Cassker und Lehrling.
Wahr und erzählt von Bernard Wörner.
1. Harte Zeiten.
Gestern stürmt's noch, und am Morgen Blühet schon das ganze Land —
Will auch nicht für morgen sorgen.
Alles steht in Gottes Hand.
I. v. Eichendorf.
„Zum ersten, — zum zweiten, — 450 Gulden 30 Kreuzer
— Niemand mehr? — zum — dritten Mal!" rief der Gerichtsdiener in der engen, niedrigen Stube eines Berghäuschens zu H—thal im Spessart, während ein mißbilligendes Geflüster die zahlreich versammelten Steigerer durchlief. „Steigerer" sage ich!
— Ach nein! diese Landlcute sammt und sonders sind nichts weniger als Strichslnstige, sondern Zuschauer, einfache, thciinahmlose Zuschauer. Dort vorn am Tische steht der einzige Hanptkäufer, der alte Amschel Maier. Seht nur, wie sich der Schacherer, vor Erregung zitternd, an den wackelnden Tisch klammert, wie beständig die breiten, hängenden Lippen zucken, als spreche und rechne er im Stillen, wie sein Ohr gierig auf jedes Wort lauscht, so ringsum fällt, und wie die grauen, triefenden Augen, wo der Schall nicht mehr reicht, hastig von Munde zu Munde kreisen! So eben hat er sein letztes Gebot gelegt. Frech und keck blickte er umher, wer noch mehr zu bieten wage? Wohl haben im Anfänge Einige mitgestcigert, aber von dem Juden selbst beauftragt, nur zum Scheine; miserable, schmutzige Kreaturen, die den eigenen Christenbruder vcrrathcn und verderben helfen. Aber anch wehe dem, der sich erdreistet hätte, ernstlich mitzusteigern und nach dem wahren Werthe zu übcrbieten! Mehr oder minder schulden die armen Leute ja alle dem Amschel Maier oder seinen Brüdern und über das Haupt dieses Kühnen wäre sicherlich die ganze Wucht der jüdischen Vehme hereingebrochen, in de'.'n Blättern listiges Uebervor.heilen, schamloses Prellen, Drohen, Kündigen der Schuld, Einklagen, Auspfänden und sonstige Plackereien als Hauptkapitel fungiren. So hat sich die Macht des Geldes und des Wuchers auch auf dem Lande festgesetzt; nährt sich bei süßem Nichtsthun von des Arbeiters bestem Herzblnte und schlägt tiefe, immer tiefere Wurzeln.
„Wer hat den Zuschlag?" fragte jetzt der Beamte, welcher die Verhandlung leitete, indem er das Verstrichs-Protokoll für wenige Augenblicke unterbrach.
„Das Haus sammt Hof und Feld fiel um 450 Gulden 30 Kreuzer dem Bruder des Hauptgläubigers zu, Namens „Amschel Maier", antwortete der Gerichtsdiener, während er von dem Schemel Herabstieg, der ihm als Postament gedient und den Vordersten einen bedeutungsvollen Blick z- vars. Diese nickten dagegen, als wollten sie sagen: wir verstehen es schon, die Brüderschaft gibt nur den Deckmantel her.. Ein Bruder kaust für den andern, und am Ende gehört das Haus wieder demselben Herrn, der es schon dreimal besessen; aber — es läßt sich nichts dagegen machen."
„Wie viel? — wie hoch?" rief inzwischen der Jude, als habe er längst sein Gebot vergessen. „Ich höre schlecht. 440 Gulden werd' ich gesagt haben, und mißverstanden worden sein?"
„Nein, nein!" eiferte der Gerichtsdiener entrüstet. „Wenn Ihr schlecht hört, so hören andere Leute um so besser. 450 Gulden und 30 Kreuzer habt Ihr gesagt, so stehts jetzt im Protokoll und dabei bleibts. Der Herr Assessor und alle Anwesenden haben es gehört, nicht wahr?"
„Ja wohl, so ist cs", behaupteten die Landleute von allen Seiten.
„Ich dächte übrigens, das Anwesen wäre spottbillig genug. Es ist unter Freunden seine 700 Gulden Werth, und wenn es morgen oder übermorgen die Herren Brüder wieder verkaufen, so muß es tausend Gulden gelten und vielleicht noch mehr. Darauf wette ich mit jedem, der Lust hat." Und zur bessern Be
kräftigung dieser Worte zog der alte Soldat seine Dose hervor und bot den Nächststehenden eine Prise. Auch der Jude langte hastig danach. Klapp! — patschte der Deckel zu und er hatte das Nachsehen.
