daten entfernten sich und verloren sich endlich. Der Mann spitzte da-Z Ohr, reckte den Hals vor, ohne zu wagen, schon seinen Schlupfwinkel zu Verlagen. Der Abmarsch drSHmpt- trupps hatte ihn irre gemacht. Er hatte das Schloß verlassen geglaubt, und wäre so beinahe der Nachhut in die Hände gerochen. Nachdem er sich Vorsichtshalber noch einige Zeit verborgen gehalten, lief er geradenwegs in die chMe, rief, suchte herum, und stieg, da er Niemanden fand, in's Schloß hinaus. Dieser Mann trug die Tracht der Landleute, und war derselbe G'roste, Holzschnhmacher deZ OrtS, welcher Charlotten das sonderbare Diplom ausgestellt, das diese dem Kapitän vorgelegt hatte. Der Bauer lllf mit wetten Sprüngen über die große Treppe, die min vom frischen Morgeulichre erhellt war, und rannte durch alle Theile des bewohnten Flügels, wo er sich sehr gm ans- kannte. In der großen Halle, wo alles in Ordnung war, angelangt, stieß er einen Schrei ans, als er von weitem ein weiß gekleidetes Frauenzimmer auf dem Boden hingestreckt sah.
„Charlotte! Charlotte!" rief er, auf die Gestalt zu- renncnd.
Keine Antwort; Charlotte blieb regungslos, kalt, wie Marmor, und hielt noch in der geballten Faust rin Beil, welches ihr der Bauer nur mit Mühe entwand. Ec ergriff ihre Hand, legte die seiwge an ihr Herz, das sehr matt schlug, und da er kein Mittel gegen eine solche Ohnmacht hatte, nahm er das Mädchen in seine Arme und stieg in einen Küchengarten hinab, um sie ans dem kürzesten Wege zu den nächsten Wohnunzen zu tragen. An der reien Lull grb Cnarlotte einige Lebenszeichen von sich, stieß aber bloße Seufzer aus. Erst nach einer Stunde schlug sie in einem benabdarken Meierhose die Aigen auf, mitten unter den Landlcuten, die sich sorgsamst um sie bemühten. Man hatte ihr die Vermummung abgcnommen, um sie warm in eine Wolldecke cinzuhüllen, und sie an ein gutes Reisig- ftuer gebracht.
„Und wie bewirktet ihr dies? . . sagte sie stammelnd.
„Sie sind fort! sie sind fort!" wiederholten ihr diese braven Leute.
„Ich glaubte, sie hätten mich geiödtet ..."
„Bah," sprach ein alter Bauer, „ihr habt ihnen wohl mehr Schaden zugesügt, als sie euch. Aber erzählt uns doch Alles."
Die Neugierde aller Anwesenden war so groß, daß Charlotte trotz ihrer Schwäche dieselben zn befriedigen versuchte.
„Ihr wisset doch, wie die Soldaten zu uns gekommen sind ... Sic waren nicht sehr schlimm, aber sie suchten allenthalben unserer guten Herrschaft zu schaden, so daß ich jede Minute in Angst gerieth, sie würden endlich die Verstecke finden . . . Zuletzt machten sie Anstalten, das Schloß Vor ihrem Abmärsche in Brand zu stecken . . . der Koch sagt-' es mir ... Da schlich ich die Nacht daraus in den Thurm, das Lied der guten Dame zu singen, und nahm die Laute des Fräuleins ... auf der ich bisweilen so klimperte . . . Den ersten Abend . . . wäre ich fast vor Schrecken gestorben . . ."
„DaS ist spaßig, sich selbst so Furcht zu machen," bemerkte ein Bauer aus ter aufmerksamen Gruppe.
„Ich hätte dich dabei sehen mögen," sagte eine Bäuerin; „du fürchtetest der wirklichen guten Dame zu begegnen?"
„Wahrlich, das war es," erwiderte Charlotte, „indeß hoffte ich, sie würde einem armen Mädchen kein Leid zufügen, das, gleich ihr, um das Wohl des HauseZ besorgt war . . . Doch gleichwohl zitterte ich, so'lange ich im Thurme wellte . . . Darauf gestern band ich au alle die ausgestellten Kriegscüstunge.i der alten Grafen Schnüre, wobei mir Gorofle beistaud, der auch Holz zum Feuer zutrng ... Als ich sie heramsteigen hörte, begann ich zu singen, aber ich hatte nicht sonde.liche Lust dazu ... ich zog an den Schnüren, und Alles regte sich und rasselte, daß man die Ritterrüstungen für ein Dutzend Gespenster gehalten hätte, die ihre Ketten schleppten . . . Indeß rück- ren die Soldaten trotzdem heran ... Da stürzte ich ihnen entgegen, wahnsinnig, den Tod erwartend ... So sehr hatte ich Angst . . . schon glaubte ich in der Hölle zu sein . . . Darauf stürzte ich nieder, und was sich weiter zutrng , weiß ich nicht."
„Alles ist dir treffiich gelungen; die Soldaten ergriff olchcr Schrecken, daß sie Alles im Stich ließen und 'sich eiligst davon machten."
Man kann sich wohl denken, wie diese braven Leute im Lobe und der Bewunderung CharlotienS, die sich bald wieder erholte, wetteiferten. Jedermann in der Gegend ließ sich von ihr ihre Geschichte erzählen, und jede Familie feierte einen Festtag, wenn sie Charlotten zu Gaste bekam, kenn man wollte sie nicht mehr allein im Schlosse wohnen lassen.
Inzwischen ließ daZ Wüthen des Krieges nach. Jahre verflossen und Frankreich konnte einiger Ruhe genießen.
Im Jahr 1804 schickte Herr Graf Apremont, über den Stand seiner Güter und über das, was Charlotte für ihre Erhaltung gethan hatte, belehrt, einige Geschäftsträger voraus, die den Tag seiner Ankunft verkündigten.
Noch ist in der ganzen Gegend die rührende Feierlichkeit in lebhaftem Andenken, die bei der Ankunll der Herrschaft stattfand. Man kann sich die Thränea, die Freudenschreie, den Jubel der guten Leute verstellen, als sie von Ferne den Wagen der Herrschaft erblickten. Charlotte selbst überreichte, fest!ich gekleidet, an der Spitze der Landleutc ihr« Herrschaft die Schlüssel des Schlosses. Der Herr Graf, seine Gemahlin, seine Kinder drückten nacheinander ihre getreue Dienerin in ihre Arme. Das gute Mädchen vermochte kein Wort vorzubringen, und ihre Aufregung ließ bald ein Unglück erkennen, welches die ganze Freude verbitterte. Charlotiens Gesicht und Hände zuckten einige Minuten krampfhaft, als wäre sie von Sinnen. Seit der berühmt gewordenen Nacht im Thurmc war sie dergleichen krampfhaften Zuckungen unterworfen; kein Arzt vermochte fre mehr davon zu befreien. Der Herr Graf gab ihr im Sch osse eia Asol und die Entschädigung, die sie so wohl verdient hatte. Hier wurde sic in der Mitte der Kinder ihrer Herrschaft alt, und lebt vielleicht noch bis zu dieser Slmtde. _