Leite 2 Nr. 288

NagolLer TagblattDer Gesellschafter«_ __ Dienstag, de« 22. Dezember 183l.

sanuar i»öl beginnende Mietzeit zu entrichten waren. Die nicht vermieteten Räume sind dabei zu berück­sichtigen: zu diesen gehören nicht nur die leerstehenden, son­dern auch die vom Hauseigentümer benützten Räume.

Bei MietverhAtnissen über Räume, die durch Um- oder Einbauten nach dem 1. Juli 1918 in Altbauten neu- geschaffen sind, ermäßigt sich der Mietzins für die am 1. Ja­nuar 1932 beginnende Mietzeit um 8 v. H. der bisher gezahl­ten Miete: es bleibt aber den Vertragsparteien Vorbehal­ten, nachzuweisen, daß sich ein anderer Hundertsatz aus der tatsächlichen Ermäßigung der durch die Um- und Einbauten hervorgerufenen Belastung des Hauses ergebe. Wie bei den Neubauten, so darf auch bei den Um- und Einbauten, wenn ein Mietzins gilt, der niedriger ist als der Mietzins für die mit dem 1. Januar 1931 beginnende Mietzeit, der Unter- stchied auf die Ermäßigung nicht angerechnet werden, wenn der Unterschied im Mietzins darauf beruht, daß seit dem L. Januar 1931 aus öffentlichen Mitteln Bei­hilfen gewährt oder erhöht oder sonstige Vergünstigungen bewilligt worden sind oder wenn die Ermäßigung lediglich mit Rücksicht auf 8 49a des Mieterschutzgesetzes erfolgt ist.

Im übrigen ist bei der Mietesenkung der Hauptwert auf ein gütliches Einvernehmen zwischen Vermieter «nd Mieter zu legen.

Durch die Notverordnung wurde mit Wirkung vom '1. April 1932 ab die Grenzzahl für teure Woh­nungen in Stuttgart von 1500 auf 1400 Mark jähr­liche Friodensmiete herabgesetzt und damit der Kreis der Wohnungen, die vom Neichsmietengesetz und Mieterschutz- Gesetz ausgenommen sind, erweitert; in den übrigen Ge­meinden wurde die Grenzzahl nicht abgeändert. Auch wurde die mit Wohnräumen verbundenen Geschäftsräume, deren Gesamt - Friedensmiete dis Grenzzahlen für teure Wohnungen erreicht oder überschrei­tet, mit Wirkung vom 1. April 1932 ab, vom Reichsmieten­gesetz und Mieterschutzgesetz ausgenommen. Mt einer Un­gleichung der württ. Bestimmungen über gesetzliche Miete und Mieterschutz an diesen Teil der Notverordnung, der erst am 1. April 1932 in Kraft tritt, ist zuzuwarten, bis feststeht, ob und welche Durchführungsbestimmungen des Reichs zu diesem Gegenstand erlassen werden.

Zu der Verordnung zum Vollzug des Wohnungs­mangelgesetzes ist im wesentlichen zu bemerken, daß eine Genehmigung der Gemeindebehörde zum Abbruch oder zur Veränderung von Privatgebäuden oder von Tei­len von solchen nicht mehr erforderlich ist; auch können Wohnräume ohne Genehmigung in Geschäftsräume umgewandelt werden. Von dem Wohnungsmangelgesetz und den dazu ergangenen Vollzugsbestimmungen waren nach den bisherigen württ. Bestimmungen die Wohnungen mit mehr als drei Wohnräumen ausgenommen. Durch die Notverord­nung des Reichspräsidenten sind nunmehr auch die Woh­nungen mit drei und weniger Wohnräumen ausgenommen, soweit die Jahresfriedensmiete dieser Wohnungen in Stutt­gart 800 Mark und mehr beträgt, in Eßlingen, Ludwigs­burg und Feuerbach 600 Mark und mehr, in Heilbronn, Böckinaen und Fellbach 500 Mark und mehr und in Stamm- beim 300 Mark und mehr. D^is Verordnung tritt schon am 1. Januar 1932 in Kraft.

Weitere Verlängerring der Geltungsdauer der Sonntags­rückfahrkarten über Weihnachten und Neujahr. Die Sonn­tagsrückfahrkarten gelten zur Hinfahrt an allen Tagen vom Mittwoch, 23. 12. 31, bis Sonntag, 3. 1. 32. zur Rück­fahrt an allen Tagen vom Mittwoch, 23. 12. 31. bis Mon­tag, 4. 1. 32. Die Rückfahrt muß in der Nacht vom 4. zum 5. Januar um 24 Uhr beendet sein.

