ziehen, der in Folge dessen dw Stadt verlassen und anderswo sein Fortkommen suchen mußte. Unter lausend Thräne» schieden die unglücklichen Brautleute von einander, das Mädchen begleitete den Geliebten noch bis weit vor die Stadt. Beim Scheiden gelobten sie sich nochmals ewige Treue und hofften durch beiderseitige Beständigkeit und Ausdauer dennoch ihr Ziel zu erreichen. Tief betrübt, aber ruhig in ihrem Gottvertraucn, eilt das Mädchen endlich wieder zurück zu ihren gewohnten Pflichten und Geschäften; aber sie findet Alles im Hause in Aufregung und Bestürzung. Man hat plötzlich einen alten, sehr kostbaren Pokal vermißt, und hat nun vom Gericht Beistand gesucht, um Haussuchung bei allen Dienstleuten ha'ten zu dicksen. Jeder bestürmt das arme Mädchen als Beschließerin des Hauses mit Fragen, bei denen sie, ihrer Un- schuld sich bewußt, ganz ruhig bleibt, aber Auskunft über den Pokal, für den sie ja gewissermaßen verantwortlich war, kann sie so wenig wie sonst Jemand geben. Man schreitet zur Untersuchung, auch sie öffnet arglos ihre Truhe, fällt aber, von den vielen Ge- müthsbewegungcn, die sie an diesem Tage bestürmt, überwältigt, besinnungslos zu Boden, als ein Gerichtsdiener den vermißten Pokal unter ihren Sachen hervorzieht. Der junge Herr des Hauses greift mit Hast darnach, indem er versichert, er habe schon lange dieser Gleißnerin nicht getraut, und wahrscheinlich habe der Verkauf dieses Wcrthsts'ckes zur Erreichung ihrer HeirathSplaue mit dem jungen Taugenichts dienen sollen, der nun glücklicher Weise die Stadt verlassen habe. Das arme Mädchen kommt im kalten, öden Gefängnisse wieder zu sich, hilflos, verlassen von Allen, ist sie dem Wahnsinn nahe, doch nach und nach kommt ihre Ruhe und Kraft wieder, indem sie auf ihre Unschuld baut, die Gott der Allmächtige gewiß früh oder spät an den Tag bringen wird. Tage, Wochen vergehen, Niemand kümmert sich weiter um die Unglückliche, nur das Gericht geht seinen vvrgeschriebenen Weg und ur- theilt mit eiserner Strenge nach dem Buchstaben des Gesetzes. Plötzlich trat eines Tages der junge Kaufherr in den Kerker der .Verlassenen, sicher erwartend, nun von der körperlich und geistig Geknickten zu erhalten, was ihm die Lebenssrischc verweigerte. Er bietet Alles auf, Schmeicheleien, Liebesschwüre, Versprechungen, Drohungen, doch Alles scheitert an dem reinen, festen Verrraucn, Gott werde ihre Unschuld schon an den Tag bringen, und an der treuen Liebe zu ihrem Verlobten. Der Versucher bietet ihr augenblickliche Freiheit, Ehre, Reichthum, nur soll sie die Seine werden, aber Alles umsonst. Wuthschäumcnd verläßt er sie endlich, indem er ihr zürnst, mit ihrem Tode, der ihr gewiß sei, werde sie ihren Eigensinn büßen. Endlich nach abermals qinlvollcn Tagen und Nächten wirb ihr das über sic verhängte Todesurtheil kund gethan, und bald erscheint auch der schwere Tag, der sie erlösen soll von aller irdischen Angst und Noth. Niemand fast in der ganzen Stadt glaubt das arme Mädchen schuldig, und di" innigste, wärmste Thcil- nahme für sie ist in vielen Herzen, doch das Gesetz verurtheilt sie. Am Tage der Hinrichtung kommen alle ihre Freundinnen weiß gekleidet zum Gefängniß, um die junge Todesbrant auf ihrem letzten, schweren Gange zu begleiten. Der jetzige Kirchhof war zu damaliger Zeit die Richtstätte. Dort angekommen wendet sie sich mit einigen Worten, ihre Unschuld betheuerud, an die unendliche Menschenmenge, dann pflückt sie einen kleinen Lindenzweig ab, den sie mit der Spitze in die Erde steckt, und ruft laut und vernehmlich: „So wahr und wahrhaftig ich unschuldig wegen des mir aufgebürdeten Verbrechens in den Tod gehe, so wahr und wahrhaftig wird aus diesem kleinen Zweige ein großer Baum werden, auf dem die Vögel des Himmels ihre Nester bauen!" Daun beugte sie still und ruhig ihr Haupt und der Todesstrcich endete alles Weh und führte sie hinüber zur ewigen Seligkeit.
