Die Noth deS ArbeiterstandcS.

Man rühmt so gern den außerordentlichen Aufschwung der Industrie, insbesondere der Fabriken in unserer Zeit. Daß aber an denselben der wachsende Verfall des bisher so achtbaren zahl­reichen Arbeiter- und Handwerkerstandes sich knüpft, scheint man viel zu wenig zu beachten.

''ES ist ein großer Vorzug des fabrikmäßigen Geschäftsbe­triebs, daß er die Ergiebigkeit der Arbeit außerordentlich erhöht. Durch denselben können alle Producte weit rascher, billiger und meist auch besser als auf handwerksmäßigem Wege gefertigt wer­den. Die Fabrik macht daher dem Handwerk auf die Dauer die Concurrenz unmöglich. Die Großindustrie bemächtigt sich immer mehr aller bisher von den Handwerkern betriebenen Geschäfts­zweige. Zuletzt wird für die vereinzelten Handwerker kein Schlupf­winkel mehr übrig bleiben, in welchen sie sich vor der fabrikmä- , ßigen Eoncurrenz znrückziehen können. Die Folge ist, daß die bisher selbstständigen Meister immer mehr an Arbeit verlieren und sich nach Verdienst in den Fabriken Umsehen müssen, 'die Masse der Handwerker sinkt allmälig zu Lohnarbeitern der gro­ßen Etablissements herunter.

In dem Maße aber, in welchem die Blüthe dieser Etablis­sements steigt, wächst das industrielle Proletariat. Da zur Großindustrie Geld, viel Geld gehört, so ist dieselbe in die Hände unternehmender Capitalisten gegeben, diese aber, wenn sie auch für ihre Person gegen die Arbeiter noch so wohlwollend und menschenfreundlich'gesinnt sind, stehen hinwiederum unter der eisernen Despotie der die Preise immer mehr hcrabdrücken- den allgemeinen Eoncurrenz. So wird denn den Arbeitern für ihre in der Regel anstrengende nnd oft ungesunde Arbeit zum größeren Theil nur so viel Lohn gewährt, als zur dringendsten Lebensnothdnrft hinrcicht. An Sparen für die Zeit der allge­meinen llnglücksfälle und der eigenen durch Krankheit und Alter herbeigesührten Arbeitsunfähigkeit wird unter solchen Umständen bei ihnen wenig oder nicht gedacht. Und so greift zumal bei dem Leichtsinn und der Genußsucht unserer Zeit die allgemeine Verarmung unter ihnen immer weiter. Der Unmuth über das ihnen beschiedene kümmerliche Lebeuslos macht sie mit Gott und der Welt unzufrieden, und der geheime Ingrimm, den sie in ihren Herzen tragen, bestimmt sie, den destrucliven Ansichten, die ihnen auf der Bierbank nnd in gehaltlosen Büchern und Blättern ent­gegen gebracht werden, ein offenes Ohr zu leihen und mit dem trügerischen Wahn sich zu befreunden, daß nur in einem allge­meinen Umsturz der gegenwärtigen Zustände für sie Heil und Rettung zu erwarten sei.

Was hilft's, daß man in Deutschland noch so viel Steuern ausschreibt? Je mehr die Noth des Arbeiterstandes steigt, in um so weiterem Kreise wird für die Steuererhebung das Wort: Wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren", seine traurige Anwendung finden. Was hilft's, daß man in Frank­reich noch so viel Soldaten ans die Beine bringt? Die Noth der Arbeiterklasse, wenn sie den Grad der Unerträglichkeit erreicht hat, tritt auch vor den Chassepots nicht zurück. Die Furie der Verzweiflung, wenn sie diese namentlich in den größeren Städten so zahlreich vertretene Menschenklasse ergreift, ist im Stande, alle obrigkeitliche Ordnung, ja den ganzen Zustand moderner Civilisation über den Haufen zu werfen.

Möchten alle wahren Menschenfreunde der wachsenden Noth des Arbeiterstandcs die Beachtung schenken, die sie im höchsten Grade verdient. (Dfztg.)

Enges- I! e u i g li e i t e «.

Stuttgart. Die Kommission, durch welche die Kloster- reimlichkeiten in Weingarten untersucht worden, soll dieselben zur Unterbringung eines Infanterieregiments für genügend erfunden haben.

Berlin. Der norddeutsche Reichstag beschloß am 30. März über die Anträge auf Redefreiheit und Diätenbewilligung die Plenarvorbereitung, über die Anträge auf gemeinsame Straf­prozeßordnung, sowie gegen das gleichzeitige Tagen des Reichs­tages und der Einzellandtage die Schlußberathung. Die Wahl des Grafen Schnlenburg-(Filehne) wurde für ungültig erklärt und die Strosberg's beanstandet.