Notverordnung und holzhauerlöhne. Während die vierte Notverordnung Klarheit über den Abbau der Löhne in Privatbetrieben gebracht hat, besteht Unklarheit über die Anwendung beim württ. Staatsforst. Nach dem Wortlaut müßte ein nochmaliger Abbau von 10 o. H. der bereits am 1. November um 1726 v- H. abgebauten Löhne erfolgen, während in den Privatbetrieben ein Abbau über 15 v. H. ab. 1. Juli 1931 nicht erfolgen muß. Damit würden die Staatsholzhauer ganz besonders hart betroffen. Um eine Klärung herbeizuführen, hat sich der Reichsverband länd­licher Arbeitnehmer vom Re-chsarbeitsmimsterium verlangt, daß zumindest der erst kr /ich erfolgte Abbau Berücksich­tigung finde.

Auszeichnungen für Pferdepfleger. Der Württ. Tier­schutzoerein (Landesverein Stuttgart) hat auch Heuer wieder auf Weihnachten einer Anzahl Pferdepfleger für langjährige treue Dienste und insbesondere für sorgsame und liebevolle Behandlung der ihnen anvertrauten Tiere ausgezeichnet. Jeder Bedachte erhält eine Ehrenurkunde »ine Geld­prämie von 10 Mark.

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Die neue württ. Rotverordnung wird zwischen den Feier­tagen erscheinen. Die Erhöhung der Umsatzsteuer macht für Württemberg 2 Will. Mk. aus, wovon die Gemeinden 1,2 Millionen erhalten.

Warnung vor einem sogenannten Reichswehr-Vermikt- tungsbüro. In mehreren deutschen Tageszeitungen stand in letzter Zeit folgendes Inserat:Wer will zur Reichswehr? Schreiben Sie an Vermittlungsbüro Weißenfels, Postfach 170". Es handelt sich hierbei um ein Unternehmen, das weder beauftragt, noch überhaupt in der Lage ist, irgend­welche Vermittlungen in dieser Beziehung vorzunehmen. Bewerber, die sich an das Vermittlungsbüro wandten, er­hielten eine Nachnahmedrucksache über 2.20 Mk., die nichts weiter als die Einstellungsbedingungen der Reichswehr in Abschrift enthielt.

Hochhaus Tietz. Das Warenhaus Tietz beabsichtigt schon seit längerer Zeit eine bedeutende Erhöhung und Erweiterung seines Hauses in der Königstraße. Gegen die Baupläne be­standen zunächst erhebliche Bedenken, die aber nunmehr be­seitigt zu sein scheinen. Um die Berkehrsschwierigkeiten durch den Umbau nicht noch mehr zu steigern, soll ein innerer Schaufenstergang auf der ganzen -Länge der Königstraße errschtet und auch innerhalb des Gebäudes eine Verbindung nach der Ecke Schul- und Schmalestraße geschaffen werden. Vorgesehen ist auch eine besondere Verladerampe, getrennt vom öffentlichen Durchgangsverkehr in der Schmalestraße. Unter der Voraussetzung, daß derartige Notwendigkeiten berücksichtigt werden, hat das Innenministerium der Firma Tietz weitgehendes Entgegenkommen der Polizeibehörden in Aussicht gestellt.

Eisenbahnwagen als öiedlerwohnungen. Von zuständiger Seite wird uns mitgeteilt: In den letzten Tagen ist da und dort in der Presse eine Notiz erschienen, wonach die Reichs­bahn auf Grund der Reichsbahnanleihe ihre Bestände an Ganzstahlwagcn so viel wie möglich erhöhen und einen Teil der alten Holzwagen außer Dienst stellen werde. Sie habe nun den Gemeinden die Holzwagen zu einem Preis von 50 bis 100 RM. bei einer Abnahme von 30 Stück zu Siedlungs­

zwecken angeboten Ein solches Angebot ist von der Reichs- bahn nicht gemacht worden. Der Verkauf von Wagenkästen kann vielmehr nur dann in Frage kommen, wenn für sie Preise erzielt werden, die ungefähr den bisherigen Erlösen entsprechen.