Mißmnthig, daß die kleine Spekulation um 10 Gulden mißlungen, verlieb der Käufer die Stube, um das wieder erworbene
Anwesen ein wenig zu besichtigen. Er stieg auf den Speicher, der
wohl Staub genug, aber keine Fruchtkörner zählte, in den Hof, wo Holz und jeder Vorrath mangelte, in den Stall, woraus er
schon vor mehreren Monaten trotz des todtkranken Mannes^die Bewohner Hinweggetrieben, und zuletzt in den Keller, wo sich ein armes Mäuschen keine zwölf Stunden ernähren konnte. Das Haus, welches nicht zu den alten zählte, war in ganz gutem Stande, denn kein Eigenthümer hatte es noch lauge besessen,'und der Jude kalkulirte und speculirte bereits wieder im Stillen, wie manches Gcschäftichen sich noch damit machen ließe. Unter solchen Gedanken gelangte er auch in die Küche. Jeder Andere würde bei dem Anblicke, der sich hier bot, zurückgeschreckt sein; der alte Amschel Maier nicht. Er war durch langjährige Praxis an solche Austritte gewöhnt und steuerte direct darauf zu. In der Holzecke saß aus dem blanken Boden eine Frau in den mittleren Jahren, bleich abgehärmt. nur nott-dürftig mit Lumpen bedeckt. Glanzlos, unbeweglich starrte ihr Auge, welches seit Stunden keine Thränen mehr gekühlt, in den leeren Raum, als ob es nicht mehr schaue, nicht mehr fühle. Auf ihrem Arme ruhte ein Säugling, süß und . friedlich schlummernd. Er ahnte nichts von dem Schmerze, der die Seinen so hart bedrängte und hatte die Händchen fest in der Mittler Haar geklammert, welches los und verworren herabhing. Zu jeder Seite kutschte ein Mädchen, wohl sechs bis acht Jahre älter als der kleine Schläfer. O, man konnte diese armen Kinder kaum betrachten, wie sie von Frsst und Elend, Jammer und Noth zitterten! In diesen trüben eingefallenen Augen, ans diesen durchsichtigen Wangen, auf diesen welken Gliedern stand es geschrieben, daß sie seit Wochen ja seit Monaten mit dem unerbittlichsten Feinde, dem Hunger, ohne einen Laut, ohne einen Schmerzensrnf kämpften, um der Mutter Leiden nicht zu erhöhen.
Hinter diesen kniete gleichsam als die einzige und letzte Stütze der älteste Sohn, ein hübscher, blond gelockter Knabe, der bereits zum erstenmale zum Tische des Herrn gegangen war. Ans seiner Haltung, aus seinem Blicke sprach noch der meiste Mnth, die meiste Kraft, wenn auch Thräne um Thräne aus den blauen Augen trat und über die bleichen Wangen hernieder perlte. Dumpf »brütete die verwaiste Familie in ihrem Schmerze hin, bis Maier i-gurat. Wie von einer Natter gestochen, fuhr der Junge in die A-he, als er den wohlbekannten, herzlosen Dränger, mit kalt- MÜttgem, höhnischem Grinsen sich nähern sah.
„He da!" polterte dieser, als fürchtete er, nicht gehört zu werden; „he da, Lisbekh, anfgcmerkt! Heul' über drei Tagen muß geräumt sein das Haus, verstanden? Macht keine Umstände und geht, sonst fällt das Gericht nochmals ei» und braucht Gewalt. Ihr könnt mitnehmen Euer Bett meinetwegen."
„Ich weiß das", antwortete tonlos die Wittwe, ohne aufzublicken, und danke es der Güte des Herrn Assessors. Ihr hättet mir bas Bett unter dem Leibe vorgerissen, wie alles Andere, wenn das Gericht es zugegeben hätte."
„Nu jo!" eiferte der Käufer, „das Gericht hat es zugegeben. Wozu Las? Was wollt Ihr machen, wann ich fest darauf besteh!" Hab ich doch großen Verlust gehabt mit Euch volle fünf Jahre daher, und Geld verloren, die schwere Meng'."
„Verlust gehabt — Geld verloren — Ihr verloren?" wiederholte die Frau entrüstet und warf einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Lügner, den dieser nicht zu ertragen vermochte." „Ich will's Euch erklären, wer Verlust gehabt und wer sein Geld verloren hat. Vor fünf Jahren kaufte mein Mann selig das Anwesen um 1000 Gulden von Eurem Bruder oder Euch, Las bleibt sich gleich. 500 Gulden zahlten wir sogleich baar daran, es war unser erspartes Vermögen und 500 Gulden blieben wir schuldig. Wir lebten kärglich, arbeiteten rastlos und zahlten zwei Jahre lang die schweren Wncherziusen, Da wurde mein Mann krank, der Verdienst stockte, der Feldbau blieb liegen, das Hauswesen ging rückwärts. Nun kommt Ihr, uns zu drangen, zu treiben und zu plagen. Wir mußten um Aufschub bitten, mußten noch Geld dazu von Euch entlehnen. Wenige Gulden erhielten wir und das Fünf-, ja das Zehnfache mußte verschrieben werden. Eure Geduld währte nicht lang. Es begann das Drohen, Kündigen, Klagen, Schinden und Pfänden. Zuerst führtet Ihr Wagen und Pflug fort, dann nahmt Ihr unsere Vorräthe, die Kleider und Geräthschaften und zuletzt habt Ihr das Vieh ans dem Stalle getrieben, während mein Mann selig mit dem Tode rang. Er liegt unter der Erde und nun reißt ihr auch um einen Spottpreis das Haus an Euch. Ist das Verlust? Ihr habt Euer Haus wieder, all unser Eigcnthnm dazu und noch über dies 500 Gulden in der Tasche sammt Zinsen. Ihr wurdet dabei reich, wir Bettler."
_ (Fortsetzung folgt.)
Dr»a „nd L'crlag der G. W. Z ai ser'schen Duchhai wlun ^ Rekaltioa: Holge.