Die T o d t e n h a ir d.

JmJahre 17S0, am 2. November nm 7 Ubr Mor- gtns saß ter ParlamentSratd Mongerand arbeuend in feinem Zimmer. ES war, dervorgerücklen Jahreszeit nach, tunkkl in den Straßen. Der Bediente händigte ihm ein Blkler folgenden Inhalts ein: Mein Herr! Ihrer Recht­lichkeit scy der beifolgende Koffer anvertraut. Neugier lst -eis eine Tborhe t: bei dieser Veranlassung würde sie Vcibrechen feyn. Achten Sie darauf unk vermeiden Sie Unglück. Der Koffer soll an sicherer Stelle aufdcivahri «erden, und nur Demjenigen ist er zu verabfolgen, wel­cher die fehlende Hälfte der Zeilen, die durch eine Steck­nadel an diesem Briefe befestigt sind, vorzeigen kann. Unterzeichnet war Gerard. Dieser Name, gewiß falsch, erregte weniger Aufmerksamkeit, alv der halb durchgeschnir- teae angesteckie Zettel, auf welchem nachstehende vier halbe Zeilen oder Verse, denn man konnte wenig aus ihnen schließen, standen:

Wer eitle Neugier nicht «r . . . .

Und frech in dieses Kof.

Dem sey Besn« aus Gr .....

Und als Gewinn mag Sch ....

Der ParlamentSrakh erfuhr von seinem Bedienten, baß ein Savoyard Koffer und Brief gebracht habe, Wie tzllle dieser in Paris ausfindig gemacht werden? Man hakt« bei der Empfangnahme kern Wort gesprochen. Er ließ den Koffer, ohne ihn zu sehen, auf den Boten deS HauseS bringen, und verschloß die beiden schriftlichen Do­kumente in ein Behaltniß, wo er Famüicnurkunken auf- zuheden pflegte. Vorher aber zeigte er fie seinen drei Löhnen, deren einer ebenfalls Parlamcnrsrath, der Andere Dom­herr und der Jüngste, Louis, Jnfanterieoffizier war.

Es verlief einige Zeit über kiesen Vorfall. Man sprach nickt mehr davon. Kurz vor der Verheirathunz des Offiziers fragte diesen sein Bedienter auf eine geheimnißvolle Weise, ob er auch vielleicht zu den Hocdzeirgeschenken Geld brauchte. Der Offizier war verwundert über solche Frage. Der Diener meinte, in dem alten Koffer, der auf dem Boten stände, würde man ein hübsches Sümmchen finden. Wie kommst Du darauf? entgegneie der Lieutenant. Ich habe aus Neugier den Koffer ein wenig gehoben »nd geschüttelt, sagte der Bediente, und deutlich Goldstücke klingeln gehört. Seis auch, rief der Offizier, es gehört Mir nicht zu, und sprich mir nicht mehr davon!

Der Offizier war bereits zwei Jahre verheiralhet. Er befand sich eines Abends in Gesellschaft ter Präsidentin kr Pelletier. Man spielte hoch unter hatte Unglück. Hun­dert Louisd'or, die ihm ein Freund zur Bezahlung einer alten Schuld anvertraut hatte, folgten dem schon verlornen Gelte. Aeußerst verstimmt begab sich der Offizier gegen 3 Ubr nach Hause. Der Portier benachrichtigte ihn, daß der Gläubiger seines Freundes ihm um 9 Uhr den fälligen Wechsel präseniircn würde. Er befand sich in angstvoller Verlegenheit; seine Ehre stand auf dem Spiele. Woher in tiefer Stunde die Summe nehmen? Da fallt ihm das Gold ein, welches m dem Koffer auf dem Boden unbe­nutzt, und, wie eS scheint, vergessen liegt. Warum soll er sich dessen nicht bedienen? ist ja leicht, falls sich hundert LowSd'or darin befinden, diese zuverwenden, und andere, wenn er bei Kaffe lst, an ihre Stelle zu legen. Allesschläfr; er mmmr em Brecheisen, Hammer undZange von dem ihm wohlbekannten Platz und dcgidl sich, mit einem Armleuchter versehen, h;r Treppe hinauf, als er

