Treten Sie ein!

Es geschah. Der Professor schloß die Thür. Aus der Küche fragie eine Frauenstimme:Sind Sie es, Herr Professor?" Und der Herr Professor antwortete so ruhig als es ihm möglich war:Bleibe getrost, ich finde mein Zimmer schon!"

Das Arbeitskabinet des gelehrten Herrn kennen wir. Friedrich hatte nicht Sinn für die rings ausgestellten Bücher und Folianten, er betrachtete nur den Professor, der seinen Qnäkerhut und sein Gesangbuch ablegte, sich wie erschöpft auf einen Sessel niederließ, die hagern Hände faltete und halb laut fragte:

Friedrich Winter steht vor mir?

Der junge Mann zog ein Taschenbuch hervor.

Ich finde es natürlich, daß Sie mir nicht ohne Weiteres glauben, mein Herr: die Welt ist so voll Arglist und Tücke, daß Vorsicht in allen Fällen geboten erscheint. Hier ist mein Taust schein.

Er öffnete das Buch und überreichte ein Papier. Der Pro­fessor prüfte hastig; dabei zuckte er leicht zusammen.

Hier ist mein Schulzeugniß.

Wiederum überreichte Friedrich ein Papier, das der Professor entfaltete und las.

Und hier ist mein Militärpaß.

Auch diesen hatte der Professor geprüft. Lächelnd gab er die Papiere mit den Worten zurück:Ich habe keinen Grund, Zweifel in die Echtheit dieser Dokumente zu setzen; aber die Frage kann ich nicht unterdrücken: zu welchem Zwecke legen Sie mir dieselben vor?

Friedrichs Lippen zuckten, als er die Frage gehört hatte.

Weil ich glaubie, cs würde genügen, mir einen freundli­chen Empfang zu bereiten. Der NameWinter" muß Ihnen bekannt sein, wie mir der NameTaube" bekannt ist.

Theobald betrachtete die spitzen Knöchel seiner rechten Hand und fragte ohne die Augen aufzuschlagen:

Was wünschen Sie denn von mir?

Ein flüchtiges Roth überzog des Mühlknappen Gesicht.

Herr Professor, diese Frage weis't mir die Seellung an, die ich Ihnen gegenüber cinzunehmen habe. Wahrlich, ich halte mir hier einen andern Empfang versprochen, einen Empfang, der nicht nur Ihrem Stande, sondern auch Ihrem Herzen zur Ehre gereichte.

Junger Mann, bleiben Sie in den Schranken der Ordnung und der Bescheidenheit.

Herr Professor, ich weiß, wie weit ich gehen darf!

Sie befinden sich in dem Hause eines Ihnen fremden Mannes.

Friedrich lächelte bitter.

Wohlan, Herr Professor, so will ich als ein Fremder zu Ihnen reden, will das Herz, das einen Augenblick sich in mir regte, schweigen lassen, so weh es mir auch thut.

Theobald hatte sich erhoben.

Sie vergessen, daß heute Sonntag ist!

Daran, mein Herr, sollten Sie denken, der als ein Lehrer der Religion anstritt und Moral und christliche Nächstenliebe predigt. O, daß ich solche Worte Ihnen gegenüber sprechen muß!

Warten Sie, warten Sie! Ich weiß schon, wo hinaus das Ganze will . . . Man thut gern Gutes . . . Sie wollen Geld haben . . . Hier sind fünf Thaler . . . Danken Sie nicht, aber entfernen Sie sich, daß ich die Ruhe und Sammlung ge­winne, die der Tag erheischt.

Der junge Mann wies das Geld entrüstet zurück.

Ich bin kein Bettler! Der fleißige Arbeiter braucht das Mitleid anderer nicht in Anspruch zu nehmen und mich schützt mein Fleiß vor Entbehrung. Behalten Sie den Bettelpfennig, den Sie mir zugedacht . . .

Ans Theobald's Augen blitzte eine heftige Erregung.

Das ist mehr als kühn! Was wollen Sie denn, junger Mann?

Dies Ihnen mit Worten zu sagen, nehme ich keinen Anstand mehr. Ich stehe hier im Namen meiner Mutter, die vor einem Jahre gestorben ist. Ich muß Ihnen sagen, wer meine Mutter war.

Friedrich achtete nicht auf das Winken des Professors, der wieder auf dem Stuhle saß; er fuhr ruhig fort: Meine Mutter, Louise Winter, lebte als Waise in einer Universitätsstadt; sie be­saß ein Vermögen von zehntausend Thalern, das ihr Vater, ein fleißiger Handelsagent, ihr hinterlassen hatte. Dieser Umstand reizte einen Studenten der Theologie, sich um die Gunst der wohlhabenden Waise zu bewerben. Louise war schwach genug, dem Bewerber nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr Vermögen zu schenken, das er ihr schmeichelnd abzulocken verstand. Bald zeigte sich hier, bald dort ein Unternehmen, das reichen Gewinn versprach. Das arglose Mädchen hoffte die Gattin des Theologen zu werden, sobald dieser eine Pfarrstelle gefunden; aber sie täuschte sich, der Treulose hielt nicht Wort. Und unter welchem Vorwände ? Er nahm keine Pfarrstelle au, er benutzte das erschwindelte Ka­pital der Waise und spcculirte, obgleich er versicherte, es sei kein

