Seite 2 Nr. 228

Nagolder TagdlattDer Gesellschafter

Mittwoch, den 30. September 1831

M gestatten und vom 1. Januar 1S32 ab nach Prüfung des Ein,-Malis Steuerstundungen was Termine zu ^wah­ren. die auf die Verkaufsmöglichkeiten m der Landwirtschaft Rücksicht nehmen: 3. alle anwendbaren Mittel zu benutzen, wn eine Senkung der untragbaren, viel zu hohen Zinssätze herbeiMsühren. 4. alle Maßnahmen der G e- meinden, ihre Ausgaben e i n z u s ch ra n k e n, zu fördern und zu unterstützen.

Württ. Nothilfe und Technische Nothilfe. In der Usberzeu- gung, daß die Technische Nothilfe bei der Durchführung der Umfangreichen und schwierigen Aufgaben vor d,e die Ber- bände der Wohlfahrtspflege de' der Durchführung der ge- planten Winterhilfsaktion gestellt sind, Mithilfe leisten kann, hat die Hauptstelle den in Betracht kommenden Sol­len die Mitarbeit der Technischen Rotstifte an^boten. Alle Dienststellen im Reich, alle Ortsgruppen, Bereitschaststrupps und Obmänner der Technischen Nothilfe sind bereits an­gewiesen, dem Minterhilfswerk jede mögliche personelle und materielle Unterstützung zuteil werden zu laßen

3mn Tode oerurteilt

Der Raubmord an Kaufmann Steiner vor dem Schwur­gericht. Der 30 I. a., erheblich vorbestrafte, ledige Krast- wagenftihrei Gotthilf Lachenmaier von Oppelsbohm hatte sich vor dem Schwurgericht Stuttgart wegen Raub­mords zu verantworten. Lachsnmaier befand sich am 22. Mai d. I. aus der Staatsstraße WinnendenWaiblingen, wo er auf einem Feldweg den Personenkraftwagen des 46 I. a. Kaufmanns Karl Steiner aus Stuttacnt, Inhaber eines Kleidergeschäfts, stehen sah. Steiner schlier in dem Wagen. Lachenmaier gab auf Steiner einen Schuß aus einem Re­volver ab. der sofort tödlich wirkte Mit der Leiche ft>-br er in die Nähe von Eßlingen, wo er sie in einer dichten Tan- nenkultur versteckte, nachdem er seinem Opfer zuvor noch 150 Mark abgenommen hatte. Dann fuhr er zu seinen El­tern, denen er erzählte, der Wagen gehö>-e seinem Arbeit­geber. Dasselbe sagte er auch zu seiner Braut, die er zu einer Spazierfahrt abholte. Als ihm der Betriebsstoff aus­ging, ließ er den Wagen bei Herzogsweiler stehen. Einige Tage später wurde er selbst bei Nerrenalb verbaftet. Lachen­maier gab die Tat zu, nur stellte er jede Ueberlegung in Abrede und behauptete, in Verzweiflung gehandelt zu ha­ben. Daß er sich in Not befand, konnte er ernsthaft nicht behaupten,, denn er war bei seinen Eltern, die für seinen Lebensunterhalt auskamen.

Stuttgart» 29. Sept. Todesurteil im Raub- mordprozetz Lachenmaier. 3m weiteren Verlaus der Schwurgerichtsverhandlung gegen den Raubmörder Gotthilf Lachenmaier ergab sich, daß der Angeklagte mit einer seltenen Nuhe und Ueberlegung die Tat aussühne und dafür beantragte Oberstaatsanwalt Dr. Tafel die Todesstrafe und Aberkennung der bürgerlichen Ehren­rechte auf Lebzeiten. Nach über einstündiger Beratung verkündete das Schwurgericht das Urteil, wonach der An­geklagte wegen vorsätzlichen Mords in Tateinheit mit schwerem RaubzumTodundzudauerndemDei- lust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteil wird. Nuhig und gefaßt nahm der Angeklagte das Urteil entgegen.

Die Einlagen bei den deutschen Sparkasten beliefen sich Ende August 1931 auf 10 504,88 Mich AM. gegen 10 805,65 Mil!. Ende 3uli 1931. Der Berichtsmonat weist mithin eine Ab­nahme um 300,77 Will. NM. gea näher einer Abnahme um 267,62 Will. RM. im Juli auf. Die Scheck-, Giro-, Kontokorrent- und Deposiieneinlagen stellten sich Ende August aus 1246,57 Miss. NM. gegenüber 1277,47 MM- Reichsmark Ende Juli. Die Einzahlungen waren :m August um 80,46 Will. RM. geringer als im Juli, die Auszahlun­gen um 47.31 Will. RM. niedriger als im Juli-

Schussenried, OA. Waldsee, 29. Sept. Brand. Durch die Unvorsichtigkeit eines elfjährigen Jungen, der beim Strohholen ein brennendes Zündholz im Dachruum ins Stroh fallen ließ, geriet Montag früh das Wohn- und Oekonomiegebäude des Landwirts Sigg in Teilgemeinds Kleinwinnaden in Brand, das bis zum Eintreffen der hie­sigen Feuerwehr nahezu eingeäschert wurde.

