wärts ging, öffnete noch immer betrog» den Brief; ,,Bruder Adolph!" rief sie erstaunt; sie hatte nicht einmal ieine Handschrift gleich erkannt, weil sie nie mit ihm brieflich verkehrte, und die Geschwister immer nur durch Vermittlung der Mutter von einander hörten.
„Liebe Schwester," lautete der Brief, „ich befinde mich in Geschäften und wünschte, vorzüglich aus den Wunsch unserer Mutter, Dich, liebe Schwester, bei solcher Gelegenheit zu begrüße». Da mir aber besondere Umstände, die ich mündlich erläutern will, nickt erlauben. Dich in Person aufzusucken, so bitte ich Dich, mich hier, im Hotel zur Krone ans meinem Zimmer Nr. 27. im Lause dieses Vormittags aufzusncheu, ohne jedoch Deiner Herrschaft von meiner Anwesenheit Mittheilnng zu machen. Frauenzimmer wissen so Etwas schon cinznrichken, und es ist hier Fürsorge getroffen, daß Tn beinahe ganz unbemerkt in mein Zimmer gelangen kannst.
Zn angenchmcr Hoffnung, Dich bald zu sehen,
Dein treuer Bruder
Adolp h."
„ES ist mein Bruder, der hier ist," sagte Adelma ziemlich rathlos zu dem Wachtmeister, „und der mich, ich weih nicht ans welchen Gründen, ohne Vorwisse» der Generali» zu sprechen wünscht. Aber kann ich ihn so allein im Hotel anfsuchen?"
„Ich begleite Sie, Fräulein Luis," sagte der Wachtmeister mit dem berechtigten Selbstgefühl eines Mannes, der weiß, daß mau sich ihm anvertrauen darf. „Ich gehe etliche Schritte hinter Ihnen oder ans der Seite," setzte er beruhigend Hinz», als er einige Verlegenheit bei ihr bemerkte, „wenn es Ihnen lieber ist; im Gasthofe kenn: man mich und denkt, daß ich Sie im Aufträge der Herrschaft begleite. Ich erwarte Sie dann unten, um Sie wieder nach Hanse zu führen."
So kam denn Adelma unter dem rcspcctvollen Schutze ihres Begleiters wohlbehalten am Ziele an. Nicht ohne tiefe Bewegung begrüßte sic den Bruder, den Ersten von all den Ihrigen, den sie nach der Trennung von der Heimath wieder sah; freilich war er ihr durch die langen Jahre der Entfernung innerlich »nd äußerlich etwas fremd geworden.
„Schön, liebe Schwester!" begrüßte erste, „freut mich un- gemein, Dich gesund und so hübsch wieder g, sehen. Wäre eigentlich meine Schuldigkeit gewesen. Tick anfznsnchen . . ."
„Ich wäre Dir dankbar dafür gewesen," sagte Adelma etwas beleidigt, „eö war nicht angenehm für mich, in den Gasthof zu gehen."
„Gewiß, gewiß, that mir auch leid, um deinetwillen. Aber sieh, Schwesterchen," er ging etwas verlegen auf und ab, meine Geschäfte führen mich hier zu dem Onkel meines Prinzipals, — Herrn Barnch, — er hat zwei Töchter, — ich könnte, falls es mir gelingt, günstigen Eindruck zu machen, möglicherweise Anssicht aus eine sehr günstige Verbindung haben, — mein Prinzipal ist kinderlos; — Fräulein Lea, die Aeltere ist nicht eben schön, abrr ein geschcidtes Gesicht, — höchst orientalisch. — Nun versteht sich, daß ich meine Familie nie verlängnen werde, — im Gegentheil, — aber, die Familie Barnch hält ungemein viel auf aristokratische Verbindungen; — ich fürchte, wenn man gerade erfährt, daß Tn hier als Jungfer in Dienst bist, obgleich cs nngchcncr ehrenvoll von Dir ist, daß Tn den Entschluß gefaßt, — es könnte doch für den Augenblick einen unangenehmen Eindruck mache», daher wollte ich Dich nicht selbst aussuchen und dachte, —Du hast ja doch wohl allerlei Ausgänge zu machen, — Tu würdest cS leichter unbemerkt Anrichte» können."
Es brauchte lange, bis Herr Adolph seine sehr unterbrochene Rede zu Ende brachte, und noch länger, bis Adelma das Gefühl tiefer Kränkung über seine herzlose Eigensucht in etwas zurückdrängcn konnte. „Und an mich hast Du nicht gedacht," sagte sie nicht ohne Bitterkeit, „an alles, dem ich mich aussetze, wenn ich ohne Vorwissen der Gencralin (das Wort „Herrschaft" oder „meine Herrin" wollte nie über Adelmas Lippen) in einen Gasthof gehe? —"
„Ach, das kann ja nicht auffallen, hier in der großen Stadt, und später, weißt Du, wenn Alles gut gehen sollte, werde ich wohl Wege finden. Dich der Familie vorzustellen; warum hast Du auch gerade eine derartige Stelle gewählt?"
„Weil ich Geld verdienen wollte, um Mutter und Bruder nicht Noth leiden zu lassen," enlgegnete Adelma kurz und scharf.