Berlin, 30. März. Die Nachrichten über die Reisepläne

des Königs für diesen Sommer sind verfrüht; nur die Reise nach Ems dürfte sich verwirklichen, da sie durch den glücklichen Erfolg der vorjährigen Kur des Königs daselbst vorgeschricben ist. Was die weiteren Pläne betrifft, so mag dieser oder jener Plan an­geregt worden sein, aber von festen Beschlüssen darüber kann nicht die Rede sein. Ebenso ist von einer Zusammenkunft des Königs mit Napoleon noch nichts bekannt. (S. V.)

Se. Maj. der König von Preußen empfing am 30. März die zur Dienstleistung beim Gardekorps kommandirten württem- bergischen Offiziere, welche vor einigen Tagen aus Stuttgart in Berlin eingelrosfen sind.

Berlin, 1. April. In der gestrigen Sitzung des Bundes­raths des norddeutschen Bundes wurden folgende Präsidialvor­lagen gemacht: Garantieübernahme über eine Anleihe behufs Fahrbarmachung der Donaumündungen, Portoverträge mit Bel­gien und Dänemark, Telegraphenvertrag mit Luxemburg. Der Gesetzentwurf über Quartierleistung für das Militär wurde an­genommen.

1. April. DieProv.-Corr" bestätigt, daß die Verta­gung des Reichstags nächsten Samstag erfolgen, und daß dessen Wiedereröffnung am 15. oder 16. April, so wie daß die Eröff­nung des Zollparlaments am 20. April stattfinden werde.

Die preußische Regierung hat jetzt das Welfeuschloß und den Welfengarten in Hannover und auch das Schloß im Georgs­garten für den preußischen Staat in Anspruch genommen und die Räumung des ersteren, in welchem sich noch Sachen des Königs Georg befinden, verlangt.

Das östreichische Herrenhaus hat nun auch das Schulgesetz mit unwesentlichen Modifikationen in der Fassung des Abgeord­netenhauses angenommen, In der gestrigen Sitzung wurde zuerst die Generaldebatte fortgesetzt. Der Kultusminister Has- ner bezeichnet die Entwicklung des Volksunterrichts als dringend nothwendig nnd empfiehlt ein Eingehen in die Spezialdebattc. Der Ministerpräsident Fürst Auersperg ersucht im Hinblick auf die Wichtigkeit des Gegenstands ein Eingehen auf denselben und bezeichnet die Annahme des Minoritätsantrags als ein Mißtrauensvotum. Die Generaldebatte wird geschlossen und der Minderheitsantrag abgelehnt. Die Spezialdebatte hatte dann das schon genannte Ergcbniß.

Ueber die Eindrücke, welche Prinz Napoleon von seiner Reise in Deutschland zurückgebracht, schreibt ein Pariser Korre­spondent der Independance belge Folgendes:Der Vetter des Kaisers konstatirte vor Allem, daß alle Welt in Deutschland, ohne Ausnahme, nur mit den inner» Angelegenheiten beschäftigt ist. Man sucht der ungeheuren Aufgabe gerecht zu werden, die in Folge der letzten Ereignisse auf Preußen liegt. Alle Staats­männer sind ausnahmslos vom friedlichsten Geiste beseelt; sie erklären freimüthig, welchen hohen Werth sie ans die Erhaltung guter Beziehungen mit Frankreich legen. Am Hof redet man dieselbe Sprache wie in der Stadt, und der Prinz mußte in ho­hem Grad befriedigt sein von diesen freundschaftlichen Kundge­bungen, die zu einstimmig nnd zu sehr den JntereMn Preußens entsprechend sind, um nicht aufrichtig zu sein. Was den Grafen Bismarck betrifft, so drückte er sich mit seiner bekannten unbe­kümmerten Freimüthigkeit aus. Preußen, sagte er, braucht den Frieden, es will in guter Beziehung mit seinen Nachbarn und insbesondere mit Frankreich leben, und wenn in Folge schwer vorauszusehender Umstände sich Meinungsverschiedenheiten über ! untergeordnete Fragen erheben sollten, so würde das Berliner Cabinet sich alle Mühe geben, zu verhindern, daß ernste Schwie­rigkeiten daraus entstünden. Der preußische Staatsminister ging noch weiter; er sagte zum Prinzen, daß Preußen seinerseits mit der gegenwärtigen Lage Deutschlands sich begnüge, und nicht allein nicht treibe zur Entwicklung der Einheit, sondern im Ge- gentheil sich bemühen werde, die Einheitsbestrebungen zu mäßigen. Einzig im Fall einer wahrhaft nationalen Bewegung, d. h. an­gesichts einer allgemeinen und unwiderstehlichen Bewegung, würde die preußische Regieruug nachgeben. Was ich hier schreibe, ist aus einer ausgezeichneten Quelle geschöpft. Allerdings ist der Ausfall der Zollparlamentswahlen derart, daß er dem Grasen Bismarck die Einhaltung dieser Linie wesentlich erleich­tert. Nur darf man freilich nicht meinen, daß diese Wahlen wirklich die Bedeutung hätten, die ihnen die Feinde der deutschen Einheit zuschreiben möchien. Diese Wahlen siüd allerdings zu 3 Viertheilen antipreußisch, allein man darf überzeugt sein, daß