Bezugsscheine

In der Donnerstagssitzung des Stuttgarter Ge- moin-derats wurde wiederholt die Forderung nach N atu- ralleistungen für die Unterstützungsbedürftigen er­leben, und zwar nicht nur bei den Wi n te rL e i h i l s e n, die mindestens zur Hälfte in Koks bestehen solle, sondern daß man auch bezüglich anderer Lebensmittel immer mehr zu Naturalleistungen übergehen sollte. Freilich wurde vom Berichterstatter Bürgermeister Dr. Ludwig bemerkt, daß die Eefahrungen der Kriegs- und Nachkriegs­zeit nicht zur Nachahmung reizen.

Zweifellos gilt letzteres für unsere Großstädte, wo ge­waltige Summen (in Stuttgart beispielsweise einschließlich Wintevbeihilse 18 995 000 RM.) ausgebracht werden müs­sen, wo also die Methode der Naturalleistungen mit viel mehr Verwaltungsaufwand und mit noch mehr unkontrol­lierbaren Mißbräuchen verbunden sind. Trotzdem dringt die Frage der Naturalleistungen in immer weitere Kreise ein. Selbst der Reichsarbeitsminister Dr. Stegerrvald, der anfänglich von feinem gewerkschaftlichen Standpunkt aus mit Berufung auf den Wortlaut und den Sinn des Ge- etzes über die Arbeitslosenversicherung dagegen war, lcheint hierin eine leise Wendung gemacht zu haben. Wir osten auch nicht ein, warum man auf dem Weg der Not- verordung nicht auch eine solche Aenderung dekretieren kann. Was hat man nicht alles im Zeichen des Artikel 48 fertig gebracht! Aenderungen, die mit der berühmtenGe­fährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" so gut wie nichts zu tun haben. Sollte das nicht auch möglich sein für eine Maßnahme, die in dieser außerordentlichen Not­zeit) wo bei sieben Millionen Arbeitslosen jeder dritte Deutsche unterstützungsbedürftig ist, geradezu unvermeidlich ist, um so mehr, als auf diesem Weg zugleich der notleiden­den Landwirtschaft und dem schwer belasteten E i n- zel Handel unter die Arme gegriffen werden könnte.

Was jene betrifft, so weiß jedermann, daß unsere viel­beklagte Agrarkrise in der Hauptsache nichts anderes als eine Absatzkrise ist. Unsere Bauern rufen mit Fug und Recht nach Stärkung des Binnenmarktes. Naturalleistungen an Erwerbslose würden die immer noch viel zu große Ein­fuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen einschränken. Dann unser Bergbau! Infolge der Pfundkrisis ist zu befürchten, daß billige englische Kohle Deutschland über­schwemmen wird. Niemals aber war unsere Kohlenindustrie mehr auf den Absatz angewiesen, wie heutzutage, wo sie un­ter den hohen Fracht- und namentlich Selbstkosten bis zum Zusammenbruch schwer leidet und riesige Kohlenmengen auf Stapel liegen. Auch hier kann durch Koksleistungen an Erwerbslose viel für einen besseren Absatz gesorgt werden.

Und vollends der Einzelhandel. Hiezu hat dieser

an Arbeitslose

Tage Dr. v. Poll, Direktor bei derHauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels", in beachtenswerter Weise das Wort genommen (im Handelsblatt der Deutschen Allgem. Zeitung vom 25. September). In Einzelhandelskreisen halte man es für selbstverständlich, daß eine Lösung der bangen Frage jetzt ernsthaft in Angriff genommen werden müsse, wie mit einem sehr beschränkten Volumen an Geldmitteln eine unverhältnismäßig große Zahl von Arbeitslosen der verschiedensten Unterstützungskategorien unversehrt durch den Winter gebracht werden sollen. Dabei sei es klar, daß mißbräuchlicher Verausgabung der knappen Unter­stütz u ng s ge lde r durch leichtsinnige Fami­lienväter oder Söhne begegnet werden müsse. Dies dürfe aber nicht durchzentrale Beschaffungsstellen" unter Ausschaltung des Einzelhandels geschehen. Versuche in die­ser Richtung hätten nicht selten mit einer großen Blamage geendet und hätten daneben dem Handel empfindlichen Scha­den zugesiigk. Besser sei ein von vielen Kommunen mit Erfolg eingeführte Be z u g.s s ch e i n sy st e m unter Ein­schaltung des Einzelhandels und unter Zuweisung der Ra­batte an die Aemter und nicht an die Unterstützten.

