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umrinqt und bedroht. Die Polizei hattd einige Mühe den Wa­gen frei zu machen und hinter das Thor des Museums zu bringen, oder im Museum selbst würde ans den Kaiser geschos­sen; oder eine Kanone im Hof des Museums war gegen das Thor gerichtet worden, und sollte im Augenblick abgcfeuert werden, wo der Wagen sich unter dem Einsahrtsgewölbe befand. Die Vorstellung in der italienischen Oper findet auf höchsten Befehl heute statt. Das Publikum ist sehr nachdenklich gestimmt.

Mg- Z.)

Paris, 1. Juni. Ich kann heute anzeigeu, daß eine Reise des Kaisers und der Kaiserin von Rußland nach Deutsch­land, und zwar nach Wildbad, fest beschlossen ist. Ihre kais. Majestäten werden sich gegen Ende dieses Monats von Kiel aus über Göttingen und Kassel, ohne einen Aufenthalt in Hannover zu machen, nach dem berühmten Badeorte bege­ben sich 34 Wochen dort aufhalteu. (S. M.)

Eine alte Geschichte, die ewig neu bleibt.

(Aus den ErzählungenLichtes und Dunkles" von E. gcntsch.)

.... Ich bewohnte den ersten Stock eines kleinen Häus­chens, das einem Zimmermanne gehörte. Ueber mir, unter dem Dache in ein paar luftigen Kämmerchen hauste eine Ju- benfamilie, Vater, Mutter, zwei Söhuchen und eine Tochter. Der Mann war ein Tabulctkrämer, ein wandernder Schacher- sude, sorglich und unermüdlich. Trotzdem mußte der Profit nicht sehr groß sein, denn die Leute lebten kärglich und klüglich nach Allem, was man davon zu sehen bekam. Aber der Mann ent­richtete seine Zellenmiethe pünktlich, und die Frau saß Tag für Tag am kleinen Mezzaninenfenster, spinnend oder nähend; und wenn ich was nun freilich selten geschah - tiefer in der Nacht vom Sonnenwirthc hcimkehrte, waren die Scheiben auf dem Dache droben noch Helle.

Mein Nachbar über mir war der einzige Jude im weiten Umkreise, und so mußte er allein den Fluch, der ans seinem unglücklichen Volke lastet, bis zum Bodensätze leeren. Das Jahrhundert der Aufklärung, in welckem ick lebe, hat seine Dämmerung und Nachtseite, wie die Zeit der Inquisition und derHexenprozcsse. Dieses unheimliche Dunkel lagert sich ab aus den Häuptern der Jude», die wohl unter allen Nationen der Welt die größte Tragödie zn spielen haben. . .

Es war im Herbst. Es regnete viel und die feuchte, moo­rige Niederung, in deren Mitte das Städtlein liegt, brütete vom Morgen bis Abend dicke schwere Nebel ans. Trotz aller Warnung achteten aber die Leute deß nickt, trieben alltäglich ihr Vieh aus, das ans den sumpfigen Wiesen bis über die Knöchel im sauren Wasser stund, bis denn endlich ein unheim­licher Gast die Lungenseuche in allen Ställen und Hür­den Einkehr hielt. Die Krankheit wnthete i» furchtbarer Weise und des Jammers war allenthalben kein Ende. Die Wohl­habenden hatten großen Verlust, und. den Arme» fiel das ein­zige Stücklcin, das seinen ganzen Neichthnm bildete. Während jedoch die Seuche überall Verheerungen aurichtcte, verschonte sie die Stallungen meines Hausherrn, darinnen Alles munter und gesund blieb. Das war aber kein purer Zufall, sondern batte seinen guten Grund. Der Mann war nämlich nicht blos für sich ein verständiger und kluger Landwirth, sondern hörte auch gerne den Rath anderer vernünftiger Leute. Das er­zeugte nun Mißgunst in Fülle, und dem Zimmermann ward das Stündlein, das er in der Dämmerung drüben beim Son- nenwirth zuznbringen gewohnt war, tagtäglich mehr verleidet.

Saß er eines Abends in der Zcchstnbe an einem Tische mit ander» Meistern, und die Klagelieder wollte» gar kein Ende erreichen. Es regnete Anspielungen über Anspielungen auf den guten Mann, der zum mindesten eine Wünschclruthe oder ein Hexenkraut im Hanse haben mußte, das ihn vor allem Prest sicher stelle.Was Hexenkraut!" rief da plötzlich ein abgehaustcr Schneider, ein Stromer und Trunkenbold, der kaum einen Galgen verdient hätteich will Euch verrathen, wo der Meister Zimmerer daS Geheimniß her hat, das seinen Stall vor Scuch' und Viehsall schützt! wie wohnt nicht der Man­

schet in seinem Hans? Warnm habt Ihr dem Schelm um des lumpigen Jndeiizinscs willen die Heim-th gestattet, nun habt Ihr das Unglück in der Gemein! Hol' mich der und der aber darüber kann auch nicht der haarkleinste Zweifel sein, daß der Jude die Krankheit gemacht hat. Das Weitere könnt Ihr Euch abfingcrn. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus, und wenn man den Micthzins nicht mit harten Thalern zahlen kann, so thut man's mir einemGott's Lohn," und hilft unter der Hand aus, wo's geht. Wer's Gift mischen kann, ist der Narr nicht, daß er Gegengift nicht kennte!"

