Die beiden Halbbrüder.
(Fortsetzung.)
Ferdinand belheuerte, daß er dicß thun wolle nahm dann Hut und Stock, um versprochenermaßen Eleonore und Elise im Freien aufzusuchen.
Ferdinand fühlte in der Thal auch ein dringendes Bcdürfniß nach Zerstreuung, daS er in dem dunien Treiben der Außenwelt befriedigen zu können hoffte. Die unerwarteten Eröffnungen seiner Mutter hatten ihn tief ergriffen, und er sah voraus, daß, wenn er unmittelbar nach denselben in den vier Wänden seiner Stube verharrte, er in trübe, melancholische Betrachtungen versinken würde.
Auf der Promenade vor der Stadt wandelten viele Menschen hin und her, nirgends aber erblickte Ferdinand die beiden Mädcben, was ihn beinahe zu der Annahme veranlaßt?, daß sich dieselben bereits nach Hause begeben. Nach einer weiteren Viertelstunde erfolglosen Spähens stand er eben im Begriffe, m einer vor den Thoren gelegenen Gastwirthschaft, die er zuweilen besuchte, um bei einer Flasche Bier die Zeitungen zu lesen, einzukehren, als ihm plötzlich Jemand auf die Schulter klopfie. Ueber- rascht drehte er sich um, und freundlich lächelnd reichte ihm Robert von Sündenfeld, hinter welchem sich Elise undEleonore schalkhaft kichernd versteckt H elten, dieHand dar. Hastig ergriff er des Halbbruders Rechte und drückte sie in fast fieberhafter Aufregung.
Mein guter Genius, Herr Auwall, begann Robert, auf die Mädchen deutend, hat heute meine Schritte ge- leitet, indem er mich der Art führte, daß ich solch interessante Bekanntschaften zu erneuern im Stande war.
Elise crröthete bis unter die Locken.
Die vier jungen Leute setzten nun gemeinschaftlich ihren Spaziergang fort. Ferdinand mußte sich gewaltig zusammen nehmen, um unbefangen zu erscheinen, und es wäre immerhin möglich gewesen, daß der Baron den außergewöhnlichen Zustand desselben bemerkt hätte, wenn er seiner ehemaligen Reisegefährtin weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Verschiedene Personen, die Robert erkannten, machten allerlei Glossen, wie der reiche, vornehme Herr dazu komm-', sich so öffentlich und ungenirt in Gesellschaft eines Maschinisten und zweier zwar schönen, aber bürgerlichen Mädchen zu zeigen. Em solches Betragen sey allem adeligen Anstand zuwider, meinken Einige, und wenn dieß der alte Sündenfeld erfahre, werde er seinem Sohne schon den Kümmel zu reiben wissen; Andere wider hegten den Verdacht, der Herablassung des Freiherrn lägen unreine Motive zu Grunde, indem er es auf die Tugend der hübschen Elise abgesehen haben müsse.
Es sind närrische Kreaturen die Menschen, und namentlich die deutschen Menschen, die es Herablassung nennen, wenn ein Sohn des Staubes, dessen Mutter man gnädige Frau anredete, mit einem seiner Mitgeschöpfe freundlich spricht; es sind boshafte Kreaturen diese Menschen, die selten das Gute, fast immer aber das Böse glauben.
Da bereits der Abend herannahte, so geleiteten die Jünglinge die Mädchen nach Hause, Robert steckte behutsam eine duftende Frührosc, die ihm Elise geschenkt, in das Knopfloch seines Rockes und lud Ferdinand zu einem Glase Wein ein, das sie zusammen in der Stadt Rom trinken wollten. Letzterer nahm die Einladung an.
Bald perlte der würzige Sechsundvierziger in hellgeschlif. senen Gläsern, eine lebhafte Unterhaltung begann, und der edle Rebensaft verlieh dem Geiste höheren Schwung. Der Baron erzählte von dem feurigen Advokaten Hecker, wie der die Turner weit und breit kommandire, und wie die Reden dieses Mannes so gewaltig ergreifend auf die Herzen wirkten. DaS ist ein Mann, rief er endlich aus, von dem ich überzeugt bin, daß er sich nie vor einem Throne beugen wird. Der soll leben! Ferdinand, ein aufmerksamer und empfänglicher Zuhörer, wenn cs sich um derartige Dinge handelte, stieß herzhaft an und trank sein Glas bis zur Neige aus. Es blieb nicht bei einer Flasche, auch die zweite kam und war geleert, und immer kühner tummelten sich die Gesunken auf dem Gebiete der Politik und der Liebe; selbst Anwalt war beredt, und cs ist wirklich zu verwundern, daß ihm das Geheimnis, welches ihm seine Mutter auvertraut, nicht entschlüpfte. Endlich verkündete die Uhr die eilste Stunde, der von Robert bestellte Wagen fuhr vor, ein herzlicher Abschied mit Umarmung folgte dann noch, und der Baron rollte auf der Straße nach Sündenfeld dahin, und Ferdinand kehrte in seine Wohnung zurück.
Von nun an erschien Robert jede Woche in Eisen- furt, und sein Verhälkniß zu der Familie Auwall ward von Tag zu Tag inniger, seine Neigung zu Elisen immer entschiedener und hervortretender. Indessen war die Zeit, in welcher er ungestört das Glück der Freundschaft und Liebe genießen konnte, nur sehr kurz. Der alle Freiherr, dem die häufigen Ausssüge seines Sohnes nach Elsenfurt auffallend vorkamen, ließ die sorgfältigsten Erkundigungen anstellcn und erfuhr Alles. Die „Hölle und Teufel," welche es da auf das Haupt des armen Robert regnete, als ihm sein Vater die unanständigen Verbindungen mit dem bürgerlichen Pack vorwarf, sind nicht alle zu zählen. Der Erzürnte donnerte hauptsächlich gegen den vertrauten Umgang mit dem Maschinisten, wenig oder gar nichts fand er daran auszusehen, daß ein junger Mann von Atel einem schönen Mädchen die Cour machte, im schlimmsten Falle kam es zu einer Verführung, — eine Geschichte von ein paar Hundert Gulden, und was lag einem Baron von achtmalhundertlausend Thalern Einkünften an solch einer Bagatelle?
Als der Vater seinen Zorn ausgetobt hatte, begann der getadelte Sohn seine Vertheidigung, die jedoch, da in derselben von mittelalterlichen Voruriheilen die Rete war, auf einmal dem Fasse den Boden ausstieß. Robert erhielt den Befehl, schon am folgenden Tage nach Wien abzureisen. D»r Metternich'sche Polizeistaat sollte den Vertreten bessern.
Noch selbigen Tages sandte er zwei Briefe mit dem Sohne deS Schloßgärtners, der ihm sehr zugethan war, nach Eisenfurt. In dem einen nahm er von der Familie Auwall, besonders aber von seinem Freunde Ferdinand, Abschied; den andern sollte der Bote Elisen übergeben. Beide Briefe waren mit kleinen Andenken beschwert. Dem Mädchen seines Herzens hatte er eine goldene Brochs in Form eines Ankers beigelegt, auf der Rückseite dieses Geschenkes waren die bedeutungsvollen Worte: Glaube, Liebe, Hoffnung eingravirt.
Lebe nun einstweilen wohl, guter Robert! Gott schütze Dich! Dir ahnet nicht, daß Du von dem Blumenfelde der Liebe und Freundschaft den Blutgefilden mörderischer Kämpfe entgegenwanderst. (Forts, folgt.)