Hierüber kann man verschiedener Meinung sejn. Die Hauptsache jedenfalls ist: möglichst ausgedehnte NatuM- leistungen. Anders können wir bei unseren knappen Geld­mitteln unsere Erwerbslosen diesen Winter nicht durch- h alten.

Die Naturalleistungen an Erwerbslose

Berlin» 29. Sept. Die Verhandlungen des Reichsarbeits­ministeriums über die Ablösung eines Teils der Erwerbs­losen- und Wohlfahrtsunterstützung durch Naturallieferun­gen haben zu einem vorläufigen Ergebnis geführt. Es ist geplant, den Unterstützungsberechtigten Preisermäßi­gungen einzurüumen für Kohle, Kartoffeln, Brot und Fleisch. Die Besprechungen mit den Textil- merbänden über einen Preisnachlaß haben bisher noch zr, keinem Ergebnis geführt. Unklarheit besteht nur noch, ob Bezugsscheine ausgegeben werden sollen, oder ob die Unterstützungssätze entsprechend dem eingeräumten Bezugs- rabatt gekürzt werden.

Berbilligle Kohlenabgabe für Erwerbslose

Halle a. S, 29. Sept. 3m Anschluß an den Beschluß des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, im bevorstehenden Winter aus den Zaldenbeständen ver­billigte Kohle für Erwerbslose abzugeben, plant auch das Mitteldeutsche Braunkohlensyndikat eine solche Hilfe.

Alm» 29. Sept. Die württ. Deutschnationalen gegen die württ. Notverordnung. Auf einem deutschnationalen Erörterungsabend am Montag abend er­klärte Landtagsabgeordneter Dr. Hölscher zur württ. Notverordnung, daß die entscheidenden Beschlüsse ohne die deutschnationalen Abgeordneten von den württ. Regie­rungsparteien gefaßt worden sind. Von anderen Parteien lst man, so teilte der Redner weiter mit, an die Deutsch- nationalen herangetreten mit dem Vorschlag, für die Ge­meinderatswahlen in Württemberg eine sogenannte bürger­liche Einheitsfront zu schaffen. Wir müssen diesen Gedanken mit aller Entschiedenheit für alle die Gemeinden ablehnen, in denen die Parteien Wahlvorschläge ausstellen. Wir sind nicht gewillt, die zusammenbrechenden Mittelparteien auf­zufangen und uns in ihren Zusammenbruch hineinziehen zu lassen.

Alm, 29. Sept. Schaufensterwerbewoche. Hier nahm die Schaufensterwerbewoche ihren Anfang. Das Straßenbild war am Sonntag und am Montag belebt und die vielen Schaufenster mit den Herbst- und Winterneu­heiten, den abwechslungsreichen Farbensinfonien und Ueber- raschungen aller Art übten ihre Anziehungskraft aus.

Bei einer Rauferei getötet. In der zwischen Böhringen und Emershofen bei Neu-Ulm gelegenen Wirt­

schaft zum Niedhos wurde am Sonntag abend bei einer Rauferei dem etwa 40 3ahre alten ledigen Josef Heiter von Böhringen von einem Messerhelden durch einen Stich in den Oberschenkel die Schlagader durchschnitten, so daß Heiter infolge Verblutung starb. Ein Bruder von ihm wurde schwer verletzt.

Bon der Reichswehr. Der Stab des 3. Art.-Negis. (bisher Fulda) traf heute nachmittag in Alm ein.

Ravensburg, 29. Sept. Ehrenvolle Berufung. Der Magistrat der Stadt Hamburg hat an Stelle des an das Nudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin berufenen Professors Lichtwitz den Oberarzt an der medizinischen versitätsklinik in Frankfurt a, M., Professor Dr. Eb-i- siian Kroetz, zum ärztlichen Direktor der inneren Ab­teilung des Städtischen Krankenhauses gewählt. Dr. Kroetz ist 18^1 in Ravensburg geboren.