Soviel sich auch Adolph bemühte, die Schwester zu beschwichtigen, soviel Adelma suchte, ihre gerechte Empfindlichkeit zu überwinden, — das Beisammensein der Geschwister blieb ein ziemlich unerquickliches.
Adelma brach bald ans, um seine kostbare Zeit nicht zu beschränken ; sein Anerbieten, sie im Wagen bis in die Nähe ih- rer Wohnung bringen zu lasse» >das Institut der Droschken bestand „och nicht zu Anfang dieses Jahrhunderts), lehnte sie dankend ab. Und doch, im Augenblicke, wo sie tief und bitter gekränkt war über den Hochmnlh ihres Bruders, der sich ihrer schämte, — nahm sie nicht ohne peinliche Verlegenheit die Be- j gleitung des redlichen Wachtmeistern au. der freilich nicht ihr > Bruder, aber doch ihr getreuer Freund war, und der sie abermals in respectvoller Ferne sicher nach Hause begleitete, wo ihre lange Abwesenheit nicht bemerkt worden war.
Nach einiger» Kampf mit sich bot sie ihm beim Abschied die Hand und sagte: „Danke, Herr Wachtmeister, und — nicht wahr, Sie glanoeu mir, daß ich bei meinem Bruder war?" Die tiefe Nölhe ihres Gesichtes hätte erst ihre Worte verdächtigen können; wie peinlich empfand sie die Lage, die sie zu einer solchen Erklärung »öthigen konnte, aber sic konnte nicht ertrage», daß der Wachtmeister unrecht von ihr denken sollte. „Sei'n Sie ruhig, Fräulein Luis," sagte dieser würdevoll, „warum Ihr Bruder es so gemacht, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß ich Ihne» glaube. Gute» Tag, Fräulein Luis!"
Nicht zu lange nach diesem ritterlichen Dienste des Wachtmeisters saß Adelma spät Abends in dem erkalteten Vorzimmer, um auf ihre Dame zu warten, die noch in Gesellschaft war. Die übrige» Dienstboten, mit Ausnahme Portiers, waren schon zur Ruhe gegangen, sie war allein in dem fremden Haus, allein in der Welt. Doch nein, sie Halle heute eben einen Brief von der Mutter erhalten, einen Brief voll Liebe und Dank für ihre kindliche Hilfe, aber sie fühlte sich doch einsam und unbefriedigt in tiefster Seele. Sie hatte ihren Dienst angetrelen, wie eine Maskerade, sie hatte ihren Stolz darein gesetzt, ihn mit äußerster Pünktlichkeit zu versehen, aber wie sie ihn versah unter fremden Namen, so war auch ihr Herz nickt dabei gewesen: schweigsam, im Gefühle tiefer Herabwürdigung, wie eine beleidigte Unschuld, hatte sie streng und sorgsam ihre Pflicht gethan; aber eine Pflicht, sie sei auch auscheiueud noch so äußerlich, muß mit dem Herzen gethan werden, sonst bleibt sie drückend und innerlich »»belohnt.
So fühlte sie sich denn sehr allein und nicht glücklich, trotz des großen lind nicht vergeblichen Opfers, das sie den Ihrigen gebracht — sie war im Zweifel, ob sic den rechten Weg gewählt, sie sah die Gegenwart freudlos, die Zukunft ohne Hoffnung, es war eine schwere Stunde. Da klang rascher als sonst der feste, dienstliche Schritt des Wachtmeisters auf dem Gang, unwillkürlich klopfte ihr Herz nnd richtete ihr Haupt sich auf; cs war doch ein Mensch, der einzige Mensch ihrer Umgebung, mit dem sie so z» sagen ans rein menschlichem Vcrkehrsfnßc stand. „Was führt Sie so spät noch her, Herr Wachtmeister?" fragteste, als er etwas außer Athem, mit erregter Miene, wie sie ihn nie gesehen, vor ihr stand. „Haben Sic noch einen Rapport? Der Herr General ist abwesend."
„Mein Rapport lautet an Sie, Fräulein Luis," begann er, und seine ehrlichen blauen Augen glänzten in einem Feuer, das sie nie gesehen. „Ich habe all' meine Wünsche erreicht. Durch des Herrn Generals Vermittlung ist mir für besondere Leistungen aus der Kanzlei eine ansehnliche Zulage bewilligt und Heirathserlaubuiß ertheilt worden; durch den Tod meines Vater- brudcrs, des Bürstenbinders S t c i n h u b e r, ist mir ei» gar nettes, kleines Wohnhaus mit Gärtchen in der Vorstadt zugefallen, nnd ich habe die Vergünstigung, daselbst und nicht in der Kaserne meine Wohnung nehmen zu dürfen; „Fräulein Luis," seine Stimme stockte vor innerer Bewegung, „wollen Sie das mit mir theilen? — Es ist freilich," Hub er wieder an, als sie schwieg, „jetzt kaum eine Zeit, wo ein Soldat daran denken sollte, ein Bündniß zu schließen, und iw werde auch nicht znrückbleiben, wenn's los geht, aber — ich denke, gerade weil man nicht weiß, wie'S kommt, ist doch ei» rechtschaffenes Frauenzimmer am besten versorgt bei einem braven Mann und — für den Fall, daß ich bleibe, ist auch für Sie gesorgt."
Redaktion, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.