selben. Meiner Aufforderung, mich einzulaffen, setzten sie die Behauptung entgegen, es sei heute nicht der „öffentliche Tag". Nachdem ich diese Behauptung durch ein Trinkgeld beseitigt halte, hieß es., die Kunstschätze dürften heute nur in Begleitung eines zu honorirendcn Führers in Angenschein genommen werden. Ich ließ mir daher einen solchen zutheilen und betrat mit ihm die weitläufigen Kunsträume.
Aber von einem Kunstgenuß war keine Rede. Alle Minuten sah ich nach der Uhr, meine Gedanken flatterten umher, jede weibliche Statue erinnerte mich an meine schöne Wirthstochter.
Wäre ich indeß auch weniger zerstreut gewesen , so hätte mein Begleiter doch schon hingereicht, mir jeglichen Genuß zu vergellen. Er bewegte mich in einer säuerlichen Atmosphäre von «Schnupftabak, nahm eine nachdrückliche Prise, so oft ich still- stand, spuckte vor jeder Büste aus und. hielt bei jedem Fenster sein unsauberes Taschentuch gegen das Licht, um sich eine trockene stelle zum Schnauben zu suchen. Fragte ich nach etwas, so wußte er es nicht; dagegen bezcichnete er mir im „Saale der Thiere" mit Gewissenhaftigkeit und lobenswerthem Eifer den antiken Eber als ein Schwein, den antiken Stier als einen Ochsen, und das stets mit dem Bemerken „msltn bell»". Als ich, aufs Aeußerste getrieben, in meiner Muttersprache die freundlichen Worte an ihn richtete: „Halunke, geh' zum Teufel!" nickte er verbindlich und . . . blieb bei mir.
Endlich gelangten wir zu dem kleinen, an einen Hof stoßenden Raum, in welchem der Apollo von Belvedere aufgestellt ist. Damit mir der Genuß dieses Kunstwerks nicht ebenfalls verdorben würde, gab ich meinem säubern Begleiter ein Trinkgeld mit dem Ersuchen, in dem Hofe zu warten, bis ich die Statue betrachtet haben würde.
In Italien wird jeder Vorschlag, der versilbert oder vergoldet ist, nicht nur verstanden, sondern fauch unbedingt angenommen. So konnte ich denn allein auf der Bank Platz nehmen, die dem Apollo gegenübersteht, und dieses herrlichste aller Kunstwerke ungestört genießen.
Beim ersten Blick auf das Götterantlitz übcrkam mich ein beseligendes Gefühl der Befriedigung. Wie trägt es den Stempel der Vornehmheit, die nichts verlangt, weil sie alles besitzt! Hunderte von Gypsabgüssen dieses Kopfes hatte ich gesehen, aber was sind die schönsten von ihnen gegen das Original?
„Uvlto Kollo!" tönte es in meine Cxtase hinein: dem Begleiter war die Zeit lang geworden, und ich wurde ihn nun nicht eher los, als an der Thüre der vatikanischen Bibliothek.
Bis zum Umgänge mußten noch viele Stunden vergehen, wie ein Blick auf die Uhr mir sagte; da mußte die Bibliothek also noch in Augenschein genommen werden.
Aber auch hier wurde mir der Genuß durch einen Begleiter verdorben. Das Störende an ihm war sein abschreckendes Gesicht. Die Natur hatte nämlich seinen Mund nicht zwischen Nase und Kinn, sondern weit sort vom Wege der Alltäglichkeit, nach dem linken Ohre hin verlegt. Seine Stirn war nicht gewölbt, sondern abgeschrägt wie ein Dach — und dabei schielte er auf eine solch unerhörte Weise, daß er stets einen andern Gegenstand zu betrachten schien, als den, welchen er mir zeigte.
Von Büchern war in den unermeßlichen, mit Fresco-Gemäl- den verzierten Räumen nichts zu sehen. Sie befinden sich in verschlossenen Wandschränken, deren sauber gemalte Thürcn man erst entdeckt, wenn sie geöffnet werden. Uebrigens fiel es dem Führer auch nicht ein, mich mit den Bücherschätzen der Bibliothek bekannt zn machen. Er lenkte vielmehr meine Aufmerksamkeit auf die mancherlei Gegenstände, mit denen die langen Tische in der Mitte der Säle bedeckt sind, und sagte: „Lauter Geschenke regierender Herren an die Päbste."
Zum Schluß zeigte er mir die in den Gräbern der Kata- koinpen aufgefundenen Werkzeuge, mit denen die ersten Bekenner des Christenthums von den Römern gemartert worden sind. Es waren nicht ehrliche Rippenbrecher oder naive Vorrichtungen zum Ausrenkeu der Glieder, wie die christliche Liebe des deutschen Mittelalters sie anwendete, sondern seine, maliliöse, dem italienischen Charakter entsprechende Jnstrumentchen zum Ritzen, Sägen, Stechen, Schinden, Bohren und zu sonstigen ähnlichen Liebkosungen.
Ich schauderte, — mein Führer aber nahm jedes Instrument einzeln heraus, und betrachtete es mit der schadenfrohen Miene des Fuchses, welcher in der sür ihn ausgestellten Falle den Raben als Gefangenen erblickt.
Es blieb leider auch noch Zeit zur Besichtigung des jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle, deren Eingang hart an der Treppe liegt. Sie ist völlig schmucklos und enthält nichts, was die Aufmerksamkeit des Eintretenden von der großen Schöpfung Michel Angelo's ablenken könnte. Aber diese Schöpfung selbst gleicht gegenwärtig dem bekannten Bilde „Berlin bei Nacht:" sie ist nichts mehr, als eine von Kerzendampf geschwärzte Wand. In aller Gutmütigkeit heftete ich meine Blicke auf dieselbe, fest entschlossen, eine kunstreiche Gruppe oder wenigstens den Umriß einer Gestalt zu entdecken; — vergebens! Mein einziger Genuß in der Sixtinischen Kapelle war der, daß ich mich ungestört aus
ruhen konnte. Darum ist der Besuch derselben jedem Fremden dringend anzurathen.