Schlägerei zwischen Soldaten und Zivilisten. Vom Wehr­kreiskommando V wird mitgeteilt: In der Nacht auf Mon­tag kam es vor der M.G.-Kaserne in Cannstatt zu einer Schlagerei zwischen Soldaten und Zivilisten, in deren Ver­lauf der von einem der Beteiligten herbeigerufene Wach­habende der Kasernenwache von der Schußwaffe Gebrauch machte und einen Zivilisten durch einen Knieschuß verletzte.

100 Abkreibnngsfälle in Saulgau. In Saulgau gibt es wie die Südd. Ärbeter-Zeitung zu berichten weU einen neuen Riesen-Prozeß wegen Abtreibung. Der Staatsanwalt habe bereits über 80 Fälle festgestellt und 20 Frauen aller Gesellschaftskreise verhaftet. Die meisten davon mußten zwar wieder entlassen werden, doch eine Anzahl Frauen ist in Haft. In mehr als 100 Fällen sollen die Vergehen durch eine Frau verübt worden fein. Die Fälle sollen jedoch mchrere Städte und Ortschaften umfassen.

Schwab. Gmünd, 21. Dez. Bergangene Woche wurden in der hiesigen Gegend wiederum mehrere Schafdiebstähl« ausgeführt. So wurden besonders in Faurndau aus verschie­denen Herden mehrere wertvolle Tiere entwendet. In einer anderen Ortschaft wurde aus einer Herde von 84 Tieren ein etwa 314 Zentner schwerer Zuchtschasbock im Wert von 2000 Mark entwendet. Wie aus Fachkreisen mitgeteilt wird, handelt es sich bei dem entwendeten Tier um das wertvollste seiner Rasse in ganz Deutschland. Der Täter, der zweifellos in eingeweibten Kreisen zu suchen ist. konnte bisher in kei­nem Fall festgestellt und ermittelt werden.

Saulgan, 21. Dez. Urkundenfälschung. Nach einer Mitteilung des Amtsgerichts Saulgau imOber­länder" schwebt gegen Gerichtskassier Obersekretär Stadtrat Stemmler eine Untersuchung wegen Urkundenfälschung. Das Amtsgericht verwahrt sich gegen den im Gemeinderat erhobenen Vorwurf einer Verletzung der Schweigepflicht.

Das alte Schloß in Nammen

Stuttgart, 21. Dez. Heute vormittag vor elf Uhr wurde im Ostflügel im 3. Stock des Alten Schlosses ein Brand ent­deckt, der auf dem Fußboden des oberen Stockwerks entstan­den zu sein scheint und alsbald eine starke Ausdehnung an­nahm. so daß die Decke vom 2. Stock ergriffen wurde und zusammenstürzte. Dichte Rauchwolken quollen aus den oberen Räumen heraus. Das Feuer hatte aber, als die Feuerwehr erschien, bereits eine große Ausdehnung angenommen, da es an den mächtigen Eichenbalken reichlich Nahrung fand. Die Feuerwehr mußte ihr Hauptaugenmerk darauf richten, die nächsten Flügel des Schlosses zu schützen. Trotzdem sämtliche drei Feuerwachen von Sink' ^art und Cannstatt in Tätigkeit waren, breitete sich das Feuer mit ungeheurer Heftigkeit im­mer weiter aus. Durch die einstürzenden Decken wurden aber

kürzenden Decken immer wieder andere Stockwerke durchschlagen, so daß sie völlig ausbrannten. Um 3 Uhr nachmittags stand auch der nördliche Flügel in Brand. Der Verbindungsturm zwischen den beiden Flügeln ist vollständig ausgebrannt. Ein weiterer Teil des Dachstocks und die Decke des 3. Stockwerks im öst­lichen Flügel stürzten unter großem Getöse ein. Um 3.30 Uhr schien es, daß das ganze Schloß dem Untergang geweiht sei. Die Feuerwehr von Feuerbach war inzwischen zur Hilfe erschienen und auch die Freiwillige Feuerwehr Stuttgart war an der Arbeit. Aber immer gefährlicher wurde der Brand. Auch das ganze Erdgeschoß bildete ein Feuermeer.

Aus mehr als 20 Schlauchleitungen wurden ungeheure Wassermassen in die Flammen gejagt, doch war alles ver­gebens. Mit lautem Kracken stürzte ein Kamin um den andern hinab bis in den Keller, da alle Stockwerke durch­gebrannt waren. Abends 6 Uhr dauerte der Brand mit un- geminderter Heftigkeit an, obgleich inzwischen auch die Feuer­wehren von Eßlingen und von Degerloch, letztere mit Pferde­gespannen, eingetroffen war. 3n der ganzen Nachbarschaft verbreitete sich eine ungeheure Hitze.

