der jungfräuliche Blick der Srdentiefe zu, jedoch blieb er chon auf dem ihr gegenüber befindlichen, eine Treppe tiefer liegenden Stockwerke haften.
Der arme Mensch! — dachte fie bei sich selbst — er beschämt mich wirklich durch seinen Fleiß! Sizt er nicht ungleich emsiger über seiner Kupferplatte als ich über meiner Nähterei? Und er hat doch nur für sich allein zu sorgen, auch soll das Kupferstichen ungleich löhnender seyn als daS Nähen.
Unter einem Seufzer zog sich Marianne langsam zurück und stieß dabei — ob zufällig oder geflissentlich — an den geöffneten Fensterflügel, daß derselbe klirrte. Darauf uberflog ein höherer Rosenschimmer der Jungfrau liebliches Gesicht, denn von dem Geräusche berührt war der belobte, junge Machbar gegenüber aufmerksam geworden. Sein Antlitz wendete sich von der Kupferplatte weg und kehrte, wie die Sonnenrose zur Sonne, hem schönen Gestirn sich zu, das ibm aus dem Dachfenster entaegcnschimmerte. Ja, die Anziehungskraft desselben wirkte so mächtig, daß der Künstler seinen Sitz verließ, vor dem Gestirne lief sich verneigte und Anstalt machte, auch sein Fenster zu öffnen. Durfte da wohl die Jungtrau so unhöflich seyn und daS ihrige verschließen, wie sie erst gewollt? Der eben so sittsame als bescheidene HauSgenosse konnte ja irgend etwas Wichtiges mitjUkhei- len haben! Sie zögerte demnach ein wenig.
Ein sehr verführerischer Tag für uns arme Stubenhocker ! rief der junge Künstler herüber. Marianne neigte sich bejahend.
Ein wahrhaft italischer Himmel? fuhr jener fort, ein Glück, daß wir im Hofe wohnen und deßhalb nur ein kleines Sinck davon zu sehen bekommen.
Der junge Mann log jezt augenscheinlich; denn daS ganz kleine Stück blauen Himmels, wie Mariannens blaue Augen umschlossen, war ihm jezt lieber alS der ganze HimmelSdom. Doch hielt er, die sittsame Jung, frau nicht zu verscheuchen, mit dieser seiner inneren Ue- derzeuzung weislich zurück.
Werten Sie kenn gar nicht an die Luft gehen? fragte der Kupferstecher.
Ach nein, ich habe keine Zeit, antwortet« Marianne halblaut — gar viel zu nahen.
In diesem Augenblicke trat Mariannens Vater in daS Stübchnr.— eine mehr kleine als große Gestalt, abgemagert, gebeugten Nackens, von gutmüthigem Aus- sehen und schneller Beweglichkeit, wie sie kleinen, fleisch, lösen Personen eigen zu seyn pflegt. Er trug an sich einen braunen, reinlichen, jedoch wollarmen Oberrock, seine Rechte einen runden Hut und ein Rohr, seine Linke einige Bucker unter den Arm geklemmt-
Mit wem sprichst du da? hob er hastig an und sein Antlitz verfinsterte sich — mit de» Kupferstecher? dem jungen Gelbschnabel? DaS leide ich nicht, sage ich dir wiederholt. Wer he ßt ihn, sich über mich aufzu- halten ? He? Mich wegen meiner Vorliebe für die Dü- cher zur Rede zu stellen sogar? Er ein junger Mensch von kaum 25 Jahren, mich, einen angehenden Sechziger! Mir rund heraus ins Gesicht zu sagen, baß dqrch meine
Bücherwuth — wie er sich au-zudrücken pflegte — ich mich und dich noch ganz unglückich machen würde! U». glücklich! durch die Bücher! Du lieber Gott! Welch' Glück ist mir denn von meinem ganzen Reichlhume geblieben alS die Bücher uno allenfalls noch ein paar Singvögel!,
Mein Vater! sagte Marianne mit leisem Borwurfe, bin ich Ihnen weniger alS rin Buch oder Singvogel.
Lcy, wer spricht denn von dir? versehe Vogel wie ärgerlich. Du bist — fuhr er sanfter fort — meine gute, liebe, fleißige, dich aufopfernde Tochter, aber ein Glück? Nein, das bist du mir nicht, vielmehr eine große Sorg,. Ja, ja, sich mich nur immer groß und trüb« an! ES bleibt doch bei meiner Rede- Meine Bücher — sie quälen .mich niemals um Geld zu Frühstück, zu Mit- tagSesscn und Abendbrod, zu L:cht und Seife, zu Wasche, Kleidung und MiethzinS, zu tausend anderen Dingen —
Ei» haben daS Vogclfuller vergessen zu erwähnen — bemerkte Marianne.
Auch daS noch, richtig! Meine Bücher bedürfen keines FutlerS und begnügen sich mit einem harten Lager auf den Dielen.
Ja, daS ist wahr—-sprach Marianne — wie Kraut und Rüben liegen sie unter einander. Wenn Sie «nr nur wenigstens erlaubten, baß ich sie in Ordnung drin- gen dürfte.
NtchtS da! Dieser Bücherhaufen — er gleicht einem Haufen edlen GoldeS, in welchem ich mit Wollust her- umwühie, die schönsten Stücke mir auSwähle und betrachte« Ständen sie in Rech und Glied in einem Bücherschrank« vor mir, wie die Soldaten auf der Parade — ach, da fallen mir unsere Soldaten in der Kaserne ein, an welcher ich so eben vordeigieng. Da- lst ja gottlose- Volk! Sie scheinen sich sämmtlich verschworen zu haben, mich zu beschimpfen. AuS allen Fenstern, Räumen und Winkeln der weiten Kaserne riefen ste mich an: Büchervogel! Büchervogel! tönte es im Baß, Tenor und iu der Fistel —Büchervogel! hohl wie aus einem Gprach- rohr« oder einem Grabe — Büchervogel! quäkte selbst die junge Soltatenbrut. Ich glaube, daß sogar die Offiziere mitgeschrieen haben. Und waS der Knegerstaiid begonnen, das sczte der Pöbelstand auf der Straße fort. FeuerrüpelS und Brezeljungen — Obstböckerinnen und Lampenputzer — Dienstmädchen und Schulkinder — ste Alle verfolgten mich mit dem gemeinsamen Geschrei: Büchervogel! Len Sturm zu beschwören, mußte ich mich hinter eine HauSlhüre flüchten. Dort fand ich Ruhe — nicht blos Ruhe: Trost, Entzücken sogar! Und wo? hier in diesen Büchern, die ich erst kurz zuvor um einen Spottpreis erhandelt hatte. Schau her, Marianne! Stephans Predigten, in zwei noch recht leidlichen Papp, bänden ; die Statuten de» MäßizkeitSvereinS; die Akten der VundeLversammlung in Frankfurt am Main; Clau- renS Mimili und — denke dir nur: daS Nibelungenlied! Und nun rathe, wie viel ich für Alle- bezahlt habe? Ha, vor Anno 1830 hätten allein Stephans Predigten auf zwei Thaier gekostet. - .
(Fortsetzung folgt.)