Thaler mehr vorhanden. Soll ich Ihnen Briefe verlegen, in denen der würdige Mann schrieb:Mein süßer Engel, ich heirathc Dich versprochenermaßen, sobald ich eine Psarrstelle habe, bis jetzt fehlt sie mir. Fasse Dich in Geduld, es wird schon alles gut werden." Und die arme Betrogene faßte sich in Geduld, erzog ihr Kind, um das der gewissenlose Vater sich nicht kümmerte, und arbeitete als Näherin, um sich vor Elend zu schützen. So verfloß die Zeit. Louise bat um Rückzahlung des geliehenen Geldes; der Darleiher wunderte sich über dieses Ansinnen, er bezeichnete das Kapital als ein Geschenk, das die verliebte Louise ihm gemacht. Und ihre Ehre nicht prciszngeben, schwieg die arme Mutter, sie erhob keine Klage. Der Treulose war verschwunden. Plötzlich hörte man, er sei Professor geworden . . . Louise schrieb an ihn . . . Was war die Antwort? Der Professor sei nicht verpflichtet zu heirathen, es sei ausdrücklich von einem Pfarrer die Rede gewesen. Was sagen Sie zu dieser Auslegung. Ach und meine gute Mutter darbte, während der Professor, der das Kapital wucherisch benutzte, Vermögen auf Vermögen häufte. Ich war noch Soldat, als ich zu meiner Mutter beschieden ward. Sie lag auf dem Sterbebette. Nachdem sie mir mitgetheilt, was ich wissen sollte, bat sie mich, den Herrn Professor Taube auf­zusuchen und von ihm mein Vermögen zurückzufordcrn. Ich for­dere es zurück . . . Fertigen Sic mich nicht mit einer Ausrede ab, ich lasse keine gelten.

Der erste Schreck des Professors war schon vorüber.

Wollen Sie mir Gewalt anthun? fragte er schüchtern.

Nein; aber mein erster Weg von hier wird der zu dem Staatsanwalt sein.

Der fromme Mann erbleichte.

Zu dem Staatsanwalte?

Ja, war die feit erthcilte Antwort.

Was habe ich mit diesem zu schaffen.

Er wird Ihnen sagen, daß Sie meine arme Mutter be­trogen haben; er wird Ihnen ferner sagen, daß Sie für das Zuchthaus reis sind. Die Ehre des armen Wesens läßt sich nicht wieder Herstellen: aber das Vermögen meiner Mutter werde ich mir zu verschaffen wissen.

Theobald rief mit erstickter Stimme:

Junger Mann, Sie sprechen eine schwere Anklage aus.

Eine Anklage, die begründet ist.

Begründet? Wo sind die Beweise?

Friedrich zog ein kleines Packet aus der Tasche.

Hier habe ich alle Ihre Briefe! So vorsichtig sie auch geschrieben sind, sie beweisen doch, wie Sie es verstanden haben, eine Summe nach der andern zu entlocken. Auch über empfangene Geldsendungen sprachen sie sich aus.

Der Professor preßte die schmalen Lippen zusammen, als ob er Brustbeklemmungen empfände.

Ich kann mit Ihnen nicht rechten! stammelte er. Zeigen Sie mir die Briefe.

Der junge Maun gab ihm den ersten, den er dem Pallete entnahm.

Wollen Sie Ihre Handschrift ableugnen? O, Sie können auch den Brief vernichten, den Sie gerade in der Hand halten . . . Hier ist noch ein Dutzend!

Theobald hatte gelesen. Dann ging er einigemal auf und ab. Plötzlich blieb er stehen.

Wähnen Sie nicht, sagte er süßlächelnd, daß diese Pro- cedur mich erschreckt; nein, ich könnte allen Eventualitäten entge­gensetzen. Aber ein Mann in meinen Verhältnissen, und auf eben diese Verhältnisse ist es ohne Zweifel abgesehen, hat mehr Rücksichten zu nehmen als andere Leute . . . Ich muß einem Eclat Vorbeugen. Wer von uns Sterblichen hat sich nicht einer Jngendübereiluug schuldig gemacht? Schweigen wir davon . . . Sagen Sie gerade heraus, daß Sie gekommen sind, mir diese Briefe zu verkaufen und fordern Sie den Preis.

- O, ich will keine Geschäfte machen.

Bitte, sprechen Sie!

Ich fordere mein mütterliches Vermögen zurück.

Theobald hatte die Hände gefaltet.

Sie glauben doch nicht etwa, daß cs wahr ist . . .

Der junge Mann fuhr heftig auf:

Herr Professor, meine Mutter lügt nicht!

Bitte, ich wollte nur sagen . . .

Schmähen Sie die Todte nicht!

Es ist manches zurückbezahlt . . .

Friedrich hob drohend die Hand empor.

Mein Herr, Sie begehen eine Sünde!

O, ich weiß, was ich spreche; nur des Eclat's wegen . . . Alle Menschen haben ihre Schwachheiten . . . Schließen wir das Geschäft in Ruhe und Frieden ab, wie es guten Christen geziemt. Geben Sie mir die Briefe und ich zahle Ihnen auf der Stelle tausend Thaler. .

Friedrich verneigte sich schweigend. Dann wandte er sich, um zu gehen.

(Fortsetzung folgst)___.

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