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Gewändes ans schwarzem Sammet »nd schwarzer Seide selbst erfunden; sein Antlitz war blaß; ein loser Schnurrbart schwärzte die Lippe; der Spitzbart hing über das Kinn. Er kniete nicht nieder, betete nicht und setzte sich nie. Immer und immer nur betrachtete er die Gräfin mit Augen, in Lenen ein geheimniß- vollcr Ausdruck lag. Unbeweglich lebntc er an einem Pfeiler; mochte auch der lebhafteste Aufruhr seine Seele peinigen, ans sein Aeußercs'trat keine Regung; wer ihn in dieser Stellung erblickte, der hätte ihn für ein aus den Rahmen gefallenes, auf einem Pfeiler von San Lorenz» incrnstirtcs Portrait halten können. Dieser junge Mann war der Maler Van Tpk.
Erst in dem Augenblicke schien er sich zu beleben, als die Paniere und Fahnen der Brüderschaften vom Sanetnarinm in das große Schiff der Kirche znrnckkehrten, und die silberne Statue der Jungfrau, von vier Matrosen der Galeere Doria getragen, quer durch die Menge hinzog, als glitte sie über die Häupter der Versammelten. Nach der Hochzeits-Ceremonie begann die Prozession. Die Gräfin Brignole ging hinter der Jungfrau; der Neuvermählte folgte ihr mit hoffährtiger Miene. Dem Grafen gebrach cs an der Geistigkeit, welche der Mehrzahl der Italiener von der Natur verliehen ist. Als er vor Van Dyk vorüber kam, sprach der große Künstler zum Grasen Pallavicini: „Mein Leben für eine Viertelstunde von d i csem M c n sch en!" Niemand hatte diese Worte vernommen; sie verloren sich in einem gewaltigen Lnlvo LoZlim, welches das Volk mit tobender Heftigkeit anstimmtc, während es mit feinen glühenden Blicken die Gräfin Brignole verzehrte, welche eben reiche Spenden in die Becken aller Klöster legte.
Van Dyk mischte sich unter den Zug der Edel» und begab sich mit der Prozession nach der Sanct Peter Vorstadt. Der Abend brach herein; die Sonne neigte sich zu den schönen Wogen des lignrischen Golfs herab; die Hügel erglänzten m sanfter Beleuchtung; alle Glocken wurden geläutet, die Schiffe begrüßten die zwei trinmphirendcn Jungfrauen mit ihrem Geschütze; die Wimpel flatterten im Winde; Ginster und Weihrauch schwängerten die Luft mit ihren Wohlgerüchcn; und als sich ans dem freudigen Lärmen, ans den würzigen Lüften von Meer und Hügel, ans den wehenden Panieren im mächtigen Chore ein .4vo mmis stell-» emporschwang, da fühlte Van Dyk seine Glieder beben und heiße Thränen stürzten über seine Wangen. Die Pforten des Palastes Doria öffneten sich für die Geistlichkeit von San Lorenzo. Daö Lvo mnris stvlln erscholl unter den Säulenhallen, die sich nach dem Meere hin erstrecken; auf allen'benachbarten Galeeren wiederholte man die jungfräuliche Hymne; es war, als ob Himmel und Erde und Meer in unermeßlichem Chore die junge Gattin begrüßen wollten, welche unter dem marmornen Portikus des herrlichen Palastes Doria wie ein prachtvoll Gestirn erglänzte.
Van Dyk verließ die Reihen und stieg hinauf zu den einsamen Gärten, die sich amphithcatralisch hinter dem Palaste auf der Seite der Statue des Riesen erheben. Hier sammelte er seine Gedanken, um sich auf das vorznbereiten, was er auszu- sühren hatte. Er liebte die Gräfin, nicht in gemeiner Liebe, sondern mit der vollen Leidenschaft einer Künstlcrseele; er liebte feit zwei Jahren diese schöne Blume, die er in den Nymphcen des Palastes Tnrsi unter Springqncllen und schattigen Citro- uenbäumen hatte erblühen sehen. Der Maler konnte den genuesischen Familien nichts bieten, die mit ihren Reichthümcrn die Schätze der Könige verdunkelten; er besaß weder marmorne Paläste noch Gallonen im Hafen; deßhalb hatte er das Gc- hcimniß seiner Liebe vor den Angen der Welt verborgen gehalten. Einen einzigen, einen edlen und cdclmüthigen Herrn, hatte er in sein Vertrauen gezogen, das war der Graf Pallavicini, der Van Dyk willig sein Vermögen gegeben haben würde, aber sein Palast und seine,prachtvolle Villa hatten ihn völlig zu Grunde gerichtet.
