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Jndeß er sich durch sein untabclhasteS Betragen Ehrmanns Achtung erwarb, erwachte in dessen Brust von neuem der väterliche Schmerz. Er verglich mit diesem vortrefflichen Jüngling seinen unglücklich verlohrnen Sohn, und vergoß Thrä- men bei dieser Vergleichung. Gewohnt seinem Freunde Ludwig sein Herz zu offnen, erwähnte er einst die unversiegbare Quelle seiner Kummers. „Ach mein theu- crster Freund, sagte er, der Tod allein kann meine Leiden enden. Ich hatte einst einen Sohn: — aber nicht alle Vater sind glücklich. — Sie sagten mir, daß Sie einen zärtlichen Vater beweinen, O! grausamer Eigensinn des Schicksals! Ihr Vater, den die Tugenden eines solchen Sohnes glücklich machen würden, ist nicht mehr, und ich — ich muß noch leben!" — Bei diesen Worten drückte er ihn zärtlich an seine Brust, und benetzte ihn mit Thränen.
Ludwigs Empfindungen lassen sich besser fühlen, als beschreiben. Mit Mühe konnte er sein Gehcimniß verbergen. Aber er fürchtete durch frühzeitige Entdeckung, sein Verdienst zu verlieren; denn er glaubte, seine Verzeihung noch nicht verdient zu haben.
Die Angelegenheiten beider Freunde wurden bei der Zeit, daß Ludwig.in ihrem Dienste war, blühender. Beide dachten zu edelmüthig, als, daß sie cs ihm hatten verhehlen sollen, wie viel seine geschickte Geschäftsführung dazu beigetragcu hätte. Sie hielten cS für ihre Pflicht, ihn zur Belohnung feiner treuen Dienste zu ihrem Handlungs-Genossen aufzunehmen Diese Güte rührte ihn sehr, nicht sowohl weil er dadurch seine Glücksumstände verbesserte, als weil er darinn einen Beweis ihrer Freundschaft sah, die ihm so theuer und schätzbar war.
Einige Zeit nachher machte eine Krankheit Ehrmanns, Ludwigs zärtliche
Besorgniß rege, nnd zeigte sein theilneh- mcndes Herz ganz zu seinem Vortheilr. Jede» Augenblick, den ihm seine Geschäfte übrig ließen, brachte er an seines Vaters Bette zu. Unter dem Vorwände, daß er etwas von der Arznepkunde verstehe, gab er ihm alle Arznepcn ein, die ihm verordnet waren. Er wachte alle Nacht bei ihm, und wenn seine Krankheit von langer Dauer gewesen wäre, so .würde er selbst vor Kummer und Ermattung krank geworden sepn.
Diese zärtliche Sorgfalt Vermehrte Ehrmanns Zuneigung gegen ihn, und er konnte fast keinen Augenblick ohne ihn zubringen. Oft sah er ihn zärtlich an, und sagte: „Ach warum vergönnte mir der Himmel nicht das Glück, ihr Vater zu sepn?" Dann erzählte er ihm die üble Aufführung seines Sohns. Diese Erzählung war Ludwigs härteste Strafe, und schlug ihn ganz zu Boden. Aber die Aeußerungen der Freundschaft, die er ihm dabei bezeugte, trösteten ihn wieder.
Ost war er auf dem Punkt, sich ihm zu entdecken, aber Furcht hielt ihn eben so oft zurück. „Nein, sagte er : ich will bleiben, wer ich bin, da ich jetzt so glücklich bin; und warum sollte ich zurückrufen, wer ich gewesen bin, da ich so gern mich selbst vergessen möchte. Ich genieße die Achtung und die Freundschaft meines Vaters, und warum sollt' ich beide auf's Spiel setzen? .Ludwig wird geschätzt und geliebt, und Wilhelm — würde vielleicht gehaßt?" Er tröstete sich über den Kummer, Ehrmann nicht seinen Vater nennen zu dürfen, damit, daß er alle Pflichten seines Sohnes gegen ihn ausübte^ So floß sein Leben dahin; ein glückliches ruhiges Leben, das sein Herz allen rauschenden Freuden jener Tage vorzog, die ihn zum Schuldigen gemacht hatten.
sDer Beschluß folgt.)