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Marseille, 16. Juni. Nach den letzten Nachrichten aus Palermo schätzt man die Streilkräfte Garibaldi's aus 40,000 Mann. Garioaldi ließ 9 Individuen, schuldig des Angriffs auf das Eigenthum, süsilire». Einige Polizei-Agenten würden vom Pöbel ermordet Aus Befehl Garibaldi's cröffnete man eine National-Subscription; alle adeligen Familien und der Erzbischof subscribirten.

Paris, 18. Juni. Man sagt, die päpstliche Regierung habe sich neuerdings bei Frankreich beschwert, daß Sardinien die Staaten des heil. Paters durch geheime Aufhetzerei gefährde. Die französische Regierung soll geantwortet haben, sie werde den heil. Pater im Besitze von Rom zu schützen wissen. (H. T.)

Paris, 18. Juni. Tie Palrie berichtet aus Sicilien: Man versichert, in Palermo seien wichtige Beschlüsse gefaßt wor­den. Nachdem Garibaldi erfahren hatte, daß die Unterhand­lungen wegen Ankaufs 10 großer amerikanischer Dampfer ge­lungen seien und daß er nächstens diese Flotte zur Verfügung habe» werde, soll er beschlossen haben, ohne Verzug eine 'Lan­dung auf dem Festlande zu versuchen. ' (H. T.)

Paris, 19. Juni. Der Moniteur schreibt: Wir zwei­feln nicht, daß die schnelle Reise des Kaisers glückliche Resul­tate zur Folge haben wird. Dieser so bezeichnende Sckrilt, den der Kaiser aus freiem Antrieb that, wird alle böswilligen Ge­rüchte und falsche Deutungen zu Nichte mache». Indem der Kaiser den zu Baden-Baden vereinigten Souveraincn freimüthig erklärte, daß seine Politik sich niemals vom Recht und von der Gerechtigkeit entferne» werbe, mußte sich bei diesen, über Vvrnr- theile so erhabenen Fürsten, die Ueberzengnng von seiner Auf­richtigkeit festsetzen, welche eine wahre, loyal ausgesprochene Ge­sinnung immer cinflößt. Die bei der Zusammenkunft zu Tage getretenen Beziehungen waren mehr als bloße Höflichkeitssormen. Es werden sich daher alle Diejenigen, welche die Wiederherstel­lung des Vertrauens und die Fortsetzung guter, internationaler Beziehungen hoffen, sich zu dem Vertrauen Glück wünschen, wel­ches den Frieden Europas befestigt. (T. D. d. H. T.)

Das Portrait.

(Fortsetzung.)

Der Rest jenes Tages und der darauf folgende vergingen dem Künstler ohne Thätigkeit. Er betrachtete zu wiederholten Malen die Hauptzüge des Bildes, die er vor Augen hatte, während seine ganze Seele mit voller Gluth der Leidenschaft sich nach dem Originale sehnte, das in ihm wonnetrunken lebte. In einem solchen Moment der Ekstase fielen ihm Gedanken, Ausführung, Zeichnung, Färbung, Leben ein. Jeder Strich, jede Farbenberührung, jede Touche war für das Werk ein Hauch des Lebens. In kurzem Zeiträume war das Werk bis aut einige Nebensachen vollendet. Ein Meisterstück! Van Dyck und Rembrandt waren überflügelt!

Voller Stolz dachte Sampicrra in seinem Glücke, das Werk vor seinen Kuustgenosscn, den Malern des Vatican sehen zu lassen; cs dem Rubens, ganz Europa, der ganzen Welt vor­zuzeigen: woran dachte er nicht? Alles, nur das einzige nicht schien er zu berücksichtigen: daß das Portrait nicht sein Eigen­thum war. Ein Schreiben, wie ein Blitzstrahl, bestätigte es ihm nur zu wahr. Man bedankte sich für seine Dienste, für seinen Eifer, man schmeichelte ihm sehr, man versprach ihm Empfehlungen, aber nahm ihm das Bild.

Aber was gingen dem jungen Künstler das Gold, die Komplimente an? Sein Portrait verlangte er, sein Meister­werk, sein Glück, seinen Ruhm, sein Leben, sein Alles! Jeden Augenblick suchte er es mit trauriger und dennoch lebhafter und gieriger Miene in allen Winkeln seines Ateliers, durchschritt in demselben Zustande die ganze Stadt, in jeder Gegend dersel­ben, er schob sich in jeden Palast in jedes Haus, in jede Woh­nung. Zwei Mal ward er als Dieb eingezogen und dann als Wahnsinniger wieder in Freiheit gelassen. Und wirklich fing er an den Verstand zu verlieren. Der ungeheure, unersetzliche Verlust, den er zu erleiden hatte, griff seine Vernunft an, zer­störte seinen Jdccngang und zerrütteten fast ganz seine geisti­gen Fähigkeiten.