Die Rede war zur Hälfte im Ernst / zur Hälfte im Scherz vorgebracht, und fand auch anfänglich wenig Anklang. Als aber der Zimmermann zoruroth im Gesicht ausspraug und den Schneider einen Taugenichts nannte, dem's schlecht Mistehe, einen ehrlichen Mann, sei er Christ oder Jude, einer Schandthat und eines gräulichen Verbrechens zn zeihen; da nahm die Minderzahl Partei für ihn, es kam zum hitzigen Streite und er zog den Kürzer».

Die Saat der Schlechtigkeit aber wucherte auf über Nackt wie Kresscnsamen, und der fürchterliche Verdacht, den der Schneider erregt, schlug leicht Wurzeln in den Gemüthern der Schwachköpfigen und Abergläubischen. Und diese bildeten in Gemeinschaft mit den Schlechten, die sich ihnen zugesellten, die Mehrzahl des Ortes. Der Jude ward geschmäht, gescholten, mißhandelt^ wo er erschien, und als er zuletzt mit Weib und Kind die Schwelle seiner Dachkammer am lichten Tage nicht mehr zu überschreiten wagte, da ward der Zimmermann mit stets drohenderem Tone aufgcfordert, das Pack aus die Straße zu setzen. Aber nur mit um so größerem Trotze entgegnete die­ser den Anforderungen und Drohungen, die man von allen Seiten gegen ihn fallen ließ, und die Jndcnfamilie blieb im Hause trotz aller Verschändung und Unbill, die man diesem und dem Eigcnthümer anthat.'

So kam der Oktober. Der Truck, der ans den Gemn- thern lastete, offenbarte sich durch de» allgemeinen Haß, den man ans den Inden warf, tagtäglich mehr und unheimlicher. In dieser bänglichen Stimmung ging ich eines Abends früher zu Bette als gewöhnlich. Zwei Stunden mochten etwa über Mitternacht verstrichen sein, als mich ein eigenthümlickes Ge­räusch und Geknister ans dem Schlafe weckte. Ich sprang auf

kaum hatte ich Zeit, mich flüchtig zu bekleiden da drang mir durch die Fugen der Stnbenlhüre, die unmittelbar ans den Gang führte, ein lichter Schein entgegen. Schnell öffnete ich die Thüre; der Luftzug, der dadurch entstand, sackte die Flämm- chen Heller an, die bereits aus allen Ritzen der hölzernen Trep­penflucht züngelten, welche unter das Dach führte. Ich stürzte an das Fenster, und mein Angstgeschrei ertönte die stille Straße hinab, auf deren Pflaster sich wie ich im Mondscheine deut­lich zu unterscheiden vermochte die scharfen Schatten zweier menschlichen Gestalten hinschlichcn. Mein Ruf weckte die Hanslcute, die in tiefem Schlafe versunken waren, indeß die Flamme bereits über ihren Häuptern znsammenschlng. Spärlich und vereinzelt erschienen die Nachbarn träge und unbercit zur Hilfe, während die Lohe schon zum Dache des eingebauten hölzernen Stadels herausschlug. Kaum fand ich Zeit, in der Noth und Verwirrung meine Papiere und was ich sonst an kleinen Kostbarkeiten besaß, zu retten.

Mitten in dieser eigennützigen Arbeit drang ein schrillen­der, markerschütternder Ruf von oben herab; da fiel mir urplötzlich der Jude und seine Kindlein ein, die unterm Dache wohnten, ich sah die brennende Treppe, die aufwärts führte

Dreimal »nternahm ich es, die Stiege empor zn dringen; aber die Flamme warf mich jedes Mal zurück. Als ich zum vierten Male den Versuch wagte, da stürzte eine weiße Ge­stalt mitten durch die züngelnde Lohe die Treppe herab. War es der Luftzug des Gewandes, war cs der Athem eines retten­den Engels, der die Flamme verscheuchte, unversehrt sank Rebekka, des Juden Tochter, mir zn Füßen hin.

(Schluß folgt.)

Druck und Verlag der G. W. Za ise r'schen Buchhandlung. Redaktion: Hölzle.