Die folternde Angst, die furchtbarste Gewiffenspein hatten an diesem Tage den jungen Kaufherrn sortgetrieben aus dem Hause und ans der Stadt zum Richtplatze hin. Er wollte rufen: „Sie stirbt unschuldig, ich, ich allein bin der Bösewicht!" aber sein Trotz, seine Furcht, sich vor den Menschen zu erniedrigen und verächtlich zu machen, war noch größer als seine Gewissensangst; da schlugen plötzlich wie Donnerschläge die letzten Worte seines unichv ld'gen Opfers an sein Ohr; halb sinnlos eilte er weg von dem Richtplatz, er stürzte sich von Zerstreuung in Zerstreuung, immer und immer wieder hörte er die letzten Worte des Mädchens, und wenn er sich auch tausendmal wiederholte, es sei Wahnsinn, zu glauben, die Worte der Sterbenden würden sich verwirklichen und aus dem kleinen, obendrein verkehrt in die Erde gesteckten Zweig würbe ein Baum werden, Tag und Nacht tönten dennoch in seinem In
nern die schrecklichen Worte: „So wahr und wahrhaftig ich unschuldig bin" u. s. w. Der fromme Volksglaube hatte seit dem Tode der Hinrichtung des Mädchens Liebe und Sorgfalt das zarte Zweiglein gehütet und beschützt, damit nicht irgend ein Thier oder Kind aus Unvorsichtigkeit es knicke» oder anSreißen könne, und eS darum mit scharfen Dorne» umgebe». Am Tage verlachte sich der junge Kaufherr oft selbst mit seiner Angst, sich fest vornehinend, in der nächsten Nacht hinzugehen und das kleine Reis zu vernichten, eS war ja so leicht gethan, das schwächste Kind hätte es thun können und dennoch vermochte es die Hand des starken Mannes nicht, so oft er auch Nachts hinging und die Hand ausstrcckte, die kleine Ruthe zu knicken. Gottes Engel hütete» Wacht, und an ihrer Macht erlahmte die Kraft des Bösewichts. Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, der kleine Zweig treibe kräftige Knospen und Blätter. Alles strömte hin, dieß Wunder mit eigenen Augen zu schauen, und Jeder ging heim vollkommen von der Unschuld des Mädchens überzeugt, und immer lauter klagte die öffentliche Stimme den Kaufherrn als ihren Verderber an. Die fortwährende Angst vor Entdeckung seiner Missethat und die täglich sich mehrende Gewiffenspein warfen ihn endlich auf's Krankenlager. Trotz aller Sorge und Pflege der Seinigen verschlimmerte sich sei» Zustand täglich; denn was vermag gegen solche Seelenfolter z» helfen? Da, in einer Nacht, als die furchtbarste Angst ihn wieder ergriff, ließ er Plötzlich einen Priester rnfen und suchte Schutz und Trost in einem offenen Bekenntniß seiner Schuld, denselben bittend. Alles dem Gerichte anzuzcigen, denn er wolle gerne die Strafe seiner Schuld leiden, hoffend, dadurch Ruhe für seine Seele zu finden. Auch hier ging das Gericht wieder ruhig den vorgcschriebenen Weg, auch er wurde zum Tobe verurtheilt, auch ihn begle.tete eine zahllose Menschenmenge. Tie frühere Nichtstätte war, seit Gott das Wunder an dem kleinen Zweig gethan, nicht mehr Richtstätte geblieben, sondern war znm Kirchhof umgeschaffen und ist das bis ans den heutigen Tag geblieben. Der junge Kaufherr wurde auf dem Marktplätze hingcrichtet, wo noch jetzt die Stelle durch einen großen flachen Stein bezeichnet ist. Ehe er den Todesstrcich empfing, wandte er sich noch einmal Trost und Hülfe suchend zu dem ihn auf diesem Gang begleitenden Priester, und als dieser ihn mild und tröstend auf das ewige Jenseits hinwies, rief er laut und bangend aus: „O ewig ist so laug!"
Allerlei.
— Das Franks. Journal erzählt eine ergötzliche Geschichte vom Bürgermeister und Bäckermeister, die schon lange einen Zahn auf einander hatten. Der Magistrat hatte dem Bäcker etwas mitzuthcilen und der Stadtschrciber schrieb auf den Brief: „An den Herrn Bäckermeister." Der Bürgermeister aber strich de» Herr», Weiler ihm nicht zukomme und so ging der Brief ab. Der Bäcker beschwerte sich im vollen Rath. Hätte der „Herr" nicht dagcstanden, sagte er, so möchte es gut sein; das Durch- streichen aber ist eine Injurie. — Mit uichttn, entgegnete der Bürgermeister: was durchstrichen ist, gilt nicht und ist so gut, als wenn
es nicht da wäre. — Der Bäckermeister zog heim, antwortete auf das erhaltene Schreiben und schrieb außen drauf: „an den naseweise» Magistrat!" durchstrich aber „nase". Vor den Bürgermeister geladen und zur Verantwortung gezogen, rief er den ganzen Rath zu Zeuge» an, der Heer Bürgermeister habe es selbst ge- sagt: was durchstrichen ist, ist nicht da und kann nicht beleidigen.
— Schreckliche Strafe. Wenn in der alten Reichsstadt Goslar sich zwei Weiber zankten, so erhielten sie die Strafe der „Beißkatze." Sie wurden nämlich auf ein Gerüst gesetzt und mit den Köpfen so durch ein Brett gesteckt, daß ihre Gesichter
fast an einander stießen, ohne daß sie sich irgendwie berühren
konnten. Bei dieser peinlichen Prangerstrafe, war das Publikum Zuschauer.
— König Ludwig XII. von Frankreich erhielt bittere Berichte über die Noth seines Volkes und war gerührt. „Glauben Sie, Sire", sagte sein Finanzminister, der boshafte Bullion, „Ihr Volk ist noch sehr glücklich, wenn es nicht genölhigt ist, Gras zu fressen."
— I» Paris will man ein Mittel gegen den Rotz der Pferde gefunden haben, bas unfehlbar helfen soll. Es wird zwar als Geheimniß behandelt, soll aber in einer Verbindung mit Strichnin u nd Arsenik bestehen. _
Druck und Verlag der G. W. Zaiser schen Buchhandlung. R-d»Ni°n: 4» >ff«.