So verging ein Jahr der Verzweiflung, der Mutlosig­

keit , der iErstarrung für Lorenzo Sampicrra. Da sein Bild nirgends gesehen worden, so glaubte mau, daß Alles, was man von dem armen Künstler erzählte, ganz einfacher Betrug oder die Folge eines, durch länger» Gram verwirrten Geistes sei. Unter Allen war doch diese die menschenfreundlichste. Vermn- thung. ^

Eines Abends, als der jnnglückliche Sampicrra in den Gassen der Stabt hcrumscklcnderte, befand er sich, ohne zu wis­sen wie, unter dem Portale des Palazzo Corsini, wo ein Fest gehalten wurde und zu jener Stunde eben die eingeladenen, reich geschmückten und aufgeputzten Patricicr, Cavaliere und Edel­damen ans ihren verzierte» und mit imposanten Gefolgen be­gleiteten Wagen und Sänften beim Portale abstiegen, um an dem Feste in de» reich decorirten und festlich beleuchteten Sälen des obcrn Stockwerks Theil zu nehmen.

Lampierra, lheilnahmlos in seiner Verstummung, betrach­tete, an das Piedestal einer Säule des Portals angelet,nt, die rauschende Strömung der Eingeladenen. Hätte ihn aber Je­mand näher beobachtet, während eine bestimmte Gruppe von Herren und Damen sich unter dem Vestibül zurecht machten, um die durch das Sitzen in den Wagen und Sänften verursachten kleinen Störungen in der Toilette zu tilgen: so hätte derselbe in dem Antlitze des Künstlers nicht mehr diesen theilnahmloscn Ausdruck, nicht bas schlaffe Hcruntcrhängen der Augenlider» nicht die allgemeine, durch langes kummervolles Wachen ent­standene Mattigkeit seines Körpers bemerken können. Es würde ihm vielmehr das plötzliche Erheben des Kopfes, das starre, voll Feuer auf einen bestimmten Gegenstand ruhende Auge, da« augenblickliche Erröthen, die ans dem Aenßern leicht zu bcur- theilende Bewegung seines Nervensystems, sichere Zeichen gege­ben Haben, daß wichtige Einflüsse das Gemüth des armen Sa'm- pierra plötzlich, aber in einem andern Sinne als vorher er­schütterten. Sein Blick ruhte feurig auf einer Dame des patri« cischen Kreises. Als sich nun dieser mit ihr entferne» wollte» brach unser Künstler auf, und schneller als es sich beschreiben läßt, stellte er sich vor ihn:Mein Portrait!" ausrntend.

Die so unsanft angcsprochenc Dame zog sich einige Schritte zurück und betrachtete ziemlich erschrocken den armen Wahnsinnigen.

Es ist ein Künstler, ein Narr", sagte Jemand von dem Gefolge,der sich in jedes Hans einschiebt, um ein gewisse« Portrait zu suchen."

Ich erstaune gar nicht darüber", antwortete die Dame, es ist dieses nicht das erste Mal, daß ich für die . . . (hier nannte sie Namen und Geschlecht einer Patricierin) gehal­ten wurde."

2 .

Lorenzo verlangte nichts mehr zu erfahren. Er verließ die noble Gesellschaft, ging rasch noch an jenem Abende, um Erkundigungen über die benannte Patricierin cinzuziehen, aber umsonst. Bon dem Geschlechts, dessen Namen durch jene Dame nnserm Künstler zur Kenntniß gelangte, lebte zu jener Zeit Niemand mehr.

Monate und Jahre vergingen, die Gesundheit des be- dauernswürdigcn Sampicrra wurde immer mehr zerrüttet. Sein Geist wurde immer schwächer, sein Zustand immer trauriger» er ward völlig wahnsinnig! Doch hatte er einige lichte Inter­vallen. Gerade bei einer solchen Gelegenheit schien cs ihm, als ob eine fremde blasse Gestalt, ganz in einen Traueranzug gehüllt, mit bekannten Gesichtszügcn vor ihm in seinem Zimmer stände; eine Gestalt, welche ihm 'die sonderbaren und traurigen Umstände seines Unglücks in das geschwächte Gedächtniß zuriick- rief. War es eine 'trügende Erscheinung seiner Phantasie oder wirklich das Original jenes Portraiks, welches er seit so lan­ger Zeit umsonst gesucht hatte? Aeußere Einflüsse waren nun nicht mehr fähig, eine Veränderung in seinem Gemüthc hcrvor- zubringcn. Obwohl etwas unruhig, verhielt er sich dennoch ziemlich passiv. (Forts, folgt.)

Ein armer Geiger ist oft ein wunderliches Geschöpf; während er fremden Gedärmen mit dem Bogen die lieblichsten Töne entlockt, kann er dem eigenen das Knurren nicht wehren._

Druck»,» Verlag l-r «. W. Z-iserUch-n Buchhandlung. Rkda!ti°u: Hölzle.

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