Mit beflügeltem Schrillen eilte ich nun aber meinem Hotel zu, aß schnell zu Mittag und trug dem Hausknecht auf, mein Gepäck in das neue Quartier zu schaffen.
Da kam der Wirth gestürzt und schien ganz außer sich. „Es wäre mit dem Verlassen seines Hotels doch unmöglich mein Ernst. Bei dem Mangel an Fremden wäre er bereit , mir die schönsten Zimmer um einen Preis abzulassen, den ich selbst bestimmen möchte" u. dgl.
Ich aber brannte vor Begierde, meine schöne Wirthstochter wieder zu sehen, und wäre selbst nicht im Hotel geblieben, wenn der Wirth mir die Zimmer umsonst gegeben hätte. Kurz fertigte ich ihn ab und eilte in die neue Wohnung.
Wie klopfte mein Herz, als ich an dem idyllischen Bindfaden zupfte! —
Die Thüre öffnete sich, und was stand vor mir? . . . ein weibliches Scheusal in Lumpen.
„Wo ist die Tochter? fragte ich.
„Ta liglia'? — hier," antwortete das Scheusal, auf das bewußte spillerige Kind deutend, welches hinter ihr hervortrat.
„Wo ist Deine Schwester?" fuhr ich das Kind an.
„Ta I»ia sorella?" fragte es verwundert.
»Za, — Deine Schwester, wo ist sie? — Rufe sic her."
„Es ist meine Tante."
„Gleich viel, — Schwester oder Tante, — sie soll kommen, mir auspackcn helfen. — Rufe sie."
„Sie ist abgereist," entgegnete der kleine braune Handschuh lächelnd.
„Abgercist?" rief ich voller Verzweiflung. „Schock Millionen . . .!"
„Ja," berichtete das Unglückskiud. „Die Tante war nur auf zwei Tage von Albano hereingekommeu, um die Mutter zu besuchen. Vor einer Stunde ist sie dorthin zurückgekehrt."
Bei dieser Nachricht wurde mir brühsiedend heiß, — zugleich fielen mir die Schuppen von den Augen.
Als Mutter und Kind mich verlassen hatten, zog ich meinen Rock aus und hing ihn an einen dreibeinigcn Ständer. Der Last nachgebend wich der mir zugekehrtc nicht cingeleimle Fuß aus der Fuge, während der Ständer, dem tückischen Gesetze der Schwere folgend, auf mich zustürzte. Ein Seitenspruug sollte mich retten, aber ich gcrieth mit dem Fuße in ein Loch des zerlumpten Teppichs und stürzte lang an die Erde. Eine dichte Staubwolke wirbelte empor, der Nagel des Ständers aber streifte meinen Knöchel. Bedeckt „mit jedes Bodens Unterschied" stand ich auf, um mein Paradies mit nüchternen Blicken zu mustern.
Welch ein Ergebniß!
Die Fenstervorhänge glichen grauen Staublappen, die mit Fliegenschmutz bedeckten Fensterscheiben altem verrosteten Blech; — der Waschtisch athmete Tan cke Tome, — Wasserglas und Flasche schienen mit Fett bestrichen, — die Bettwäsche spielte in's Gelbliche.
Was wollte ich mehr? Ich warf mich dicht am offenen Fenster in einen alten verschimmelten Lehnstuhl, kehrte die Füße gen Himmel wie ein gebratener Hahn und lachte aus vollem Halse.
Als ich aufblickte, sahen mich zwei große feurige Augen in der Dämmerung aufmerksam an. Die schwarze Hauskatze war herangeschlichen und beschaute sich durchs Fenster den geräuschvollen neuen Gast.
Langsam erhob ich mich, packte meine Sachen in eine Kommode, an welcher kein Schloß in Ordnung war, und legte mich resignirt zu Bette. Hier aber sollte ich erfahren, was eine römische Nacht sei. Kaum fing ich an warm zu werden, so schien es, als wären sämmtliche Marter-Instrumente, deren Bekanntschaft ich in der vaticanischen Bibliothek gemacht hatte, auf mich losgelassen. Es zwickte, sägte, schnitt, biß, stach und schlich, kroch und hüpfte an mir herum, daß mir hören und sehen verging. Und schlummerte ich auf Sekunden ermattet ein, so erblickteich im Traum das schadenfrohe Fuchsgcsicht des Bibliothekars.
Ich versuchte, um mir die Zeit zu vertreiben, mit der Anzahl der italienischen Merkwürdigkeiten in die Anzahl der italienischen Flöhstiche zu dividiren, um annähernd heranszubekommen, wie viele Flöhstiche eine Merkwürdigkeit koste; aber die Zahlen waren für eine Kopfrechnung zu umfangreich. Ich überließ es daher der vergleichenden Statistik, sich mit dieser wichtigen Frage zu beschäftigen und büßte ruhig meine Unvorsichtigkeit.
Als ich am nächsten Morgen meine Wirthin herunterkommen ließ, um ihr über Schmutz und Ungeziefer meine Entrüstung auszudrücken, war sie nicht im Mindesten betreten, sondern meinte keine Chambre garnie habe so schöne Stutzuhren wie die ihrige, und was die Flöhe — „puloi" — betreffe, so gäbe es deren in Rom überall —
Und das war nicht gelogen. A. S.
Redaktion, Druck und Verlag der G. W- Zaiser'schen Buchhandlung.