Der Diebsbanner.
(Fortsetzung.)
Ein Fremder hatte das Haus nicht betreten, wie der Halb« Hufner und der alte Knecht, die vor der Thüre und auf der Lehmdiele beschäftigt gewesen waren, mit der größten Bestimmtheit versicherten; es blieb daher nur übrig, anzunehme», daß ein Vorübergehender die Ohrringe auf der Fensterbank hatte liegen sehe», bas Fenster von außen geöffnet und dieselben entwendet halte.
Wer aber der Schuldige sein könne, darüber wagte kaum der Eine oder der Andere eine Lcrmulhung auszusprechen. -Eni Nachbar WcnzinS sagte, er habe am Morgen des TageS, an welchem die Ohrringe entwendet worden, einen berüchiiglen Bettler aus dem nächsten Kirchdorf durch Dambin schleichen sehen, und meinte, der habe den Diebstahl verübt; da Andere den Herumstreicher jedoch um die Nachmiltagszeil im Feld getroffen hatten, so wollte niemand den gegen den letzteren ausgesprochenen Verdacht begründet finden.
Der alte Johann, der Knecht Wenzins, gab der Bestohlenen und ihrem Vater den Rath, dem Hirte» Lassow den Vorfall mitzutheilen und ihn zu bitten, die Oh,ringe wieder herbeizuschaffen, allein davon wollten die Beide» nichts wissen, da sie nicht an die Kunst des Greisen glaubten. Wenn die Ohrringe wirklich entwendet seien, meinten sie, so werde der Dieb sich durch keinen Hokuspokus bewegen lassen, dieselben herauszugcben. Dagegen versprach Wenzin Demjenigen, welcher sie ihm wiederbringe oder den Dieb genau bezeichnen könne, den vierfachen Werth der Ohrringe, weil seine Tochter über de» Verlust des Geschenkes untröstlich war.
An demselben Abend waren mehrere ältere und jüngere Männer in der Schenke zu Dambin versammelt. Ten Hauptgcgeu- stand des Gesprächs bildete natürlich der mehrere Stunden zuvor verübte Diebstahl, und die Anwesenden, unter denen sich der alte Fischer Nasteimke, ein junger Koffak Namens Drewitz, der Anbauer Bellin und ein Pferdehändler aus einem entfernten Kirchspiel befanden, gerielhcn sehr bald in eine ziemlich hitzige Debatte über die Frage, ob der alte Hirt wirklich geheime Mittel kenne, die Diebe zur Herausgabe des Gestohlenen zu zwingen. Bei die. ser Gelegenheit wurden gar seltsame und zum Theil abenteuerliche Tinge erzählt; namentlich wußte» der Fischer und der Pferdehändler, der weit in der Weit herumgekviumen war, mancherlei zu berichten, wovon die Uebrigcn nie ein Wort gehört hatten.
„Als ich noch ein kleiner Knabe war, sagte Drewitz, erzählte mir meine Großmutter oft, daß jeder, der ein ererbtes Gesangbuch und einen ererbten Schlüssel besitze, durch diese beiden Dinge leicht erfahren könne, wer diese oder jene gestohlene Sache entwendet habe."
„Dann könnt' ich ja einen großen Hexenmeister abgcben!" rief der wohlgenährte, der Aufklärung huldigende Tolbitz, der Schenkwirlh, laut lachend. „Ich habe zwei Gesangbücher und ein halb Dutzend Schlüssel von meinem seligen Vater geerbt! Wie Hab icks anzufangen, um einen Dieb damit zu entdecken?"
„Allein könnt Jhr's nicht, versetzte Drewitz, es sind immer zwei dazu nöthig. Wenn Z. B. eine Axt gestohlen ist, so schlägt der Eine das Gesangbuch, ohne irgend eine bestimmte Stelle im Auge zu haben, schweigend Auf, legt den Schlüssel quer darüber und sagt: der rothhaarige Barneik hat die Axt weggenommen. Der Andere antwortet darauf: nein, er hat sie nicht gestohlen. Bewegt sich der Schlüssel bei diesen Worten, so hat der Genannte den Diebstahl verübt; bleibt er aber ruhig liegen, so ist die Axt von einem Andern entwendet worden, und man mnß den Versuch so lange wiederholen, bis man alle irgendwie Verdächtigen genannt hat. Wenn der Schlüssel stets regungslos geblieben ist, so ist die Axt entweder nur aus Versehen von jemanden mitgenommen worden, oder der Dieb ist mit ihr schon über's Wasser gegangen und von Menschen nicht zu erreichen."
„Herr meines Lebens, was für Possen das sind! rief Tolbitz, sich vor Lachen den runden Bauch haltend. Aber des Spasses halber wollen wir doch gleich einmal eine Probe machen und den Schlüssel fragen, wer die Ohrringe gestohlen hat."