bei einem der obern Fenster vorübergeht, hört er bi« Notre-Dame-Kirche 4 Uhr schlagen. Der schaurige Klang scheint ihn zu warnen; er bleibt sinnend einen Augendl ck stehen. Düster und schweigsam ist eS unter ihm in der großen Stadt. Ader ein Schamgefühl treibt ihn vorwärkd, er macht sich Vorwürfe über seine kindische Furcht. Behut­sam öffuer er die Kodenthür und tritt zu dem Koffer hin. Er bewegt ib» prüfend, auch vernimmt er ein Klingen, wie von Mün;en. Dreß erregt seine Begier. §r beginnt an dem untern Theile des KosterS zu brechen, und es gelingt ihm das Eisen erwaS in eine Fuge hineinzn, treibe». Plötzlich springt der Deckel schnell und weit auf. Der Offizier stehr sprachlos mir sich sträubendem Haare vor dem offenen Behaltniß, denn der Anblick, welcher sich ihm darbietet, in dieser Stille, an diesem abgelegenen Orte, ist Grausen erregend. Außer einer bedeutenden klimme GoldeS, welches aus einem alreil Sack herauSgcfallcn lst, erblickt er das Gerippe eines Menschen, mir Gewalt unter den schweren Deckel gezwängt, sich jetzt zum Sitzen aufrichtend, als ob es de» ihm an. ^ vertrauten Schah bewachen wolle. Der Armleuchter war glücklicher Weise auS der Hand gestellt worden, sonst würde der Entsetzte ihn gewiß haben fallen lassen, und er hätte sich mit dem furchtbaren Gesellschafter in der Dunkelheit befunden. DerOtfi^er, als er endlich Fassung gewinnt, greift zum Degen, als ob ihm dieser von Nutzen hätte seya können. Er bereut sein Vorhaben; ersteht im Begriff, es nach halber Ausführung aufzugeben und za fliehen. Aber ter Gedanke an dw herannahendc neunte Stunde fesselt ihn. Auch stachelt ihn die Lust, in dieser , Lage seinen Soldatenmuth zu bewähren. Er zwingt sich» ldem beinernen Wächter in die bohlen Augen zu sehen, und da dieser, der Natur gemäß, regungslos dasitzt, wagt sich der Offiffer näher an ihn. Sr faßt einen raschen Entschluß, nimmt sein Taschentuch, füllt ticß, blindlings handvoll nehmend, mit Gold an, knotet cs rasch zu und wirst dann den schwere» Deckel ins Schloß, indem er s» den Knochenmann zwingt, seine alte Lage wieder einzu- j nehmen, wobei das Gebein des Emgefperrlc» seltsam knackt > und rasselt; er rafft zusammen, was er mitgebrachr, und begibt sich mit seinem Raube nach seinem Zimmer zuruck.

Ec legt das Taschentuch auf den Tisch und die Instru­mente an ihren Platz. Als er sich zum Entkleiden an- schickl, wird er weniger durch die Stimme des Aberglaubens deun"uh gt, als durch die der Edre, welche lhn einen Dieb schür und ihn in seinen eigenen Augen alsenlwürdlgt darstclll. Er gehr mir großen Schritten auf und nieder. Ein Geräusch laßt ihn horchend still stehen, ein Geräusch» welches ihn erbeben macht; es gleicht dem Knacken und Raffeln der Skrlettglieder. Er glaubt Schritte in dem Nedensaal zu vernehmen. Er nähert sich der offnen Thür. Welch) ein Anblick.' Mitten in dem dunkeln Saale steht, von dem Scheine des Lichtes aus des Offiziers Zimmer beleuchtet» das Gerippe, uno scheint langsam auf ihn zu- gehen zu wollen. Der Offizier, seiner Sinne kaum mächtig, und nur halb wissend, was er thut, springt in sein Gemach zurück, schlägt du Thür zu, verschließt sie zweimal und schiebt den R egel vor. Es klopft einmal wiederholt. Eine dumpfe Stimme erhevt sich uno spricht: McineHant! Gib mir meine Ha»o weder! Nimm men Gold aber was kann Dir meine Hand nützen? Ohnmächtig stürzt der Offizier rücklings auf sein Bett mccer. fgortsttzung folgt.)