Am Brandplatz waren Herzog Philipp Albrecht van Württemberg, der wehmütig das Schloß seiner Büter in Flammen versinken sah, sowie Staatspräsident Dr. Bolz, Finanzminister Dr. Dehlmger, Oberbürgermeister Dr. Lau­tenschlager, sowie die Beamten der zuständigen Ministerien erschienen. Ein großes Aufgebot von Schutzpolizei und Reichswehrmannschaften schlossen den Brandplatz ab und beteiligten sich todesmutig an der Rettung der unschätzbaren

Kostbarkeiten, die im Alten Schloß geborgen waren. Man­ches davon wird wohl unwiederbringlich verloren se'n. Trotz der ungeheuren Menschenansammlung Konnte der Verkehrs in den benachbarten Straßen und auf dem Schloßplatz un­behindert aufrechterhalten werden: die Straßenbahnwagen fuhren in schneller Fahrt durch. Aber die Weihnachtsmesss. auf der Seite gegenüber der Markthalle mußte gegen Abendl geräumt werden, ebenso teilweise die Meihnachtsmeffe aujs dem Schilierplah am Westflügel. Durch die ausg-ebr-anntens Fenster sah man die Holzpserde mit Rüstungen aus d:mk Heeresmuseum. Der zerstörte Teil des Schlosses ist dev älteste, der sogenannte Chriskophsteil mit Wassergraben. Diel geretteten Kunst- und geschichtlichen Werte wurden ftffort auf Lastwagen verladen und fortoefthofft.

Vermutlich ist das Feuer schon vor einigen Tagen ir­gendwie entstandtzn und hat sich langsam zu der furcht­baren Feuersbrunst entwickeln können, die am Montag plötzlich zum Ausbruch kam. Bon den Wohnungen in den oberen Stockwerken des Ostflügels konnte überhaupt nichts gerettet werden. Die Bewohner wurden vom Feuer über­rascht. Eine alte Frau, die allein zu Hause war, mußte ! von der Feuerwehr aus dem Bett geholt werden. Mit Tränen in den Augen sahen die Bewohner der Schloß­wohnungen dem um sich greifenden Feuer zu. linier den vom Brand vernichteten Wohnungen befindet sich auch die der Witwe des früheren Staatspräsidenten Blos. Das Schloß ist Eigentum des Staats.

Etwa 25 Feuerwehrleute erlitten Rauchvergiftungen /ind mußten im Krankenwagen abtransportiert werden. Ohne Gasmasken war die Annäherung an den Brandherd überhaupt nicht möglich. Ein zusammenstürzender Kamin beschädigte eine Feuerwehrleiter sehr erheblich. Die schönen alten Teile des Schlosses sind jedenfalls vernichtet, und wie­viel von dem herrlichen alten Wahrzeichen der Stadt Stutt­gart sonst noch den Flammen zum Opfer fallen wird, läßt sich zur Stunde noch nicht übersehen.

Gegen Abend grif der Brand immer mehr um sich. Die hoch auslodernden Flammen röteten den Abend-Himmel, lieber der ganzen Brandstätte liegt dicker, gelblicher Rauch. Der Ostslüget des Schlosses (dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Karlsplatz gegenüber) brennt vollständig aus. Es

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Zumpe macht Karriere

Line» Pechvogel» lustige Geschichte von Fritz Körner

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Gemürlich entgegnet-: Anton:Genau so unbestimmt wie deine, lieber Bruder."

Georg biß sich auf die Lippen und sagte zunächst nichts.

Bis er wieder anhub:Du wirst dich daran gewöhnen müssen, langsam vor Dingen, die dir bis heute wenig sagten, Respekt zu bekommen. Du sprachst eben so gering­schätzig über den Titel Exzellenz, überlege dir doch . . . den erhält nur einer, der ihn sich wirklich verdient hat."

Anton sah versonnen vor sich hin und entgegnete ver­loren:So, so!"

An was denkst du jetzt?"

Ich denke daran," entgegnete der jüngere Zumpe sehr nachdenklich,was da . . . Vater . . . und Mutter wohl für einen hohen Titel verdient haben."

Gereizt fuhr Georg auf.

Was willst du damit sagen? Vater ist . . . nur ein Schuhmacher!"

