anzublicken. Einzelne Schneeflocken blähten sich trage in der schlaffkalten Atmosphäre. E m i lie aber starrte in träumerischem Grau, rn zu jenem Gitterfenster hinauf, wo, wie der Vater ihr gesagt, jener unbekannte Un- glückliche saß. und die letzten Sandkörner seiner LebenSuhr verrinnen sah. jene halbe Leiche, die klagend und verführerisch zugleich in die'Seele der Jungfrau blickte, um in ihr tödtliche Schauer und geheime, fantasii- sche Lüsternheit zu erwecken. Ihr Gehirn erdröhnte von dem wilden, mänadischcn Durcheinanderrasen der Gedanken; sie wußte selbst nicht, was in ihr vorgieng, was in öder Nacht sie aus dem warmen Zimmer trieb, eS waren mehr Worte, als Bilder, die sich vor ihrem geistigen Ohre in aben- teuerlichen Klangfigurc» auSspannen, scharfe, unzusammenhangende Worte, wie "Hinrich- ten,„ " schwarze Locken... "bleiches schönes Gesicht, „ und dann "Schädel,, und "G a l l'. sche Organe,, und " Nummern, auf ein Knochenhirn geliebt.,.
Wie unverwandt sie auch dar Gitterfenster anstarrte, er war doch Alle- wie blind und schwarz vor ihrem Blicke. Sie bemerkte nicht einmal, daß das matte Licht hinter jenen Gittern immer schwächer wurde, sich augenscheinlich mehr und mehr gegen den Hintergrund deS Gefängnisses zurückzog, und endlich ganz erlosch. Und auch vor den Ohren schwirrte es ihr zu laut von jenen loSgeriffenen. eingebildeten Worten, als daß sie das leise Knarren eine» SeitcnpförichenS de« Stockhauser vernommen hätte. Erst als plötzlich eine wildfremde Gestalt vor ihr stand, und zwei schwarze Augen au» einem todtbleichen Gesichte heraus sie zornig nnd mißtrauisch anfun- keilen, fuhr sic mit einem lauten Schrei zurück. Sie fühlte, wie eine Hand mit zermalmen- der Kraft ihren Arm faßte, und bei dem fahlen Lichte de« Mondes flimmerte ein Dolch vor ihren Augen.
Schweige, oder Du bist deS TodeS? murmelte ihr eine Stimme zu, hohler, als da» Grab.
Sie blickte auf, und den Drohenden plötzlich m>t großem, ruhigem Auge messend, fand sie ihn gar nicht mehr fremd und schrecklich. Er ist es! sagte sic zu sich selbst, und sah ernst und gefaßt zu ihm hinauf.
Die furchtlose Ergebung de» lieblichen Kinder schien den finsteren Mann zu überraschen und milder zu stimmen; seine Faust»
die er anfangs schmerzhaft - fest um ihre Arme geklammert hatte, lockerte sich, er blickte sie neugierig und verwundert an, und fragte mit fast sanfter, wohlklingender Stimme: Wolltest Du mich belauschen ?
Emilie schüttelte stumm den Kopf, ohne einen Versuch, sich von ihm loSzuma- chen.
Und wa» treibst Du hier so allein, in so später Nacht? fragte er weiter, indem er seine Stimme, in deren Tone und Zeitmaße etwa» Hastige». Ungeduldige» lag. so leis« al» möglich machte, und seine Blicke fast unaufhörlich nach allen Seiten umhsrschwei- fen ließ.
Sie antwortete Nichts auf diese Frage, und sah ihn an, als liege darin eine Erwiederung. ^
Seltsame» Mädchen! sagte er befremdet. Und wohin willst Du geh'» ?
Wohin Du mich führst, cntgegnete sie dumpf; denn ihr war es, als stünde ihr Geschick vor ihr. dem sie folgen müsse, und nicht entfliehen könne. Hin kurzer, schwüler Traum der Liebe hatte diese Knospe schnell entfaltet, binnen Minuten da» Kind zum reifen, entschlußfähigen Weibe gestaltet.
Du bist schön, mein Kind, sagte er sanft; und vermag ich auch Deine wundervolle Hinneigung zu mir. nicht zu begreifen, so spricht doch eine innere Stimme laut dafür, daß Du wahr bist, und e» treibt mich all- gewaltig. Dich zu besitzen. Ich fühl' e», ich könnte die kaum errungene Freiheit, da» der Macht de» Gesetze» eben nur abgelistet« Leben, entschlossen wieder hinwerfen, um Dich mein zu nennen. Aber wohin soll ich Dich führen, der ich selbst nicht weiß, wohin ich mit diesem geächteten Dascpn flüchten, wo ich diese» vcrfehmte Haupt hinlegen soll, nach welchem schon die Raben krächzten?
»Oder solltest Du nicht wissen, unglückliche» Kind, mit wem Du sprichst?
Ein schneller, heftiger Schauer durchzuckt» sie. aber sie stand fest, und trotzte ihrer eigenen Schwäche.
Ich weiß e», wer Du bist, entgegnet« sie, die Augen zu Boden schlagend. Si« wollten Dich mit frühem Morgen hinauSfüh- ren auf den Anger, und Dir den Kopf ab- schlagen.
(Fortsetzung folgt.)