkeitig mit der Zungenspitze ihre Zähn- chen von den Resten einer saftigen Feige zu befreien, „warum nicht, wenn es feine und hübsche Caballeros rd?! Wozu hat einem der liebe Gott Augen und ,egeben?*
„Schämst du dich nicht, so etwas zu sagen, Fernan? Du bist doch noch ein halbes Kind!"
„Mit fünfzehn Jahren ein Kind?" widersprach Fernan gekränkt.
„Für solche Bemerkungen immerhin noch zu jung, meine Liebe!" ES sollte eine Rüge sein. Aber es klang nicht danach. Denn in Dolores' Stimme schwang die triumphierende Ueberzeuguna, daß es herrlich war, von der eigenen Schönheit zu erfahren.
Eine Tür ging auf und Dona Encarnacion zeigte sich. Im Zwielicht des sterbenden Tages erschien iie länger, dürrer und düsterer als sonst.
„Sag mir, wo warst du nur so lange?" rief sie un- wllug aus.
„Aber Tante, in San Roque natürlich . . . Hilario Pestana war nicht gleich da . . . und ich ... ich fand die Leiter nicht, um auf den Baum zu klettern ... ich mußte natürlich warten, bis der Alte kam . . ." Dolores sprach ein wenig atemlos und Dona Encarnacion machte cm mißtrauisches Gesicht.
Als sie in die Küche ging, folgte Dolores ihr zögernd. Fernan brachte den Korb und stellte ihn auf den Tisch. Dolores nahm die Feigen einzeln heraus und schichtete sie auf den Teller, die sie vorher mit den Blättern der Früchte belegt hatte. Schweigend beobachtete Dona Encarnacion ihre Tätigkeit. Plötzlich näherte sie sich Do- tores und nef mibbill!
mißbilligend und erstaunt:
„Mi madre, wie siehst du nur aus? Du bist feuerrot, lvie eine Tomate!"
Das Blut schoß Dolores heftig ins Gesicht und verstärkte noch die rosige Glut ihrer Wangen.
„Konntest du nicht einen dunklen' Schleier vor daS Gesicht binden- um diesen Sonnenbrand zu vermeiden", schalt Dona Encarnacion.
Dolores dachte, es wäre ein Glück, daß die Tante nicht ahnte, was in Wahrheit ihr Blut so erhitzt hatte. Sie stammelte töricht:
„Ich spürte gar nicht, daß die Sonne so sehr stach . .
„Du wirst den Schaden haben und als Zigeunerin herumlaufen", bemerkte Dona Encarnacion strafend. Dolores hatte ihre Arbeit beendet und sah stumm vor sich hin. Sie erregte damit vollends die Unzufriedenheit ihrer Tante, und sie fragte empört» ob das. alles wäre, was Dolores mitgebracht hatte.
Dolores zrtterte. Was würde sein, wenn sie ngn mand andern nach San Roque schickte? Ihre Ke! wurde trocken.
„Morgen muß ich natürlich wieder hinaussahren", tat sie gleichgültig. Das brachte Dona Encarnacions Aerger zur Explosion:
„Da hört sich aber doch wirklich alles auf!" schrie sie. „War es der Senorita vielleicht zu schwer, das kleine Körbchen ordentlich gefüllt von der Hacienda bis zum Omnibus zu tragen? Wenn du für jede Handvoll Feigen extra nach San Roque fahren willst, kostet das mehr, als sie wert sind." Mit einer klagenden Gebärde hob sie ihre mageren Hände hoch: „Wenn nur Catalina nicht so viel M nähen hätte, und dieses Geschöpf" — sie zeigte auf' Fernan, „dir diese da mitzugeben, hat gar keinen Zweck!"
Fernan hatte offenen Mundes das erfreuliche Schaltspiel genossen, wie Dona Encarnacion die Schale ihres Zorns auf jemand ausschüttete, der nicht Fernan hieß. Nun klappte sie erschrocken den Mund wieder zu. Da es ihr nicht gelang, sich gleichzeitig auch unsichtbar zu machen, entdeckte die Senora sofort etwas, das ihren Zorn noch mehr entfachte.
„Wirst du sofort Strmnpfe und Schuhe ausziehn!" keifte sie. „Das wäre ja noch schöner, im Haus als Prinzessin herumzustolzieren . . . Oder glaubst du etwa, daß man dir Lohn zahlt, damit du ihn leichtsinnig verschwendest?"
Davon konnte zwar keine Rede sein. Fernan schickte die Hälfte ihres „Lohns", der zehn Pesetas monatlich betrug, oen Eltern nach Ronda. Die restlichen fünf Pe
setas legte sie in Dingen, wie die besagten Strümpfe, an. Es war das einzige Paar, das sie besaß. Dennoch hatte Fernan nichts dagegen, sie entsprechend zu »schonen'. Ebenso gern — wenn auch aus einem andern Grund — entledigte sie sich ihrer Schuhe. Sie waren von Catalina abgelegt, deren Füße kurz und breit waren. Fernan hatte lange und schmale Füße. Wenn sie sie in Catalinas Schuhe zwängte, krümmten sich ihre Zehen wie die einer Chinesin und sie litt Höllenqualen. Die Schuhe waren aus Lackleder, dessen vielfältige und wirre Sprünge ihnen das Aussehen einer Landkarte gab. Der geringe Glanz aber, den sie noch bewahrt hatten, wog für Fernan reichlich die Martern auf, die sie ihr verursachten.
Fernan humpelte also möglichst schnell in ihre Kammer. Als sie aber die Schuhe abstreifen wollte, glaubte sie, sie seien an ihren Füßen sestgewachsen, denn diese waren vom langen Weg und von der Wärme unförmlich aufgeqnollen.
„O Gott", stöhnte Fernan, „laß mich einmal so viel Geld haben, daß ich mir eigene Schuhe kaufen kann . Mit Tränen in ihren hübschen dattelbraunen Augen, mühte sie sich vergeblich, sie auszuziehen. Und erst Dona .Encarnacions schriller Befehlsrus: „Fernan, wo bleibst 'du?" brachte es zuwege, daß sie mit märthrerhaftem Heldentum die Schuhe gewaltsam abriß . . .
Dolores war inzwischen in ihr Zimmer gegangen. Es war schon ganz dunkel. Nebenan ratterte Catalinas Nähmaschine. Ohne Licht zu machen, begann Dolores sich um- Metden. Durch das offene Fenster strich die Abendluft erein. Sie brachte die hunderterlei Gerüche mit, die die schmale hohe Gasse während des Tages aufgespeichert hatte.
Dolores war es unangenehm, daß die Tante herein- kam. Sie fürchtete, durch ein unbedachtes Wort ihre leidenschaftliche Freude oder ihr gleichzeitiges Schuldbewußtsein zu verraten. Dennoch war sie bereit, es mit ihr und der ganzen Welt aufzunehmen. '
Dona Encarnacion stand wie ein langes, schwarzes Ansrufungszeichen gegen die Weiße Wand des Zimmers. Dolores war es klar, daß sie irgendeine Attacke plante. Und wirklich ließ sie sie gar nicht lange darauf warten.
„Wie lange gedenkst du eigentlich noch die Laune beizubehalten, unten nichtz singen zu wollen?" fragte sie spitz-
Dolores bekämpfte nicht die wilde Ablehnung, die sie empfand.
(Fortsetzung folgt.)