Und ohne sich um das Durcheinanderschreien seiner theilS abergläubischen, theits aufgeklärten Gäste zu bekümmern, lief er ins Nebenzimmer, holte eines der geerbten Gesangbücher und einen der geerbten Schlüssel herbei und bat den Anbaner Bellj„,
der sich ebenfalls über das von Drewitz angegebene Kunststück lustig gemacht hatte, mit ihm das Possenspiel einmal aufzuführen.
Nachdem die lachenden und schreienden Gäste mit Mühe zur Ruhe gebracht worden waren, setzte sich der fette Schenkwirlh mit der feierlichsten Miene von der Welt auf einen inmitten des Zimmers stehenden Stuhl, schlug das Buch auf, legte den Schlüssel darüber und sagte:
„Der dicke Tolbitz hat die Ohrringe gestohlen."
Ein schallendes Gelächter, in das alle Anwesenden außer dem etwas emvstndlichen Drewitz cinstimmten, unterbrach die ei« genthümliche Ceremouie für eiinge Minuten, als sich der Ttziriu aber gelegt halte, erwiderte Bellin nach Vorschrift:
„Nein, er hat sie nicht gestohlen."
Der Schlüssel rührte sich nicht von der Stelle, und alle Gäste riefen in jubelndem Chor:
„Nein, er hat sie nicht gestohlen!"
DaS Kunst/iück ward noch fünf- bis sechsmal wiederholt; Tolbitz nannte bald diesen und bald jenen unerwarteten Namen, und jedeSmal schrie der Chor der Gäste jauchzend:
„Nein, er hat sie nicht gestohlen!"
Als der runde Schenkwirlh seine Lust gebüßt hatte, trug er Schlüssel und Buch wieder sock und das Gespräch wandte sich wieder auf die angebliche Kunst des Hirten.
„Ihr mögt sagen, was Ihr wollt, nahm der sehr abergläubische Ftscher Rasteimke das Wort, „ick behaupte, der alte Lassow besitzt irgend etwas, das seinen Augen eine wunderbare Stärke verleiht, so daß er auf der Stelle sieht, wo ein Diebstahl verübt worden ist, und wer denselben begangen hat."
„Vielleicht hat er eine sehr scharfe Brille von seiner Großmutter geerbt!" rief Belli» mit einem spöttischen Blick anf Drewitz.
„Von einer Brille ist hier nicht die Rede, versetzte der Fischer. Habt Ihr nie von den Leuten ans Venedig gehört, die vor Zeiten nach dem Harzgebirge gekommen sind und dort Gold »Nb Silber gesucht haben? Die sollen einen Zanberspiegcl besessen haben, in de» sie nur hineinznschanen brauchten, um zu sehen, was in den Bergen und Steinen rings umher enthalten war. Ebenso verstehe» manche Leute die Kunst, mit einem gabelförmigen Haselnnßjweig die Stelle zu entdecken, wo Geld vergraben liegt. Eine ganz besondere Stärke aber sollen die Augen Desjenigen besitzen, der ein in der Johannisnackt zwischen zwölf und ein Uhr gefunden-S vierblättriges Kleeblatt bei sich trägt. In meinem Geburtsorte lebte vor Zeiten ein Mädchen, welches ein solches Kleeblatt besaß und mittelst desselben alle bösen Anschläge nicktswürdiger Menschen durchschauen konnte. Es will mir so scheinen, als ob der alte Lassow ebenfalls ein solches Kleeblatt bei sich trage. Schon mehr als einmal haben ihn die Leute Nachts draußen herumstrcifen sehen: ich lasse mir's nicht ausre- dcn, daß er dann allerhand Dinge sucht, deren Nutzen Anderen unbekannt ist." (Forts, f.)
Allerlei'.
— Ein junger Mann, der eine Lebensgefährtin suchte, schrieb einen zärtlichen Brief an ein junges Frauenzimmer, das alle guten Eigenschaften in sich vereinigte. Er machte ihr darin einen Hcirathsantrag, und schloß mit folgenden Worten: „Haben Sie die Gute, mir baldigst Antwort zu geben, da ich noch eine Andere im Auge habe."
— Wenn man vom Regen sehr durchnäßt worden, braucht man blos. einen Häring zu essen, und wird dann gewiß ausgctrocknet werden.
Charade (zweisilbig).
Ich ging im grünen Thal spazieren.
Die Sonne stach, heiß war die Luft,
Doch könnt' ich mit Genuß verspüren Der Ersten aromat'schcn Dust;
Wohin ich meine Blicke wandte.
War von der Ersten Alles voll.
Je mächtiger die Sonne brannte.
Je mehr der Duftstrom ihr entquoll.
Vor einem Hügel blieb ich stehen Und ließ mich nieder auf den Rand,
Da mußt' es unverhofft geschehen.
Daß ich der Zweiten Grans empfand;
Denn als ich süß der Ruhe pflegte —
A» eine Störung dacht' ich nicht —
Und mich zurecht zum Schlummer legte.
Sprang mir das Ganze ins Gesicht.
Druck ein» Verlag der G. W. Zaiser 'scheu Buchhandlung. Redaktl»»: Hdljl«.