Saulgau» 29. Sept. Versuchte Brandstiftung Am 26. Sept. hat der Landwirt Markus Lang in Brun­nen, Gde. Guggenhausen, als er im Begriff war, einen Kleeheuwagen abzuladen, in seinem Oehmdstock eine bren­nende Kerze vorgefunden. Die Kerze war schon so weit heruntergebrannt, daß einige Minuten später der Oehmd- siock unbedingt in Brand gesetzt worden wäre. Ein der Tat verdächtiger Knecht wurde dem Amtsgericht Saulgau vorgeführt.

Zur BolLsbühnenaufführung von Ferd. BrucknersElisabeth von England"

am Samstag, den 3. Oktober 1931.

Daß die Volksbühne am kommenden Samstag kaum 1 Iahr nach der Berliner Aufführung uns mit diesem erfolg­reichsten Stück des letzten Winters bekanntmachen will, dafür haben wir allen Grund, der Leitung der Bühne dank­bar zu sein. Denn hier handelt es sich wieder einmal um ein Stück großen Formats, das sich nicht damit begnügt, an der Problematik eines einzelnen Menschenlebens psycho­analytisch herumzudeuteln, sondern das in der Gestaltung eines entscheidungsvollen Abschnittes der Weltgeschichte zugleich das Walten überpersönlicher Kräfte im Menschen- und Völkerschicksal zeigen will.

Wer war die Königin Elisabeth? Neben den zwei anderen großen Herrscherinnen der neueren Zeit, neben Maria Theresia in ihrer herzhaften, geradlinigen Tüchtigkeit, neben dem dämonischen Elementarwesen einer Katharina II. erscheint das geschichtliche Bild der engli­schen Königin blaß und farblos, und es ist wohl zu ver­stehen, warum das Heroisierungsbedürfnis ihres eigenen Volkes schließlich die blasse Tatsache, daß diese Königin un­verheiratet war, zum Hauptmerkmal ihres Privatcharat- ters ausgebaut und siezur Naiclen (Zueen", zur jung­fräulichen Königin schlechthin, erhöht hat. Aber welchen persönlichen Anteil hatte sie an der großen weltgeschichtl. Wendung, die in ihre Regierungszeit fällt, an dem Entschei- dungstampf zwischen der katholischen Weltmacht der Habs­burger und dem emporstrebenden protestantischen England? War sie die ebenbürtige Gegenspielerin von Philipp II. von Spanien, wie etwa Maria Theresia die von Friedrich dem Großen! Nach Bruckner, der darin einer neueren, auch in Deutschland viel gelesenen Darstellung von Lytton Stratchey (Elisabeth und Essex) folgt, ist Elisabeth trotz ihres starken Herrscherbewußtsein alles andere als ein ziel- bewußter Machtpolitiker, im Gegenteil, wider ihren Willen und mehr durch Zufall wird ihr, der ewig Zau­dernden, Unentschlossenen, die ihre Entscheidungen oft wi­derruft, um womöglich auch den Widerruf noch einmal zu widerrufen, die geschichtliche Aufgabe des Kampfes gegen Spanien und seine Armada aufgenötigt. Während Phi­lipp II. noch als Todkranker mit seinen politischen Macht­plänen die ganze Welt umspannt, begnügt sich Elisabeth mit der Rolle einer Friedenskönigin in dem kleinen Eng­

land, dessen wichtigste Sorge die gefährliche Nachbarschaft von Schottland bildet. Ihr bangt vor einem offenen Kampf mit Philipp, der ihr wesensfremd ist und doch als Träger des habsburgischen Weltmachtsystems einen geheimnis­vollen Zauber auf ihr kleinbürgerliches Denken ausübt: sie traut sich und ihrem Volke keine große politische Lei­stung zu und denkt als ängstliche Rechnerin an all die Geld- und Menschenopfer, die der Krieg mit Spanien ko­sten wird, und als sie sich endlich im Kronrat von der Unabwendbarkeit des Kampfes überzeugt und zu diesem entschließt, geschieht es in dem zuversichtlichen Glauben, daßdieser Krieg, wenn wir ihn gewinnen, der letzte Krieg in dieser Welt sein" und später, wenn Spanien be­siegt ist,niemand mehr ein so unsinniges Geschäft wie Krieg betreiben wird", ein holder Selbstbetrug damals wie heute. Ganz anders Philipp II.: Für ihn ist der Krieg gegen das ketzerische England vor allem eine religiöse Pflicht, der er sich mit der ganzen Inbrunst seiner mysti­schen Frömmigkeit hingibt. Denn hinter dem persönlichen Gegensatz steht natürlich der weltanschauliche Gegensatz von spanischem Glaubensfanatismus, der im Dienst einer reli­giösen Idee das eigene Land zugrunde richtet, und von englischem gesundem Menschenverstand, der sich nie von einer Idee, von dem Verlangen nach etwas Unerreichbarem lei­ten läßt, sondern nur von dem Gedanken an den jeweiligen Vorteil, und der fast widerstrebend Schritt für Schritt auf die Bahn der Weltpolitik gedrängt wird.