Der Festzug, der Gesang, das Glockengelänte, die rauschende Menge waren wohl geeignet gewesen, den Maler einigermaßen zu zerstreuen; aber in der Einsamkeit des Weingarten der Doria drang der ganz peinigende Schmerz seiner Leidenschaft auf ihn ein. Er blickte hinaus ans das Meer und betrachtete dieses hehre Schauspiel, das wohl das Gcmüth zuwei
len in düstere Stimmung versetzt, dem Herze» aber nie tröstende Labung bringt; er betrachtete das stolze Genna, wie eS sich im Sonnenscheine über die Hügel hin ausbreitetc und mit den luftigen Glocken seine Töne verband, dieses stolze Genua, das ans einem Berge das düstere Kloster und die Villa voll üppiger Sinnenlust trug. Van Dyk schloß die Angen und schlug sich vor die Stirne. Ein Windzug führte ihm der Prozession entfernte Melodie zu, deren sanfter, sterbender, im Raume gelauterter Ton gleich einem, den Lippen der anbetnngSwcrthcn Gräfin Brignole enthanchten, italischen Worte sein Ohr berührte. Mit gepreßter Brust fprang Van Dyk auf und ergriff den Degen, den er an einem Aloeblatt anfgehängr hatte.
stieg vom Gipfel des prächtigen, pyramidenartig abschüssigen Garten hinab, ging über die Brücke, welche von dem Weinlanbengang nach dem Palaste führte, und trat in die Gallerie, wo er den Grafen Pallavicini gelassen hatte. Die Gallerie war leer. Van Dyk würdigte weder die nationalen Fresken des Perino di Vaga, noch die Statuen des Philippo Earlone eines Blickes; ans einem mit Blumen bestreuten Wege folgte er der Prozession ans den zurückgclassencn Spuren. Die Geistlichkeit von San Lorenzo war längst zur Kathedrale znrückgekehrt; die Menge hatte sich wieder nach ihren Wohnungen begeben; nur auf einem freien Platze unterhielten sich noch zahlreiche Gruppen von dem heutigen Hochzeitseste. Während Van Dyk durch die Haufen hinschritt, hörte er den Namen der Gräfin nennen, und ihre Schönheit mit jener geräuschvollen, ansteckenden Begeisterung preisen, die sich bei den südlichen Völkern in allen Gesprächen unter freiem Himmel kundgibt. Ohne stille zu stehen, ging er nach der Straße Balbi. Welch' schreckliches Gefühl mußte ihn erfassen, als er den Palast Durazzo in der glänzenden Beleuchtung, im prangenden schmucke, auf allen seinen Teraffeu und auf dem Balkon seiner beiden lustigen Pavillons mit schönen Damen besetzt sah. Der Ball hatte nach der Prozession begonnen; den prachtvollen marmornen, reich mit Festons verzierten, mit herrlichen Kolonnaden und geschmackvollen Treppen auSgeschmückten Palast erschütterte schon die Tanzwnth der Versammelten. Van Dyk stützte sich aus die Mauer des Palastes Serra und blieb wie vernichtet in tiefe Betrachtung versunken stehen. Jener Künstlcrschmer; nagte an ihm, den kein Wort, kein Zeichen, keine Sprache auszudrücken vermögen; jener Schmerz wühlte in seinem Innern, welchen die Natur so grausam erfunden hat, um die AnScr- wähltcn zn bestrafen, denen die hohen Gaben zu Theil geworden sind, um die sie die alberne Menge beneidet, welche Nichts zn leiden hat.
Aus seinem Brüten erwachte er erst, als er beim Fackelscheine den Grafen Pallavicini erblickte, der die große Treppe hcrabkam; lebhaft ergriff er ihn beim Arm und zog ihn in die kleine Straße San Eiro. „Erzähle mir von dieser Fra»; sage mir, hast Du sie gesehen?"_ (Forts, folgt.)
Auch trübe Stunden müssen sein.
Auch trübe Stunden müssen sein Wo wir oft selbst an Gott verzagen.
Wo Zwcifclsucht und kalte Pein In uuserm tiefsten Herzen nagen;
Wo selbst uns stärket kein Gebet,
Wie wir darnach im Innern ringen.
Kein Segen uns von Oben weht.
Denn Gott der Herr läßt sich nicht zwingen.
In solchen Stunden hilft dir nicht Trostloses Jammern, endlos Klagen,
Hier höre lieber, was das Licht Der eigenen Vernunft thät sagen.
Es sagt: Das ist die Wahrheit nicht.
Die da des Vaters Bild verhüllet.
Die da verlöscht des Lenchtthnrms Licht,
Nur Wunden schlaget, keine stillet.
Nur Lüge ist's, sie wird vergehn Wie Nebel vor dem Sonnenlichte:
Harr in Geduld, so wirst du sehn.
Der böse Wahn wird bald zu nichte.
Bleib gift'gen Grübeleien fern.
Kämpf muthig bange Zweifel nieder.
Und bald, ein sel'ger Morgenstern Scheint dir des Vaters Gnade wieder.
Druck und Verlag der G. W. Zaise r'schcn Buchhandlung. Redaktion : 4 ölzle.