Anton blieb ganz ruhig und ein seltsamer Ernst stand in seinen Augen, als er weitersprach:

Ja . . . nur ein Schuster . . . denn das hattest du auf den Lippen. Das stimmt wohl. Er ist nichts anderes als ein braver, ehrsamer Handwerker. Aber . . . was ist er für ein Mensch ... er und Mutter!"

Leidenschaftlich, herausfordernd loderten seine Augen.

Du . . ." fuhr er drohend fort,wenn du das Wort Later in den Mund nimmst, dann tu's in einem anderen Tone, du . . . hochgekommener Sohn, denn du hast alles der Selbstlosigkeit, der geradezu unbegreiflichen Güte deiner Eltern zu verdanken. Sie haben auf alles verzichtet . . .

um der Kinder willen, nur Arbeit, Arbeit und ein magerer Tisch, das war ihr Dasein. Drum bist du heute Ministerial­direktor! Hast wohl geglaubt, ich komme zu dir und deine Würde erdrückt mich?"

Dem Herrn Ministerialdirektor, der sonst nie um das ! Wort verlegen war und dessen Rednergabe geschätzt und l gefürchtet wurde, zuckte zusammen, aber ihm blieb diesmal j das Wort versagt.

! Stumm und feindlich saßen sich die Brüder eine Weile gegenüber, bis sich Georg aufrasfte.

Anton ... ich ... möchte dich bitten, nicht falsch von mir zu denken. Du mußt aber in meinem Falle zu­gute rechnen ... ich lebe doch in anderen Kreisen, ich bin zu gewissen Rücksichten gezwungen."

Die aber nicht so weit gehen dürfen, daß du gezwungen bist, Vater beiseite zu schieben."

Aber, Junge, überlege dir doch einmal ... ich kann doch dem Herrn Minister, meinem zukünftigen Schwieger­vater, nicht sagen, daß Vater in Buxtehude . . . Schuh­macher ist!"

So! Das kannst du nicht! Na, da tröste dich ... du ! hast es gar nicht mehr nötig!"

Was soll das heißen?" fuhr Georg auf.

Das soll heißen ... die Frau Minister und . . . deine zukünftige Frau ... die wissen es!"

Georgs Antlitz rötete sich.

Was! Durch dich!"

Durch mich! Jawohl, durch mich!" antwortete Anton Zumpe ganz ruhig.

> Der Ministerialdirektor sank ächzend in einen Sessel. !Du brauchst nicht zu stöhnen! Diese Frau und ihre Tochter ... so exklusiven Kreisen sie angehören ... sie j sind von einer wundervollen Menschlichkeit, einem Verstehen ! ohnegleichen. Sie stoßen sich nicht an dem einfachen Mann, j der dein Vater ist. Freitag willst du dich verloben! Glücks­

pilz! Das heißt die Krönung einer . . . bewundernswerten Karriere das gibt dir dein Bruder gern zu daß du das Mädel als Gattin gewinnst. Aber das sage ich dir, wenn du Vater und Mutter zu deiner Verlobung nicht ein­lädst, dann sind wir geschiedene Leute."

Georg zuckte zusammen, sagte aber kein Wort.

Ich bin müde!" erklärte Anton.Willst du mir mein Zimmer anweisen lassen!"

Der Herr Ministerialdirektor klingelte nach Frau Schiller.

2 .

Am anderen Morgen trat Anton Zumpe im Mini­sterium des Innern als Hilfsarbeiter an.

Überall auf den Gängen, in den Büros, durch die er geführt wurde, sah er neugierige Gesichter, die ihn musterten.

Anscheinend war im Ministerium schon bekannt ge­worden, daß der Bruder des Ministerialdirektors, des All­mächtigen in: Ministerium des Innern, heute seine Stellung antrat.

Man hatte schon einen Spitznamen für ihn, ehe er überhaupt angetreten war. Man nannte ihn denMinister- anwärter".

Vor Georg Zumpe hatte man allen Respekt, denn, das gab jeder unumwunden zu, er war ein universeller Geist, der den riesenhaften Fragenkomplex des Innenministeriums fabelhaft beherrschte, über die notwendige Ruhe und Ge­schicklichkeit verfügte, alle Schwierigkeiten zu beseitigen. Seine ausgleichende Art, seine Korrektheit in allen Dingen schätzte man.

Rein menschlich genoß der Ministerialdirektor selt­samerweise wenig Sympathien, obwohl er seinen Beamten und Hilfsarbeitern gegenüber hochanständig, rücksichtsvoll und verstehend war.

(Forts, folgt.)