Tageszeit paßt mehr zur stillen Ucberlegung als e!en d e erwähnte. Seitdem ste unten der Hollern gewesen war. hatte ste nicht wieder zu dem Kupferstecher hinüber­geblickt, ja sogar geflissentlich ihren Stuhl vom Fenster weggcrückt. Die Wangen glühten, die Lippen brannten ihr und voll innerer Unruhe wallte ihr daS Herz. Ge­raume Zeu hatte sie so gesessen und gänzlich überhört, daß vor ihrer Thürc bald ein Husten, bald ein Kratzen mit den Füßen, bald ein leises Auftreten sich vernehmen ließ. Endlich nahm daS Geräusch an Stärke dergestalt zu, daß Marianne die Thür zu öffnen ging.

Der Kupferstecher stand vor ihr, der höchlich Be. treffencn! Und er waztte sein Haupt nicht zu erheben und nickt das Auge, sondern legte beite Hände auf die tief- athmende Brust und sprach zitternd, leise: O, ver­geben Sie mtr! Dann schwieg er. Als aber Marianne ein Gleiches that, hob er wieder an: Ich war von Sin­nen wußte nicht, was ich that, selbst meinen Todfeind würde ich in jener Stunde ge er hielt uine.

Wiederum standen zwei starre Bilksäulen einander gegenüber.

Hören Sie meine Entschuldigung, flehte nach einer Pause der junge Man». Seit beinahe sechs Jahren arbeitete ick an einer großen Kupferplatte, die meinen Beruf als Künstler vor der Welt dekhätigcn und mir einen andern Wirkungskreis anweisen soll, als mir daS Stecken elender Vignetten darbictet. Diese Arbeit Hot n ir große Opfer gekostet. Da ich ihr den größten und schönsten Theil jeglichen TageS widmete, so verschaffte mir die Frucht meiner übrigen Arbeitszeit nur nothdürf- tigen Unterhalt und ick gerieth deßhalb vielmal in Ver­suchung, mein vorgesteckrcs Ziel wieder aufzugeben. Ihr Beispiel, Mademoisell, daS rnir alltäglich vor den Augen schwebte, trieb mich jedoch immer wieder an meine Ar­beit zurück. Wie Sie auS Kindesliebe unermüdlich die Nähnadel, also führte ick den Grabstichel aus Ruhm­sucht aus. Das Werk ist nun beendigt und wie ich glauben darf, nickt mißlungen. Heute Vormittag that ich ken lezten Stick und daher meine Freude, die ich nunmehr fast eine wahnsinnige Verzuckung nennen möchte. Bedenken Sie, daß mir mit einem Male die Aussicht auf Ehre, reichliches Einkommen, ja, auf ein ungleich höhe­res, schöneres, mit aller Inbrunst erstrebtes Ziel sich oufihat und fallen Sie darnach Ihr Urtheil, em mildes Können Sie mir mein heutiges unhöfliches Benehmen verzeihen?

Ich kann mich versezte Marianne stockend, fast in Ihre Lage versetzen. Schienen Sie doch wie blind zu seyn. Gelbst Frau Tauchcrt wußte nicht, wie ihr geschehen war und die übrigen Herren dazu.

Der Künstler erröthcte in der Erinnerung, indem er erwiderte: Ihre Hand zum Zeichen, daß Sie mir nicht mehr zürnen wollen.

Zögernd hob sich dieselbe ein wenig. Mit Hast er­faßte ste der junge Mann. Dieß die Hand, rief er feu- i rig, die mir ein theureß Vorbild war im stillen Wirken GotteS reichster Segen über sie, denn sie ehret und näh» ! ret mit kinclicher Treue selbst den mit einer großen

Schwäche begabten Vater. Selig der Mann, dem einst diese Hand

Wer steht und brummt hier wie ein Murmelthier? unterbrach den Zärtlichen eine zornige' Stimme. Alle Wetter! der Mosjc Kupferstecher, der Tvllhäusler, der Naseweis, der des Alters spottet, und selbst nicht weiß, waS er will. Hollah hch! waS macht der Herr vor meiner Thür und bei meiner Tochter?

Vogel, nuk einem mächtigen Packet alter Bücher beladen, stand hinter dem verdutzten Bergmuth und schnappte nach Atbem, sein Schimpfen zu erneuern.

Wird der Herr sich alsbald hinunterscheeren? Hätte ich nicht den kostbaren Kallast in den Händen, würde ich dem Herrn längst schon gezeigt haben, wo die Treppe m finden. Und du. Marianne! Rabenkinb! hinter mei­nem Rücken in der verdächtigen Dämmerzeit empfängst Besuche von jungen Schnüffeln auf deinem Stübchen? O was muß ich erleben! Hätte ich doch ein Kloster für dich!

Gehen Sic! bot Marianne den Kupferstecher unter lhränen, der sich und jene bei dem erzürnten Vogel entschuldigen wollte, ich will meinem Vater schon Wes auskwandersctzen.

Bergmuth entfernte sich bestürck.

Er kam ja nur, um wegen seiner heutigen Ausge­lassenheit um Verzeihung zu bitten, erklärte Marianne ihrem Vater und ist nicht über unsere Schwelle ge­treten.

Wer weiß, was noch geschehen wäre ohne meine Oazwisckenkunft, brummte Vogel etwas beruhigter, das kenne ich schon. Der MoSje kommt mir cor, wie der Jqel in der Fabel, der den Hamster um ein kleines Plätzchen in desftn Höhle bittet. Kaum jedoch, daß die­ser ihm die Gefälligkeit zugestanden hat, so macht er sich behaglich breit, sticht scinen gastfreundlichen Wirth und zwingt ihn dadurch, die Höhle zu raumen. Und ein Stecher ist der Mosjc auch, gleich dem Igel, das bringt schon fein Metier mit sich. Ich aber will ihm zeigen, daß einem jeglichen Vogel ein Schnabel gewachsen ist, und zwar nicht umsonst. Ich will ihn schon damit ru­pfen, sollte er sich das Wiederkommen einfallen lassen. Da lobe ich mir den HofbeleuchtungSmspektor. DaS ist ein Mann nach meinem Sinne und nach alter, deutscher, ehrbarer Weise. Alle seine Schätze hat er mir gezeigt und mir sogar ein GlaS Bier eingeschenkt. Als er mich aber in seine Bücherkammcr führte, vergaß ich darüber alles Andere, selbst mein GlaS Bier auszutrinken. Und nun schau, welche rare, alte Bücher ich mitgebracht habe. In der königlichen Bibliothek können ste nicht schöner seyn. Schnell, zünde deine Lampe an, dannt ich mich gleich heule ergötzen kann. Und daß du cs nur weißt, auch dir hat der liebe Jnspekior etwas Gutes zugedacht, eine Webe feiner holländischer Leinwand, wovon du ihm ein Dutzend oder mehr Oberhemden nähen sollst. Der vortreffliche Mann! er selbst will die Leinwand morgen früh Herdringen und dir für jedes Hemde zwei ganze Groschen mehr bezahlen, als du bei Madame Heist»ger bekommst. (Fortsetzung folgt)