Zu diesem Hauptmotiv bilden die persönlichen Schicksale von Elisabeth, so wichtig sie auch für die Deutung ihres Wesens und des Wesens von England sind, mehr ein Vorspiel. Ihre Beziehungen zu Essex, dem letzten in einer langen Reihe von Liebhabern, zeigen sie auch in der Liebe ohne Größe und Leidenschaft,- ihre kühle, jungenhaft-unweibliche Art läßt kaum etwas von körper­licher oder geistiger Sinnlichkeit verspüren, und so handelt es sich bei ihren Liebesangelegenheiten weniger um ein starkes Erleben als um ein halb kindisches, halb schöngei­stiges Spiel, mit dem sie ihre persönliche Eitelkeit befriedi­gen u. Hemmungen ihres Wesens ausgleichen will. Als moderne Frau des 16. Jahrhunderts, die sich die neuer­schlossenen Bildungswerte der Rennaissance zueigen ge- > macht und dabei doch manche brutale Züge aus primiti­veren Kulturzeiten bewahrt hat, schätzt sie an den Liebes­briefen des Esser vor allem die feine Kultur der Sprache, läßt aber den Schreiber dieser Briefe, die ihrvielleicht noch lieber sind als dieser selbst", vor ihren Augen hin­richten, als dieser sich an einer Verschwörung der schotti­

schen Stuarts gegen die Königin beteiligt. Immerhin führt deren Verrat dieses Liebhabers zu einer bedeutsamen Wen­dung in Elisabeths Leben, im Zwiegespräch mit dem jungen Plantagenet, der sich ihr als Nachfolger von Essex anbietet, sagt sie sich von allen Liebesgedanken los.Jetzt habe ich nur noch Philipp im Kops und im Herzen. Ich bin fertig, ich habe keine Lust mehr, Schluß. Aber Du bleibst meine letzte Erinnerung an eine sinnlose und schöne Zeit, sie ist vorüber". Aber sie trägt schwerer an dieser Erinner­ung und noch schwerer an der Erinnerung an ihr eigenes, von Anfang an zerstörtes Leben", sie, die Tochter eines bestialischen Vaters, die ihre unglückliche Mutter nie ge­kannt und von Stiefmüttern nur Böses erfahren,' als nach der Vernichtung der Armada eine neue größere Zeit für England anbricht, da fühlt sie sich in dem neuen Eng­land, das bereits die Thronfolge der Stuarts und die Ver­einigung mit Schottland vorbereitet, fremd und verein­samt.

Was hier als Inhalt des Dramas kurz angedeutet worden ist, könnte vermuten lassen, es handle sich um ein Stück, das mit historischem Realismus die Vergangen­heit wieder zu beleben sucht,- tatsächlich aber hält sich das Drama trotz seiner Gebundenheit an den historischen Stoff fern von jeder Wirklichkeitsabsicht, nicht nur, daß der Dich­ter die geschichtlichen Ereignisse zeitlich zusammenrückt, er rückt auch räumlich zusammen und führt uns auf einer zweiteiligen Bühne in gleichzeitigen Doppelszenen vor Augen, was in Madrid und London vor sich geht, ein technischer Kunstgriff, aus dem sich ein beziehungsreiches, fraiwillig-unfreiwilliges Jneinanderspiel beider Schau­plätze ergibt, so daß z. V. Philipp im Gedanken an den Krieg in Englandunter dem Flügelschlag des heiligen Geistes erschauert", während Elisabeth im gleichen Augen­blick mit Sorgen an die dreihunderttausend Pfund denkt, die der Krieg kosten wird.

Die Sprache des Dramas ist so knapp und zugespitzt, daß sie die schwere Fracht von Gedanken, die sie übermit­teln soll, kaum zu tragen vermag. Umso reicher sind die darstellerischen Möglichkeiten, die gerade dieses Drama der nachschasfenden und über das Gegebene noch hinausstreben­den Gestaltungskraft des Schauspielers bietet. Erst die Auf­führung kann auch die innere Notwendigkeit so mancher Einzelmotive erweisen, die auf dem Papier gesucht und überspitzt erscheinen mögen: wir dürfen daher dem kommen­den Samstag mit ganz besonderer Spannung entgegen­setzen.